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Im letzten Artikel dieser Serie haben wir uns damit beschäftigt, was wir eigentlich wollen. Wir haben das Projektziel definiert und verschiedene Rahmenbedingungen geklärt, die für uns im ersten Schritt unveränderlich sind. Diese Projektphase hat je nach Organisation unterschiedliche Namen, z.B. Vorplanungsphase oder Projektstudie, aber im Grunde tut man immer das Gleiche. Wenn in den Medien erklärt wird, dass ein Unternehmen, ein Land oder eine Person dieses oder jenes zukunftsträchtige Stück Technologie plant, wie z.B. polnische Kernkraftwerke, Elon Musks Hyperloop oder den Grand Solar Plan, dann ist damit in Wirklichkeit so gut wie immer nur die Vorplanungsphase gemeint. Noch viel öfter sind es bloße Absichtserklärungen.

Industrielle Massenproduktion des verarbeitenden Gewerbes (nennt man auch den sekundären Sektor) zerfällt ganz grob in zwei Kategorien: Die Fertigungstechnik und die Prozesstechnik. Zur Fertigungstechnik gehören Betriebe, die aus Einzelteilen ein Endprodukt herstellen, wie z.B. Formteile aus Metall oder Kunststoff, Möbel, Autos, Haushaltsgeräte und Werkzeuge. Die Prozesstechnik umfasst die großen Chemieanlagen und Raffinerien, bei denen chemische Prozesse eine Rolle spielen. Die Planung von Chemieanlagen ist mein täglich Brot, deswegen beziehe ich mich vor allem auf sie. Mit etwas Phantasie lässt sich aber alles hier Gesagte auch auf die Fertigungstechnik übertragen.

Womit wir heute beginnen werden, ist die Basisplanung. Sie umfasst das grundsätzliche Layout der Anlage, ihre Leistungsmerkmale, das Betriebskonzept, sowie das Mengengerüst der zu beschaffenden Teile. Mit der Basisplanung beginnt man, wenn die Projektstudie grundsätzlich positiv ausgegangen ist und die Unternehmensleitung sich entschließt, die Anlage, die ja bisher nur als Grobe Skizze existiert, richtig planen zu lassen. Auch die Planung kann man ganz grob in zwei Kategorien trennen, um die es in diesem und im folgenden Artikel gehen wird.

 

Die Verfahrenstechnische Basisplanung

Die Verfahrenstechnische Basisplanung beginnt bei einer Chemieanlage damit, dass der Prozess, den sich die Chemiker im Labor ausgedacht haben, in einzelne Prozesschritte zerlegt und so in ein Verfahren überführt wird, das sich großtechnisch umsetzen lässt. Dazu entwirft der Verfahrenstechniker zunächst ein Verfahrensfließbild, in dem die Stofflüsse, die notwendigen Energien und Hilfsstoffe und auch schon die benötigten Apparate eingezeichnet sind. Dieser Schritt fällt für meine Gartenbewässerung natürlich sehr kurz aus. Eigentlich ist es nur ein Strich an dessen Anfang so viel wie “Zulauf Wasser” und an dessen Ende so etwas wie “Regner” steht. Deswegen habe ich als besseres das Beispiel den Link zum Verfahrensfließbild des mir sehr gut bekannten und schon über 100 Jahre alten Ostwald-Verfahrens, nach dem man heute noch Salpetersäure macht, eingefügt.

Das Verfahrensfließbild ist aber noch zu grob – man muss es verfeinern. Deswegen entwickelt sich aus ihm im nächsten Schritt das Rohrleitungs- und Instrumentenfließbild, einfach oft mit R&I oder dem englischen Ausdruck P&ID abgekürzt. Das ist das Layout der Anlage mit allen Rohrleitungen mit Nennweite, Nenndruck und Material, allen Handarmaturen, den Apparaten (Behälter, Filter, Reaktionskessel, etc.) mit Größe und Material, sowie den EMSR-Einrichtungen, also z.B. allen Mess- und Stellgeräten, Motoren und Sicherheitseinrichtungen unter Angabe des Messverfahrens und der EMSR-Aufgabe.

Während Verfahrensfließbilder für gut bekannte Prozesse kein Geheimwissen sind, gehören die zugehörigen R&I-Bilder auch nach 100 Jahren zu den wohlgehüteten Schätzen eines Unternehmens, denn aus dem R&I-Bild kann man z.B. genau herauslesen, welche Messverfahren eingesetzt werden, wie groß die Apparate sein müssen, etc. und damit im Prinzip die Anlage bauen. Deswegen kann ich auch kein R&I-Bild z.B. des Ostwald-Verfahrens zeigen. Das R&I-Bild meiner Gartenbewässerung, an der ich ja alle Rechte halte, kann ich aber ohne Weiteres hier veröffentlichen. Das Ri-Bild ähnelt einem Schaltplan. Es gibt Schaltzeichen für Armaturen und Apparate, für Pumpen und Hilfseinrichtungen, für Adapter und Verbindung, die mit durchgezogenen Linien, die die Rohre darstellen, verbunden werden.

