Ich habe mich mal entschlossen, hier zum Thema der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung und ihrer Forderung nach einer Abstimmung am 9. November zu schreiben. Zum einen bin ich relativ nah dran (also ein Pseudoexperte), und zum anderen zeigt die öffentliche Diskussion in Katalonien mittlerweile alle Anzeichen eines durchdrehenden Nationalismus, von dem wir ja in letzter Zeit ein ziemlich dolles Revival erleben dürfen. Ausgerechnet zum 100ersten Jubiläumsjahr des ersten Weltkriegs feiert die Nation (im Gegensatz zur verfassungsorientierten Staatsidee) eine fröhliche und eigentlich unerwartete Wiederkehr. So gibt es starke nationale Bewegungen in Schottland, dem spanischen Baskenland, Katalonien, Südtirol und dem flämischen Teil Belgiens. Auf dem Balkan hat natürlich traditionell jedes Dorf mit mehr als zwei Einwohnern eine eigene Sprache, Kultur und Geschichte, die völlig inkommensurabel mit jedwedem überregionalem Staat ist (siehe Ostukraine und Krim). Ich jedenfalls lese in deutschen Blättern immer eine große Sympathie heraus, wenn da mal wieder einer oder eine sagt, “er/sie sei Schotte, Baske, Katalane oder Russe. Wie könne man da nur erwarten, dass man mit den Anderen in einem Staate zusammenleben könnte.” Was also geht gerade in Katalonien vor?
In dem innerspanischen Konflikt zwischen Katalanen und der Zentralregierung findet man altbekannte Argumentationsstränge und Bilder von Nation und Kulturgemeinschaft, die man schon für längst erledigt gehalten hatte. Es fehlt noch wenig, sich auch noch auf die “Rasse” zu berufen, um sein Streben nach einem unabhängigen Staate zu begründen (bei den ebenfalls im “Unabhängigkeitskampf” stehenden Basken kommt allerdings auch das vor). Sonst ist aber schon wieder alles da, wovon man sich vor langem meinte verabschiedet zu haben.
Ein wenig Geschichte und Hintergrund zu Katalonien: Im heutigen Sinne “unabhängig” war Katalonien nie. Seit der Heirat (1469) der “reyes catholicos”, Ferdinand II (der König von Aragonien war, also eines deutlich grösseren Gebiets als das heutige Katalonien), und Isabella, Königin von Castilla-Leon, gehörte die Region Katalonien zur spanischen Krone. Natürlich macht die Anwendung des heutigen Nationenbegriff auf diese Zeit ohnehin wenig Sinn, aber immerhin hatte die Handelsregion Katalonien und vor allem das ökonomisch starke Barcelona zwischen dem Ende des Mittelalters und dem Barock eine relative Verwaltungsunabhängigkeit in vielen Fragen. Das sollte sich aber 1714 ändern.
Dank heftig betriebenem Inzests über mehrere Generationen, bei dem am laufenden Band 12-jährige Nichten ersten Grades geheiratet wurden, brachten es die Habsburger des spanischen Königshauses schliesslich zur Selbstauslöschung (inbreeding factor 0.254. Die Bilder des Sevillaners Velazquez und von Juan de Miranda vom spanischen Königshof kann man fast als eine Studie zum Thema ansehen.) und erlaubten so den Weg frei zu machen für den 13-jährigen spanischen Erbfolgekrieg. Nach dem Tod des kinderlos gebliebenen Karls II kam es europaweit zu langjährigen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der Habsburger und der Bourbonen, die schlimmsten übrigens in Bayern und den Niederlanden, nicht in Spanien. Katalonien setzte mehrheitlich aufs falsche Pferd, eben auf die österreichischen Habsburger.
