Lasst uns mal über meine Spermien sprechen und die Wahrscheinlichkeit dreiäugige Kinder zu zeugen. Ich sitze weiter im Krankenhaus und gucke meinen Blutwerten dabei zu, wie sie auf die verschiedenen Chemo-Therapien reagieren und da das Ganze ziemlich langweilig ist, habe ich nichts besseres zu tun, als über die Fähigkeiten meiner Gonaden zu reden.
Im Allgemeinen greifen sowohl Chemo- als auch Strahlentherapie die sich schnell teilende Zellen an, was neben Schleimhaut und Haaren eben auch die Keimzellen mit einbezieht. Vor allem bei der Chemo-Therapie heißt das, dass man erst mal während der Therapie unfruchtbar wird. Sprich, sowohl Spermien, als auch Eizellen sind nicht mehr in der Lage richtig zu funktionieren, wobei “richtig zu funktionieren” viele Formen annehmen kann. Dies kann von immobilen Spermien bis zu beschädigkten Zellbausteinen z.B. Mitochondrien reichen und viele Formen annehmen.
Diese Unfruchtbarkeit ist nicht immer absolut, sondern teilweise können doch noch funktionierende Keimzellen gefunden werden, die im schlimmsten Falle zu einem Embryo führen könnten, wenn nicht richtig verhütet wird. Schlimmster Fall bedeutet hier, dass unter der Einwirkung von Zytostatika auf jeden Fall darauf verzichtet werden sollte, Nachkommen zu zeugen, weil die Wahrscheinlichkeit extrem erhöht wäre, dass diese chromosomale DNS-Schäden davon tragen.Dabei sind Chemo-Therapien wesentlich “schlimmer” als Radioaktivität, weil erstere viele verschiedene Mechanismen benutzen, um eine Zelle zu schädigen (z.B. Vernetzung von Chromosomen, Einfluss auf Zellbausteine zur Zellteilung etc. pp.), während ionisierende Strahlung “nur” Basen- oder Strangbrüche an der DNS verursacht. Daher führen Schäden durch Strahlung eben nur dazu, dass die Chance auf Nachwuchs sinkt, weil entsprechend weniger Keimzellen ihren Dienst tun. Aber wenn es dann doch zu einer Befruchtung kommt, dann sind diese Nachkommen auch meist ohne Schäden durch verschleppte ionisierende Strahlung… zumindest zu einem sehr sehr viel höheren Grad als bei Chemo-Therapie-Anwendungen oder ähnlichen Verfahren. Die professorale Strahlenbiologin in meiner Strahlenausschutzausbildung teilte die Meinung, dass dieser Effekt evolutionsbiologisch “gewollt” ist und die meisten Säugetiere “absichtlich” einen recht effektiven Schutz davor haben, dass Nachkommen durch ionisierende Strahlung Schädigungen davon tragen. Aber soweit ich weiß, ist das bislang nur eine populäre Theorie ohne viele Beweise… hört sich aber auch für mich schlüssig an.
Langer Rede kurzer Sinn, wenn Mann sich einer Chemo-Therapie unterzieht und noch vorhat, eine Famile zu gründen und/oder Kinder in die Welt zu setzen, dann sollte Mann vorher Spermien einfrieren. Für Frauen sieht das aktuelle deutsche Gesundheitssystem da leider keine Option vor und sie müssen sich mit einer kinderlosen Zukunft anfreunden oder hoffen, dass nach der Chemo noch ein paar funktionierende Eizellen vorhanden sind. Das Einfrieren bzw. Lagern meiner Spermien übernimmt lustigerweise genau die gleiche Firma, die auch meinen Laborkryostaten hergestellt hat und mit flüssigem Stickstoff beliefert… ich hoffe die gehen mit meinem Erbgut sensibler um als mit unserem Sauerstoffabscheider 😉
Auch wenn ich jetzt nicht vorhab, in den nächsten zwei Wochen meine tiefgefrorenen Gameten für irgendwas zu benutzen, habe ich mich natürlich schon informiert, wie sowas funktioniert .. und sei’s nur darum, eine coolen neuen Anmachspruch auf der Krebsstation zu haben 😉 Was mir dabei etwas sauer aufgestoßen ist, ist die deutsche Gurkigkeit mit der Präimplantationsdiagnostik. Zur Erklärung: Bei der ICSI werden mehrere Eizellen im Labor befruchtet und dann werden davon zwei Stück eingesetzt. Jetzt kann man den Eizellen in frühem Stadium schon Stammzellen entnehmen und auf Erbkrankheiten etc. testen, was je nach Land sehr unterschiedlich gehandhabt wird. In den USA kann man sich Geschlecht und Augenfarbe des Kindes aus den zur Verfügung stehenden befruchteten Zellen aussuchen (Gattaca lässt grüßen) und in Belgien wird zumindest auf Erbkrankheiten getestet und nur gesunde Zellen werden eingesetzt (eine Unterscheidung bzgl. Geschlecht ist hier verboten). In Deutschland ist die Untersuchung einer Schwangeren auf Trisomie 21, samt Abtreibung in der frühen Schwangerschaft erlaubt, aber im Labor vor dem Einsetzen (zusammen mit allen anderen PID-Anwendungen) verboten.
Was mir dabei vor allem bitter aufstößt, ist die Inkosistenz und eben Gurkigkeit des staatlichen Umgangs mit dem Thema. Mal abgesehen davon, dass ich bei Staus am Kölner Ring von Jülich aus schneller im deutschsprachigen Krankenhaus in Lüttich (Belgien) bin als in der Kölner Uniklinik, kann ich doch erwarten, dass man sich dieses wichtigen Themas doch mal vernünftig annimmt. Und damit meine ich nicht unbedingt eine Lösung, die mir gefällt, sondern eine gut durchdachte. Die aktuelle macht da vorwiegend den Anschein, von Leuten zusammengestückelt worden zu sein, die nicht das Rückgrat hatten, die Sachen durchzudiskutieren und an die aktuellen technischen Möglichkeiten anzupassen. Naja, was will man von einer Gesetzgebung erwarten, bei der Mann immer noch heiraten muss, um als Vater irgendwelche nennenswerten Rechte zu genießen *seutz*.
Nunja, Reproduktionsmedizin ist nun wahrlich eher ein Nebenschauplatz in meinem aktuellen medizinischen Alltag, aber trotzdem immer mal wieder ein paar Zeilen wert. Beim nächsten Mal gibts dann wieder ein Stück mehr Leukämie… versprochen.
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