Lungenembolie? Noch eine verkackte Lungenembolie? Ne ällich jetz, als ob ich nichts Besseres zu tun hätte. Da ist man gerade in den letzten Zügen seiner ersten Blina-Therapie und dann gibt’s plötzlich keinen Sauerstoff mehr, obwohl die Hämoglobinwerte eigentlich ganz gut sind. Ok, ok, das CT sagt, dass die Lunge einen guten Grund hatte, ⅓ ihrer Kapazität einzustellen, aber ein wenig vorwurfsvoll in ihre Richtung gucken werd ich ja noch dürfen, oder?

Anscheinend hat sich irgendwo in meinem Körper ein Thrombus/Blutpropfenklumpen gelöst und ist dann durch das Blut geschwommen, bis er eine Stelle gefunden hat, wo es etwas enger war und er nicht mehr weiter gekommen ist. Dummerweise befindet sich dieser Engpass in meiner Lunge, so dass alles, was dahinter liegt, nicht mehr ordentlich versorgt wird und daher seinen Dienst einstellt. Tja, die gute Nachricht ist, dass ⅔ einer Lunge offensichtlich noch zum Leben reichen und das ganze reversibel ist. Sprich, ich bekomme jetzt erst mal Blutverdünner (also, ich glaube Faktor 10 in der Gerinnungskaskade oder so), damit da nicht alles zusammenklebt, in der Hoffnung, dass sich das schon wieder auflöst. Diese Hoffnung scheint auch ganz gut begründet zu sein, da wir von weiteren drastischen Maßnahmen, wie einer Thrombolyse, absehen und das erst mal so versuchen. Eine bleibende Schädigung soll es dadurch wohl nicht geben.

Sarkastischerweise muss ich sagen, dass die Lungenembolie auf der Hitliste der dummen Nebenwirkungen es sogar schwer hat, unter die TOP10 zu kommen. Daher abschütteln und weiter machen, es gibt Wichtigeres … wie z.B. die (erste) Blinatumomab-Therapie, die in einer Woche fertig ist. Erste Anzeichen zeigen, dass sich was Positives tut. Wie genau, das werden wir in einer Woche nach der nächsten Knochenmarkbiopsie wissen, genauso wie die Fragestellung, ob da eine zweite Runde notwendig wird oder ob wir direkt in die Transplantation gehen können. Da ich das ganze bislang mit wenig Nebenwirkungen (also außer einem Hand-Tremor und kleineren neuronalen Defiziten) gut überstanden habe, hätte ich jetzt keine große Angst vor einer zweiten Runde, aber je schneller ich in die Stammzellentransplantion gehen kann, desto besser.

Tja, wo steh ich denn jetzt so im großen und ganzen Bild der Dinge? Eigentlich bin ich zurück auf Square one. Das heißt, ich bin auf dem gleichen Stand wie bei meiner Diagnose vor fast zwei Jahren – nur mit dem essentiellen Unterschied, dass mein Körper nach 2 Jahren Chemo einiges abbekommen hat und bei weitem nicht mehr so fit ist, wie er es mal war. Bei der Erstdiagnose hatte man damals gesagt, dass die Sterbewahrscheinlichkeit für den ganzen Prozess bei ca. 20% liegt. Das würde jetzt auch wieder zutreffen, nur dass es eher noch schlechter steht, weil der Körper mittlerweile so viel mitmachen musste. Also, wir reden jetzt eher von 20-40% Mortalitätsrate, worauf man im Casino nur wetten sollte, wenn man auch was Vernünftiges dabei gewinnen kann.