Nach der Machtübernahme des Bourbonen Philipps V gab es die zu dieser Zeit üblichen Strafmassnahmen. Wir befinden uns im Jahre 1713 noch in der Nähe des dreissigjährigen Krieges und gemessen daran lief diese “Bestrafung” Kataloniens mit dem Verlust einiger Handels- und Verwaltungsrechte und der Abschaffung der Cortes sehr, sehr gemässigt ab. Ein Teil Kataloniens, nämlich die Region um Perpignan ging an Frankreich. Das zum Ende der Nachfolgekriege (1713-1714) existierende Fürstentum Katalonien hatte sowenig wie alle anderen mehr oder minder unabhängigen Fürstentümer und Königreiche dieser Zeit etwas mit der aus dem 19ten Jhd. stammenden Idee einer Nation zu tun. Tatsächlich spiegelte der Krieg Philips V gegen Katalonien zum Teil einen Konflikt innerhalb des katalonischen Adels und Bürgertums wieder und mit Sicherheit eben nicht einen Konflikt zwischen Spanien und einer Unabhängigkeit ersehnenden Nation Katalonien wieder (hier Resultate einer ausführlichen Konferenz zum Thema). Seit dieser Zeit also ist Katalonien eine der “regiones autonomas” Spaniens (heute gibt es 17 davon und sie sind in etwa vergleichbar mit den deutschen Ländern), wobei Katalonien zusammen mit Galizien und dem Baskenland in der spanischen Konstitution noch einen Extrastatus als eine “autonomia historica” eingeräumt wird.
Jetzt wird man sich fragen, warum erzählt der Georg das alles? Das schert doch heute sicher keinen mehr, ob im 17ten/18ten Jhd. Teile des katalonischen Adels eher den Habsburgern oder den Bourbonen zuneigten. Und doch, genau so will es der nationale Wahn. Es gehört nämlich geradezu zum konstituierenden Element des durchdrehenden Nationalismus, sich irgendwelche historischen Ereignisse herzuhohlen und sie im gewünschten Sinne zu interpretieren: mit Opfern, einer unterdrückten Nation, dem vergossenen Blut, der immer schon kulturellen Andersartigkeit und was da sonst noch alles im Setzbaukasten des Nationalisten stecken mag. Man erinnere sich an das Geschlachte auf dem Balkan in den 1990er Jahren, was doch unter anderem allen Ernstes mit der Schlacht auf dem Amselfeld, 1448, begründet wurde . Die Schotten haben bekanntlich William Wallace und die Russen wissen ja selbstverständlich, dass Katherina die Grosse (i.e. Sophia von Anhalt-Zerbst ) die Krim für Russland erobert habe. Na, und die Katalanen haben halt 1714.
Der katalanische Feiertag ist die Diada und wird jedes Jahr am 11.9. begangen. Jede Region in Spanien hat das Recht einen Feiertag herauszupicken. Irgendwas nettes aus der Vergangenheit. Gerne auch der Geburts- oder Sterbetag eines regionalen Heiligen. Man bleibt dann länger im Bett liegen und trinkt zum Mittagessen ein Bier zuviel. Nicht so in Catalunya. In den letzten Jahren wird am Tag der Diada so ziemlich alles mobilisiert, was nationales Pathos so hervorbringen kann: Kranzniederlegung für die Opfer der Belagerung Barcelonas 1714, Menschenketten, Massenaufmärsche. Kranzniederlegungen für die Belagerung von 1714: Das muss man sich mal vorstellen! Schon der erste Weltkrieg ist heute soweit historisiert, dass kaum noch jemand sich zu irgendeiner Gedächtnisveranstaltung hinschleppen mag, selbst Politiker nicht. Aber Katalonien gedenkt allen Ernstes der gefallenen Söhne und Töchter einer eher zweitrangigen Schlacht im Rahmen eines Ringens zwischen Habsburgern und Bourbonen und um 17:14 Uhr stehen dann tatsächlich alle Maschinen still und es wird eine regionalweite Schweigeminute eingelenkt.
