Gewisse Dinge bringen mich auf die Palme.

Tatort: SWR3
Tatzeit: Vergangenen Freitag nachmittags zwischen 2 und 4.(1)

Da erklärte ein Moderator, wie wohl das Wort “Barbecue“(2) entstanden ist. Angeblich soll der Begriff von Franzosen aus dem kanadischen Raum erfunden worden sein, weil sie in den USA einen Büffel gesehen haben, der in einem Stück gegrillt wurde. Sie nannten das dann “barbe à queue” also vom “Bart bis zum Schwanz”.

Eine witzige Geschichte, die sogar beim ersten Hören halbwegs logisch klingt.

Dummerweise ist sie aber falsch, was auch einigen SWR3-Hörern nicht entging, die daraufhin Emails zum Moderator schickten und erklärten, dass sowohl das Wort “Barbecue” wie auch diese Zubereitungsform von Fleisch ursprünglich aus dem mexikanisch-karibischen Raum stammt.

Gut, was soll’s. Hat sich der Moderator vertan. Fehler passieren.

Aber dann meinte der Sprecher locker-flockig:
Er würde seine Sendung nach dem Motto gestalten “Wissen ist Geschmackssache” und außerdem sei damals keiner dabei gewesen, also könne niemand sagen, wie es wirklich gewesen sei.

Das war dann der Punkt, wo man meine Transformation zum Hulk hätte miterleben können.

Wissen ist Geschmackssache? Hat der sie noch alle?

Meine Güte, bei der französischen Revolution war auch kein heute lebender Mensch anwesend. Und? Hören wir deswegen auf, Geschichte in den Schulen zu lehren? Ist geschichtliche Forschung demnach wertlos, oder was?

Wie kann ein Meinungsmacher einer öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt, für die ich Gebühren zahle u.a. weil sie für sich in Anspruch nimmt, bessere und unabhängigere Berichterstattung zu produzieren als die privaten Sender, wie kann der eine solche gequirlte Scheiße von sich geben.

Entschuldigt meinen Ausdruck, aber anders kann ich sowas nicht mehr nennen. Es ist mir auch egal, dass der Herr das wahrscheinlich lustig gemeint hat. Es ist nicht lustig, wenn ein Radiomoderator erst eine Falschinformation verbreitet und anstatt zuzugeben, dass er einen Fehler gemacht hat oder dass er derzeit nicht weiß, welche Information die richtige ist, seine Unwissenheit mit einem Spruch von solch fundamentaler Dummheit zu rechtfertigen versucht.

SWR3 wirbt schließlich nicht nur mit guter Musik und Spaß, sondern eben auch mit guter Information und ein solcher Anspruch wird von einem Moderator, der von sich behauptet, seine gesamte Sendung unter das Motto zu stellen “Wissen ist Geschmackssache”, ad absurdum geführt.

Gleichzeitig hat SWR3 auch keine Hemmungen mit der PISA-Polizei Jugendliche wegen ihrer Unwissenheit vorzuführen, damit sich die Hörer daran ergötzen können, wie angeblich dumm doch unsere Jugend ist. Was soll eigentlich an den Defiziten anderer Menschen lustig sein?

Wie kann dann der Moderator dieses Senders auf der anderen Seite Einbildung mit echter Bildung gleichsetzen? Mit welcher verdammten Berechtigung kann man sich über das schlechte Abschneiden von Schülern bei der PISA-Studie mokieren und auf der anderen Seite durchblicken lassen, dass Bildung im Grunde genommen wertlos ist? Leider ist das eine Sichtweise, die mir gar nicht so selten unterkommt. In so einem Klima brauchen wir uns wirklich nicht zu wundern, wenn unseren Kindern die Lust auf Wissen vergeht.

Immerhin ein Gutes hatte es. Ich habe bei der Internet-Recherche zur Herkunft des Wortes “Barbecue” einiges gelernt.

Zum einen ist Barbecue eigentlich nicht mit unserem Grillen gleichzusetzen. Es ist eher ein Verfahren zum Heißräuchern und vor allem im Süden der USA verwurzelt. Also nix da mit der Wildwest-Büffel-Romantik, die wohl dem Moderator vorschwebte.

Außerdem scheint die Geschichte mit den Franzosen eine weitverbreitete Legende zu sein. In der englischsprachigen Wikipedia wird sie auch kolportiert. Nur wird da nicht von einem Büffel sondern von einem Schwein erzählt und die Franzosen kommen aus dem karibischen Raum und nicht aus Kanada.