Ich habe ja öfter schon mal hier geschrieben, wie ich so mit der Angst vor dem Tod klar komme und fundamental hat sich da auch nicht viel dran geändert, wobei ich halt schon zugestehen muss, dass die veränderten Wahrscheinlichkeiten schon ihre Spuren hinterlassen. 40% Sterbewahrscheinlichkeit ist halt schon eine andere Hausnummer als 5% (da wo ich ich letzten Sommer gewesen bin). Wenn ich gerade im Wartebereich beim MRT sitze, über den Sinn des Lebens (Länge & Inhalt) nachdenke, bekommt die Person neben mir gefühlt gerade einen Nervenzusammenbruch: “Mimimi, die schieben mich in eine enge Röhre und ich muss eine halbe Stunde still liegen… Mimimi, ich musste 45 Minuten nach einem Parkplatz suchen… Mimimi, die stechen mir mit einer Nadel in dem Arm… Mimimi, das Paracetamol gibt mir Sodbrennen, ich nehm lieber was homöopathisches.” Irgendwie sinkt meine Toleranz für Erste-Welt-Probleme linear mit meiner Überlebenswahrscheinlichkeit. Andere Leute runtermachen war aber noch nie mein Weg und ich werde sicher nicht jetzt damit anfangen, also lächeln und nicken.

Letztens wurde mir noch berichtet, dass wohl jemand sagte: „Menno, ich will endlich, dass ich von dir lese ‘Strahlenphysiker schwimmt gesund mit Schweinen auf den Bahamas’” und das ist doch mal eine tolles Ziel. Ich mag Schweine und Strand. Allerdings bin ich schon mit Haien und Rochen auf den Fiji Inseln geschwommen, ich habe auf der großen Mauer gestanden, auf einem Isländischen Vulkan, habe ein 750kg Fiberglasflugzeug in eine Sturmfront geflogen und einen Kernreaktor mit Panzertape geflickt. Ich hatte ein schönes Leben. Natürlich ist es nicht so, dass ich jetzt nichts mehr vorhätte, ganz im Gegenteil. Mit jedem Tag, den ich im Krankenhaus sitze kommen zwei neue Dinge dazu, die ich unbedingt machen will, aber unterm Strich steht natürlich die Erkenntnis, dass man nie die ganze Liste abarbeiten kann.

Langer Rede kurzer Sinn, das ist gerade meine Gedankenwelt zum “Themenjubiläum” meiner Krankheit und den effektiven “Alles auf Anfang, jetzt kommt Runde Zwei”-ersten Schritten in die Zukunft. Ich hoffe, ihr bleibt dabei, das könnte jetzt wieder etwas dauern 😉

 

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Kommentare (23)

  1. #1 RPGNo1
    3. März 2020

    Noch eine verkackte Lungenembolie?

    Mist.

    Erste Anzeichen zeigen, dass sich was positives tut

    Sehr schön.

    20-40% Mortalitätsrate

    Doppel-Mist

    “Mimimi…” Irgendwie sinkt meine Toleranz für erste Welt Probleme linear mit meiner Überlebenswahrscheinlichkeit.

    Gute Einstellung

    Ich hoffe ihr bleibt dabei, das könnte jetzt wieder etwas dauern.

    Auf alle Fälle. Und das Daumendrücken hört auch nicht auf.
    🙂

  2. #2 Christoph
    3. März 2020

    Hau rein! Ich denk an dich und geh auch nicht weg!

  3. #3 jogo
    3. März 2020

    Ich schreibe normal kein persönliches Zeug an mir unbekannte Personen. Habe das überhaupt erst einmal getan: Als Lance Armstrongs Krebserkrankung bekannt wurde, habe ich ihm eine Mail geschrieben und alles Gute gewünscht. Jetzt lese ich schon länger Dein Blog vor und mit Krankheit und wünsche schon lange in Gedanken alles Gute. Heute endlich auch schriftlich: Ich wünsche Dir sehr, dass alles gut geht, dass Deine Krankengeschichte bald vorbei ist und Du so fit wirst, dass Du wenn Du wolltest die Tour de France gewinnen könntest (wenn auch mit viel Doping). Du musst es ja dann nicht wirklich tun.

  4. #4 Tim
    3. März 2020

    Ich kann Deine Gedanken gut verstehen. Dein Umgang mit der Krankheit, den Erfolgen und leider auch Rückschlägen, beeindruckt mich sehr. Nach 2 Jahren harter Behandlung wieder im Startblock sitzen, das ganze Rennen unter etwas schlechteren Bedingungen noch mal machen müssen – und trotzdem humorvoll, interessiert und rational bleiben: Das schaffen nur sehr wenige.

    Es wäre schön, wenn möglichst viele Patienten Deine Berichte lesen und von Dir lernen können.

    Für mich bist Du ein Vorbild!

