Ich habe einen Stammzellenspender… yay! Bzw. um wesentlich konkreter zu werden: Während manche Arten der Leukämie mit Chemo- und Bestrahlungstherapien alleine behandelbar sind, führt bei meiner Form der ALL kein Weg an einer Stammzellen- oder Knochenmarktransplantation vorbei. Dabei heißt “kein Weg daran vorbei”, dass zwar mit Medikamenten der aktuelle Status hinausgezögert, aber niemals geheilt werden kann. Oder etwas überspitzt, aber dennoch korrekt, ausgedrückt: Ohne Transplantation würde ich sterben.
Daher machte man sich schon in den ersten Tagen nach meiner Aufnahme hier im Frühling auf die Suche nach meinem “Genetischen Zwilling”, wie dies von Spenderegistern gerne genannt wurde. Dabei heißt “genetischer Zwilling” eben nicht unbedingt gleiche Merkmale, sondern mehr so etwas, wie eine gleiche Oberflächenstruktur der Teilchen. Aber da werde ich sicher noch mal einen separaten Artikel zu schreiben, denn wie ihr wahrscheinlich an meiner schwächelnden Orthographie [Anmerkung der Fehlerputzfrau: “Öh… Tobi? Soll ich die Fehler wieder einbauen?”] merkt, geht es mir nicht besonders gut und aktuell habe ich zu der schon erwähnten Mycositis auch noch einen ständigen Hämoglobinmangel, der nicht nur alle zwei Tage irgendwelche Blutspenden erfordert, sondern hauptsächlich dafür sorgt, dass sowohl meine Muskeln als auch mein Gehirn gerade nicht allzu gut mit Sauerstoff versorgt werden… eigentlich etwas, was man beim Bloggen ansonsten gerne vermeiden würde.
Trotzdem wollte ich die gute Nachricht quasi direkt in die Welt hinaus verkünden, weil vor allem für viele entferntere Bekannte die Wegmarke “Spender gefunden” einen der vielleicht drei großen Punkte im Verlaufe einer solchen Erkrankung darstellt. Also Diagnose, Spender gefunden, Spende erfolgreich transplantiert… das wäre dann wohl der Ablauf in drei Akten. Außerdem haben meine Freunde und Vereine ja auch postwendend Typisierungsaktionen in Köln und auf dem Mythodea-Festival gestartet und dem möchte ich mit einer Erfolgsmeldung meinerseits natürlich auch entsprechenden Respekt zeugen, vor allem da zwischen meiner Diagnose und den Typisierungsaktionen nur Monate gelegen haben.
Das ist auch schon mal sehr verwunderlich, denn wenn man direkt nach meiner Diagnose im Frühjahr schon begonnen hat, einen Spender zu suchen, wieso dauerte es dann Monate, einen zu finden? Ich meine, eine Datenbankabfrage dauert im Internetzeitalter doch eher Millisekunden. Hier gibt’s doch keine Archivare mehr, die in den Keller an die Schränke gehen müssen (bzw. hat es hier auch noch nie gegeben). Naja, das kommt halt hautptsächlich daher, dass nicht nur ein passenden Profil gefunden werden muss, sondern eine Person. Genau erklärt gibt es das viel besser bei den YouTube-Videos z.B. von der DKMS. Da wird dann berichtet, wie unter allen gefundenen Spendern ein paar wenige selektiert werden. Diese müssen dann erst mal angeschrieben werden. Die Spender müssen rückantworten, sich neuerlichen Gesundheitschecks unterziehen etc. pp. – denn einige Parameter sind bei Spendern durchaus variabel und für mich (groß und dick) versucht man natürlich auch ein Pendant zu finden, das auch in derselben Volumenliga spielt und für den 150kg-Preisboxer gibt es dann halt Abzüge in der B-Note, wenn er nach seiner Registrierung vor 15 Jahren inzwischen mit Yoga und KH-Balancing seinen Lebensschwerpunkt bei 65 Kg gefunden hat.
