Im ersten Teil  hatte ich erzählt, dass es wichtig ist zu wissen, wie alt ein sonnen-ähnlicher Stern ist. Um z.B. zu erfahren, ob ein Planet eher am Anfang, in der Mitte oder am Ende seines Lebens steht. Ich hatte aber auch erzählt, dass das gar nicht so einfach ist, weil man so einem Stern sein Alter erst einmal nicht ansieht.

Aber ein paar Dinge verändern sich im Laufe eines Sternen-Lebens dann doch. In den 60ern und 70ern fiel einigen AstronomInnen auf (1), dass sonnenähnliche Sterne sich unterschiedlich schnell um sich selbst drehen: Junge Sterne rotieren recht flott mit Perioden von einigen Tagen und ältere recht langsam mit Rotationsperioden von typischerweise ein paar Dutzend Tagen. Die Sonne z.B. dreht sich etwa alle 25-27 Tage um sich selbst (2). Als Kalibrierungspunkte dienten für die Beziehung zwischen Alter und Rotation: unsere Sonne und ein paar Sternenhaufen.

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Lithium-Anteil im äußeren Sternenbereich, Stern-Rotation und Helligkeit der Kalzium Emissionslinie in Abhängigkeit vom Sternenalter für verschiedene Sternenhaufen und die Sonne. (Skumanich 1972)

Denn auch wenn wir von einzelnen Sternen – mit Ausnahme unserer Sonne – das Alter nicht herauskriegen können, so kriegen wir aber das Alter von einer zusammenhängenden Sternen-Gruppe heraus.

Sternenhaufen – gemeinsamer Startpunkt, unterschiedlich schnell tickende Uhren
Sterne werden nicht alleine geboren sondern in einem großen Haufen. Sie bewegen sich auch erst einmal gemeinsam als Gruppe, weil sie nah genug zusammen stehen, dass sich durch Gravitationskraft gegenseitig “an den Händen halten” 🙂 Sie lassen sich durch die gemeinsame Bewegung durch den Raum und ihre ähnliche chemische Zusammensetzung (weil sie ja aus der gleichen Gaswolke stammen) auch eindeutig als zusammengehörig bestimmen. Zudem beinhaltet so ein Sternenhaufen (der hunderte bis tausende Sterne enthält) eine ganze Bandbreite von unterschiedlich massiven Sterne, je nachdem wie viel Gas sich zufällig an der Geburtsstätte im unmittelbaren Einflussbereich des Kollaps befand. Unterschiedlich schwere Sterne, haben aber eine sehr unterschiedliche Lebensdauer – und lassen sich auch noch anhand ihrer Farbe (Temperatur) gut voneinander unterscheiden. Masse-reiche Sterne sind z.B. heiß und blau Sterne und leben nur ein paar dutzend Jahrmillionen.  Ihre Lebensuhren ticken sehr, sehr schnell im Vergleich zu weniger massiven Sternen. Sonnen-Zwillinge leben dagegen etwa 10 Milliarden Jahre. Wenn es also keine heißen, blauen Sterne mehr in einem Cluster gibt, ist der Haufen – und damit alle Sterne darin – auf jeden Fall älter. Wenn man also eine Bestandsaufnahme der noch Wasserstoff-fusionierenden Sterne eines Sternenhaufens anhand ihrer Masse macht, lässt sich so das Alter aller Sterne des Haufens recht genau bestimmen.

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Das berühmte Hertzsprung-Russel-Diagramm. Sonnenähnliche Sterne befinden sich auf der Hauptreihe solange sie Wasserstoff fusionieren. (aus Wikimedia)

Dummerweise leben Sternencluster nicht sehr “lange”. Auch wenn  das Weltall recht leer ist, so sprechen wir hier von Zeiträumen von Jahrhundertmillionen bis Jahrmilliarden. In dieser Zeit kommt einer Sternen-Gruppe genügend anderes Zeugs so nah, dass es über die Gravitation miteinander interagiert: einzelne Sternen, Sternengruppen, kleinere Galaxien und auch die Sterne im Haufen selbst kommen sich immer wieder gegenseitig in die Quere. Die Sterne sind ja nicht festgenagelt und stehen recht eng beieinander. Eine kleine Störung reicht schon, und es kommt zu “Rempeleien”. Durch alle diese Prozesse werden Sterne aus dem Cluster heraus katapultiert und der Haufen dünnt nach und nach aus. Dann sollte so ein Sternenhaufen auch nicht allzu weit weg sein, sonst kann man die Eigenschaften der individuellen Sterne nicht gut studieren, wie eben ihre Rotation.

Hier gibt es ein sehr hübsches Bild von den Hyaden, die gerade einmal 10 Lichtjahre entfernt und etwa 625 Millionen Jahre alt sind. Diese und die Plejaden werden gerne für solche Altersstudien genommen,

Leider gab es lange Zeit “nur” Rotations-Messungen aus Sternenhaufen, die maximal 1 Milliarde Jahre alt waren. D.h.  die Verlangsamung der Sternen-Rotation mit zunehmendem Alter konnte nur mit echten Jungspunden unter den sonnen-ähnlichen Sternen und unserer Sonne richtig gut kalibriert werden. Irgendwie müssen also die Lücken dazwischen gefüllt werden.  