Abb.1: Das R&I-Fließbild meiner Gartenbewässerung

Abb.1: Das R&I-Fließbild meiner Gartenbewässerung

Auf dem Fließbild gibt es aber nicht nur die Rohrleitungen und Apparate, sondern natürlich auch die Instrumente, also die Sensoren und Aktoren der Mess- und Regeltechnik. Sie bestehen aus einem kreis- oder langrundförmigen Rahmen, der unten die EMSR-Stellennummer und oben die EMSR-Aufgabe enthält. Diese besteht aus einer kryptischen Buchstabenkombination, aus der die Fachleute herauslesen können, was das Gerät macht:

YK – Erstbuchstabe Y bedeutet Stellgerät, Folgebuchstabe K und der Mittelstrich im Langrund bedeuten Binäreingriff aus zentraler Steuerung – alles zusammen heißt Von einer Steuerung geschaltetes AUF/ZU-Ventil

PI – Erstbuchstabe P bedeutet Druck, Folgebuchstabe I bedeutet analoge Anzeige, der fehlende Mittelstrich im Langrund bedeutet örtliche Funktion – alles zusammen bedeutet örtliche analoge Druckanzeige. Das ist ganz einfach ein Manometer.

EUK – Erstbuchstabe E bedeutet Elektrische Größe, Folgebuchstabe U bedeutet Zusammengesetzte Größe, was hier so viel wie Kombination aus Motor und Arbeitsmaschine heißt. Der doppelte Mittelstrich zeigt an, dass es sich um eine Funktion aus örtlichem Leitstand/örtlicher Steuerung handelt. Man muss an dieser Stelle den Unterschied zwischen Erst- und Folgebuchstaben beachten. So steht das U hier für eine zusammengesetzte Größe – in diesem Fall die Pumpe, die an einen Elektromotor angeschlossen ist – weil es als Folgebuchstabe auftaucht. Als Erstbuchstabe würde U für Komplexe Leitfunktion stehen. Alles zusammen heißt in diesem Fall von einer örtlichen Steuerung geschaltete, elektrisch angetriebene Pumpe (Die Steuerung ist ein Druckschalter in der Pumpe, der bei Druckabfall auf der Druckseite die Pumpe einschaltet, d.h. sie springt an, wenn man den Wasserhahn aufdreht).

Des Weiteren hat jede Rohrleitung eine Nummer. Man beachte, dass mit Rohrleitung hier nicht zwangsläufig nur ein Stück Rohr gemeint ist, das von A nach B führt, sondern auch eine Gesamtheit aus vielen einzelnen Rohrstücken als eine Rohrleitung mit einer Rohrleitungsnummer betrachtet wird. Das macht dann Sinn, wenn die gesamte Leitung vom gleichen Typ ist (gleiche Nennweite, Druckstufe, etc.) und die an sie angebundenen Anlagenteile verfahrenstechnisch zusammen hängen. Im R&I-Fließbild meiner Gartenbewässerung erkennt man folgende Leitungen:

  • 1.1 – Saugleitungen vom Brunnen
  • 1.2 – Rohrleitungen zu den beiden “Stationen” mit je zwei Ventilen
  • 1.3 – Messing-Leitungen der Ventilinsel
  • 1.11 bis 1.18 – Kunststoff-Rohre von der Ventilinsel zu den Regnern.

Außerdem sieht man unter den Magnetventilen der Ventilinsel noch ein Zeichen, das einem Verkehrszeichen ähnelt – ein Karo mit Mittelstrich. Dieses Zeichen bedeutet einfach Grenze. In diesem Fall werden damit die Rohrleitungen voneinander abgegrenzt.

Hier gibt es eine gute Zusammenfassung der Darstellung von EMSR-Aufgaben auf dem RI-Bild. Die genaue Ausführung ist in Normen festgelegt, z.B. der EN 62424, der immer noch weit verbreiteten DIN 19227 oder der US-amerikanischen ANSI/ISA 5.1.

Um vom Verfahrensfließbild zum R&I-Bild zu kommen, musste ich bereits einige Entscheidungen treffen, die wichtig für die spätere Detailplanung werden:

  • Festlegung auf 8 unabhängige Wasserlinien, die jeweils von einem Magnetventil gesteuert werden.
  • Zentrale Versorgung der Magnetventile über eine Zuleitung, die selbst mit einem Schlauch an die neu zu bauende Wasserstation angeschlossen werden soll.
  • Das Nummernband für die Nummerierung von Rohrleitungen und EMSR-Einrichtungen
  • Rohrleitungsmaterial und -nennweite, sowie Einbindung von Handarmaturen
  • Einbindung bestehender Anlagen – meine Gartenpumpe existiert ja.