Leider ist mein Spender ein wenig langweilig… also nicht von seinem Charakter her, denn wäre er Comedian, dann würde ich es nicht wissen (dürfen). Er ist, wie ich, ein kräftiger Mann mit derselben Blutgrupe und demselben Rhesusfaktor. Spannenderweise hätte ich in einem anderen Fall z.B. das Blut einer Frau haben können (“Nein, in dem Mordfall suchen wir eine Täterin, Herr Kommissar, wir hatten Blutspuren am Tatort”) oder eine andere Blutgruppe. Mit der Blutgruppe hätte sich mein Charakter dann natürlich auch geändert z.B. von “cool, kontrolliert und rational, wie Sailor Mars/Rei Hino” (Blutgruppe AB) in “gesellig
und optimistisch, wie Bunny Tsukino herself” (Blutgruppe 0). Aber über die Freuden, als Chimäre dann gleich auch noch in den Klub der Fabelwesen eingeladen zu werden, werde ich, wie schon angedroht, mal vernünftig schreiben, sobald mir ein wenig mehr Sauerstoff im Blut bereitsteht.
Dass da überhaupt noch etwas ist, habe ich hier echt mit einer signifikanten Wahrscheinlichkeit unter anderem meinem Freundeskreis zu verdanken. Denn dieser geht, seit ich hier liege, noch viel mehr Blutspenden als früher und vier von fünf dieser Leute haben die gleiche Blutgruppe. Das heißt, 12 Blutspenden über den bisherigen Zeitraum und ich habe 12 TKs und inklusive jetzt gerade 7 EKs bekommen. Wieviel insgesamt hier im Monat verarbeitet wird, kann man bestimmt auch heraus bekommen, aber eine echte Prozentzahl würde ich nicht dranhängen wollen, weil ich mir lieber ausmale, wessen Blut da gerade durch meine Adern fliesst, um mich auf die Besuche entsprechend vorzubereiten: “Hey Lars, dein Dönerkonsum in allen Ehren, das ist sicher dein Blut gewesen, aber was du deiner Umwelt mit DEM Knoblauch antust…”. Naja, aber eigentlich bin ich ihm vor allem eines – und das ist dankbar.
Nur noch dankbarer bin ich meinem Stammzellenspender. Ist ein wenig so wie Dankbarkeit gegenüber einem Feuerwehrmann, der mich aus nem brennenden Auto gezogen hätte. OK, wenn du es nicht getan hättest, dann hätte es vielleicht jemand anderer getan – oder auch nicht. Dann wäre ich tot. Da du es nun mal gemacht hast (und auch offensichtlich der qualifizierteste für den Job gewesen bist – ein sog. 10/10 Spender, aber das erkläre ich noch mal im separaten Artikel) kann man mit Fug und Recht behaupten, du hast mein Leben gerettet. Naja, also wenn von jetzt an alles läuft wie geplant und keine Komplikationen auftauchen.
Will heißen, wenn du mal in Schwierigkeiten steckst, dann bin ich natürlich auch für dich da und mache bei deiner Hochzeit in Hamburg den Fotografen und räume am Ende zusammen mit allen anderen auf. Solltest du mal in Degendorf ein Einfammilienhaus bauen, dann nehm ich mir auch ne Woche frei und verlege Laminat… und falls die Deppen beim Dachstuhl die Giebel falsch ziehen und die Isolation nicht vor dem Winter steht und daher erst im späten Frühling mit dem Innenausbau begonnen werden kann und du durch die Bereitstellungszinsen den Kreditrahmen erweitern musst und mit 60k€-Mehrbelastung kurz vor Privatinsolvenz stehst, weil deine Famile sonst kein Geld mehr hat und die Ersparnisse deiner Frau und deiner Schwestern dafür draufgehen, die kranken Oma zu pflegen. Tja, also für einen 50k€-Kredit oder Bürgschaft sollte ich doch bestimmt irgendwie gut sein, oder? Naja, ansonsten muss ich halt meine Familie anpumpen, denn immerhin hast du ja mein Leben gerettet, am tiefsten Punkt meines Lebens und da schulde ich dir ne ganze Menge. Das kriegen wir schon hin, mach aber bitte nicht zu schnell. Offiziell darf ich dich erst in 2 Jahren anonym kontaktieren und auch dann gibt’s eine Menge komplizierter Wege, die eingehalten werden müssen. Bis dahin schicke ich dir und allen anderen Spendern meine Dankbarkeit und die aller anderen Transplantierten hier auf der Station (wie hatten uns da letztens im Gemeinschaftsraum abgesprochen 😉 ).
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