Warum rotieren die Sterne eigentlich immer langsamer?

Wenn man z.B, weiß, warum Hauptreihen-Sterne im Laufe ihres Lebens immer langsamer rotieren, und das gut genug versteht, dann kann man berechnen, zu welchem Alter welche Rotationsperiode passt. Wir könnten Gyrochronologie betreiben. Tatsächlich haben die ForscherInnen eine recht gute Idee, was da passiert und sie können es auch anhand der Sonne recht gut direkt nachzuvollziehen (3). Der Effekt nennt sich “magnetic braking” Um diesen Mechanismus zu erklären, finde ich es ganz nützlich eine anschauliche Analogie heranzuziehen – und die kommt aus der Raumfahrt.

Einige Raketenstufen werden in schnelle Rotation versetzt, um ihre Flugbahn zu stabilisieren. Die letzte Stufe der Rakete, welche die Mars-Sonde Phoenix in’s Weltall brachte, war z.B. so stabilisiert. Je nach Aufgabe des Satelliten muss man aber in einigen Fällen diesen Spin wieder loswerden, bevor der Satellit ausgebracht wird. Und das passiert auf eine – wie ich finde – sehr elegante und pfiffige Art und Weise ohne Treibstoff zu verschwenden und mit einem Minimum an Fehlern: Mit der Yo-Yo-Despin-Methode:

Hier ist eine schön detaillierte Beschreibung der Gleichungen dahinter. Im Grunde braucht man nur zwei Gewichte an je einem langen Faden, die beide um die Raumsonde gewickelt sind. Wenn die Verankerung der Gewichte gelöst wird, werden die beiden Massen an den sich selbst aufwickelnden Fäden nach außen geschleudert und dabei wird Drehimpuls vom Zentralkörper auf die beiden Massen transferiert. Und zwar wird weitaus weitaus mehr Drehimpuls transferiert, als wenn man die Massen direkt vom rotierenden Körper – ohne Fäden – abwerfen würde. In vielen Fällen werden die Fäden schließlich gekappt und die Massen ganz weggeworfen. Es ist ein bisschen so, wie das Beispiel mit dem Drehstuhl und den Hanteln, die man ausstreckt. Nur dass hier dann oft die “Hanteln” und die “Arme” hinterher entfernt werden.

So etwas ähnliches passiert auch bei sonnenähnlichen Sternen. So ein Stern stößt ständig geladene Partikel – also Plasma – als Sternenwind aus. Diese Teilchen sind also unsere Yo-Yo-Gewichte. Da  der Sternenwind elektrisch geladen ist, “hängt” er erst einmal am Magnetfeld des Ursprung-Sterns fest.  Genauer gesagt bewegen sich die Ionen und Elektronen in Korkenzieher-Bahnen entlang der Magnet-Feldlinien. Man könnte also die Magnetfeldlinien hier als imaginäre ” Fäden” sehen, an denen sich das Sternenwind-Plasma nach außen wickelt und dabei Drehimpuls weg trägt. Aber einer gewissen Distanz werden die “Fäden” sogar “gekappt”. Das Plasma wird immer schneller, wenn es sich von der Sonne weg bewegt und irgendwann wird es so schnell, dass es sich vom Magnetfeld in unmittelbarer Nähe zur Sonne lösen kann (4). Natürlich sind die Sternenwind-Teilchen winzig. Wir sprechen v.a. von Protonen und Elektronen. Aber davon wird zum einen eine durchaus große Menge ausgestoßen: Pro Sekunde stößt die Sonne etwa eine Million Tonne als Sonnenwind aus. Das Ganze passiert dann auch über einen sehr langen Zeitraum von Jahrmilliarden Jahren und der “Hebelarm” ist sehr lang: Bei unserer Sonne werden die “Fäden” etwa bei drei Sonnenradien-Entfernung “gekappt” (4).

Mit diesem Wissen, lässt sich die Verlangsamung der Sternrotation von jungen Sternenhaufen aus vorhersagen. Umgekehrt könnte man dann also theoretisch einer Sternrotation ein Alter zuweisen.

Seufz” Ich hab mir das durchaus sehr genau angeschaut, und auch damit gearbeitet und es ist eben leider nicht ganz so simpel.

