Ein paar Worte vorweg. Ich halte Kernkraft für eine von mehreren realistischen Optionen, Energie zu produzieren und dabei die globalen Treibhausgasemissionen herunterzufahren. In absolut allen IPCC Szenarien, die die energetische Zukunft des Planeten durchspielen und von denen genau das die meisten versuchen (eben weniger Treibhausgasemissionen), spielt die Kernkraft eine mehr oder minder große Rolle. Ich glaube aber auch, daß in Deutschland das Thema in jeder Hinsicht durch ist. Es wird in Kürze in Deutschland keine weitere Nutzung der Kernkraft mehr geben, und da Deutschland als Kontinentaleuropas Hegemon immer auch ein bisschen den Ton in solch prinzipiellen Fragen angibt, könnte das langfristig durchaus ähnliche Konsequenzen für den Rest Europas haben. Die meisten Deutschen, mit denen ich mal darüber rede, haben schlicht ihre Meinung dazu gemacht und somit ist das Thema demokratisch entschieden.
Ich bin also gewiss kein glühender Anhänger der Kernkraft, bedaure aber, dass meines Erachtens ohne Not Europa sich einer möglichen Technik entledigt hat, die doch genauso noch Entwicklungsmöglichkeiten hinsichtich Effizienz und Sicherheit hat wie etwa die bislang noch so teure Photovoltaik. Jede Technik hat ihre Risiken und die Kernkraft schliesst bei einem Vergleich nachwievor, also trotz Tschernobyl und Fukushima, ziemlich gut ab (siehe etwa hier Seite 35 Der Report ist allerdings vor Fukushima erstellt). Das ist es aber auch schon. Eine Option weniger, Schwamm drüber.
Hier geht es mir eigentlich nur zum wiederholten Male (siehe meine Beiträge von damals 2011 hier) darum, auf die völlig meschugge Berichterstattung zum Tohuko Beben und nachfolgendem Tsunami in Deutschland hinzuweisen, zu einer Berichterstattung, die wohl selbst nicht mehr weiss, was der Unterschied zwischen einem Reaktorunfall und einem Seebeben ist und wie die beiden kausal zusammenhängen. Ungefähr 19000 Menschen kamen bei den vom Tsunami verursachten Überschwemmungen ums Leben und ganze Landstriche wurden verwüstet. Nach allen nur erdenkbaren Kriterien handelte es sich um eine der größten Naturkatastrophen im noch jungen Millenium. Hier ist aber was ich über Google zum traurigen Jubiläum (11.3) von Tohuko bei Spiegel.online und sueddeutsche an Artikeln in der letzten Woche gefunden habe, und zwar mit den Suchwörtern “Tsunami Japan”. Die Antwort ist: es handelte sich in Wirklichkeit um eine Nuklearkatastrophe. Oder noch klarer: Tsunami+Japan=Fukushima^3
Wie informierte Leser sicher wissen, ist in Fukushima ein Arbeiter in direkter Folge des Tsunamis ertrunken. Mehrere Arbeiter wurden während der Aufräum- und Sicherungsarbeiten sehr hohen Dosen (mehrere 100 mSv) ausgesetzt. Von diesen ist bislang, soweit ich das ergoogeln konnte, einer an Leukämie erkrankt, drei weitere an nicht näher genannten Krankheiten, die mit der radioaktiven Strahlung, der sie ausgesetzt waren, im Zusammenhang stehen könnten. Wiki meldet bei der Gesamtzahl der Opfer von Fukushima ca. 600 Fälle, die mit der Evakuierung der Zone um den Reaktor zu tun haben. Insbesondere sind unter den über 100.000 Evakuierten erhöhte Selbstmordraten zu verzeichnen, wobei ich nicht weiss, wie es denn den Personen ergangen ist, die in den übrigen zerstörten Gebieten ebenfalls ihr Haus und Heimat verloren haben.
Allerdings ging vor einiger Zeit die Information um, die Schilddrüsenkrebsraten seien in der letzten Zeit rund um Fukushima stark angestiegen (600 Fälle in einer Millionen statt der normalen 2-3). Gibt es also doch schon erste Zeichen massiver gesundheitlicher Schäden? Wie hier in Science oder auch hier Sarah Fellon zeigen, sind die erhöhten Raten zu allererst Mal die Folge des enormen prophyaktischen Aufwands, den die japanische Regierung in der Gegend um Fukushima betreibt. Die neuesten, fancy Ultraschallmessungen wurden vorgefahren und in ungewöhnlich häufigen Prophylaxemessungen genutzt. Es stellte sich heraus, daß, nutzt man diese Apparate in gleicher Häufigkeit im restlichen, “nicht-kontaminierten” Japan, man irgendwo zwischen 300 bis 1300 pro Millionen verdächtiger Fälle landet, mal ein bisschen weniger, mal sogar mehr als in Fukushima. Je mehr man also detailliert und mit bester Technik nachschaut, umso mehr Tumore aller Art findet man. Ein grundsätzliches Dilemma der Vorsorgemedizin. Angesichts all dessen ist es natürlich schwer, Schlussfolgerungen für die Region um Fukushima zu ziehen.
