Oder wenn Spiegel Online meint, Wissenschaft erklären zu können.

Der einzige, der bei SpOn etwas Vernünftiges in Sachen Wissenschaft auf die Reihe kriegt, ist Holger Dambeck. Aber er ist auch ausgebildeter Astronom und ordentlicher Wissenschaftsjournalist.

Ich hab ja nun absolut nichts dagegen, wenn man Wissenschaft kurz prägnant und knackig aufbereitet. Ist doch kein Problem. Es sollte nur nicht völlig falsch sein!

SpON hat jedenfalls mit diesem Artikel mal wieder den Vogel abgeschossen.

Das Scheitern der Journalistin in diesem Beitrag hat beinahe etwas Tragisches. Denn eigentlich bemüht sie sich redlich und der Artikel wäre gar nicht mal schlecht, wenn sie denn nicht gleich drei Todsünden in der Wissenschaftskommunikation gleichzeitig begangen hätte.

Regel Nr. 1 im Wissenschaftsjournalismus: Was ist die Pointe? Die Kernaussage?

In diesem Fall: Das Gehirn einiger Dschungeltiere ist in der Lage aus den beiden leicht unterschiedlichen Bildern zweier nach vorne gerichteter Augen kleine Hindernisse zwischen ihnen und der Beute bzw. des Räubers rauszurechnen. Sie können um Blätter und Zweige drumherum sehen.

Sie können damit zwar nur nach vorne sehen, aber das “Drumherum sehen können” ist in einem Dschungel allemal nützlicher als eine Rundumsicht, wo man nur in alle Richtungen gleich schlecht sehen kann. Weil solche Tiere vor lauter Bäumen gar nichts mehr sehen. Weder das Abendessen, noch das Vieh, das gerade vor hat, aus einem selbst das Abendessen zu machen.

Deswegen hat sich evolutionär die erste Seh-Variante für Dschungeltiere durchgesetzt.

So, hat doch gar nicht wehgetan, oder?

Was macht die SpON-Autorin aus dieser Aussage?

Affe, Löwe und Bär durchleuchten ihre Umgebung

Häh? Was ist bitte noch einmal der Unterschied zwischen einem Sender und einem Empfänger?

Auch Sie haben den Röntgenblick.

Die Überschrift der Bildergalerie:
GEFAHREN DURCHLEUCHTEN: WIE DER RÖNTGENBLICK TIEREN HILFT

Wie jetzt? Soll das etwa so funktionieren?

Ok, die Autoren der besprochenen Arbeit trifft eine Mitschuld. Denn sie sind es, die den irreführenden Vergleich mit dem Röntgenblick heranziehen. Sie schreiben im Abstract, dass der “Röntgenblick” den Tieren erlaubt, durch den Wirrwarr des Dschungel “hindurchzusehen”. Beide Begriffe sind ausdrücklich in Klammern gesetzt, um anzuzeigen, dass das nicht wirklich so ist. Es hilft nur, es sich vorzustellen. Aber welcher Journalist achtet schon auf solche Feinheiten?

Tja und die Autorin nimmt den Spielball “Röntgenblick” dankbar auf, rennt damit weiter und durchbricht dummerweise die Grenzen der physikalischen Realität und landet in einem Comic. Aber selbst im Comic funktioniert das nicht wirklich. Schön für Supermann, dass er Röntgenstrahlen aussenden kann. Und wer fängt dann die Strahlen hinter dem durchleuchteten Objekt wieder ein und leitet es an sein Gehirn weiter?

SenderEmpfänger?

Dieses Klischee vom Röntgenblick und die ganze Unlogik dahinter sitzt anscheinend so tief, dass in der Redaktion bei SpOn keiner merkt, was für ein Blödsinn das ist. Und wenn es schon in der Originalarbeit so steht? Warum sollte man da drüber nachdenken?

Aber die Tiere durchleuchten doch nichts. Selbst wenn ich sehr großzügig bin und das mit dem Röntgenblick übergehe, so ändert das nichts an der Tatsache, dass die Augen nur Empfänger sind. Außerdem bitte! Mit Röntgen hat das wirklich nichts zu tun. Die Tiere schauen nicht ins Innere von Bäumen, Tieren und Blättern sondern drumherum und das steht sogar etwas später im Text.

Eine etwas unglückliche Wortwahl seitens der Forscher + Wissenschaftsjournalismus ala SpOn ergibt die drei Todsünden in der Wissenschaftskommunikation:
1. Mit dem misslungenen Vergleich wurde die Pointe gründlich verhauen. Der Röntgenblick bleibt eher hängen als die richtige Beschreibung des Effektes.
2. Physikalischer Blödsinn.
3. Verbreitung von Wissenschafts-Klischees aus der Popkultur: Der Röntgenblick.

Wissenschaftskommunikation: 6! Setzen!

Übrigens.

