Und alles schon wieder vorbei? Beim letzten Mal konnte ich ja noch berichten, wie es sich kurz nach der Transplantation mit ohne Immunsystem, Strahlenkrankheit und Morphintropf lebt und nun ist vieles davon auch schon wieder vorbei. Naja, nicht, dass ich meiner Strahlenkrankheit jetzt wild hinterherweinen würde, aber zum Berichten bleibt dann eben nicht mehr viel übrig.

Also fangen wir mal vorne an. Die Wunden in meiner Lunge haben sich mithilfe von mehreren Thrombozyten-Blutspenden wieder geschlossen, so dass ich nur noch weißen Schleim aushuste und die Lunge hat sich damit von den schlimmsten Nebenwirkungen der Strahlentherapie erst mal selber wieder regeneriert. Mein neues Immunsystem sollte so langsam mal die Arbeit aufnehmen und die ersten Anzeichen, dass es das tatsächlich auch tut, sind schon in meinen Blutwerten zu sehen. Allerdings ist es noch ein gutes Stück davon entfernt, dass man wirklich den Finger drauflegen und behaupten kann, dass es nun seinen Job tut… ein paar Tage braucht es wohl noch.

Die Chemo-Behandlungen nach der Transplantation haben noch mal gut reingehauen und meinem Wohlbefinden einen guten Dämpfer verpasst. Die Leber- und Nierenwerte (vor allem der Kreatinin-Level) haben dann auch die ersten Warnzeichen von sich gegeben (in dem Arztbrief steht was von akutem Nierenversagen, aber so schlimm wie es sich anhört, ist es nicht) und damit ist die letzte Chemo-Behandlung dann auch weggefallen, worüber ich nicht so undankbar bin. Sonst ist alles mehr oder weniger wie vor einer Woche und das wird sich wohl auch erst dann ändern, wenn in meinem Knochenmark wieder Blutbestandteile produziert werden.

Die Isolation auf dem Zimmer geht mir etwas auf den Senkel, weil ich aktuell halt noch nicht mal auf den Gang gehen darf, aus Gefahr mir irgendeine Infektion einzufangen. Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben einen Hexenschuss gehabt, weil meine einzigen Optionen für körperliche Bewegung “im Bett herumdrehen” und “drei Meter im Zimmer vor und zurück” sind. Das haben mir wohl meine Muskeln übel genommen und sich entschieden ein paar Krämpfe zu produzieren. Tja, dafür werde ich mich bald revanchieren, denn aktuell verliere ich pro Woche so um die vier bis fünf Kilo an Körpergewicht, was wohl hauptsächlich Muskeln sein werden. Leider ist Bewegung keine wirkliche Option und sowas wie progressive Muskelrelaxation und autogenes Training ist meinem Körper wohl nicht genug, um das Niveau von vorher auch nur ansatzweise zu halten. Ich bin mal sehr gespannt, wie es aussehen wird, wenn ich in ein paar Monaten hoffentlich mal wieder ein Fitnesstudio von innen sehen darf. Ob ich dann meinen lebenslangen Tiefpunkt erreicht habe oder ob noch etwas Fleisch auf den Knochen übrig ist… Naja, alles schon mal dagewesen, alles nicht so wild.

Nichts essen können, nicht vernünftig sprechen und dabei Opium aus dem Morphintropf – wie gehabt, aber wohl hoffentlich als Auslaufmodell. Nächste Woche kann ich vielleicht schon Fortschritte berichten. Dann kommen auch bald die ersten Ergebnisse von den nun anstehenden Knochenmarkbiopsien, wo nach den genetischen Markern für meine Krebszellen gesucht wird. Bin mal gespannt, ob die das alles besser oder schlechter vertragen haben als ich. Dann wäre zum ersten Mal auch eine neue Untersuchung möglich, die sog. Chimärismusanalyse. Die ist zwar nicht so präzise, wie die Suche nach den genetischen BCR/ABL Markern meiner Krebszellen – wobei ich da als Physiker von der “Präzision” auch mal echt nicht beeindruckt bin (eine Zelle auf 10^4? das sol toll sein? So Zellen sind doch riesig … zumindest, wenn man sie mit Skyrmionen oder ähnliches Strukturen aus der Festkörperphysik vergleicht) – aber meiner Meinung nach recht kewl. Bei der Chimärismusanalyse wird nämlich der Anteil von meinen eigenen Knochmarkzellen (diejenigen, die Strahlen und Chemo überlebt haben) ins Verhältnis zu den neuen Spenderzellen gesetzt. Dann kommt da eine Aussage heraus, wie: “Ihr Knochenmark und Blut besteht nun zu 95% aus fremder DNS. Herzlichen Glückwunsch.” Da bin ich mal echt gespannt drauf und werde bis dahin weiterhin versuchen, meinen aktuellen Status irgendwie herüberzubringen.

