Viele Grüße aus der Stammzellentransplantation und dem Innenleben der aseptischen Station der Krebspatienten mit ohne Immunsystem. Physikalisches gibt es heute (außer über meinen Kampf mit den Ultraschallern) nur Weniges zu berichten und ich werde wohl hauptsächlich über meine ersten Tage in Gefangenschaft erzählen. Wer dem etwas abgewinnen kann, der möge weiterlesen und wer nicht, der muss sich etwas bis zu meinem nächsten Strahlungsartikel gedulden.

Ich habe mittlerweile meine fertige Diagnose mit Bestimmung der spezifischen Marker und der daraus folgenden Therapie bekommen. Das heißt ich habe eine Form der Akuten Lymphatischen Leukämie (ALL). Diese kommt sehr schnell (binnen Wochen) und führt bei Nicht- oder Falschbehandlung auch binnen Wochen zum Tod, dadurch dass essentielle Blutbestandteile wie Hämoglobin zum Sauerstofftransport nicht mehr richtig gebildet werden. Sie ist auch eine der heftigsten Formen, die man sich so einfangen kann und da bin ich ehrlich gesagt schon ein wenig stolz drauf… naja, es folgt zumindest meinem Lebensmotto: “Keine halben Sachen und wenn dann richtig.”

Das heißt unter anderem auch, dass ich zur Chimäre werde und durch eine Knochenmark-/Stammzellenspende dann nicht nur meine ursprüngliche DNS durch meinen Körper fließen wird, sondern eine Kombination aus meiner alten und der neuen meines Spenders. Das hört sich schon teilweise ein wenig abenteuerlich an, aber eben auch spannend *g*. Wie man an den Bilder sehen kann, habe ich auch zum ersten Mal (mehrere) Bluttransfusionen bekommen, um meine fehlenden Blutbestandteile wieder aufzufüllen und mich weiter in dem physischen Bereich zu halten, in dem man mit Chemo-Therapien arbeiten kann.

Diese stehen dann auch weiter an und gleich bekomme ich meine erste Injektion in den Liquor im Spinalkanal (Wirbelsäule). Durch die Blut-Hirn-Schranke kommen die Chemikalien normalerweise nicht so gut durch, so dass man da ein bisschen physisch nachhelfen muss. Da wird dann später auch die Strahlentherapie ansetzen, die sich (für meine Begriffe etwas diffus) auf das Rückenmark und das Gehirn beschränken wird. Das geschieht aus dem gleichen Grund wie die Injektion in den Liquor (um dort auch noch die letzten veränderten lymphatischen Zellen loszuwerden), aber mit meiner persönlichen Definition von “chirurgisch präzise applizierte Strahlung” hat das dann auch schon nicht mehr viel zu tun.

Kleinere Kommunikationspannen zwischen Physikern und Medizinern hatte ich gestern auch noch bei dem Besuch der Ultraschall-Station, wo meine sämtlichen Organe nach und nach gequetscht und mit Ultraschall untersucht worden sind. Ich bin ja eher ein Fan von klaren Transmissions Imaging-Systemen – wie bei uns zu Hause in der Physik halt. Man schickt Strahlen durch, guckt, wo sie abgeschwächt werden und färbt das dann dementsprechend ein… ganz einfach. Irgendwie habe ich mich dann über die Falschfarben auf dem “3D”-Display der Ultraschaller lustig gemacht. Wenn sich etwas rein bewegt, dann müsste es doch rot gefärbt werden, weil die Wellenlänge größer wird und nicht umgekehrt wie hier. Irgendwie fanden das die jungen Ärzte nicht so witzig und erinnerten sich an die ganzen bösen Physiker, von denen sie im Anfang ihres Studiums malträtiert worden waren… naja, lange Rede kurzer Sinn, ich bin dort mit viel mehr blauen Flecken herausgekommen als ich hineingegangen bin und der wichtigen Lektion, einem Mediziner erst dann auf den Keks zu gehen, wenn er keinen direkten Zugriff auf Organe oder sonstige wichtige Teile meines Körpers mehr hat.

Ansonsten sind die Mediziner hier auf der Station echt toll und gucken mir mehr als einmal über die Schulter, wenn ich versuche hier ein paar Zeilen auf das digitale Papier zu schmieren. Naja, immerhin ist es ja auch nah genug an ihrem direkten Interessengebiet dran, um zumindest etwas Aufmerksamkeit zu generieren. Wirklich viel für meine Arbeit in der Neutronenphysik habe ich bislang noch nicht tun können (außer ein paar der E-Mails zu beantworten), aber ich bin aktuell noch voller Hoffnung, dass ich nicht ganz den Anschluss verlieren werde. Auslands- oder Messreisen sind bei mir natürlich jetzt völlig vom Tisch und das tut mir auch schon irgendwie leid, dass ich meine Kollegen jetzt mit der ganzen Arbeit alleine lasse, aber wirklich andere Optionen gibt es zur Zeit halt eben nicht.

