Video: Paradigm Shifts mit Gummibärchen.
Der Übergang zum Galileischen oder Newtonschen Weltbild ist dann auch nicht wirklich dadurch gegeben, dass einige neue Messungen irgendwo dazukamen, ein paar Gleichungen nun erfolgreicher gelöst wurden, sondern dass innerhalb dieser meist kleinen Gruppe an Wissenschaftlern eine völlig andere Sicht auf den entsprechenden Teil der Natur entsteht. Dieselben Dinge, Wahrnehmungen und Messungen ändern ihren Ort, ihre Bedeutung und ihre Wichtigkeit. Was zuvor im “alten System” ein nicht richtig verstandenes Detail war, mag im Rahmen der neuen Paradigmata ein zentrales Phänomen werden und umgekehrt.
Doch warum änderten denn nun die Wissenschaftler ihre Paradigmata? Warum vollzogen sie den berühmten “Paradigmenwechsel” ? Dieser Ausdruck ist in der Tat von Thomas Kuhn und zur Beschreibung von “dramatischen”, er nennt es, “revolutionären” Änderungen des System, innerhalb dessen Wissenschaftler arbeiten, entwickelt worden. Heute wird der Ausdruck “Paradigmenwechsel” allerdings für so gut wie alles gebraucht (Margarine statt Butter – ein Paradigmenwechsel).
War denn tatsächlich im neuen “System” alles sofort besser, klarer und genauer zu berechnen? Sind diese wissenschaftlichen Paradigmenwechsel wirklich so logisch und zwingend, wie sie es im Nachhinein scheinen? Wer wäre nicht sofort bereit zu glauben, dass ein Wechsel zum Newtonschen oder Kopernikanischen Paradigma für die Zeitgenossen ein offensichtlicher Gewinn war. Weit gefehlt und – recht betrachtet – ist das auch kaum zu erwarten. Meist übersteigt die Anzahl der ungelösten Probleme in der Wissenschaft weit das, was ein selbst voll ausgearbeitetes Paradigma zu lösen in der Lage ist. Immer gibt es unzählige Problem und Rätsel (Kuhn nennt sie “puzzles”), die ungelöst der Bearbeitung harren. Gerade ein neuer und daher noch roher Satz an Paradigmata, in dem bislang noch kaum ein Wissenschaftler gearbeitet hat, kann gar nicht sofort besser sein als das alte System, an dem vielleicht hunderte von Wissenschaftlern bereits Dekaden oder gar Jahrhundert gearbeitet haben. Was also führt zum Paradigmenwechsel?
1) Dem Wechsel geht eine Zeit der Krise voraus, in dem mehr und mehr Wissenschaftler ihr Unbehagen, ja Verzweifelung ausdrücken, dass es mit einer Reihe von Probleme (Kuhn nennt sie Anomalien) nicht weitergeht. Es entsteht ein allgemeines Gefühl der Ohnmacht und Ratlosigkeit. So schrieb Einstein etwa zur Krise, die sich vor der Formulierung der Quantenmechanik, allgemein breitgemacht hatte:” Es war, wie wenn einem der Boden unter den Füszen weggezogen worden wäre, ohne dasz sich irgendwo fester Grund zeigte, auf dem man hätte bauen können”. Oder Pauli, der ja nun deutlich näher dran war, schrieb kurz vor der Heisenbergschen Formulierung der Martizenmechanik: “Zur Zeit ist die Physik mal wieder furchtbar durcheinander. Auf jeden Fall ist sie für mich zu schwierig und ich wünschte, ich wäre Filmschauspieler oder etwas Ähnliches und hätte von der Physik nie etwas gehört.” Sicher ein bemerkenswerter Satz aus dem Mund Paulis, dem es ja nun wahrlich nicht an Selbstbewusstsein mangelte.
2) Doch dieses Gefühl der Krise ist sicher nicht genug. Es bedarf mehr. Die “Neuerer” sind häufig jung oder doch zumindest in der jeweiligen Domäne Neulinge. Sie haben meist kein Lebenswerk innerhalb des alten wissenschaftlichen Paradigmas geschaffen und haben eben nicht das alte Paradigma völlig verinnerlicht.
3) Es gibt eine ganze Reihe von eher typischen Merkmalen, was das neue Paradigma, welches von den Neuerern vorgeschlagen wurde, leisten sollte. Keines ist wirklich zwingend notwendig. Jede wissenschaftliche Revolution folgt teils individuellen Regeln und einer ganz eigenen Dynamik. Trotzdem kann man Gemeinsamkeiten finden. So sollten zumindest die “anomalen”, die Krise verursachenden Phänomene durch das neue Paradigma erklärt werden können. Aber Obacht! Meist hat das alte System durchaus irgendeine Erklärung für die Anomalien parat und meist gibt es eine Reihe von Phänomenen, die das alte Paradigma vorzüglich erklärte und das neue eben nicht. Der Gewinn und Fortschritt, der durch ein neues Paradigma erbracht wird, scheint häufig erst im Nachhinein offensichtlich. Lavoisier musste sich zu seiner Zeit gegen die sehr populäre Phlogiston Theorie der Verbrennung durchsetzen. Für sie sprach im Wesentlichen, dass Lavoisier und andere zeigen konnten, dass die Verbrennung eines Stoffes einen Bestandteil der Luft, Sauerstoff nämlich, braucht und dem ursprünglichen Stoff hinzufügt. Das Resultat der Verbrennung ist natürlich schwerer als der Ausgangsstoff. Nach der Phlogiston Theorie müsste aber umgekehrt aus ihm ein Stoff, das Phlogiston, entweicht sein, weswegen etwa über eine negative Masse des Phlogiston spekuliert wurde. Aber so viele andere Phänomene, die die Phlogiston Theorie zufriedenstellend beantworten konnte, z.B. die ganz ähnlichen Eigenschaften von Metallen – alle randvoll mit Phlogiston und daher sich ähnlich – blieben gänzlich unerklärt durch die neue Theorie vom Sauerstoff. Ein objektiver Beobachter hätte sich vielleicht auch gegen die neue Chemie wenden können, da man sich mehr Probleme einhandelte als wirklich gelöst wurden. Ähnliches gilt vielleicht auch für die Einführung der Quantenmechanik.
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