Ich bin wieder zurück im Krankenhaus, habe meinen zweiten Chemotherapie-Block begonnen und gerade bewahrheiten sich die Prognosen meiner Leser und Ärzte, die prophezeit hatten, dass es jetzt doch ein ordentliches Stück härter wird. Während ich im ersten Chemo-Block den Mund ein wenig voll genommen hatte und noch großspurig behauptete: “Ach, so schlimm ist das Ganze doch noch nicht, da kann ich noch noch mehr vertragen” und “Wollen wir die Dosis nicht noch ein bischen erhöhen?” haben mich die Nebenwirkungen nun vollkommen erwischt.
Irgendwie macht sich nun die Gewissheit bei mir breit, dass die Ärzte schon wussten, was sie tun und auch die Leser hier bei SB, die schon Erfahrungen mit solchen Arten von Chemos gesammelt hatten, haben nicht im Kaffeesatz gelesen, sondern mit fundiertem Wissen hantiert. Das heißt, dass ich mir darüber in den Momenten Gedanken machen kann, in denen ich nicht wimmernd im Bett liege, weil meine Epitelzellen in Horden absterben und versuchen meinen Körper zu verlassen. Daher muss ich mich auch schon mal entschuldigen, wenn ich es nicht schaffe, Beiträge vernünftig oder zeitnah zu kommentieren bzw. angedachte Updates zu veröffentlichen. Ich schaffe es zwar, von Zeit zu Zeit so kohärente Gedanken zusammen zu bekommen, dass ich die ein oder anderen Zeilen schreiben kann, aber das ist immer sporadisch und schlecht vorher abzusehen und zu planen. Ich habe schon mehrere Besuche absagen müssen, komme meinen Verpflichtungen bzgl. der Berufsgenossenschaft (und anderen Formalitäten) nicht hinterher und habe es noch nicht mal geschafft, die Typisierungsaktionen, die mit meinem Namen durchgeführt wurden, vernünftig zu unterstützen.
Für die Berufsgenossenschaft hätte ich eigentlich zusammenstellen müssen, mit welchen Isotopen und in welchen Einrichtungen ich in den letzten vier Jahren gearbeitet habe. Daraus können sie dann “errechnen”, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass meine Leukämie durch die Arbeit mit ionisierender Strahlung entstanden ist. Als ersten Schritt haben sie sich meinen Strahlenpass zuschicken lassen, in dem (als gutes amtliches deutsches Dokument) festgehalten ist, wieviel (Strahlen)Dosis ich in meiner Arbeitszeit abbekommen habe, aber das ist natürlich nur die Hälfte der Miete. Zusätzlich zu der amtlich ermittelten Dosis kommen dann immer noch Risiken durch besondere Interaktionen mit Strahlung, wie z.B. der Umgang mit offenen Quellen oder aktivierten Proben, der in dieser Form nicht vom netten gelben Büchlein abgedeckt werden kann. Dazu muss ich aber, wie gesagt, mal alles auflisten, was ich in den letzten vier Jahren getan habe… und das ist verdammt viel. Die regelmäßigen Leser hier haben ja schon einiges mitbekommen, wenn ich z.B. mal ausprobiere, wie schwierig es ist Uranmunition mit einem günstigen Geigerzähler von ebay aufzuspüren. Sobald ich wieder die geistige Kapazität habe, mich damit auseinanderzusetzen, werde ich das auch tun und (wenn alles glatt geht) auch meine SB-Leserschaft hier daran teilhaben lassen. Ich kann mir gut vorstellen, dass hier einige Leute daran interessiert sein könnten, was für Isotope so in den letzten Jahren durch meine Finger gewandert sind.
Was ich auch sträflich vernachlässigt habe, ist eine Beteiligung an den Typisierungsaktionen, die in meinem Namen veranstaltet wurden. Während ich hier auf der Isolierstation sitze und durch die Fenster, die man nicht öffnen kann, die Sonne beobachte, haben meine Freunde und Bekannte dazu aufgerufen, dass man sich doch als Stammzellenspender für Leukämiepatienten registrieren lassen könnte. Da ich halt auch nichts anderes gemacht habe, als Datenschutzerklärungen zu unterschreiben (ja, ihr dürft meinen Namen und meine Bilder benutzen, um für den guten Zweck zu werben) kann ich auch hier nicht viel mehr darüber sagen, als auf die entsprechenden Links zu verweisen. Wenn es mir wieder ein wenig besser geht und ich Besuch empfangen kann, werde ich mich mal briefen lassen, wie die Aktionen so gelaufen sind und ob sie allen Beteiligten Spaß gemacht haben. Bis dahin werde ich fleißig auf Like und Share Buttons klicken… sofern ich dazu in der Lage bin.
Trotz meines “mittelreifen” Alters rangieren meine Social-Media Skills doch deutlich unter dem Durchschnitt. Es ist nicht so schlimm wie meine Elterngeneration, die wahlweise entweder wild jedes Katzenvideo und In-App Spiel mit allen Freunden teilen und liken oder mit dem Teufelszeug nichts zu tun haben wollen, aber auch nicht so ausgeprägt, dass ich es schaffe in den kurzen “Echtzeit”-Vorgaben all meine Accounts und Profiles zu updaten, wie es “die Jugend von heute” so tut und für die eine zweistündige Unterbrechung des “Onlineseins” dem sozialen Selbstmord gleichkommt. Ich hoffe, ihr Leser, die ihr (laut meiner WordPress-Statistik) zu 30% durch soziale Medien hier her gefunden habt, könnt mir diese Unzulänglichkeit verzeihen, denn bei aller Liebe werde ich in absehbarer Zeit nicht die Energie und Möglichkeiten aufbringen können, an meinem aktuellen Habitus so viel zu ändern, dass es irgendwie sichtbar wäre.
Also, ich freue mich über alle, die sich an den Stammzellen-Registrierungsaktionen beteiligen. Nicht nur für mich, sondern viel mehr für alle Patienten, die in Zukunft mal in meiner Situation sind und eine solche Spende benötigen. Denn allen Pathos, der mitunter auf einem solchen Werbeplakat zu sehen ist, mal beiseite, ohne Stammzellenspende wäre meine spezielle Form der Leukämie nicht heilbar. Andere Formen sind es mitunter schon, aber gerade die akuten Formen, die bevorzugt Kinder und Bananenphysiker befallen, sind es eben nicht und können durch Medikamente nur temporär aufgehalten werden… oder anders ausgedrückt, ohne Stammzellenspende würde ich sterben. Daher bin ich sehr dankbar für die großen Datenbanken und alle Einzelpersonen, die dahinter stecken und sich die Zeit genommen haben, sich testen zu lassen. Vielen Dank.
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