Nach Auskunft der Veranstalter bildeten 1.8 Millionen Menschen ein riesiges V in den Strassen Barcelonas, Symbol der Forderung endlich über ihre Freiheit abstimmen zu können. Sie haben sich also alle entweder ein rotes oder gelbes T-Shirt angezogen und sich dann stundenlang in die Mittelmeersonne gestellt, damit ein Hubschrauber diese Fotos (siehe Bild 1) machen kann. In der Großregion Barcelona leben insgesamt 3.6 Millionen Einwohner, was bedeutet, wenn denn die Zahlen ungefähr stimmen, dass sich praktisch jeder, der sich überhaupt irgendwie ins Zentrum der Stadt schleppen konnte, das auch tatsächlich getan hat. Gebt uns endlich Freiheit! Und dieser verzweifelte millionenfache Schrei erschallt also nicht etwa in Tibet, in Kurdistan oder meinethalben im Donezk-Becken (alles Beispiele, bei denen die Zentralmacht ganz kräftig ausgeteilt hat, um Unabhängigkeitsbestrebungen zu deckeln), sondern im politisch doch eher gemütlich zwischen Sozialdemokratie und Konservativen hin- und heroszillierendem Spanien. Als müssten sie die tausenden weggesperrten und gefolterten katalanischen Unabhängigkeitskämpfer befreien, die da in spanischen Kerkern vor sich hinrotten. Eine groteskes Missverhältnis zwischen emotionalem Aufruhr und dem eigentlichen Agieren des “spanischen Okupators”.
Doch die Liste der Absurditäten ist noch viel länger. Bei jeder Gelegenheit betont die katalanische Unabhängigkeitsbewegung, dass sie ein freies Katalonien in Europa wollen. Andererseits ist das ökonomische Hauptargument stets: España nos roba! Spanien bestiehlt uns. Will heissen, dass der spanische Länderfinanzausgleich der Region Katalonien stets zu wenig von den katalanischen Steuereinnahmen zurückgebe. Mit anderen Worten, sie beklagen sich, dass Geld aus dem ökonomisch starken Katalonien in ärmere Regionen innerhalb Spaniens fliesse. Mal von der lebhaften Diskussion abgesehen, ob das überhaupt stimmt: Feel the Irony! Das endlich freie Katalonien möchte in die Europäische Gemeinschaft eintreten, damit sie nicht mehr den eigenen Wohlstand mit ökonomischen schwächeren Regionen teilen müssen. Welcome in Europe!
Noch besser: Selbst die katalanische Linke macht bei dieser “Jeder für sich und für uns das Meiste!” Politik mit. Irgendwann soll ja die international Solidarität ein Markenzeichen der Linken gewesen sein. Jetzt aber gibt es eben mal wieder keine Parteien mehr, sondern nur noch Katalanen. Die Unterschiede zwischen den politischen Programmen der konservativ-wirtschaftliberalen CIU in Katalonien und ihrem restspanischen Gegenstück, der PP, sind marginal. Längst hätten sie ineinander übergehen oder doch zumindest permanent koalieren müssen. Der einzige Unterschied ist die Frage der nationalen Unabhängigkeit Kataloniens. Der Wegfall des Politischen ist ein weiteres sicheres Kennzeichen der Auswirkungen des nationalen Wahns.
Ein bisschen Marxismus gefällig? Bestimmt auch das katalanische Sein das katalanische Bewusstsein? Während jahrzehntelang der Unabhängigkeitswunsch der Katalanen eher unterschwellig und wie eine Spielkarte aus dem Ärmel gezogen wurde, um der Regionalregierung bei den Finanzverhandlungen mit den anderen Regionen ein paar Extra-Argumente zu liefern, wurde es ab 2010 so richtig ernst. Alle größeren Regionalparteien Kataloniens schwenkten vollständig auf Unabhängigkeitskurs um. Just zu einem Zeitpunkt, als durch den Zusammenbruch des Bankensektors und des Immobilienmarkts die Schulden der Region Katalonien ins Astronomische schiessen. Tatsächlich ist Katalonien zusammen mit der comunidad Valenciana die meist verschuldete von ganz Spanien. Wie sollte man das den Katalanen erklären? Die Unabhängigkeitsforderung liefert das ideale Deckmäntelchen und eigene Misswirtschaft kann natürlich zuverlässig ausgeschlossen werden.