 

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PS: Ja, ich weiß, der Artikel hätte schon Donnerstag auftauchen sollen, wo ich auch das meiste geschrieben hatte. Aber ich war einfach zu platt und daher gibt’s ihn erst Montagmorgen.

Kommentare (20)

  1. #1 Tim
    26. November 2018

    4-5 kg pro Woche, my ass! Kann mir sehr gut vorstellen, dass Du momentan nicht durchgehend topfit bist. Aber immerhin kriegst Du Opiate, das entschädigt ggf. ein wenig.

    Kann man eigentlich sagen, ab welchem Anteil Rest-Eigenstammzellen der Therapieerfolg in Gefahr ist? Ideal wäre ja doch wohl 0%?

  2. #2 RPGNo1
    26. November 2018

    Wie lautet der Spruch? Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen.

    Trotzdem ist es schön zu hören, dass es aufwärts geht. Weiter so!

  3. #3 Tobias Cronert
    26. November 2018

    Also ab 98% spricht man bei meiner Behandlung wohl von vollem Erfolg. Aber ich habe auch die “beste” Vorbehnadlung (heftigste Strahlendosis etc.) bekommen, die möglich ist. Bei einem 80jährigen wäre man wahrscheinlich schon mit wesentlich weniger zufrieden. … und alles unte 80% stellt wohl schon ein großes Problem dar.

    Das Morphin ist auch ein ziemlich zweischneidiges Schwert. Diesels WE habe ich mit Entzugserscheinungen zugebracht, weil wir es abgesetzt haben.

  4. #4 SvenS
    26. November 2018

    Eine Frage von einem Laien: Wie ist das nun mit dem Impfschutz, übernimmt man den vom Spender?

  5. #5 Tim
    26. November 2018

    @ Tobias Cronert

    Wirst Du dann bis ans Ende Deines Lebens z.B. 5 % eigene und 95 % fremde Stammzellen haben? Oder ändert sich das Verhältnis noch im Laufe der Zeit?

    Finde es ja generell irgendwie unglaublich, dass die beiden Systeme sich gut vertragen.

  6. #6 strahlenbiologe
    26. November 2018

    Daumen weiter fest gedrückt für dich!!!!

  7. #7 Tobias Cronert
    26. November 2018

    IdR muss man alle Impfungen etc. neu aufbauen. Es gibt Fälle, wo man Impfschutz oder Autoimmunkrankheiten vom Spender übernehmen kann.

    Meistens werden sich die Immunszsteme gegeseitig bekriegen, was ja auch erwünscht ist. Aber es gibt auch Fälle, wo die lange koexistiesen … wegen Immunsuppresiva.

  8. #8 Aginor
    26. November 2018

    Was ich mich frage (evtl. albern, ich bin mit Biologie nicht so sehr bewandert):
    Wenn Du jetzt einen DNA-Test anhand einer Blutprobe (quasi so CSI-mäßig, nur halt mit Blut statt wie üblicher mit Speichel) machen lassen würdest, könnte man dann zwei verschiedene DNAs in Deinem Blut nachweisen? Also Deine eigene und die des Spenders. Oder vielleicht auch nur die des Spenders, weil von Deiner nicht so viel übrig ist?

