Eine alte Weisheit ist, dass man Sachen erst wirklich wertschätzt, wenn man sie nicht mehr hat. Wie ein Immunsystem zum Beispiel. Leider erinnert man sich an diese Weisheit in der Regel auch erst, wenn man in der entsprechenden Situation ist, dass man etwas schmerzlich vermisst… wie zum Beispiel ein Immunsystem.
Dieser praktischen Erkenntnis folgend möchte ich an dieser Stelle eine kleine, aber herzliche Danksagung an mein Immunsystem (hauptsächlich die Leukozyten) loswerden, das nach gut einer Woche Abwesenheit wieder zu mir zurückgekehrt ist und mich nun zumindest temporär wieder vor Pilzen und Viren beschützt. Ich bin quasi am Ende meines zweiten Chemotherapieblocks. Dieser hat dafür gesorgt, dass meine Leukozyten soweit abgefallen sind, dass die Viren und Pilze, die schon immer in meinem Mund gelebt haben, dachten, eine Party feiern zu können. Die Mediziner nennen sowas Mykose (https://de.wikipedia.org/wiki/Mykose), wenn (unter anderem) durch eine Immunschwäche die Schleimhäute im Mund so stark befallen werden, dass Sprechen nur noch sehr eingeschränkt und Essen kaum noch möglich ist. Damit habe ich mehr oder weniger die letzte Woche zugebracht. Das lag zum einen daran, dass ich die bereitgestellte Prophylaxe hier im Krankenhaus nur rudimentär genutzt habe (was soll schon groß passieren) und zum anderen das Immunsystem sich erst eine gute Woche nach der letzte Chemo entschlossen hat die Biege zu machen… womit ich eigentlich nicht mehr gerechnet hatte.
Tja, das Ganze ist nun vorbei. Bei meiner letzten Knochenmarkbiopsie (MRD) konnten keine Krebszellen mehr nachgewiesen werden (die Nachweisgrenze liegt bei 1 / 100.000 Zellen), so dass ich nun offiziell in molekularer Remission bin. Bei vielen Leukämien würde das erstmal ausreichen und die Leute würden nach Hause kommen und es würde darauf vertraut werden, dass der Krebs gar nicht mehr oder erst viel später wieder auftaucht. Das ist bei meiner (Hochrisiko-) Form der ALL nicht so, was eine Stammzellentransplantation unumgänglich macht. Diese ist dann auch für in einem Monat geplant. Bis dahin darf ich auch die meiste Zeit zuhause verbringen bzw. mich dann auch die Transplantation vorbereiten. Dabei wird dann auch direkt mal danz ganze Immunsystem platt gemacht, mit 12 Gray Strahlentherapie (6Gy ist die Grenze für eine tödliche Strahlenkrankheit *g*) und Cyclophosphamid aka Senfgas. Dabei freue ich mich natürlich sehr auf die Strahlentherapie und die Möglichkeit, mal am anderen Ende des Teilchenbeschleunigers zu sitzen… aber das ist nur so ein kleines Schmankerl nebenbei. Hauptsächlich werde ich es dann mit dem Zustand “kein Immunsystem” zu tun haben, was noch ein wenig heftiger ist als der Zustand, den ich in den letzten Tagen erleben durfte. Aber zumindest weiß ich das gute Ding jetzt ja wertzuschätzen.
Also, beim nächsten Mal gibt’s dann wieder ein wenig mehr Physik, aber nachdem ich jetzt sogar schon hier vom Krankenhauspersonal gefragt werde, wann mein nächster Beitrag kommt, musste ich schnell mal was zusammen schreiben, auch wenn sich nicht wirklich viel Interessantes getan hat.
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