Ich werde mal versuchen in den kommenden Tagen Informationen bzgl. erhöhter Leukämievorfälle in der Nähe von Atomkraftwerken herauszubekommen. Da könnte ich ja jetzt mal sinnstiftend meine neuen “Fähigkeiten” einbringen, aber ich vermute, dass mal wieder mindestens der halbe Tag dafür drauf gehen wird, den VPN-Tunnel über das Forschungszentrum für meine Literaturrecherche stabil hin zu bekommen und ich den Rest des Tages dann noch weiterhin von irgendwelchen Ärzten gepiekst werde, die mich wieder gesund machen wollen. Ich halte euch auf dem Laufenden.

 

Kommentare (23)

  1. #1 Marius
    Köln
    7. Juni 2018

    Hi, erst einmal kudos für die Artikel und deine Sichtweise soweit. Wenn du Besuch bekommen kannst, sag mal Bescheid – ach ja, Lars, dein Sekretär. Ich schreib ihm mal 😉 Ein Freund von mir hat ganz frisch auf der Kardiologie angefangen, den wollte ich auch mal besuchen…
    Sonst empfehle ich auch mal den Cluster Kölner Physik mit in deine Recherche einzubeziehen, da hast du ja auch lange gewirkt.
    Wie auch immer, hang in there, gute Besserung, Bananen, sag was du brauchst, viele Grüße, und WIR SEHEN UNS!!!

  2. #2 Eckbert
    7. Juni 2018

    Danke für den Eintrag, weiter so! 🙂

  3. #3 Tim
    7. Juni 2018

    Gibt es WLAN auf Deiner Station? Ist ja beileibe keine Selbstverständlichkeit in deutschen Krankenhäusern. 🙂

  4. #4 Tim
    7. Juni 2018

    PS: Viel Spaß bei der Liquorpunktion. Die hat mir immer wenig Vergnügen bereitet. 🙂

  5. #5 tomtoo
    7. Juni 2018

    Na hoffentlich ärgerst du die Ärzte nicht umgekehrt proportional zur Wellenlänge der verwendeten Apparatur. ; )

  6. #6 Tobias Cronert
    7. Juni 2018

    @Marius: Merci. Cölner Physik Cluster ist mal ne Idee. Der Volki hat mir schon geschrieben, dass er jetzt in einem Biotech-Unternehmen arbeitet, die experimentelle Medikamente auf T-Zellen Basis herstellen. *g* Unsere Leute kommen halt viel rum.

    @Tim: Ja, WLAN gibt es, kostet aber Geld. Das das ganze Ding hier aber eine Uniklinik ist gibt es Eduroam, in das ich ich mich mit meinem alten Account für kostenloses WLAN reinhacken kann.

  7. #7 RPGNo1
    7. Juni 2018

    Tobias Cronert beißt in eine Blutkonserve? Wieso nur erinnert mich das jetzt an Vampire: The Masquerade – Bloodlines? 🙂

  8. #8 roel
    7. Juni 2018

    @Tobias Cronert “Ich werde mal versuchen in den kommenden Tagen Informationen bzgl. erhöhter Leukämievorfälle in der Nähe von Atomkraftwerken herauszubekommen. ”

    Ich hoffe du kommst gut durch den Informationswald, den es dazu gibt. Da sind viele Falsch- und Fehlinformationen oder -aufbereitungen zu finden. Für den Laien, wie mich, oft nicht zu erkennen, passt das jetzt oder nicht. Da freue ich mich auf einen Beitrag von dir.

