Heute Abend hat Theresa May, Premierministerin von Großbritannien, in einer Rede vor Presse und Öffentlichkeit einen groben Plan für den Brexit vorgestellt – insbesondere will sie sich nicht auf einen schlechten Deal mit der EU einlassen. Wenn man böse wäre, könnte man auch sagen, eine Wunschliste. Anbei ein paar unmaßgebliche Gedanken:
1. Provide certainty about the process of leaving the EU.
Ein definitives “Ja” zur Abstimmung im Parlament ist so tatsächlich noch nicht gefallen. Es macht Sinn, das Parlament über den Austritt abstimmen zu lassen.
2. Control our own laws
Es ist richtig, dass sehr viele Gesetze in den EU-Ländern Umsetzungen von EU-Richtlinien sind. So wie in Norwegen, das kein EU-Mitglied ist, aber wegen seiner engen Verflechtung zur EU jede relevante Richtlinie umsetzen muss, sofern es ist Landwirtschaft, Fischerei (Stichwort Walfang), Innen-, Justiz- und Sicherheitspolitik angeht. So wie in der Schweiz, wo sich laut der Dissertation einer Forscherin an der ETH jede dritte Gesetzesänderung der letzten 25 Jahre nach der EU richtet. Das soll nicht heißen, dass EU-Recht immer besser ist – aber, dass man sich ziemlich oft dran halten muss, wenn man mit der EU zu tun haben will. Da werden auch die Briten keine Ausnahme machen können.
3. Strengthen the Union
Wie soll das gehen, mit einer streitlustigen, der EU zugeneigten SNP, einem kriselnden Nordirland und einem Wales, das vom Brexit netto vermutlich ungünstig getroffen werden wird? Sieht es nicht ein bisschen komisch aus, die eine Union zu verlassen und dann gleichzeitig für ein Ever Closer United Kingdom zu werben (Es sieht ja hierzulande in meinen Augen auch ein bisschen komisch aus, für den Verbleib der Briten in der EU, aber den Austritt Schottlands aus dem United Kingdom zu sein)?
4. Prevent a hard border with Ireland
Wenn Großbritannien die EU verlässt, wird die Grenze zu Nordirland zu einer EU-Außengrenze. Dann ist man zumindest was das angeht wieder dort, wo man während der Troubles war – glücklicherweise aber ohne IRA. Der dann einzige Landweg nicht nur aus der EU, sondern aus dem Rest der Welt ins Vereinigte Königreich wird sicher eine Grenze ganz besonderer Art werden.
5. Controling EU-migration
Ein großer Punkt in der vorgehenden Diskussion, aber nichts, was man nicht in der EU tun könnte. Die vier Freiheiten verlangen zwar Freizügigkeit im gesamten EU-Gebiet, aber keine ungeregelte Freizügigkeit. Die EU-Freizügigkeitsrichtlinie ist komplex und enthält sowohl grundsätzlich bejahende als auch einschränkende Elemente zum Thema. Ich bin gespannt, ob ein Großbritannien außerhalb der EU Zuwanderung de facto strenger handhaben wird.
6. Protect rights for EU nationals in Britain and British nationals in the EU.
Im Moment leben 2 Millionen EU-Bürger in Großbritannien und 1 Million Briten in der EU. “Fairness means guaranteeing the rights of EU citizens already in Britain as claerly as we can” – was immer das bedeuten mag. Wäre ich EU-Bürger in Großbritannien oder umgekehrt, würde ich einen Plan B vorbereiten.
7. Protect workers’ rights
Seit vielen Jahren ist Großbritannien der Sand im Getriebe der EU, wenn es ums Arbeitsrecht geht: Arbeitszeitrichtlinie, Arbeitsschutzrichtlinie, Datenschutzrichtlinie – unter anderem. Alle nicht gerade zum Schaden von EU-Arbeitnehmern und von Großbritannien nicht eben mitgetragen. Ich glaube nicht, dass ein Vereinigtes Königreich ohne EU ausgerechnet dann das Arbeitsrecht hochhalten wird.
8. Free trade with European markets through a bold and ambitious free trade agreement with the European Union
Das ist der interessanteste Punkt: Mitgliedschaft im Binnenmarkt wird nicht mehr angestrebt. Das bedeutet nicht, dass May sich nicht etwas vergleichbares wünschen würde, denn sie möchte ja kühne und ambitionierte Freihandelsabkommen – sie sagt nur, dass das was sie anzubieten hat der Mitgliedschaft entgegensteht. Das ist ehrlich. Interessanterweise lässt sie auch ein Hintertürchen für Zahlungen an die EU für “bestimmte Programme”. Ein Schelm, wer Arges dabei denkt.
9. New trade agreements with other countries
Das Argument ist, dass Mitgliedschaft in der EU-Zollunion die Briten davon abhält, ihre eigenen Zoll- und Handelsabkommen auszuhandeln. Das hat für mich ungefähr die Qualität, der Aussage, dass Tarifverträge und die Gewerkschaften den einzelnen Arbeitnehmer daran hindern, für sich den besten Lohn auszuhandeln.
10. A deal for science and tech
Klingt immer gut, wird immer genannt, kommt immer unter die Räder. Warum sollte es hier anders sein? Insbesondere, wenn der akademische Austausch mit dem Rest von Europa zukünftig schwieriger wird.
11. Co-operation in fighting crime
War das bisher in der ganzen Diskussion wirklich ein Punkt, über den Unklarheit herrscht oder wollte man einfach eine Liste mit 12 statt 11 Punkten? Na ja, ein bisschen Zahlenmystik schadet nicht.
12. A phased agreement beyond March 2019
Das heißt wohl durch die Blume, dass März 2017 der formale Austritt bekundet wird. Es ist sicher richtig, dass es für niemanden wünschenswert ist, wenn nach dem Ende der EU-Mitgliedschaft noch viele offene Fragen in Sachen wirtschaftlicher Zusammenarbeit bestehen. Aber so sieht es nun mal wahrscheinlich aus – zwei Jahr sind eine kurze Zeit und das Werk, vor dem alle stehen ist groß. Das wird am Ende holpern. Und je länger die “Phase” der Ungewissheit dauert, desto schwieriger abzuschätzen, wann endlich Rechtssicherheit eintritt. Kein einfaches Problem.
vorläufig abschließende Gedanken
Theresa May hat mit ihrer Rede einige Unklarheiten beseitigt und ausreichend klar verkündet, wann der formale Austritt erklärt werden soll. Sie hat einiges klar gestellt, was vorher nur vermutet und diskutiert wurde. Man wird sehen, wie in den nächsten Tagen die Regierungen anderer EU-Länder darauf reagieren – ich vermute, dass man den Briten höflich, aber bestimmt mitteilen wird, dass sie sich nicht darauf einstellen sollten, die Erfüllung all ihrer Wünsche zu erleben. Auf jeden Fall hat sich das Rad damit ein Stück weiter gedreht. Bleibt abzuwarten, ob es weiter rollt.
Kommentare (13)