In der Strahlentherapie möchte man genau so viel ionisierende Strahlung einsetzen, dass die Tumorzellen abgetötet werden, aber die gesunden Zellen überleben. Dabei macht man sich die Tatsache zunutze, dass verschiedene Arten von Zellen unterschiedlich sensibel auf Strahlung reagieren. Dies gilt nicht nur für normale körpereigene Zellen (Schleimhäute sind z.B. wesentlich sensibler als Muskelzellen), sondern insbesondere auch für Tumorzellen, die in der Regel sensibler auf Strahlung reagieren als gesunde Zellen.

Zwei verschiedene Arten von Zellen reagieren unterschiedlich sensibel auf ionisierende Strahlung.

Zwei verschiedene Arten von Zellen reagieren unterschiedlich sensibel auf ionisierende Strahlung.

Wie ich ja schon mal in dem entsprechenden Artikel geschrieben hatte, gibt es bei geringen Dosen erst mal keine direkten Schäden (sondern “nur” ein erhöhtes Krebsrisiko) und ab einer bestimmten Grenze nehmen dann die Zellschäden mit der Höhe der Strahlung sehr schnell zu, bevor sie dann auch schnell in eine Sättigung kommen. Dadurch entsteht die sog. S-Kurve der Strahlentherapie. Die Position dieser S-Kurve, also ab welcher Dosis der rapide Zuwachs an Zellschäden anwächst, ist stark von der Art der Zelle und wahrscheinlich auch dem einzelnen Individuum abhängig. Die Absicht in der Medizin ist jetzt natürlich die verwendete Dosis (gestrichelte Linie) so zu legen, dass möglichst viele kranke Zellen (rot) getötet werden, während möglichst viele gesunde (blaue) Zellen am Leben erhalten werden.

Alle “Kurz notiert:” Artikel gibt es hier.

Kommentare (6)

  1. #1 CS
    19. November 2018

    Vom Prinzip her einfach, in der Realisierung stelle ich es mir schwierig vor: Wie wird abgewogen oder gegeneinander aufgerechnet? Wie wertvoll ist der Zuwachs an getöteten Tumorzellen, welche Kosten an geschädigten gesunden Zellen nimmt man in Kauf?
    Und dann kommt noch die von Patient zu Patient variierende Sensibilität hinzu. Ein ziemliches Spannungsfeld…
    Mein größter Respekt vor denen, die darin navigieren.

    Danke für den Einblick.

  2. #2 Tobias Cronert
    19. November 2018

    Ja, das ist dann wohl die Kunst der (Strahlen)Mediziner.

    … und es ist wohl echt eine Kunst, also eine Kombination aus Wissen, Erfahrung, Mut und Glück. Als Physiker habe ich da immer noch große Probleme das nachzuvollziehen. MMn müsste man entsprechende Labortest mit Zellproben der gesunden und Tumorzellen machen, Sensitivitäten bestimmen und daraufhin die Dosis anpassen. In der Realität wird gesagt: “Wenn wir den Patienten nicht bestrahlen, dann stirbt er 100%tig, wenn wir ihn bestrahlen bestenfalls zu 10% => gib ihm”

    Ich habe da auch einen Heidenrespekt vor und bin recht froh, dass ich auf der Arbeit nur Steine und Wasserstoff bestrahlen muss und keine Menschen.

  3. #3 Marius
    19. November 2018

    Hi Tobi, ich muss dich jetzt mal bald endlich besuchen kommen, wenn du wieder darfst. Und nochmal herzlichen Glückwunsch nachträglich.

    Diesen “Heidenrespekt” verliert man irgendwann als Mediziner und ersetzt ihn durch Erfahrung. Ich selbst merke, wie ich z.B. risikobereiter werde, obwohl ich zum einen nur Tiere behandle und zum anderen auch nur assistiere. Aber wenn mich der Arzt fragt, wo die Schraube oder die Cerclage hin muss, dann denke ich kurz nach und sage “Da!”. Wenn nach der OP das Gelenk noch beweglich ist, war die OP ein Erfolg 🙂

    Ähnlich ist es doch auch beim bestrahlen, zu wenig ist definitiv nicht gut und beim Einmessen der Strahlanlage werden ja auch Versuche durchgeführt, die Anzeigen kalibriert und Steuversuche gemacht. Und diverse Gewebetypen bestrahlt haben sicherlich auch schon viele gemacht und Paper darüber veröffentlicht.