  9. #9 Ludger
    7. Juni 2018

    Erst einmal wünsche ich gute Besserung und vollständige Heilung.
    Zur Frage nach Literatur 2 Links zum Deutschen Ärzteblatt:
    https://www.aerzteblatt.de/treffer?mode=s&wo=17&typ=16&aid=65441&s=Kernkraftwerk&s=Leuk%E4miecluster
    https://www.aerzteblatt.de/treffer?mode=s&wo=17&typ=16&aid=12227&s=Kernkraftwerk&s=Leuk%E4miecluster
    Zitat aus dem Aufsatz von 1998:

    Albrecht Kellerer, München, hat in einer gemeinsamen Studie mit Ärzten und Wissenschaftlern aus Weißrußland aufgezeigt, daß im Gegensatz zu der Zunahme des Schilddrüsenkrebses andere Krebserkrankungen, insbesondere kindliche Leukämien, nach der Tschernobyl-Katastrophe bisher nicht vermehrt aufgetreten sind. Hochradioaktiv belastete Regionen, wie die Gomel-Region, zeigen gegenüber unbelasteten Regionen keine Unterschiede in der Leukämiestatistik. Die Leukämieerkrankungen von Kindern entsprechen denen in allen Industriestaaten, etwa 4/100 000.

    Eine statistisch nachweisbare Leukämiehäufung gibt es nach beiden Aufsätzen erst bei Strahlendosen über 200 mSv.
    LG. Ludger

  10. #10 Joseph Kuhn
    7. Juni 2018

    Bei der berühmten KiKK-Studie über Kinder in der Nähe von AKWs hatte man zwar eine erhöhte Leukämierate gefunden, aber ein kausaler Zusammenhang mit Strahlenbelastung galt als unwahrscheinlich.

    Kurz: https://www.bfs.de/DE/bfs/wissenschaft-forschung/ergebnisse/kikk/kikk-studie.html

    Lang: https://doris.bfs.de/jspui/bitstream/urn:nbn:de:0221-20100317939/4/BfS_2007_KiKK-Studie.pdf

  11. #11 anderer Michael
    8. Juni 2018

    Ich wünsche alles erdenklich Gute für Sie, Herr Cronert.

  12. #12 RPGNo1
    8. Juni 2018

    @Tobias Cronert
    Um ein wenig aufzumuntern, habe ich hier etwas aus deinem Fachgebiet.
    https://www.bionity.com/de/news/1155553/injektionsnadeln-mit-neutronen-durchleuchtet.html

  13. #13 Tobias Cronert
    8. Juni 2018

    Danke für die ganzen Links. Die KiKK Studie steht natürlich sehr hoch auf der Prioritätenliste, wenn es um Leukämie und Atomkraftwerke geht … zusammen mit der Interpretation von Greenpeace (die echt gut ist).

    @RPGNo1: Meine Kollegen waren letzte Woche erst noch am PSI bei der Imaging Gruppe um sich ein wenig Nachhilfe geben zu lassen und ich wäre auch dabei gewesen, wenn man mich hier rausgelassen hätte *g*. Das mit den Spritzen (Wasser in Metall) ist ein super Anwendungsbeispiel, dass man mit Röntgen nicht so leicht nachmachen kann.

  14. #14 RPGNo1
    8. Juni 2018

    @Tobias Cronert
    Top.:)
    Ich habe in diesem speziellen Fall Interesse an der Nachricht, da unsere Firma im Auftrag Medikamente in Spritzensysteme abfüllt. Da spitzt man natürlich die Ohren, wenn es um Qualitätsverbesserung geht.

  15. #15 JW
    8. Juni 2018

    So, von mir jetzt auch mal alles Gute.
    Diese Faszination von spannenden Erkrankungen habe ich auch öfter vor der Nase. Von Haus aus Biologie und mehr der Botanik zugewandt, habe ich jetzt beruflich mehr mit Laborgeräten auch zur Diagnos bestimmter Krebserkrankungen zu tun. Dann steht man vor einem seltsamen oder extrem deutlichen Ergebnis und jubelt ob des guten Beispiels, welches einem die Schulung erleichtert. Und dann fällt einem ein, dass dies zu einem gewissen Prozentsatz ein Todesurteil ist. Gar nicht gut.
    In diesem Sinne noch mal eine gute Besserung und gute Laune

  16. #16 Jerowski
    8. Juni 2018

    Ja, das ist ein guter Tipp: Nie einen Mediziner, der in MUC studiert hat (/haben könnte) auf Physik ansprechen! Am besten
    auf Nachfrage nen andern Beruf auswürfeln…

  17. #17 Tobias Cronert
    8. Juni 2018

    Ja, Physiker und Mediziner ist immer so eine Sache. Die Mediziner hassen die Physiker, weil sie frisch ins Studium kommen, Menschleben retten wollen und das erste, was sie machen müsse ins staubtrockene, langweilige Physikformeln auswendig lernen, die sie nie wieder brauchen werden. Physiker hassen Mediziner, weil sie tolle Quantenphänomenen auf den Grund gehen wollen. aber Medizinern die drei Ohmschen Gesetzen beibringen müssen. Ein Teufelskreis, wobei ich die armen Mediziner echt verstehen kann.