  5. #5 Ivo S
    Mv
    3. März 2020

    Ähnlich wie ein vorhergehender Schreiber schon sagte: Für gewöhnlich gebe ich keine Kommentare oder Eindrücke zu privaten Themen ohne Bezug zu der Person. Bin aber von Deiner Einstellung absolut fasziniert und wünsche Dir von Herzen alles Gute auf dem beschwerlichen zweiten Weg, den es nun anzutreten gilt.

  6. #6 Tim
    3. März 2020

    Hier ein aktueller AEON-Artikel über den Stress, den Krebs und eine Krebsbehandlung auslösen können:
    https://aeon.co/essays/cancer-treatment-brings-its-own-trauma-and-can-cause-ptsd

  7. #7 noch'n Flo
    Schoggiland
    3. März 2020

    Mensch, kann nicht mal jemand ganz dringend Tobis Schutzengel wachrütteln? Der hält nun schon entschieden zu lange Winterschlaf.

  8. #8 Bianca Bischof
    Nürnberg
    3. März 2020

    Ich bleib da, keine Frage, weiter Daumen drücken und für dich das Beste hoffen 🙂 Das mit den Schweinchen ist ne gute Idee und das mit der “mimimi” Einstellung kann man nur zu gut verstehen, hehe

    Lg, Bianca

  9. #9 MartinB
    3. März 2020

    Ich drück weiter alle Daumen und hoffe, dass Du all die Dinge auf Deiner Liste abarbeiten wirst.

  10. #10 Myriam Schweingruber
    Ulm
    3. März 2020

    Shit, erinnert mich an meine 3. Krebsdiagnose, aber wir sind nun mal alle Menschen und der Krebs gehört da halt auch dazu. Geh den Zellen an die Gurgel, dass sie Dich endlich in Ruhe lassen, und sei zuversichtlich. Wenn es nur nach den Statistiken gehen würde sollte es mich schon seit 20 Jahren nicht mehr geben. Ich drücke jetzt mal ganz virtuel die Daumen und wünsche Dir viel Kraft und Zuversicht, und eine weiterhin positive Einstellung allem gegenüber. Ich möchte gerne noch recht viel von Dir lesen, mindestens solange es mich auf diesem Planeten noch gibt 😉 Wer weiss, vielleicht lese ich danach auch noch weiter!

  11. #11 René
    3. März 2020

    Mann, Tobias! Bei Deinem derzeitigen Geschreibe schwanke ich zuweilen zwischen kichern (über Deine Wortwahl) und erstarren. Ich möchte ja gerne sagen, “macht Spaß, das zu lesen”, aber so richtig stimmt das nicht. Halt durch! Ich warte geduldig auf Deine nächsten Artikel ohne Leukämiebezug.

  12. #12 Tobias Cronert
    3. März 2020

    Danke für die ganzen guten Worte.

    Ich bekomme zur Zeit sogar die gleichen tollen EPO-Spritzen, mit denen auch die Tour-de-France Fahrer gedoped haben um mein Hämoglobinlevel hochzubringen … aber Fahrradfahren? Ne, das ist nicht so meins.

    Ideen für vernünftige Artikel sind noch genug vorhanden, aber aktuell ist ein bischen zu wenig Sauerstoff im Gehirn. Ich hoffe ja irgendwie auf einen tollen Höhentrainingseffekt, dass meine graue Masse auch mit weniger auskommt, aber ich fürchte, dass das soooo nicht funktioniert 😉

  13. #13 Anke
    3. März 2020

    Ich mag Deine Art die Dinge zu sehen und zu beschreiben und ich wünsche Dir alle Kraft und eine Riesen Portion Glück für Deinen Weg. Auf dass Du irgendwann wieder über die reine Wissenschaft schreiben kannst!