Der Scienceblog Of Two Minds hat ausführlich über die Unmöglichkeit des Röntgenblickes berichtet. Denn dazu gibt es einen wissenschaftlichen Aufsatz:
Pittenger, J.B. (1983). On the plausibility of Superman’s x-ray vision. Perception, 12(5), 635-639. DOI: 10.1068/p120635

Kommentare (15)

  1. #1 aebby
    September 4, 2008

    *ächz … andererseits ist in SpON vom Spiegel früherer Tage nichts mehr übrig, warum sollte das vor Wissenschaftsartikeln halt machen, ein Armutszeugnis ist es allemal.

  2. #2 Sascha
    September 4, 2008

    Aber gerade weil der ausdruck röntgenblick in dem beitrag so benutzt wird, wird er von den leuten gelesen. heutzutage kann es doch nicht reiserisch und sensationslüstern genug sein. wer würde denn einen betrag lesen, in dem etwas von “können um kleine zweige und blätter herumsehen” steht. Pfft wen interessiert es da, dass das fachlich richtige auf der strecke bleibt, hauptsache der leser fühlt sich unterhalten. das fernsehen macht es schließlich vor.

  3. #3 Ludmila Carone
    September 4, 2008

    @Sascha: Ich weiß nicht. Die Ausrede ist mir einfach zu billig. Man verkauft doch so die Leute für dumm. Wenn man behaupten würde, dass der Bundeskanzler vom Aufsichtsratvorsitzenden von VW gewählt würde, da würden die Leute SpOn die Türen einrennen mit Beschwerden. Oder wenn die deutsche Börse von Frankfurt nach Düsseldorf verlegt würde.

    Aber es ist halt “nur” Wissenschaft. Da stört es wenige, wenn Blödsinn verkauft wird bzw. das allerschlimmste: Die wenigstens kriegen es wirklich mit.

  4. #4 Ludmila Carone
    September 4, 2008

    @aebby: Selbst im Spiegel ist vom Spiegel früherer Tage nicht mehr viel übrig. Man kann es nicht mehr lesen. SpON ist halt noch eine Spur platter.

  5. #5 Sascha
    September 4, 2008

    @Ludmila: nein, es soll ja keine ausrede sein. es war eher eine feststellung. wen interessieren denn schon noch “normale” nachrichten oder irgendwelche beiträge in magazinen die über solche “banalen” tatsachen berichten wie das einige tiere und menschen leicht um die ecke schauen können. da bringt der begriff röntgenblick gleich viel mehr würze in die sache. ob es stimmt was man da schreibt ist doch erstmal nebensächlich solange die auflage stimmt. und der prozentsatz derer die es besser wissen ist so gering, das es egal ist. solange die breite masse mit so etwas zu begeistern ist und die auch gar nicht wissen wollen wie es richtig ist, ist doch alles wunderbar. denn dann müsste man seine grauen zellen mal anstrengen. sich einfach berieseln lassen ist doch so viel einfacher….

    es ist einfach nur traurig

  6. #6 ali
    September 4, 2008

    off-topic:

    Was versucht Superman auf dem Bild eigentlich genau zu röntgen? Sieht nach einem typischen Fall von Missbrauch von Superkräften aus. Superhelden sind anscheinend auch nur Männer…

  7. #7 aebby
    September 4, 2008

    So zynisch und bitter es klingen mag

    > Man verkauft doch so die Leute für dumm.

    genau darum geht es wohl, sensationsgetriebener Verkauf von Pseudoinformation oder im schlimmeren Fall tendentiöse Meinungsmache. Das funkioniert nur wenn alle schön für dumm verkauft werden.

    und Sascha hat recht, es ist traurig.

  8. #8 Marcus
    September 4, 2008

    Hi Ludmilla, mir war der Artikel auch aufgefallen. Heike le ker hat es verapsst die Metapher zu hinterfragen, war um auch immer. Das war ihr Fehler.

    Den Wissenschaftler hab ich angeschrieben wegen der meiner Meinung nach verunglückten Metapher.

    Er schrieb: “On the “x-ray” metaphor, in the paper I mention that I use it because the
    *perceptual feeling* is that one is seeing through stuff. Of course,
    the actual mechanism is utterly different than x-rays, and one is not
    truly seeing through stuff. I’m not even sure Superman was using
    x-rays: perhaps the human journalists in Gotham City just metaphorically
    labeled it as “x-ray vision”! ”

    Außerdem hat er mir ein Kapitel seines kommenden Buches mitgeschickt, in dem er seiner X-Ray These noch mal erklärt. Auch beim Titel (Arbeitstitel?) ist er nicht zaghaft: The Vision Revolution.

    Ich finde die Metapher falsch. Bei mir stellt sich der Eindruck ein, das will jemand Aufmerksamkeit erzeugen (ist gelungen).

  9. #9 Marcus
    September 4, 2008

    … mein Gott, kann ich den Kommentar noch mal bearbeiten, der strotzt ja nur so vor Fehlern (war etwas hektisch eben, mein Kleiner fing plötzlich an zu schreien …)

  10. #10 Ludmila Carone
    September 4, 2008

    @Marcus: Mach Dir keinen Hals. Wir sind doch alle Menschen hier – und nicht so komische abgehobene Wissenschaftler, die immer alles perfekt machen müssen 😉

    Der Kleine geht vor!

