Die Sonne ist nicht nur Lebensspender, sie gab und gibt uns immer wieder Rätsel auf. Lord Kelvin konnte nicht glauben, dass die Sonne mehr als 100 Millionen Jahre alt ist. Das ist allerdings auch verständlich: Der Mechanismus, der die Sonne ‘antreibt’ – die Kernfusion – war damals noch nicht bekannt. Und erst 1925 fand Cecilia Payne heraus, dass die Sonne vor allem aus Wasserstoff besteht und nicht z.B. aus Eisen. Dieses Resultat schien damals so phantastisch, dass Dr. Payne erst nicht geglaubt wurde. Inzwischen wissen wir, dass Cecilia Payne recht hatte und dass die Sonne auch nicht aus Gas, sondern einem viel phantastischeren Material besteht: Plasma.
Heißer Kern, ‘kühle’ Oberfläche…anormal heiße Krone (Korona)
Aber ein großes Rätsel bleibt noch: Warum die äußerste Sonnenschicht – die Korona – so unglaublich heiß ist. Normalerweise ist die Atmosphäre/Plasmahülle eines Himmelskörpers innen (bei größerem Druck) heißer als außen (bei niedrigerem Druck) (1).
Das ist bei der Sonne auch so. Die Temperatur nimmt von innen (von schnuckelig warmen 14 Millionen Kelvin) nach außen hin ab (auf verhältnismäßig kühle 5800 Kelvin) – bis wir auf die Korona stoßen. Die Korona ist wieder mehr als 1 Million Kelvin heiß und damit etwa tausendmal heißer als die darunterliegende Schicht, die Photosphäre. Die Photosphäre ist übrigens die Schicht, welche das Sonnenlicht aussendet, das uns auf der Erde erreicht und das ohne große Probleme durch die Korona hindurchgeht. Die Korona ist nämlich nicht nur extrem heiß, sondern auch sehr dünn – (10-12 mal so dünn wie die Photosphäre oder ein Millionstel von einem Millionstel), und nur bei einer kompletten Sonnenfinsternis für unser Auge sichtbar.
Die große Hitze der Korona im Vergleich zur Photosphäre verrät uns, dass irgendwo eine Heizung in der Korona existieren muss – und das diese vermutlich von den darunterliegenden Plasmaschichten der Sonne gespeist wird. Energie ist da mehr als genug vorhanden. Nur wie diese Heizung funktioniert, wie Energie von unten nach oben in die Korona gelangt, das ist in der Sonnenphysik seit etwa 70 Jahre als das “Heiße Korona-Problem” bekannt. Zumindest weiß man was es nicht ist: Es ist nicht die Sonnen-Strahlung der Photosphäre. Die Korona ist für diese Strahlung im großen und ganzen durchsichtig.
Aber da die Korona auch ein Plasma ist und damit aus elektrisch geladenen Teilchen besteht, sind Interaktionen mit dem Magnetfeldern darunter ein ganz heißer Kandidat für den Heizmechanismus. Tatsächlich sieht man mit speziellen Sonnensatelliten wie dem SDO, dass sich in die Korona hinein ständig Magnetfeld-Schlaufen erstrecken.
Aber Forscherinnen wollen es ganz genau wissen: Wie denn jetzt genau die Energie von diesen Magnetfeld-Schlaufen in die Korona kommt. Zu sagen: Da sind halt Magnetfeld-Schlaufen und die interagieren halt scheinbar irgendwie, ist doch unbefriedigend.
Der wirbelnde magnetische Rock der Sonne
In den letzten 70 Jahren haben sich die Kolleginnen jedenfalls einige Gedanken gemacht und diese Gedanken in ausgeklügelte Gedanken-Experimente sprich Computersimulationen und Rechnungen gesteckt (2). Dabei gehen die Kolleginnen an meinem Institut in Leuven (dem Centre for mathematical Plasma-Astrophysics) aus, dass sich die äußere Sonnenmaterie annäherungsweise wie eine magnetische Flüssigkeit beschreiben lässt. Eine Idee für die Koronaheizung ist die sogenannte ‘resonante Absorption’ von rotierenden Turbulenzen ausgelöst durch magnetische Wellen.