  18. #18 noch'n Flo
    Schoggiland
    9. Juni 2018

    Also da muss ich jetzt mal ganz entschieden widersprechen: wir hatten (vor 27 Jahren) an der Medizinischen Hochschulle Hannover einen gaaanz tollen Physikkurs im 1. Semester, mit sehr netten Tutoren, fairen Prüfern und einem Prof, der jede Menge abgefahrene Physik(er)-Witze auf Lager hatte. Absolut kein Grund zur Klage.

  19. #19 Tobias Cronert
    9. Juni 2018

    OKOK, ich entschuldige mich bei Hannover für die Verallgemeinerung … und muss direkt eingestehen, dass ich auch schon ähnlich gute Nachrichten von bzw. über andere (einzelne) Hochschulen gehört habe.

    Auch in Köln haben wir uns (zumindest in der Zeit in der ich involviert war) echt Mühe gegeben, aber da habe ich auch schon viele schlimme Geschichten gehört.

    Im Januar habe ich noch mit einem Kumpel, der gerade angefangen hat in Aachen Medizin zu studieren, für seine Physik Klausur im ersten Semester gelernt und habe teilweise wieder dieselben Dinge gehört.

    Hm, vielleicht ist das ganze mal einen eigenen Artikel wert. 😉

  20. #20 Jerowski
    10. Juni 2018

    Ich kann ja nur für die große Stadt im Süden sprechen, aber da geht die Abneigung erst im 3. und 4. Semester los und hat leider tatsächlich sehr viel mit dem seit vielen Jahren verantwortlichem Praktikumsleiter und dem Format zu tun – aber auch da ändert sich langsam was. Wenn’s nur Ohm und Newton wären… ;-D

  21. #21 Marius
    10. Juni 2018

    @Tobias: Ohm war doch nicht das Problem, als Mediziner muss man Formeln umstellen und einen einfachen Dreisatz beherrschen können. Das Problem ist eher, dass uns nur die schlechten Studis aus der Med in Erinnerung bleiben (gilt natürlich auch für Physik Studis, nicht jeder sollte studieren).
    Das so ein Dreisatz wichtig ist zeigte sich mir ganz schnell, als eine Notärztin von mir kleinem RS wissen wollte, wie man bei einer 8-jährigen Patientin mit Verdacht auf BKW/LWK Fraktur Ketanest dosieren muss. Dosis in mg/kgKG mal Gewicht war zu schwer.

  22. #22 Tobias Cronert
    10. Juni 2018

    Na ich glaube schon, dass es da ein konzeptionelles Problem gibt. Ja, es ist nicht Dreisatz und Formeln umstellen, sondern eher der Umafang und die Vermittlung. Ich meine da wird die komplette klassische Physik in ein Semester gequetscht und die zukünftige Hautärztin macht das gleiche, wie der Nuklearmediziner oder die RNA-Zellbiologie Forscherin.

    Außerdem haben die meisten Medizinstzudenten viel auf sich genommen um endlich Medizin studieren zu dürfen, kommen jung und/oder motiviert an die Uni und das erste, was sie abbekommen ist Biologie, Physik und Chemie. Oft noch nicht mal in den Räumen “in der Medizin”, sondern bei den Naturwissenschaftlern. Ich hab mir sagen lassen, dass das sehr deprimieren sein kann.

  23. #23 noch'n Flo
    Schoggiland
    12. Juni 2018

    @ Marius:

    Ohm war doch nicht das Problem, als Mediziner muss man Formeln umstellen und einen einfachen Dreisatz beherrschen können.

    Und genau da liegt der Wauwau begraben. Ich habe gegen Ende meines Studiums Seminare zur Vorbereitung auf den “Medizinertest” (TMS) gehalten, da taten sich Abgründe auf. Nota bene: das waren alles GymnasiastInnen im 13. Schuljahr – aber nicht einmal die Hälfte konnte einen Dreisatz anwenden.

    Da war es schon von Vorteil, dass wir in meiner Physik-Versuchsgruppe (in die wir zu Beginn des Praktikums in 3er-Gruppen eingeteilt worden waren) alles ehemalige Mathe-LKler waren, von denen im Abi keiner weniger als 12 Punkte fabriziert hatte. Das flutschte wie geölt. Wir waren immer die ersten im mündlichen Tages-Testat, konnten nicht selten schon eine Stunde früher nach Hause gehen.