    Wie auch immer, viele Grüße und spiel nicht zu oft mit der Morphinpumpe rum 8)
    Viele Grüße,
    Marius

  4. #4 AndreasMa
    19. November 2018

    Es ist eigentlich witzig, dass man diesen Strahleneffekt deterministisch nennt, obwohl er genauso von Zufallsereignissen bewirkt wird wie der stochastische, nur halt durch das “gleichzeitige” Eintreffen von mehreren Ereignissen mit jeweils eigenem Wirkungsquerschnitt direkt die Zelle abtötet.

    Ein Sensitivitätstest der Zellen wäre wahrscheinlich nicht so leicht durchzuführen und wenn dann relativ teuer. Man müsste ja erstmal eine repräsentative Zellkultur von beiden Zellen machen, um Tests mit verschiedener Strahlendosis zu machen und die Todesrate zu bestimmen.
    Theoretisch könnte man vielleicht auch die Zelltodrate während der eigentlichen Bestrahlung bestimmen, um so die Kurve abzuscannen und die richtige Einstellung zu finden. Dafür bräuchte man aber eine Möglichkeit, die Zelltodrate im lebenden Körper laufend und ausreichend schnell zu bestimmen und auch mit hinreichender Genauigkeit. Das stelle ich mir ziemlich schwer vor.

  5. #5 Bbr1960
    19. November 2018

    Eine der häufigsten Bestrahlungen dürfte wohl die nach brusterhaltender Operation sein. Da ist es ja nicht so, dass die Patientin ohne Bestrahlung zu 100 % sterben würde. Sie bekäme „nur“ zu 50 % einen Rückfall. Und man könnte alternativ auch amputieren…

    Aber zum Glück ist das Brustgewebe ja nicht lebenswichtig, und darum verpasst man dem eben mal 60 Gy. Fraktioniert über 6-7 Wochen versteht sich.

  6. #6 Tobias Cronert
    19. November 2018

    @Marius: Merci

    In Notfallsituationen, sprich als Rettungsdienst auf der Straße bin ich da auch nicht zimperlich, sondern mache einfach nach bestem Wissen und Erfahrung, auch wenn ich der 40kg Oma bei der Rea ein paar Rippen breche. Wie sagte mein Notarzt damals “toter werden die nicht”!

    Aber ich finde es ist schon etwas anderes, wenn das bei einer geplanten OP oder einem vergleichbaren Eingriff passiert.

    @AndreasMa

    Wahrscheinlichkeitsereignisse können doch ab 10^20 statistisch unabhängigen Einzelereignissen als Deterministisch deklariert werden 😉 Erst recht bei Medizinern, die durch 3 Punkte eine Gauskurve legen. *g*

    Ja solche Test kann ich mir sehr kompliziert vorstellen, vor allem, weil man Tests im Reagenzglas nicht immer 100%tig mit dem echten Menschen vergleichen kann, Stichwort Bystanden-Effekt. Aber bei der Masse an Erfahrungswerten wäre doch wahrscheinlich irgendein schlauer Indikatortest drin, der zumindest die entsprechende WK auf Erforg erhöht. Da könnte der Strahlenbiologe bestimmt was gutes zu beisteuern.

    @Bbr1960:

    Medizinischen Nutzen abzuschätzen finde ich immer extrem schwierig. Da muss man noch nicht mal zu “mehr Lebensqualität bei terminalen Krankheiten” oder so gehen, sondern das Brustkrebsbeispiel ist schon sehr sehr gut.

    Ich würde mir z.B. niemals anmaßen bestimmen zu wollen, wieviel eine 30jährigen Frau ihre Brust wert ist …. oder eine 60jährigen. Und ich bin mir auch nicht sicher ob man das die entsprechende Patientin in einer solchen Situation auch sinnvoll fragen kann.