  11. #11 Marcus
    September 4, 2008

    @Ludmilla: Naja, ich bin Journalist, da zählt das fehlerfreie Schreiben zum Handwerk (mehr oder weniger). 😉

  12. #12 student_b
    September 4, 2008

    @ali

    Schau dir mal https://www.superdickery.com/galleries.html an.

    Superman war schon immer ein dick. 😉

    ————————–

    “Wenn man sich heute einfrieren und erst in einer Million Jahre wieder aufwachen würde, könnte es eventuell wieder schwierig werden, den Menschen in die Augen zu sehen, weil diese dann vielleicht wieder seitlich am Kopf liegen”, mutmaßt Changizi.

    Und was selektiert den Menschen dann in diese Richtung?

  13. #13 matthias
    September 4, 2008

    wg. “Wir haben in einer Mio. Jahren wieder die Augen seitlich am Kopf”
    Also es mag ja stimmen, dass es für uns nicht mehr wichtig ist, um kleine Hindernisse herumzuschauen (einer der Vorteile von nach vorne gerichteten Augen), genausowenig ist aber ein guter Rundumblick heutzutage wichtig (Vorteil von seitlichen Augen).
    Was viel wichtiger für uns Menschen ist, ist wohl die Fähigkeit, räumlich sehen zu können und vor allem, sich auf einen kleinen Bereich konzentrieren zu können (im Prinzip bei jeder Arbeit, ob am PC, an Maschinen, beim Lesen…). Dafür brauchen wir nach vorne gerichtete Augen.
    Die Annahme, dass wir in einer Mio. Jahren wg. Evolution die Augen wieder(?) seitlich haben ist m. E. schlicht falsch – evtl. aber schon etwas sensationslüsternd?

  14. #14 markus
    September 30, 2009

    Aua!
    Also eins vorab: Kein Journalist macht absichtlich Fehler, und niemand kann alles studiert haben. Aber die Lektüre dieses Beitrags ist offen gestanden schwer erträglich, insbesondere für einen Journalisten. Und sie sollte es auch für Wissenschaftler sein. Warum? Weil dieser Beitrag geradezu trieft vor – mit Verlaub, Ludmilla – jener dummdreisten Arroganz, die im Verhältnis zwischen Wissenschaft und Journalismus extrem kontraproduktiv ist. Gleich in der Einleitung schafft es die Autorin, zweimal Unsinn in einem Satz unterzubringen. Holger Dambeck ist kein “ausgebildeter Astronom”, wie man dem SPON-Impressum leicht entnehmen kann, und selbst wenn er es wäre – warum sollte ihn das zu einem “ordentlichen Wissenschaftsjournalisten machen”? Ist Journalismus neuerdings Teil der Ausbildung von Astronomen? Nun, vielleicht ist er das ja – könnte man zumindest meinen, wenn weiterliest. Da maßt sich eine Planetologin mal eben an, uns die Regeln des Wissenschaftsjournalismus erklären, und das – man lese und staune – anhand eines Themas aus der Biologie. Hat uns dieselbe Autorin nicht eben noch erklärt, dass man besser schweigt, wenn es um ein Thema geht, in dem man kein Fachstudium vorweisen kann? Bitte, bitte, Ludmilla: Versuche es mal ein bisschen weniger von oben herab. Ein international renommierter Forscher hat kürzlich bei einer Podiumsdiskussion gesagt, man sollte sich auf sein Fachidiotentum nicht allzu viel einbilden. Sollte Dir zu denken geben, dieser Satz.

  15. #15 Ludmila
    September 30, 2009

    Bist Du eigentlich Journalist, Markus? Dann würde ich Dir erst mal empfehlen, lesen zu lernen. Schau mal bitte nach wie mein Name wirklich geschrieben wird, Markus. Fällt Dir was auf, Markus?

    Aber mal zur Sache, Markus! Journalisten machen Fehler, so wie jeder andere auch. Wie wäre es dann aber bitte, Markus, wenn Ihr auch mal zu Euren Fehlern stehen würdet? Oder ist das zuviel verlangt, Markus? Kann man nicht von einem Journalisten etwas Selbstkritik verlangen, Markus? Andere Menschen, die Eure Fehler korrigieren, als arrogante Besserwisser zu verunglimpfen, Markus, erhöht jedenfalls nicht unbedingt meine Sympathie der journalistischen Zunft gegenüber.

    Zum Glück, Markus, gibt es doch einige Journalisten, die sich Kritik zu Herzen nehmen, es versuchen besser zu machen und nicht gleich die beleidigte Leberwurst spielen, wenn sie dabei erwischt wurden, wie sie großen Blödsinn verzapft hatten. Und die verwenden sogar Absätze, um ihre Texte besser zu strukturieren.