Am 23. März 1989 gab die University of Utah in einer Pressekonferenz eine Entdeckung bekannt, die bei Bestätigung die Energieprobleme der Menscheit für alle Zeiten lösen würde: In einem Versuchsaufbau, der so einfach war, das er in jedem besseren Schullabor hätte aufgebaut werden können, hatten Chemiker Hinweise auf eine unbekannte Kernreaktion bei Raumtemperatur und beträchtliche Überschusswärme[1] gefunden. Diese Nachricht schlug ein, wie eine Granate. Sie versprach nichts weniger als den Aufbruch in eine neue Ära der Menschheit – eine saubere, billige, unerschöpfliche Energiequelle. Ein Tor zur Zukunft. Ein Panacea.
Die beiden Forscher, denen das Unglaubliche gelungen war, waren Stanley Pons, Professor an der University of Utha und dessen Doktorvater Martin Fleischmann, Professor an der University of Southampton. Beide waren Elektrochemiker mit einer langen liste wissenschaftlicher Publikationen und bei ihren Fachkollegen hoch angesehen. Das waren keine Cranks, die da behaupteten, sie hätten die Kraft der Sonne in ein Becherglas gepackt – das waren Spitzenforscher mit ausgezeichnet ausgestatteten Laboratorien. Entsprechend groß war das Interesse, das ihnen von allen Seiten entgegengebracht wurde.
Allerdings zeigten sich schon nach kurzer Zeit Lücken in der Argumentation der beiden Entdecker und in ihren Experimenten. Zunächst war das Vorgehen unüblich, die Ergebnisse im Rahmen einer Pressekonferenz zu veröffentlichen und nicht in einem Fachjournal mit peer-review. Zwar wurde kurze Zeit später ein Artikel in Nature veröffentlicht, aber viele wichtige Daten wurden zurückgehalten, die Ergebnisse selbst waren nicht reproduzierbar und widersprüchlich, selbst positive Befunde passten nicht zueinander. Schon Ende 1989 war klar, dass der Traum wirklich nur ein Traum gewesen war.
Das Buch, das ich besprechen möchte – Kalte Kernfusion – Das Wunder, das nie stattfand – erzählt die Geschichte dieses Traums. Der Autor ist John Huizenga. In 1989 war er Vorsitzender des gemeinsamen Ausschusses von DOE[2] und ERAB[3] zur Untersuchung und Bewertung der Kalten Kernfusion. In seinem Buch teilt er seinen hervorragenden Überblick über alle Beteiligten, positiven und negativen Publikationen und wie sie zu bewerten sind, sowie die Gründe, warum nach einem Jahr nichts mehr von dem Wunder übrig blieb und sehr viel allgemeines Hintergrundwissen mit dem Leser. Unter allen Protagonisten der Kalten-Kernfusions-Saga gibt es wohl niemanden, auf dessen Schreibtisch so viele Einzelheiten zusammenliefen – hier schreibt wahrlich jemand mit berufener Feder.
Huizenga beginnt mit einer kurzen Einführung in die Schwierigkeiten bei der Entwicklung der kontrollierten Kernfusion, ohne zu tief in physikalische Details zu gehen. Das grundsätzliche Problem aber – die Überwindung der Coulomb-Barriere – zwischen den Protonen stellt er in ebensolcher Deutlichkeit heraus, wie die zu erwartenden Effekte – Fusionsprodukte, Strahlung, Überschusswärme – einer erfolgreichen Fusionsreaktion. Dieses Kapitel ist zum größten Teil Prosa und nur von ein paar Tabellen unterbrochen. Formeln kommen nicht vor. Der interessierte Leser erhält hier schon Hinweise darauf, warum beim Thema Kalte Kernfusion eine große Portion Skepsis angebracht ist.
Dann folgt der eigentliche Bericht von den Ereignissen des Jahres 1989. Zunächst geht Huizenga kurz auf die Ereignisse unmittelbar vor der Pressekonferenz vom 23. März ein: In den Monaten vorher hatten zwei Gruppen, nämlich Fleischmann und Pons von der University of Utah (UoU) und eine Gruppe um Steven Jones von der Brigham Young University (BYU) hinweise auf Kernfusionsprozesse bei sehr niedrigen Energien erhalten. So gleich das im ersten Moment klingt, so unterschiedlich war es in Wirklichkeit: Was Jones’ Gruppe an der BYU gelang war die Wiederentdeckung der myonenkatalysierten Kernfusion, eines wissenschaftlich außerordentlichen interessanten, aber für die Energietechnik praktischen wertlosen Prozesses. Dagegen behaupteten die Forscher von der UoU, sie hätten mit einem sehr einfachen Versuchsaufbau beträchtliche Überschusswärme erzeugt.
An dieser Stelle stellt Huizenga ausführlich beide Gruppen und ihre Ergebnisse vor und geht auf die Versuchsanordnungen und die Verschiedenheit der postulierten Kernprozesse und experimentellen Ergebnisse, sowie ihre Anwendbarkeit für die Technik ein. Er stellt an dieser Stelle schon einige Probleme mit den Ergebnissen der UoU heraus, die so erfahrene Experimentatoren wie Fleischmann und Pons sofort hätten stutzig machen müssen. Schon hier kritisiert er Geheimniskrämerei auf Seiten der UoU, sowie nicht eingehaltene Absprachen und allgemein unfeines Benehmen der beiden mutmaßlichen Entdecker.