Es gibt Unsicherheiten in der Theorie, die immer größer werden, je weiter wir uns massen-mäßig von der Sonne entfernen. Unserer Sonne liefert leider “nur” einen einzelnen “Datenpunkt” in einem Massenbereich, der idealerweise 1.4-0.2 Sonnenmassen abdecken sollte. Zudem werden die Unsicherheiten der Kalibrierung immer größer, wenn wir von den jungen Sternenhaufen zu älteren Sternen hoch rechnen. Dann sind die jungen sonnenähnlichen Sterne aus den Sternenhaufen, die man zur Kalibrierung einsetzt, teilweise noch nicht “komplett” fertig. Sie sind in einer Zwischenphase zwischen Proto-Stern und einem ruhig vor sich hinstrahlendem sonnenähnlichen Stern. Und wenn diese Sterne gerade Planetensysteme bilden, kann die Interaktion mit der umgebenen Staub-und Gasscheibe auch einen Einfluss auf die Sternrotation haben. Diese protoplanetaren Scheiben wurden aber erst ab den 90ern so richtig untersucht – mit den Entdeckungen der Exoplaneten. Die Teleskope waren eben lange Zeit nicht so weit, die Planeten und Planeten-Entstehung sehen zu können. Es passiert also potentiell einiges mit der Sternrotation zwischen der Momentaufnahme, die uns die jungen Sternenhaufen liefern und einem eher mittelalten Stern, der vielleicht von einem habitablen Planeten umkreist wird. Und dann habe ich noch nicht damit angefangen, dass sich Sternrotationen sehr schwer messen lassen, wenn so ein Stern erst mal bei ner Rotationsperiode von 10 Stunden und darüber angelangt ist. Jahrelang hab ich Messungen zusammengetragen, die typischerweise so aussahen:

Rotationsperiode: 30-10 +20 Stunden (Und das war noch eine gute Messung).
Oder: Die Rotationsperiode ist langsamer als 40 Stunden.

Ja, danke auch! Die Methoden gaben leider lange Zeit nicht mehr her. Es ist aber auch nicht so, dass es viele ForscherInnen gibt, die sich mit sowas beschäftigen. Deswegen nerve ich auch so ziemlich jede/n Astronomen/-in damit, dass wir PlanetenforscherInnen: Das Alter von sonnenähnlichen Sternen brauchen! Und das Thema wichtig ist. Und es sich lohnt da genauer hinzusehen. Ja, ich hab inzwischen einen gewissen Ruf hier in Leuven. Ich bin die, die mit dem Alter rumnervt 🙂

Hach ja, was hab ich mir jahrelang irgendwas gewünscht,um diesen ganzen Kladderadatsch an Unsicherheiten besser abzusichern, damit ich dann damit weiterarbeiten kann.  Vor ein paar Wochen ist mein Wunsch dann endlich, endlich, endlich (teilweise) erhört worden. Dank Caroline Herschel und dem Weltraum-Teleskop Kepler. Aber dazu mehr im nächsten Teil.

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(1) Skumanich, A., Time Scales for CA II Emission Decay, Rotational Braking, and Lithium Depletion.,Astrophysical Journal, vol. 171, p.565, 1972
(2) Je nachdem, ob man am Sonnen-Äquator oder eher am Sonnen-Pol misst. Aber das  fällt hier nicht weiter in’s Gewicht.
(3) Weber&Davis, The Angular Momentum of the Solar Wind, Astrophysical Journal, vol. 148, p.217-227, 1967
(4) Für Cracks, hier ist die Rechnung dazu.

Kommentare (5)

  1. #1 CM
    Februar 20, 2015

    Super interessant! Dank – und der nächste Teil wird bestimmt ähnlich spannend. 😉

  2. #2 Strudel
    Februar 22, 2015

    Interessantes Thema, Danke!

    Wie bestimmt man eigentlich die Rotationsperiode entfernter Sterne? Helligkeitsschwankungen werden wohl absolut minimal sein, oder? Und wenn die Rotationsachse zu Erde zeigt, wird man damit ohnehin nicht weiter kommen.

    PS:
    Was für ein schrulliges Kommentarsystem … das ist nun mein dritter Versuch hier einen Kommentar abzugeben. Da verliert man ja echt die Lust dran.

  3. #3 Ludmila Carone
    Februar 23, 2015

    @Strudel: Es gibt zumindest drei Möglichkeiten von denen ich weiß. Da erzähle ich dann im nächsten Teil mehr dazu.

  4. #4 Alex
    Juli 15, 2016

    Hey, kann mir jemand sagen wie ich das Alter eines Sterns berechnen kann? Ich muss für eine Arbeit in der Schule das Alter von Sternhaufen mithilfe des HR-Diagramms bestimmen, aber ich lese immer nur, dass man das Alter direkt raus lesen kann. Es wird nie erklärt wie man das Alter berechnet. Kann da vielleicht jemand helfen?

  5. #5 Alderamin
    Juli 18, 2016

    @Alex

    Das wirst Du kaum selbst rechnen können, dazu muss man ein ganzes Sternenleben für unterschiedliche Sternenmassen simulieren. Was Du hingegen kannst ist, geeignete Graphiken oder Tabellen im Netz finden, die den sogenannten “Turn-off-Point” (TOP) von der Hauptreihe im HRD in Beziehung zu einem Alter setzen und dann für die gesuchten Sternhaufen den TOP abschätzen und mit der Referenzgrafik vergleichen.

    Am TOP biegen die massivsten Sterne gerade von der Hauptreihe Richtung Riesenast ab. Je älter der Sternhaufen, desto weniger massiv und umso kühler sind die Sterne am TOP.

    Hier ein Artikel mit einer solchen Grafik (findet sich bestimmt noch besseres).