  14. #14 Mauztic
    Ehingen / Donau
    3. März 2020

    Hallo Tobias – Daumen hoch und alles alles Gute. Auf das Du Deine Liste unerledigter Dinge bis zum letzten Punkt abhaken kannst 🙂
    Bei mir wird die Liste auch immer länger, und dabei sollte ich meine Punkte abarbeiten Können:)
    LG
    Tic

  15. #15 Tim
    3. März 2020

    @ Tobias Cronert

    Ha! EPO hab ich damals auch bekommen, zufälligerweise sogar während meiner Diplomprüfung. Erinnere mich noch, dass ich gefragt habe, ob ich unter diesen Bedingungen regulär teilnehmen darf … und ich durfte. 🙂

    Allerdings kann ich mich nicht erinnern, dass ich da eine besondere Wirkung gespürt hätte. Ganz im Gegensatz zu den coolen Opiaten, die man sonst so manchmal im Krankenhaus bekommt. 🙂

  16. #16 Myriam Schweingruber
    Ulm
    4. März 2020

    6 Jahre EPO und ich fand das nie so berauschend wie die Wirkung von 2 Blutkonserven. Wenn sonst mein Hirn nach 2 Stunden Bridge spielen schlapp machte (einzige Anstrengung des Tages), haben die anderen sich am Abend nach der Transfusion gefragt, ob sie mich erschießen müssten um noch ins Bett zu kommen… Aber wenn sich der Hämatokritwert schlagartig verdoppelt ist das schon sehr cool

  17. #17 Skeptikskeptiker
    4. März 2020

    Auch wieder eine Motivation, heute Nachmittag in der DRK-Blutspendezentrale vorbeizuschauen, wenn man diese Geschichten im Kopf hat. Meine 145. Spende. Hoffentlich erwische ich Schwester Monika, bei ihr merkt man den “Piks” überhaupt nicht.

    Tobias, alles Gute.

  18. #18 Captain E.
    4. März 2020

    So eine persönliche Leidensgeschichte kann man wahrscheinlich nur mit einer hohen Dosis Sarkasmus ertragen. Darum von mir in dem Sinne ein guter “Ratschlag”: Schrei doch nicht bei jeder Nebenwirkung und jeder Komplikation immer gleich “Hier!”, sondern lass mal den eine oder anderen Punkt von dieser Liste einfach aus!

  19. #19 noch'n Flo
    Schoggiland
    4. März 2020

    @ Tobi:

    Jetzt bleibt vor allem ganz doll zu hoffen, dass Du in Deiner Situation nicht auch noch Besuch von SARS-CoV-2 bekommst!

  20. #20 Tobias Cronert
    4. März 2020

    Ich habe in letzter Zeit zumindest zwei arme junge Studenten nachhaltig verstört. Als ich merke, dass die beim Blutspenden waren habe ich mich persönlich bei ihnen bedankt, dass sie so etwas machen und gesagt, dass die Chance durchaus besteht, dass ich mal ihr Blut bekommen habe oder bekomme. … sie haben mich nur verwirrt angeguckt und freundlich gelächelt und genickt … wusste gar nicht, dass ich momentan so schlimm aussehe.

    Wenn man einen HB von 6 hat und dann zwei TKs bekommt ist das schon ein riesiges High, da konnte kein Morphin mithalten *g*
    Empfehlen würde ich es aber jetzt trotzdem nicht unbedingt 😉

  21. #21 Peter K.
    5. März 2020

    Hallo Tobias,
    ich habe mal die Blinatumomab-Therapie gegoogelt: “Der bispezifische CD19-Antikörper Blinatumomab induziert bei Patienten mit rezidivierter oder refraktärer ALL komplette Remissionen. Die Daten wurden im Fachjournal Journal of Clinical Oncology publiziert.” Quelle: https://www.leukemia-net.org/kompetenznetz-leukaemie/content/aerzte/therapie/all/blinatumomab/index_ger.html
    Also kein Grund, die Flinte auf den Acker zu schmeißen. Die Hoffung stirbt zuletzt. Ansonsten fällt mir noch Pascals Wette ein.
    Gute Besserungswünsche
    Peter

  22. #22 Christian
    11. März 2020

    Wenn sämtliche Krebserkrankungen ein Lebewesen darstellten, dann würde ich diesem Lebewesen Krebs wünschen.

    Und das ist sonst nicht meine Art 😀

  23. #23 Bernhard
    11. März 2020

    Ich werde mir Dich als Beispiel nehmen, um bei Erste-Welt-Problemen höflich zu bleiben. Tobias, verlier nicht die Zuversicht und den Humor. Wir bleiben hier und drücken die Daumen.