Tom Van Doorsselaere beschreibt das etwa so: Die brodelnde von Magnetfeld-Schlaufen durchzogene Photosphere löst Wellen aus, die entlang der Sonnenoberfläche wandern. So wie der Rock einer Tänzerin Wellen wirft, wenn sie mit ihren Hüften seitwärts schwingt. Es gibt allerdings eine Verzögerung zwischen dem Hüftschwung und der Ausbildung der Wellen im Rock. Das ist auch im Fall des magnetischen Rocks der Sonne der Sonne so. Die Verzögerung zwischen Auslöser und der Ausbildung der Wellen, führt zu Reibung und Störungen der Welle zu rotierenden Turbulenzen (siehe auch unten). Diese erzeugen sehr viel Reibung zwischen den Wellen und der Korona und heizen so die Korona auf. Turbulenzen sind in Gasen und Flüssigkeit sowieso immer super um Energie in das System zu bringen. So wurde das zumindest in den 70ern vorhergesagt.
Aber erst vor kurzem wurde dieser Mechanismus tatsächlich beobachtet – in einer konzertierten Aktion mit dem japanischen HINODE-Weltraumteleskop und dem NASA IRIS-Teleskop (3). Der Blick mit zwei Teleskopen aus unterschiedlichen Blickwinkeln war nötig, da man die Bewegung des schwingenden rotierenden Sonnenplasmas in drei Dimensionen brauchte, um sie eindeutig mit den Vorhersagen aus den Simulationen vergleichen zu können. Und die Beobachtungen passten genau zu diesem Mechanismus.
Das ist das Beste, was einem Theoretiker passieren kann: Wenn er oder sie bislang unbeobachtete Phänomene vorhersagt und wenn Beobachtungen hinterher das Modell bestätigen. Wobei die Vorhersagen aus dem Modell so eindeutig sein sollten, dass sie mit nichts anderem verwechselt werden können. Es gibt noch einige andere Kandidaten für die Koronaheizung, auf die ich jetzt nicht eingehen möchte. Der Artikel ufert sonst aus, nich 😉
Ist jetzt das Rätsel der Sonnenkorona-Heizung gelöst?
Warscheinlich nicht. Der Prozess der resonanten Absorption der magnetischen Wellen wurde jetzt erst das erste Mal und damit genau einmal nachgewiesen. Jetzt muss man erst mal herausfinden, wie oft das mit den rotierenden Turbulenzen passiert und wieviel Hitze dabei jeweils erzeugt wird. Kolleginnen meinten allerdings, dass sie es für unwahrscheinlich halten, dass nur ein einziger Mechanismus die Korona anheizt. Wie bereits erwähnt, es gibt noch andere heiße Kandidaten. Aber die resonante Absorption der rotierenden Turbulenzen ist zumindest ein bestätigtes Puzzlestein. Wie wichtig er ist, wird sich in der Zukunft herausstellen.
Es ist auch ein schönes Beispiel wie Theorie und Beobachtung Hand-in-Hand arbeiten können.
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(1) Kleiner Exkurs: Für dieses Phänomen ist das so genannte hydrostatische Gleichgewicht verantwortlich: Relativ kühles Gas bleibt am Boden, während heißes Gas oder Plasma aufsteigt (wie ein Heißluftballon), es dehnt sich dabei aus und wird dabei kälter. Das expandierende Gas steigt solange auf, bis es eine Höhe erreicht, in der es ‘schwimmen’ kann – also der Auftrieb von seiner Gewichtskraft genau ausgeglichen wird. Und da Gase und Plasma sich extrem ausdehnen bei niedrigerem Druck, wird das anfangs heiße Gas in großer Höhe sogar kälter als das Gas am Boden. Letztendlich bilden sich so richtige Schichten mit unterschiedlich großer (innerer und potentiellen) Energie, wobei die Schichten mit der größten Energie am weitesten “außen” liegen, aber aufgrund des verschwindend geringen Drucks sehr kalt erscheinen. In der Atmosphärenforschung hantieren wir da gerne mit der potentiellen Temperatur, welche die Temperaturänderung aufgrund der Expansion in verschiedenen herausrechnet, sodass wir den Energiegehalt einzelner Luftschichten unabhängig von der Höhe miteinander vergleichen können. Wenn ich genau darüber nachdenke, ist es gar nicht so leicht zu erklären, warum Temperatur mit der Höhe abnehmen sollte – falls nicht etwas passiert, was Energie zuführt oder wegnimmt – wie z.B. in der irdischen Stratosphäre, wo das Ozon durch die UV-Strahlung angeheizt wird und so zu einer Temperaturanomalie führt. Letztendlich ist es eine Eigenschaft von Gasen, dass diese sich enorm stark ausdehnen, wenn der mittlere Druck sich mit der Höhe verringert und dabei die Temperatur entsprechend stark abfällt.
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