Tatsächlich stammt aber dieser “typisch amerikanische” Brauch wohl von einem kleinen indianischen Stamm aus der Karibik ab: von den Taino, welche infolge der spanischen Kolonialisierung mehr oder weniger ausgerottet wurden. Die Wörter Kanu, Hurrikan, Kaiman und Tabak stammen ebenfalls aus dieser Sprache. Ich vermute für die Nachfahren ist es ein schwacher Trost, dass ein Teil ihrer Sprache und Kultur inzwischen ein fester Bestandteil der Kultur der einzigen verbliebenen Supermacht ist und sich auch hierzulande großer Beliebtheit erfreut.

Ich stelle es mir allerdings ziemlich witzig vor, all denen, die immer noch insgeheim auf alles Indianische und aus dem Süden stammende herabblicken, zu erklären, dass sowohl ihr beliebtes Freizeitvergnügen als auch die Kippe im Mundwinkel des “coolen” Marlboro-Cowboys von karibischen Indianern abstammt.
—————–
(1) Ja, manchmal höre ich während meiner Arbeit auch Radio. Manche Arbeiten auch in einem wissenschaftlichen Betrieb sind so langweilig und gleichzeitig so nervig, dass sie sogar nur mit Musik zu ertragen sind.
(2) Es sieht komisch aus. Aber das ist wohl die Schreibweise, die Merriam-Webster bevorzugt.

Kommentare (6)

  1. #1 knorke
    Mai 20, 2008

    Ich war mal in South Carolina wo Barbecue in der Tat eine verbreitete Spezialität ist. Schmeckte eher eigentümlich. Irgendwie waren das – wenn ich mich recht entsinne – so Fleischstreifen und irgendwelcher Salat- oder Krautkram dran. Schmeckte etwas säuerlich und war komplett erhitzt – hatte jedenfall in der Tat wenig Ähnlichkeit mit einem T-Bone Steak vom Grill mit Ketchup.

    Übrigens kann man “Wissen ist Geschmackssache” auch anders verstehen: Nämlich dann, wenn man sich mal die Frage stellt, welches Wissen wichtig zu wissen ist und welches nicht. Da spielt die Geschmacksfrage eine Rolle – und eine nette Anekdote über die Entwicklung des Barbecue dient meiner Ansicht nach eher der Unterhaltung als dem Wissen. Ich weiß ehrlich gesagt auch nicht, ob irgenwelche karibischen oder indianischen Minderheiten mit Stolz von diesen Ihren Erfindungen sprechen. Ich persönlich greife die “Erfindungen”, “Entdeckungen” meiner Heimatregion (insbesondere die kulinarischen) eher auf um sie zu parodieren, als dass ich meinen Selbstwert darüber definiere. Vielleicht ist es bei denen ja auch so?!

  2. #2 L. Carone
    Mai 20, 2008

    @Knorke: Welches Wissen ist wichtig und welches nicht.

    Tja und damit wird ein weiterer Aspekt vorgetragen, den ich völlig unsinnig finde. Die Legende des “unnützen Wissens”. Was soll das sein? Wer stellt sich hier bitte hin und unterteilt das Wissen in nützlich und unnützlich? Spannend oder nicht?

    Ok, die Gesellschaft wird es wohl tun, aber unter welchen Kriterien? Fakt ist doch, dass sehr viele Naturentdeckungen wie z.B. die Entdeckung des elektrischen Stroms anfangs nichts mehr waren als belächelte Naturkuriositäten ohne praktischen Wert. Ich bin sicher nicht wenige Zeitgenossen Fraklins hätten entschieden, dass abgesehen von der Erfindung des Blitzableiters kein großer praktischer Nutzen von dieser Spielerei abfallen würde.

    Der Witz des Ganzen ist doch, dass kein Mensch vorhersehen kann, welches Wissen irgendwann mal in ferner Zukunft das Leben der Menschen prägen wird.

    Dann ist die praktische Einsetzbarkeit nur ein Aspekt des Wissens. Wissen verbreitert auch den geistigen Horizont oder beflügelt die Vorstellungskraft und bietet Anreize für weitere Entdeckungn etc.pp.

    Wie gesagt: Sagt mal einem Rassisten, dass das beliebte Barbecue in Wahrheit eine indianische Erfindung ist.

  3. #3 Cornelia
    Mai 20, 2008

    Ich stimme Ihnen zu, dass der Ausdruck “Wissen ist Geschmackssache” doch so ziemlich daneben ist. Aber warum sich so darueber aufregen? Verstehen tun es nur die Wenigsten…

    Allerdings denke ich, dass es so ziemlich zutrifft da uns “wissen” haeufig fertig gekaut und verdaut vorgesetzt wird und deshalb den meisten Menschen nix anderes uebrig bleibt als das zu nehmen was man ihnen anbittet. Also “Wissen ist Geschmackssache” trifft zu, jedoch nur fuer auf Leute die auch ueber “Wissen” verfuegen und dieses auch verarbieten koennen, also ihren “Geschmack” weitergeben koennen. Wie Journalisten oder Wissenschaftler. Ich denke es gehoert auch etwas Intelligenz/ Einfuehlungsvermoegen dazu den Geschmack vom Wissen zu erkennen und diese/s haben nun mal nicht alle.