    Im Speichel wäre es allerdings Deine DNA, wenn ich das richtig verstehe.
    Falls es also zum Beispiel Blutspuren von Dir an einem Tatort wären und die Polizei macht Massen-DNA-Tests mittels Speichel….würdest Du davonkommen?

    Gute Besserung weiterhin!

    Gruß
    Aginor

  9. #9 Lercherl
    26. November 2018

    @Aginor

    Auch in den Speichel kann die Spender-DNA gelangen. In aller Ausführlichkeit: https://www.watersheddna.com/blog-and-news/stemcelltransplantgedmatch.

  10. #10 Mamarok
    26. November 2018

    Schön zu lesen dass es Ihnen schon wieder besser geht. Ist eigentlich eine Chimärismusanalyse die Regel oder ist das jetzt nur ein zusätzliches Schmankerl? Würde mich als Transplantierte auch interessieren, wobei ich mir eines Chimärismus so gut wie sicher bin, nach 18 Jahren mit neuen Organen ist die Wahrscheinlichkeit ja sehr gross

  11. #11 noch'n Flo
    Schoggiland
    27. November 2018

    Zeigen sich denn schon erste Hinweise auf eine Bananenallergie?

  12. #12 Aginor
    27. November 2018

    @Lercherl
    Danke für den Link, sehr interessant!

    Gruß
    Aginor

  13. #13 segeln141
    Dormagen
    28. November 2018

    Lieber Tobias,
    auch von mir (73 jähriger Arzt) alles,alles nur erdenklich Gute wünsche ich Dir.
    Segeln

  14. #14 Chris
    28. November 2018

    Hallo Tobi,

    ich hoffe, dass es dir bald wieder so gut geht, dass du wieder raus darfst. So wie du, muss sich wohl auch ein Teilchen im Potentialtopf fühlen.
    Spaß bei Seite, hoffentlich geht es dir bald wieder richtig gut.

    Ich wünsche dir alles gute!
    Chris

  15. #15 Peter K.
    29. November 2018

    Auch von mir einen dicken Daumendrücker. Ich hoffe, das Fitnessstudio sieht Dich bald wieder von innnen.

    Gruß
    Peter

  16. #16 Minkowski
    29. November 2018

    Hallo Herr Cronert,

    es werden alle verfügbaren Daumen gedrückt.

    Halten sie weiterhin durch.
    Bald geht es aufwärts.

    Viel Glück.

  17. #17 Tobias Cronert
    30. November 2018

    Vielen libene Dank für die ganzen guten Wünsche.

    Zum Glück noch keine Bananenallergie. Das war eine der ersten Sachen, die ich ausprobiert habe.

    Die Chimerismusanalyse ist wohl recht teuer und wir bei mir hauptsächlich deswegene gemacht, weil ja auch das neue Immunsystem explizit gegen das alte kämpfen soll um das alte auszuschalten. Wenn jetzt jemand keine so harte Vorbereitung bekommt, wie ich, dann hat das neue Immunsystem da erst mal einen ganz schönen Brocken Arbeit vor sich.
    Wie das bei anderen Transplantat Sachen ist, weis ich gar nicht, da habe ich einfach keine Erfahrung.

  18. #18 UMa
    30. November 2018

    Hallo Tobias,

    auch von mir alle guten Wünsche.

    Wann wird denn voraussichtlich Dein neues Immunsystem stark genug sein, dass Du wieder auf den Gang darfst?

    Weiterhin gute Besserung.

    Grüße UMa

  19. #19 Tobias Cronert
    4. Dezember 2018

    Auf den Flur ging relativ schnell, also quasi jetzt, eine Woche nach dem letzten Artikel (mit Mundschutz).
    Bis ich wieder unter Leute kann wird es noch was dauern.

  20. #20 Peter K.
    5. Dezember 2018

    Hallo Tobias,
    gestern erhielt ich ein E-Mail mit Ankündigung (und vollständigem Text) zu “…Blog XX – Tag 108”, leider führt der Link ins Nirwana. Ich hoffe, da ist nichts Schlimmes passiert. Ich drücke weiterhin die Daumen.
    Gruß
    Peter