Natürlich kann eine Abspaltung und Gründung einer neuen Nation nicht nur mit einem schlecht funktionierenden Länderfinanzausgleich begründet werden. Der wichtigste Treibsatz der Nation ist immer Kitsch. Eine völlg andere Mentalität, andere Kultur und am besten gleich andere Rasse macht das Zusammenleben mit den anderen eben unmöglich. Lange Zeit war der Katalane eben arbeitssam, von gesundem Menschenverstand geprägt und vor allem nicht von der spanischen Politkrankheit der Korruption befallen. Lange Zeit. Bis dann jetzt herauskam, dass der langjährige Chef der Regionalregierung (satte 23 Jahre!) und Mentor der Unabhängigkeitsbewegung Jordi Pujol Konten in so ziemlich jedem Steuerparadies der Welt unterhielt. Sein Vermögen wird auf mehr als 100 Millionen Euro geschätzt. Das Geld wurde teils kofferweise von seinen Söhnen nach Andorra und anderswo geschafft. 100 Millionen? Nicht schlecht gespart für das Gehalt eines Ministerpräsidenten einer Region von 8 Millionen Menschen, also ungefähr der Bevölkerung Niedersachsens. Da kann sich der ehemalige Ministerpräsident Niedersachens, Christian Wulff, mit seiner dann doch nicht erfolgten Vorteilsnahme von 750 Euro aber mal ein Beispiel dran nehmen. Soweit also mal zu der Hoffnung, dass man per Nation reale Probleme wie Korruption einfach so lösen kann (hier etwa behauptet der schottische Nationalist, und in Florida (!) wohnhafte Trainspotting Regisseur Irvine Welsh genau den gleichen Käse für Schottland. Sind wir erstmal unter uns gibt es keine Korruption mehr!).
Aber wie sieht es denn mit der kulturellen Autarkie Kataloniens aus? Dürfen Sie denn wenigstens ihre eigene Sprache sprechen oder wird diese etwa durch ein zentralstaatliches Schulsystem unterdrückt und gegängelt? Das Gegenteil ist der Fall. Mittlerweile gibt es schon dutzende Klagen von Eltern, die versuchen ihr verfassungsgemäß garantiertes Recht durchzusetzen, dass wenigstens noch 25% des Unterrichts in Castellano erfolgen sollte. Ansonsten erfolgt der gesamte Schulunterricht in Katalanisch. Wobei man sich eigentlich fragen sollte, warum nicht auch katalanischstämmige Eltern der Meinung sein sollten, dass es für ihre kleinen Racker ganz gut wäre, auch anständig Castellano zu lernen (ca. 350 Millionen native speaker). Aber nein, 100% Katalanisch soll es sein (rund 8 Millionen Muttersprachler) und dafür braucht man halt die Unabhängigkeit.
Die ideologische Basis aller aktuellen Unabhängigkeitsbewegungen ist Kitsch. Ihre Ökonomie ist ein Desaster (siehe etwa hier im Economist die wahrscheinlichen Folgen eines schottischen Ausstritt aus dem UK). Ihr Erfolg ist eine Art “Heim-zu-Uns-Reaktion” auf Globalisierungsängste. Europas Grenzen aber sind gewissermaszen erstarrte Geschichte. Jede einzelne wurden mit Bergen von Leichen zementiert. Wer ohne Not an diesen Grenzen rüttelt, hat nichts aus der Geschichte gelernt.
PS Hier noch eine ZDF Dokumentation zu Pep Guardiola und seinem Unabhängigkeitseifer.
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