    Also nicht aufregen. Verstehen tut es keiner, sowieso…

  4. #4 Christian
    Mai 20, 2008

    Die Berichterstattung im ÖR ist häufig nicht durch Fachwissen belastet. Die GEZ-Gelder werden ohnehin für andere Dinge benötigt (z.B. eine Million pro Wetten Dass-Sendung an Herrn Gottschalk oder Millionenkonzessionen für die “Tour de Dope”‘), da kann man nicht erwarten dass auch noch recherchiert wird….

  5. #5 knorke
    Mai 21, 2008

    @ L.Carone
    Sehr richtig. Schön dass wir uns da einig sind. Und dass früher (und sicher auch heute) Wissen als “nutzlos” angesehen wird ist der beste Beleg dafür, dass der “Geschmack” eben eine Rolle spielt. Im übrigen finde ich es mindestens so unnütz wie sie, den Wert irgenwelchen Wissens nur an seiner Anwendbarkeit festzumachen. Aber die Frage, wie ich bestimmtes Wissen verwende – ob zum Prahlen und Gschichten erzählen – zum Anwenden – oder einfach nur um den eigenen Horizont zu erweitern, das bestimmt nur mal den subjektiven Wert des Wissens. Sieht man doch an der Show “Noch Besserwissen” oder wie die heißt auf Pro7. Das ist im Prinzip samt uns sonders Wissen, das für mich keinen praktischen Wert hat. Und die Art der Sendung zeigt doch auch, dass die Unterhaltung im Vordergrund steht. Das ist noch was anderes als Nano zu gucken oder noch weitergehend: ein Fachjournal zu lesen.

    @Christian:
    Das ist mir zu populistisch. Man kann ja am Gebührensystem viel kritisieren, aber dass auch Unterhaltung zur medialen Grundversorgung gehört und damit ruhig auch gebührenfinanziert werden sollte, halte ich für richtig. Sogar in der Höhe – denn Wetten Dass? ist immer noch eine gerngesehene und vom Niveau trotzdem noch ordentliche Sendung. Ähnlich sieht es mit Sport aus.
    Dass Sie meinen, man könne nicht erwarten, dass recherchiert wird, ist vermutlich ironisch gemeint. Falls nicht, ist es falsch – das kann man erwarten. Insbesondere wenn man bedenkt, dass ÖR nicht gleich ÖR. Bei einem politischen Magazin oder einer Wissenschaftssendung erwarte ich Recherche. Ich erwarte das eigentlich auch von täglichen Nachrichten (wo aber kaum Mühe investiert zu werdens scheint). Ob man es von einem fröhlichen Nachmittagsmoderator auf SWR3 erwarten muss ist wieder was anderes. Kommt drauf an – finde ich – welchem Zweck die Sendung dient.

  6. #6 L. Carone
    Mai 29, 2008

    @knorke: Also ich hab mir jetzt das Ganze noch mal durch den Kopf gehen lassen, hin und her und es stört mich doch. Auch die Sendung “Besserwisser” hat einen üblen Beigeschmack.

    Dass ich von einem lustigen Nachmittagsmoderator als Vorbereitung seiner Sendung gewissenhafte Recherche verlangt werden kann, das ist schon klar. Ich verstehe schon, dass man da Fehler machen kann. Aber ist es auch zuviel verlangt, Fehler zuzugeben, wenn sie denn passieren? Rechtfertigt eine lustige Nachmittagsshow sich hinzustellen: Recherche? Scheiß drauf!

    Man kann doch nicht alles der Unterhaltung unterordnen oder damit rechtfertigen, dass es Unterhaltung ist? Darf Unterhaltung alles? Versteh mich nicht falsch, ich mag auch scharfzüngige, politisch unkorrekte Satire. Aber aus lauter Faulheit billige Gags auf Kosten anderer zu machen, um die Schadenfreude anderer Menschen zu bedienen, ist eine ganz andere Liga. Ja, es ist eine Form der Unterhaltung, so wie es früher eine Form der Unterhaltung war “Freaks” zur Schau zu stellen.

    Wo ziehe ich also die Grenze? Wenn der lustige Nachmittagsmoderator mal eben Genf nach Frankreich oder Italien verlegt und selbst nach Hinweisen auf den Fehler, nicht zugeben kann, dass er sich da vertan hat. Da würden sich aber wohl einige mehr Menschen aufregen. Warum? Ist doch Unterhaltung?

    Ich glaube, was mich am ganzen Ablauf dieser Geschichte so unheimlich stört, ist, dass der Moderator sich im Namen der Unterhaltung das Recht nimmt, Leute für dumm zu verkaufen.