Für die wirklich langfristigen Konsequenzen (Krebsbildung in zwischen 5 und 20 Jahren auf globaler Skala) benutzen die Nuklearmediziner das sogenannte LNT Modell, was im wesentlichen von den Fällen intensiver und gut bekannter Strahlungsbelastung und deren Folgen auf die Fälle sehr niedriger Dosen extrapoliert. Sie kommen damit in den Dekaden nach Fukushima auf eine Zahl von zusätlichen 15-1100 tödlichen Krebserkrankungen (also nicht 1500, sondern tatsächlich fünfzehn). Offensichtlich eine Zahl, die mit großen Unsicherheiten behaftet ist und weder für den Minimal- noch für den Maximalfall irgendwie im Rauschen von Millionen Krebserkrankungen jährlich direkt nachzuweisen ist.
Die führende, britische Strahlenmedizinerin Geraldine Thomas setzt sich daher mittlerweile vehement für eine Rückkehr der meisten Menschen in ihre Häuser ein. Sie schätzt die Folgen der erhöhten Strahlung in fast unmittelbarer Nähe des Unfallorts geringer ein als die psychologischen Folgen der Zwangsumsiedlung insbesondere der älteren Einwohner der geräumten Zone.
“The radiation has not been the disaster. It’s our response to the radiation, our fear that we’ve projected on to others, to say this is really dangerous. It isn’t really dangerous and there are plenty of places in the world where you would live with background radiation of at least this level.”
Vor dem ehemaligen Haus einer der Betroffenen kommt sie auf eine jährliche Belastung von 13 millisieverts. Pro Jahr! Zum Vergleich, die Jahreshöchstdosis eines Kernkraftwerksangestellten ca. 20 mSv, einige Stellen in Cornwall kommen auf 8 mSv und (das darf ja nie fehlen) die Belastung im Weltrekordhalter Ramsar (Iran) beträgt 250 mSv.
Es sollte aber eigentlich um die deutsche Gedenktagberichterstattung gehen, ein Trauerspiel an Betroffenheitslyrik, die sich insbesondere dadurch auszeichnet, dass absolut jeder zum Thema etwas sagen darf, nur um Gottes Willen kein Wissenschaftler.
Violetta Simon (deutsche und italienische Literaturwissenschaften + Werbepsychologie) vergleicht in Bildern das Vor- und Nachher um Fukushima herum. “Heute, fünf Jahre nach der Nuklearkatastrophe, fällt die Bilanz ernüchternd aus, der Wiederaufbau in der Region kommt nur langsam voran. Was sich inzwischen verändert hat – und wie weit die Menschen von einem normalen Leben entfernt sind, zeigen diese Aufnahmen.” Das stimmt schon, mit dem Reaktorunfall haben die Bilder aber rein gar nichts zu tun (nur ein einziger Ort liegt überhaupt am Rande der Sperrzone). Sie zeigen ausnahmslos das Vor- und Nachher eines zerstörerischen Tsunamis. Ach egal, nuklear, irgendwie.
Wieland Wagner (Geschichte, Germanistik und irgendwas mit Asien) berichtet etwa in Spiegel Online , wie es Nakaoke aus Tokyo ergangen ist. Sie ist aus Tokyo, rund 400 km südlich von Fukushima, nach Kyoto geflohen. Seit der Kraftwerkskatastrophe seien ja auch in Tokyo die Strahlungswerte gestiegen und seit dieser Zeit leide Sie und ihre Familie an Schwindel, Kopfschmerzen, Erbrechen. Dies sind erstaunlicherweise alles Symptome der akuten Strahlenkrankheit, wie sie etwa bei einer Bestrahlung ab 1 Sv auftreten. Kam es zu solchen Werten in Tokyo? Ich zeigte etwa hier Werte von einer Station nahe Tokyo (Riken Institute), die damals in den Tagen des Reaktorunfalls auf Spitzenwerte von 0.1 muSv/h kam. Bliebe es also das ganze Jahr bei diesem damaligen Spitzenwert käme man auf 0.7 mSv/yr in Tokyo, was allerdings deutlich unter der natürlichen, typisch kontinentalen Hintergrundstrahlung von 2-3mSv/yr liegt. Kein Wunder, denn Tokyo liegt am Meer. Ich will mich nicht im Mindesten über Nakaoke lustig machen und habe keinerlei Grund an ihren Angaben zu zweifeln. Daß die Krankheitssymptome der jungen Frau, die jetzt in einer Ausbildung zur Mangazeichnerin (?) steht, irgendetwas mit erhöhter Strahlung in Tokyo zu tun haben, das allerdings halte ich für sehr unwahrscheinlich. Eher möglich ist es wohl, daß die Berichterstattung über Fukushima ein weiteres Opfer gefunden hat.
Wie gesagt, es gibt gute Gründe gegen Kernenergie zu sein. Ich bin angesichts der erheblichen Risiken anderer Formen der Energiegewinnung, insbesondere CO2 Emissionen durch jede Form fossiler Verbrennung, eben dafür, sie nicht aufzugeben. Alles ganz normal in einer demokratischen Gesellschaft, mit deren Entscheidung gegen jede weitere Nutzung von Kernkraft ich gut leben kann. Die eigenartige Qualität der Berichterstattung zum Thema in den führenden deutschen Medien ist allerdings besorgniserregend. Es ist wohl kein Zufall, daß die Artikel, die ich gefunden habe und die auch mal Wissenschaftler zu Wort kommen lassen oder gar wissenschaftliche Artikel zitieren, durch die Bank aus dem Ausland stammen.
Kommentare (292)