Der folgende Abschnitt ist der eigentliche Hauptteil des Buches und behandelt die unmittelbare Zeit nach der Pressekonferenz und in welch scharfem Kontrast die Euphorie, die unter den Chemikern ausgebrochen war, zur Skepsis der Kernphysiker stand. Immer wieder spekuliert er, der selbst Chemiker war, dass die alte Rivalität der Chemiker und Physiker ein nicht zu unterschätzender Auslöser des Hypes gewesen war. Zu diesem Schluss kommt er aufgrund der Verteilung positiver und negativer Ergebnisse unter den Gruppen, die Experimente durchführten, sowie Zitaten verschiedener involvierter Personen. Als schließlich die US-Regierung und der Kongress sich mit der Kalten Kernfusion befassten, wurde von DOE und ERAB ein Ausschuss gegründet und er selbst zum Vorsitzenden berufen. Ausführlich geht er dabei auf den Auftrag des Ausschusses, seine Zusammensetzung und die Vorgehensweise ein und folgt dabei annähernd chronologisch den Veröffentlichungen von Forschern aus aller Welt. Durch das einzigartige Interesse für die Kalte Kernfusion kann er dabei praktisch ausschließlich auf die Arbeit hochkarätiger Forscher von international renommierten Instituten zurückgreifen – in diesem Sinne ist die Saga um die Kalte Kernfusion nicht nur ein Lehrstück dafür, dass gute Naturwissenschaftler auch mal mit Anlauf in die falsche Richtung springen können, sie ist auch ein Lehrstück für die den Naturwissenschaften innewohnenden Selbstheilungskräfte und wie am Ende ausschließlich das Experiment über die Wahrheit entscheidet. Anhand von vielen Beispielen liefert er die Gründe, warum der Ausschuss schon bald zu dem Ergebnis kam, dass die Behauptungen der UoU völlig haltlos waren. Anhand der Beispiele und Experimente erklärt er unter anderem die Probleme bei der exakten Messung der Überschusswärme, der Fusionsprodukte, der entstehenden ionisierenden Strahlung und vieles mehr. Am Ende des Tages war der Traum von der Unerschöpflichen Energiequelle zerplatzt und wenn man so will hat Huizenga selbst dabei die Nadel geführt.
Mit dem Ende dieser Saga endet auch das Buch. Huizenga vergleicht deren Verlauf mit den von Langmuir postulierten Kriterien für pathologische Wissenschaft, sowie den beiden damals bekanntesten Beispielen Polywasser und N-Strahlen. Dabei geht er nie so weit, einzelne Forscher oder gar Fleischmann und Pons selbst als Scharlatane zu bezeichnen, aber er stellt unmissverständlich klar, wie ungewöhnlich und eigentlich untragbar ihr Verhalten und wie verschieden ihre Behauptungen von denen Steven Jones’ waren. Diese Kapitel sind voll von unglaublichen und teilweise skurrilen Begebenheiten aus den Jahren 1989 und 1990. Besonders deutlich wird die Absurdität der ganzen Geschichte in der Chronologie der Ereignisse, mit der das eigentliche Buch schließt (die allerletzten Seiten enthalten mehrere Hundert Quellenangaben).
Kalte Kernfusion – das Wunder, das nie stattfand ist ein kenntnisreich geschriebenes, gut strukturiertes und unterhaltsames Buch, geschrieben von einem Fachmann und exzellenten Kenner der Materie. Huizenga gelingt das Kunststück, ein komplexes Thema in allgemeinverständliche Worte zu fassen und die Fülle von Informationen, Personen und Ereignissen übersichtlich zu ordnen. Auch 25 Jahre nach der Erstausgabe bietet es jedem, der sich mit dem Thema Kalte Kernfusion auseinandersetzen möchte einen ausgezeichneten Einstieg. Und auch wenn man das Thema und die immer noch unregelmäßig erscheinenden Publikationen schon etwas länger verfolgt, wird man nicht enttäuscht – ich zumindest habe eine Menge gelernt.
Das Buch steht im VLB, müsste also tatsächlich auch über den lokalen Buchladen erwerbbar sein (ich habe mein Exemplar beim Trödler erstanden). Eine Suche nach der ISBN im Internet ist aber auch alles andere als fruchtlos.
John R. Huizenga
Kalte Kernfusion – Das Wunder, das nie stattfand
Vieweg-Verlag
ISBN 3-528-06614-8
[1] Wenn eine Reaktion über ihre gesamte Laufzeit mehr Energie freisetzt als zur Aufrechterhaltung der Reaktion notwendig ist, nennt man dieses Mehr an Energie Überschusswärme. Das Vorhandensein von Überschusswärme ist ein wichtiges Kriterium für die Nutzbarmachung als Energiequelle.
[2] Department of Energy – das US-amerikanische Energieministerium
[3] Energy Research Advisory Board – ein damals ständiger Ausschuss innerhalb des DOE, beauftragt mit der Erfassung und Bewertung von Forschung und Entwicklungen in der Energietechnik
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