Juchhu, der Strahlenphysiker (also ich) ist in den letzten drei Tagen tödlich verstrahlt worden und freut sich wie ein kleines Kind im Süßigkeitenladen, dass er endlich mal auf der anderen Seite des Teilchenbeschleunigers sitzen kann und im Strahlenbunker bleiben darf, während die Sicherheitstüren geschlossen werden und das Personal den Raum verlassen muss. Also kurz: Ich hatte vorgestern meinen ersten Tag der Strahlentherapie in Vorbereitung auf die allogene Stammzelltransplantation. Hier möchte ich auch erstmal nur beschreiben, wie das ungefähr abgelaufen ist und die Details (exakte Bestrahlungsart, Dosen, Geräteparameter etc.) auf einen ausführlichen Artikel verschieben, der dann wirklich mal in die Tiefe gehen soll.
Grundsätzlich gibt es bei meiner Art der Vorbereitung auf die Transplantation zwei Möglichkeiten: Erst die Strahlen, dann die Chemo … oder eben umgekehrt. Da bei mir ersteres gewählt wurde (die Chemo kann auch übers Wochenende laufen) bin ich aktuell noch total fit, kann mich selber hinlegen und positionieren, mit dem Personal interagieren und nachher einen tollen Bericht schreiben. Die Menschen, die hier arbeiten, sind total nett und interessiert. Sie stört es anscheinend nicht im geringsten, dass ich ihnen permanent Löcher in den Bauch frage, sondern sie erzählen auch von sich aus total viel und haben sich sogar dazu bereit erklärt, Photos zu machen, die ich dann später mit der Welt teilen kann. Außerdem hat der Chef-Ingenieur für mich sogar die geheime Seitentür geöffnet und mir den Elektronen-Beschleuniger selber im Nachbarraum gezeigt. Vielen Dank an dieser Stelle nochmal. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass wir mehr oder weniger aus einem ähnliches Arbeitsumfeld kommen und obwohl sie Patienten und ich nur Steine bestrahlen, wir doch einiges gemeinsam haben.
Also an drei Tagen bin ich nun jeweils morgens und nachmittags im Keller bei der Strahlentherapielleuten gewesen (irgendwie sitzen wir immer im Keller) und wurde auf den Boden vor die Gantry des Beschleunigers gelegt. Normalerweise liegen Patienten auf einem Tisch, so dass der Schwenkarm um sie herum fahren kann, aber da werden in der Regel auch nur einzelne Organe bestrahlt. Wenn der ganze Körper bestrahlt werden soll, dann muss der Patient, vor allem ein 2m-Klops wie ich, auf den Boden gelegt werden, so dass der Strahl den kompletten Menschen überdecken kann. Über mir wurde dann auch noch ein Gestell mit einer 1cm dicken Plexiglasplatte aufgebaut, die ein wenig wie ein Schneewittchensarg aussieht und dazu dient, den recht konzentrierten Strahl vom Target noch mal aufzuweiten und diffuser zu gestalten. Darüber hinaus habe ich noch meine eigenen Bleiplatten bekommen. Da habe ich mich echt geehrt gefühlt. Auf der Arbeit muss ich immer mit den Bleiplatten arbeiten, die ich irgendwo finde und/oder dem Strahlenschutz aus den Rippen leiern kann, aber hier wurde von mir ein CT-Bild gemacht und auf dessen Grundlage vier Bleiplatten extra für mich angefertigt, die mir auf Brust und Rücken gelegt werden, um meine Lunge vor allzu viel Strahlung zu schützen. Purer Luxus: Meine eigenen persönlichen Bleiplatten.
12 Bestrahlungen mit jeweils 1 Sievert (3 Tage à 2 Termine à Front und Rücken) später sitze ich wieder auf der Station und bin tödlich verstrahlt. Mir geht es total gut, ich merke kein bisschen von den Auswirkungen der Strahlung (so dass ich diesen Text schreiben kann) und kann mich auf die weitere Behandlung vorbereiten. Dabei meine ich mit “tödlich verstrahlt” in meinem Fall, dass ich über die Zeit von drei Tagen eine Dosis von insgesamt 12 Sievert abbekommen habe, die auf einen Schlag (ohne intensivmedizinische Behandlung) tödlich gewesen wären. Bei mir hat man es natürlich darauf angelegt und alles genau so berechnet, dass “nur” das Knochenmark zerstört wird und ich das Ganze mit der entsprechenden Behandlung überlebe… hoffentlich *g*.
