Seit mehr als einem Jahrzehnt kommt in den (Internet)Medien und der Öffentlichkeit immer wieder das Thema Leukämie und Atomkraftwerke auf. Als Strahlenphysikerin mit frisch ausgebrochener Leukämie, die sich in ihrem Blog immer mal wieder gerne solche Themen zur Brust nimmt, möchte ich mich jetzt auch mal Kopf voran in den Themenkomplex stürzen und meine subjektive, professionelle Meinung dazu aufs digitale Papier bringen.
Meine Mutter ist passionierte Atomkraftgegnerin und ich bin in einem Haushalt aufgewachsen, in dem die Greenpeace-Zeitung immer auf dem Küchentisch lag. Darüber hinaus habe ich im Kinderwagen mit Anti-Atomkraftfahne an diversen Demonstrationen teilgenommen, bis ich irgendwann zu alt dafür war, in der Öffentlichkeit mit meinen Eltern gesehen zu werden (muss irgendwann um die Pubertät herum gewesen sein). Als ich dann Physik studiert habe und durchaus wieder in der Öffentlichkeit mit meinen Eltern fraternisieren konnte, hat sich meine Einstellung zu Strahlung etc. durchaus geändert (bzw. erst wirklich fundiert entwickelt), so dass ich heute zu den ganzen Atomkraftwerks-Geschichten mitsamt Atomausstieg eher eine komplexere Einstellung habe, die sich nicht in einem Satz beschreiben lässt. Dennoch habe ich immer noch eine gute Meinung von Greenpeace, weil diese trotz der persönlichen und politisch klaren Agenda, die sie bedienen, in der Regel (vor allem in meinem Feld) wissenschaftlich korrekt arbeiten und eben nur die objektiven Daten maximalst in ihrem Sinne interpretieren anstatt sie zu manipulieren oder selektieren, wie dies andere Organisationen (auf beiden Seiten) mit entsprechenden politischen Absichten durchaus tun.
Daher fange ich meinen Flirt mit dem Thema bei dem Artikel von Greenpeace zu dem Sachverhalt an, quasi als Extremposition und werde mich von da an in den Themenekomplex hereinstürzen. Damit möchte ich Greenpeace explizit nicht angreifen, sondern im Gegensatz sogar als extremsten Artikel einer Seite würdigen, der noch vollständig meine Ansprüche an eine wissenschaftliche und objektive Basis erfüllt. Dass ich mit den gleichen Voraussetzungen auf eine durchaus unterschiedliche Schlussfolgerung komme, wird ja dann in den kommenden Zeilen klar werden.
Aber jetzt endlich ml zu dem vielbeschworenen Artikel, ganz konkret dem hier: ”Leukämierisiko AKW – das ungelöste Rätsel”. Dieser eröffnet direkt im Sub-Titel, dass Studien gezeigt haben, dass das Leukämierisiko speziell für Kinder zwar erhöht ist, aber eingestanden wird: “Die genaue Ursache für die Erkrankungen liegt im Dunkeln. Die Expertenmeinungen gehen auseinander. Die einen schließen Strahlung als Ursache vehement aus, andere halten diesen Ausschluss für falsch.”
Gerade dieses Eingeständnis rechne ich dem Artikel hoch an, denn auch wenn die besorgte Mutter diese Zeilen interpretieren wird als: “Die einen Experten sagen dies, die anderen das, also kann ich glauben, was ich will und damit mein confirmation bias bestätigen”, sagt ja gerade der letzte Abschnitt: “Es gibt keine Bestätigung für einen kausalen Zusammenhang, bestenfalls die Tatsache, dass ein kausaler Zusammenhang (noch) nicht ausgeschlossen werden kann.” Das Argument, dass ein kausaler Zusammenhang NICHT ausgeschlossen werden kann, ist allerdings eine sehr schwache Aussage und ja annähernd für alle solche Studien der Fall. Da müsste die Datenlage schon extrem gut und eindeutig sein, um mit einer hohen Warscheinlichkeit einen kausalen Zusammenhang wirklich und wahrhaftig von der Hand zu weisen.
Sprich unter dem Strich haben wir ein Lagebild, was zwar eine eindeutige Tendenz hat (warscheinlich keine Korrelation Leukämie/Atomkraft), aber nicht absolut eindeutig ist (ein Zusammenhang kann nicht 100% ausgeschlossen werden und sollte weiter untersucht werden). Das öffnet dann selbstverständlich Tür und Tor für Experten, Hobbyisten und Marktschreier, die ihre sowieso schon vorgefestigten Meinungen jetzt möglichst publikumswirksam unters Volk bringen wollen. Dem möchte ich mich natürlich nicht anschließen, da ich mich ausdrücklich keiner der Seiten zugehörig fühle und in meiner Funktion, die ich mit diesem Blog erfüllen will, einen gewissen Anspruch an Objektivität habe.
Trotzdem, oder gerade deshalb, kann ich aber noch mal die Extremposition von Greenpeace aufgreifen, die am Ende des Artikels, nach dem Zitieren von mehreren Studien (denen ich mich in den nächsten Folgen ausdrücklich widmen werde) ihr Worst-Case Szenario aufbauen und dieses damit definieren, dass im allerschlimmsten Fall – wenn sich ihre schlimmsten (wissenschaftlich fundierten Studien-) Meinungen bewahrheiten – das Leukämierisiko um 76% erhöht wäre.
Für meine Form der Leukämie würde das ganz konkret heißen, dass im allerschlimmsten Fall mein spezielles Risiko von 1:100.000 auf 2:100.000 steigen würde. Ähnlich sieht es für die vielbeschworenen Kinder in der Nähe von AKWs aus. In meinem Tagebuch habe ich ja schon öfter geschrieben, dasd ich wegen eines doppelt so hohen Risikos für Leukämie nichts und absolut nichts an meinem Leben ändern würde. Zumindest nicht solange, wie ich in einer Welt lebe, in der das Sterberisiko im Straßenverkehr irgendwo bei 1:15.000 liegt. Solange die Investition in einen Fahrradhelm (selbst im schlimmsten Fall) mein Leben um mehr als das 10-fache sicherer macht als die Abschaltung eines Atomkraftwerks … da ist die Sache eigentlich ziemlich klar. Selbst mit der absolut extremsten Position, die noch irgendwie wissenschaftlich vertretbar ist.
Im nächsten Teil werde ich mir dann mal die einzelnen Studien konkret vornehmen und mich auf die verschiedensten Interpretationen und Gegeninterpretationen (Thema Holzschutz *g*) einlassen und mich damit beschäftigen, wie sehr denn einzelnen Studien für bestimmte politische Zwecke eingesetzt und (über)interpretiert werden. Dazu dann mehr in: Die Sache mit der Leukämie und den Atomkraftwerken – Teil 2 – Die Kontrahenten.
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