…durcharbeiten, um ein Poster oder eine Praesentation fertig zu stellen, ein Experiment an’s Laufen zu kriegen, den Report zur Deadline fertig zu haben, den Forschungsantrag einzureichen, die Daten auszuwerten, Klausuren zu korrigieren, die Bachlor-, Master-, Doktorarbeit auszudrucken etc. pp. Jede(r) Wissenschaftler(in) hat schon mal einen all-nighter hingelegt.
Dafür gibt es jetzt auch den richtigen Soundtrack.
Aber jetzt mal Spaß beiseite: Gerade in der Forschung besteht – finde ich – die fatale Neigung es in dieser Hinsicht zu übertreiben. Es ist ok, wenn eine Deadline mal so knapp ist, dass eine Nacht dabei drauf geht oder wenn ein Experiment derart zickig ist, dass das Wochenende daran glauben muss, damit mensch rechtzeitig zur Konferenz die Ergebnisse präsentieren kann. Oder wenn der unvorhergesehene Crash eines Super-Computers dazu führt, seine Simulationen auf den allerletzten Drücker laufen zu lassen.
Aber wenn es die Regel und nicht die Ausnahme ist, dann ist Schluss mit lustig. Wissenschaftlerinnen sind Menschen und brauchen als solche Erholungsphasen. Gerade in einem kreativen Beruf wie unserem ist das sogar das Gebot der Stunde. Schlafdefizit und permanente Überforderung sind keine Anstecknadeln, die mensch vor sich herträgt um zu zeigen: “Schaut her, wie toll ich motiviert bin. Ich kontrolliere sogar noch im Bett meine Emails und welche Simulation gerade durchläuft”.
Ich habe zwar von sagenhaften Wesen gehört, die das bringen können, ohne irgendwann komplett zusammenzubrechen. Meine Erfahrungen sehen in der Hinsicht leider anders aus. Ein solches Arbeitsumfeld macht auf die Dauer krank. Und davon hat niemand was. Und nein, es ist nicht die Schuld desjenigen/derjenigen, die dann einfach irgendwann nicht mehr kann, weil auch die allerletzten Reserven aufgebraucht sind. Das ist dann noch das Allerperfideste in dieser Situation. Das so etwas als Schwäche ausgelegt und von dem/der Betroffenen auch so empfunden wird. Gerade Doktorandinnen und Post-Docs sind da in einer recht verletzlichen Lage, weil einerseits auf Jahre in einer sehr abhängigen Position und andererseits sowieso ständig am Hadern darüber, ob sie in die Forschung gehören oder nicht.
Mein Rat: Wenn Ihr Euch in einer solchen Situation befindet, dann sucht Euch professionelle Hilfe (Mediatoren, Vermittler, Psychologen/Psychiater*) und schaut zu, dass Ihr da wegkommt. Ich hab leider zu viele Freunde und Kolleginnen in den letzten Jahren in genau solchen Fallen erlebt – auch in der ach so freien Wirtschaft, nur dass da die Ausbeutung besser bezahlt wird. Letztendlich haben alle übereinstimmend gesagt, dass zu gehen, die beste Entscheidung war.
Es ist natürlich scheiße, was in solchen Situationen passiert und Ihr könntet versuchen, Euer gutes Recht einzufordern. Aber das kostet auch Kraft. Wenn Ihr komplett fertig mit Euch und der Welt seid, ist es sehr schwer auch noch die Strukturen Eures Arbeitsumfeldes zu bekämpfen – und Ihr könnt auch nicht damit rechnen, dass Euch das irgendjemand dankt. Ihr müsst sogar damit rechnen, als Querulantin und Nestbeschmutzer angesehen zu werden.
Das kann verdammt hart sein: Es kann bedeuten, auf den Doktortitel zu verzichten. Oder sich mitten in der Promotion einen komplett neuen Betreuer in einer neuen Stadt mit anderem Thema zu suchen. Oder die Doktorarbeit mit einer schlechten Note fertig zu kriegen. Oder bei einer anderen Firma in einer neuen Stadt weit weg vom sozialen Umfeld mehr oder weniger von vorn anzufangen. Aber auch davon ist die Welt für die Betroffenen nicht untergegangen und sie waren hinterher zufriedener.
Das heißt nicht, dass diese Strukturen gar nicht bekämpft werden sollten. Aber die Aufgabe sollten jene übernehmen, die nicht bereits krank sind. Aber dafür muss erst einmal ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass es da etwas gibt, wogegen mensch sich wehren sollte/könnte. Am besten bevor alles zusammenbricht. Es passiert ja sogar ab und an. Irgendwann wurde z.B. dem Monitor gesteckt, wie an manchen Universitäten das Arbeitsamt missbraucht wird. Ich bin fast vom Glauben abgefallen, als ein Kollege mir erzählte, dass es an seiner Uni üblich sei, Doktorarbeiten in der Arbeitslosigkeit zusammenschreiben zu lassen. Vielleicht könnte diskutiert werden, dass immer noch zu viele Doktoranden-Löhne in Deutschland jenseits von gut und böse sind.
Und ganz ehrlich: Ein Doktorvater oder eine Doktormutter, der/die behauptet, dass Doktorarbeit Privatvergnügen sei, dem/der gehört die Leviten gelesen. Denn dieses “Privatvergnügen” wird komischerweise ganz gerne genommen, um Geld einzutreiben, die daraus resultierenden Paper auf den eigenen Lebenslauf/Institutsseite zu setzen und zu zeigen, wie toll mensch seine/ihre Lehrpflichten wahrnimmt. Es gibt genügend Institute, wo die Forschung fast ausschließlich als angebliches “Privatvergnügen” von Doktorandinnen erledigt wird. Privatvergnügen…my ass. Was eine perfide Mischung aus Geringschätzung und Ausbeutungsmentalität, die dann auch noch ganz offen und als normal zelebriert wird. Ich hab schon von Kolleginnen gehört, die meinten, dass sie das Gefühl haben im Nachteil zu sein, weil sie darauf achten, dass ihre Doktorandinnen in angemessener Zeit fertig werden.
Dann heißt es als Rechtfertigung immer: Ja, dieser immense Druck…Ja, das wissen wir, dass der Druck enorm ist, und natürlich ist es bequem diesen Druck schön nach unten weiterzugeben, anstatt sich mal zu wehren. Aber rein menschlich ist es ein Armutszeugnis, wenn mensch für die Erfüllung seines/ihres persönlichen Lebenstraum dafür billigend in Kauf nimmt, dass die schwächsten Glieder in der Kette darüber zerbrechen.
Ups, jetzt ist es doch länger geworden, als ich vorhatte. Aber es muss mal gesagt werden und durchaus oft und laut.
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Letzteres ist leider ein Problem für sich. Es ist gerade in den Ballungszentren fast unmöglich jemanden für den Notfall zu finden.
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