Dankbarkeit – Heute geht es bei mir um Dankbarkeit und erschreckenderweise steht da unser geliebtes deutsches Gesundheitssystem, über das man ja eigentlich eher fluchen als jubilieren sollte, ziemlich hoch auf der Liste. Damit bin ich dann auch gar nicht mehr all zu weit von üblichen Scienceblog-Themen entfernt und brauche kein all zu schlechtes Gewissen zu haben die Allgemeinheit mit meinen lächerlichen Privatthemen zu belästigen.
Aber fangen wir mal vorne an. Ich bin nun den 9ten Tag seit meiner Einlieferung mit Leukämie hier auf der aseptischem Krebsstation und werde mit den schönsten Chemie-Cocktails malträtiert, die die Medizin so zu bieten hat, in der Absicht, meine Leukozyten und andere Blutteilchen so kleinzustampfen, dass man dann irgendwann mal eine Heilung in Gang setzen kann. Das ist super so und mein heutiger Grund verdammt dankbar zu sein. Seit ich durch die Tür der Station gekommen bin hat, habe ich ein Bett in einem Zimmer bekommen, jede 6 Stunden eine Blutanalyse und massenhaft Untersuchungen: Knochenmarksbiopsie, Liquorpunktion, Ultraschall und Röntgen, von jedem halbwegs sinnvollen Organ und jedes Mal, wenn meine HB-, Thrombozyten- oder anderen Werte zu schlecht gewesen sind, habe ich eine Bluttransfusion bekommen.
In den letzten Tagen habe ich den Gegenwert eines Kleinwagens an medizinischen Prozeduren abbekommen, ohne meine Vermögenswerte offen legen zu müssen oder sonstwie mit dem Thema “Geld” belästigt zu werden. Allein die Mitgleidschaft in einer regulären, langweiligen, gesetzlichen deutschen Krankenkasse hat gereicht, um mir all die modernen Annehmlichkeiten der High-Tech Medizin zu gönnen. Ich bin immer noch beeindruckt, denn als so selbstverständlich wir so etwas manchmal empfinden, ist es in Wirklichkeit nicht, wenn man mal nüchtern drüber nachdenkt. Das sich unsere Gesellschaft gedacht hat, dass es doch eine ganz tolle Sache wäre, jemandem in Not (wie mir aktuell) einfach mal zu helfen, finde ich, vor allem aus meiner derzeitigen Perspektive, sehr nett.
Daher geht mein zweiter Dank auch direkt an alle, bzw. “die Gesellschaft”, welche ja quasi Auftraggeber und Organisator des bewundernswerten Zustandes ist, dem ich mich erfreuen darf. Also natürlich auch an alle Leser hier. Ich bin es normalerweise gewohnt auf der gebenden Seite der Gleichung zu stehen. Ich bin es gewohnt anderen zu helfen, andere zu unterstützen, mit dummen Kommentaren im Internet zu beraten etc. pp.. Ich bin es nicht gewohnt, mir helfen zu lassen oder gar, wie im Moment, helfen lassen zu müssen. Das ist schon eine kleine Umstellung und natürlich um so besser, wenn das dann auch wirklich funktioniert.
In vielen anderen Ländern würde ich nun mit Fragen konfrontiert werden, wie meine signifikanten Rechnungen (bzw. Bedürfnisse) bezahlt werden können und die Modelle, wie sowas dann auch in der entsprechenden Realität geschieht, gibt es zuhauf. Als (quasi) Berufseinsteiger nach dem Studium habe ich keine wirklichen (persönlichen) Ressourcen aufzuweisen und in den meisten Fällen würde dann die Familie als erste Anlaufstation in Frage kommen, um Hilfe und Unterstützung zu bieten. Danach weitere Verwandte, Freunde und was man sich sonst noch so in seinem Leben als soziales Umfeld aufgebaut hat … auch als Eremitenphysiker 😉 Wirklich viele Versprechungen für die Zukunft kann ich auch nicht machen, irgendwann mal einen bedeutenden Teil der Kosten zurückzahlen zu können. Denn auch wenn ich die Geschichte hier vernünftig überlebe, wird es sicher noch Jahre dauern, bis ich wieder so produktiv sein kann, dass es etwas ausmacht. Mal ganz davon abgesehen, dass aktuell meine “Produktivität” daraus besteht nette Wissenschaftsdinge zu erforschen, die vielleicht mal irgendwann für die Gesellschaft sinnvoll sind… vielleicht, vielleicht auch nicht. In letzterem Fall sähe meine Lebensbilanz dann doch eher traurig aus 😉
Man hat mir gesagt, dass ich durch so eine Krankheit meine Lebensprioritäten deutlich ändern würde. Dass ich mich stärker auf das fokussieren würde, was wirklich wichtig für mich ist. Wenn dem wirklich so ist, dann spüre ich schon jetzt die ersten Effekte davon. Ich habe keine Ahnung, ob ich jemals wieder in meinen Job in der Wissenschaft zurückkehren kann, aber wenn dazu die ernsthafte Möglichkeit besteht, dann will ich dies auf jeden Fall tun. Auch, oder vor allem wegen der ganzen Überlegungen, die ich hier in den letzten Zeiten angestellt habe. Die Menschheit und die Wissenschaft voranzubringen, weiterzuentwickeln und sei es nur dadurch einen kleines Beitrag für die nächste Generation der Neutronenquellen zu liefern, finde ich sehr wichtig und wenn irgendwie die Möglichkeit besteht, das sinnvoll weiter zu machen … wäre es mir eine große Ehre ebenjenes zu tun.
Bis dahin verabschiede ich mich mit viel Dank im Herzen für Freunde, Familie und Gesellschaft und beim nächsten Mal können wir ja gucken, ob es jemanden gibt, der an meiner Misere schuld ist. Ich meine, Strahlenphysiker mit Leukämie… da muss es doch einen Schuldigen geben, oder?
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