Bei einer richtigen Strahlenkrankheit nennt man die Phase, in der ich mich gerade befinde “Walking-Ghost-Phase”. Der Körper ist eigentlich schon tot, weiß es aber noch nicht, weil hauptsächlich die Stammzellen zerstört wurden und die normalen Körperzellen noch funktionieren. Das Gefühl ist schon etwas surreal. In der Geschichte der Kernphysik hat es ja durchaus einige Fälle gegeben, in denen es zu tödlichen Strahlungsunfällen gekommen ist (z.B. der sog. Demon Core ), wo der Physiker den Gamma-Blitz gesehen hat, die akute Situation entschärfen konnte, nur um zu realisieren “ich bin tot” bzw. “in einer Woche werde ich sterben und es gibt nichts, was ich dagegen tun kann”. Ich will jetzt nicht behaupten, dass ich diesen Augenblick echt nachvollziehen kann, aber meine Situation ist immerhin das nächstliegende Szenario, was auf ein Überleben ausgelegt ist.
Ich habe festgestellt, dass für mich die ganze Bestrahlung um einiges dramatischer ist als für die Mediziner und auch Medizinphysiker, die hier arbeiten. Das kommt natürlich daher, dass ich eine “klassische” Strahlenschutzausbildung genossen habe und keine medizinische. Für mich ist jedwede Dosis über 10µSv pro Tag etwas, was man auf jeden Fall vermeiden soll bzw. direkt strahlenschutztechnisch aktiv werden muss, sollte so eine Dosis trotzdem mal überschritten werden… und jetzt soll ich das 1.000.000 fache dafon abbekommen? Na vielen Dank! Natürlich treten in meinem Arbeitsumfeld im Teilchenbeschleuniger oder Kernreaktor auch Dosen im Sievert-Bereich (und darüber hinaus) auf, aber falls ein Mensch mal sowas abbekommen würde (ist in Deutschland noch nicht geschehen) dann wäre etwas RICHTIG, RICHTIG schief gelaufen und der entsprechende Strahlenschützer hätte den Fehler des Jahrhunderts gemacht. Selbst in Fukushima hat niemand der Arbeiter eine so hohe Dosis abbekommen.
Für solche Doom & Gloom Szenarien ist aber noch in den Artikeln genug Platz, in denen ich mich ausführlich mit der Bestrahlung und Strahlenkrankheit auseinandersetzen werde. Für mich geht es morgen erst mal mit der Chemotherapie weiter und ich bekomme Senfgas und Kaninchen-Antikörper… naja, zumindest nenne ich diese Zytostatika liebevoll so, weil ersteres tatsächlich aus der chemischen Gruppe der Stickstoff-Senfgas-Verbindungen kommt und zweiteres eben in Kaninchen “gereifte” Antikörper sind. Ich freu mich da jetzt nicht unbedingt drauf, aber die echt harten Nebenwirkungen dieser Chemos werde ich auch erst Tage später abbekommen, da sie ähnlich wirken wie die Bestrahlung und erstmal nur die Stammzellen zerstören. Daher hoffe ich, auch noch von der Stammzellentransplantation live berichten zu können, bevor mich der Hammer der Nebenwirkungen so richtig trifft. Die soll zwar selber recht unspektakulär sein, aber nicht umsonst nennen es viele den zweiten Geburtstag. Ab dem Tag beginnt nämlich (hoffentlich) dann der Heilungsprozess, während alles, was vorher gekommen war, eigentlich nur eine Behandlung der Symptome gewesen ist.
Ich halte euch hier aber auf jeden Fall weiter auf dem Laufenden und habe auch wieder genug Input für viele richtige Artikel über Strahlentherapie und andere echte naturwissenschaftliche Themen, die nichts mit mir zu tun haben.
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