Ich durfte mal wieder ein paar Tage raus und habe die Gelegenheit genutzt und den DLH- (Deutsche Leukämie- & Lymphom-Hilfe) Kongress besucht um mich über ALL im Speziellen und Leukämie im Allgemeinen zu informieren und zu unterhalten. Das Ganze ist eine Aktion von einem Hilfe-Verein für Patienten und Angehörige, aber auf recht hohem Niveau. Auf eine Mediziner (Onkologen?!)-Tagung habe ich mich noch nicht getraut. Zum einen habe ich das Gefühl, da nur 10% zu verstehen (naja, bei manchen Physik-Tagungen komme ich auch nur auf 20%) und zweitens hätte ich sicher den unbändigen Druck, auch einen Beitrag einreichen zu müssen, um die Mediziner über die Vorteile und tollen Möglichkeiten von Neutronen als Strahlentherapie aufzuklären.
Aber mal zurück zu dem Informationstreffen zu Leukämie. Was mich als erstes sehr positiv überrascht hat, war, dass das Niveau der Informationen erfreulich hoch gewesen ist. Die Dozenten waren allesamt Professoren, Oberärzte und dergleichen, die ehrenamtlich “zum Volk” gesprochen haben und dieses kannte zumindest die Wikipedia-Artikel zu ihren Krankheiten und Medikamenten auswendig, so dass die Fragen in Komplexität denen eines durchschnittlichen Medizinstudenten durchaus Konkurrenz machten. Neben allgemeinen Vorträgen wie der kleinen Laborkunde und “minimal residual disease” (MRD) gab es dann auch Panels für die einzelnen Leukämien, wo die 200-300 Besucher dann auf ca. 20 pro Raum heruntergebrochen wurden und man mit den Dozenten sogar sehr persönlich ins Gespräch kommen konnte… nett und empfehlenswert.
Was habe ich jetzt konkret von der Veranstaltung mitgenommen? Obwohl sie eigentlich sehr toll gewesen ist, habe ich für mich selber, also praktisch zur sofortigen Anwendung, nur wenig einsammeln können. Meine konkrete Behandlung wird es nicht ändern, weil die experimentellen Medikamente, die ich hier kennen gelernt habe, noch ein paar Jahre brauchen, bis sie in den regulären Gebrauch kommen (und meine Ärzte hier offenbar keine Lust auf wilde Experimente mit ungetesteten Medikamenten haben) und ich die ganzen allgemeinen Informationen (wie über die Hälfte der Teilnehmer im Saal) schon kannte. Trotzdem war das gut investierte Zeit und ich würde es auf jeden Fall wieder machen.
Ein Teil der Veranstaltung ist sicher für die “Alternative Medizin”-Fraktion der Scienceblogs-Leserschaft noch interessant. Es gab einen Vortrag über 45 Minuten zu “alternativen Behandlungsmethoden”. Dieser wurde von den Veranstalter auf den Sonntag, kurz vor das Schlusswort und die Abreise gelegt. Das ist traditionell (zumindest bei uns in der Physik) der Punkt, den man auch ruhig mal ausfallen lassen kann, um den Zug oder das Flugzeug früher zu erreichen (also in der Physik “alternative Zugänge zur Relativitätstheorie”) oder vor dem Abreiseverkehr aus dem Hotel auszuchecken. Der Fokus des Vortrages bestand dann auch hauptsächlich daraus, die Sorgen der Patienten ernst zu nehmen, einen offenen Geist für alternative Techniken zu haben, aber gleichzeitig zu betonen, wie wichtig es ist trotzdem zumindest AUCH noch eine konventionelle Therapie zu verfolgen und aufzupassen, dass die alternativmedizinische Therapie nicht allzu schädlich ist… Tja.
Mein persönlicher Aufreger bei dem Besuch war aber der niedrige Stellenwert der Strahlentherapie(en) sowohl bei Ärzten als auch Patienten. Ok, ok, ich habe mich nicht (wie ich das auf den Physikerkonferenzen mache) auf eine Obstkiste gestellt und die Vorzüge der Neutronen(quellen) in alle Welt hinausposaunt und versucht, den Institutsleitern neuartige Neutroneneinstrumente zu verkaufen. Aber ich bin auch schon nach den Vorträgen zu Dozenten hingegangen und habe mal nett angefragt: “Ja, und was ist mit Neutronen?”. Dabei blieben dann vor allem zwei Erkentnisse hängen: In der Regel macht sich keiner der Leukämie-Mediziner Gedanken über die Strahlentherapie… das wird halt einfach den Nuklearmedizinern überlassen (von denen natürlich keiner da war) und sie wissen in der Regel zwar, was Neutronen (Protonen, Schwerionen) sind, aber dass es da einen deutlichen Unterschied zu Photonen gibt, ist noch nicht in dieses Fachgebiet vorgedrungen.
JA, ja, ich kann das verstehen und nachvollziehen und den Leukämie-Medizinern ist da eigentlich auch kein Vorwurf zu machen. Selbst die Protonentherapie, die ja langsam an Fahrt aufnimmt und als Strahlentherapie immer mehr eingesetzt wird, ist immer noch ein gutes Stück entfernt, zum Standard zu werden …. und die ist noch eine Größenordnung weiter verbreitet als meine geliebten Neutronen. Aber entmutigend ist es schon ein wenig, wenn man mal in einem fremden Teich schwimmen geht und plötzlich gerade mal so noch als Wasserlebewesen identifiziert wird. Naja, beim nächsten Mal muss ich da wohl meine Obstkiste einpacken *g*.
Wie gehts mir ansonsten zur Zeit? Also, ich spüre jetzt die Wirkungen der Chemo doch recht deutlich. Ich bin immer noch in der Lage, dies und das zu machen, hinke aber deutlich hinter meiner normalen Produktivität hinterher. Ich habe jetzt den ersten Chemo-Block erfolgreich abgeschlossen und jetzt erst mal 12 Tage Pause (nur eine “Chemo”-Therapie läuft währenddessen weiter) bis dann der zweite Chemo-Block anfängt. Wenn dabei alles gut geht, dann wäre für den Spätsommer im Anschluss an den Block 2 die Stammzellentransplantation geplant… was recht flott und auch irgendwie nett wäre. Tja, da werd ich jetzt mal drauf hinarbeiten.
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