Diese ganzen Festlegungen schneien natürlich nicht vom Himmel. Sie sind Ergebnis von vielen Stunden Nachdenken, Ideen sammeln, Skizzen zeichnen und Konzepte evaluieren – und, wenn man im Team arbeitet, Diskutieren. So hatte ich z.B. zunächst an 1/2″-Leitungen gedacht, aber bei 30 m Leitungslänge wird vielleicht der Druckverlust zu groß. Also hoch auf 3/4″. Als Material für die Verrohrung zu den Magnetventilen dachte ich zunächst an Temperguss, aber dazu passende Edelstahl-Magnetventile für Wasser sind im Vergleich zum üblichen Messing recht teuer. Und kombiniere ich eine Stahl-Leitung mit einem Messing-Magnetventil, baue ich an dieser Stelle ein galvanisches Element. Die Kombination Stahl-Messing wäre an dieser Stelle zwar zulässig, weil das unedlere Metall in Fließrichtung weiter vorne eingebaut ist, aber preislich macht Messing keinen so riesigen Unterschied bei dem, was ich vorhabe und bevor sich früher oder später der Stahl durch Elektrokorrosion doch in Wohlgefallen auflöst…also: auch die Leitungen in Messing ausführen. Oder alternativ Kunststoff-Ventile – aber die mag ich nicht (wenn man etwas oft macht, entwickelt man Instinkte. Auf die sollte man hören) und den Preisunterschied bin ich bereit zu stemmen.

Dann kommt die Frage, Ob alle Ventile in einer zentralen Ventilinsel beieinandersitzen und das Wasser von dort verteilt wird oder die Ventile direkt vor ihren Regnern sitzen, ich alle irgendwie verrohren und elektrisch anschließen, neben dem Rohr also auch noch jede Menge Kabel verlegen muss. Das ist auch eine so grundsätzliche Frage, dass man sie während der Basisplanung klären muss. Beide Möglichkeiten haben Vor- und Nachteile und in Chemieanlagen findet man je nach Bedarf beide realisiert. Für meine Gartenbewässerung muss ich mich entscheiden.

Bei einer zentralen Ventilinsel sind alle Magnetventile auf kleinem Raum angeordnet, was die Wartung und Montage vereinfacht. Außerdem kann ich sie aus Messingteilen vormontieren und dann irgendwo passend an die Wand schrauben – das sieht auch noch cool aus, wenn man darauf steht. Und die Insel zu erweitern ist ein Klacks, wenn man sie geschickt aufbaut. Dafür muss ich in meinem Garten sehr viel Kunststoff-Rohr in die Erde verlegen, denn ich muss ja jeden Regner von der Ventilinsel einzeln anfahren. Das verteuert an dieser Stelle die Beschaffungs- und Montagekosten. Die Wasserverteilung im Garten selbst ist deutlich einfacher und kostengünstiger, wenn die Ventile direkt beim Regner sitzen. Aber ist Messing dann noch das Mittel der Wahl oder sollte ich nicht doch komplett auf Kunststoff wechseln? Die Vorteile Kunststoff hin oder her: Wenn ich aus Versehen mit dem Spaten ein Ventil erwische, ist es hinüber. Außerdem ist der elektrische Anschluss sehr viel aufwändiger! Ich müsste für jede Wasserlinie ein Kabel durchs Erdreich legen und hätte bei jeder Anlagenänderung viel Mühe… Lange Rede kurz: Nach sorgfältiger Abwägung entscheide ich mich für eine Ventilinsel aus 3/4″-Messingrohr und Magnetventilen aus Messing. Von dort fahre ich die einzelnen Regner mit erdverlegbarem PE-Kunststoffrohr an.

Und so geht es weiter – noch Hundert andere Fragen. So kommt man Schritt für Schritt der Lösung näher. Von diesen ganzen Entscheidungen sieht der Außenstehende natürlich nichts. Man beachte bitte auch, dass das R&I-Bild zwar die Struktur der ganzen Anlage enthält, aber an sich noch nichts über die tatsächliche Anordnung der ganzen Rohrleitungen und Ventile in der Anlage aussagt! Es ist zwar ausreichend, um eine funktionierende Anlage irgendwie zu bauen, aber man muss den ganzen Entstehungsprozess begleitet haben, um es perfekt umzusetzen. An der Erstellung des R&I-Bildes nehmen deswegen alle Gewerke teil, nicht nur die Verfahrenstechnik. Auch die Bautechnik, die EMSR-Planung, die Feuerwehr und die EHS-Experten müssen sich einbringen und gleichwohl informiert sein. Nur wenn alle Projektbeteiligten dieselbe Sprache sprechen kommt man zum Ziel.

Das kann man auch noch mit einem anderen Beispiel verdeutlichen: Selbst, wenn eine ausreichend große Gruppe alle notwendigen Pläne und alles Material zum Bau einer Saturn-V-Rakete hätte und ihr Mittel zur Verfügung stünden, wie in der Hochzeit der US-amerikanischen Raumfahrt, würde der Bau heute deutlich länger dauern, weil keiner der Beteiligten damals bei den wichtigen Entscheidungen am Tisch saß und den Projektfortschritt verfolgen konnte.

Mit Erstellung des R&I-Bildes ist die Verfahrenstechnische Basisplanung meiner Gartenbewässerung abgeschlossen. Und ganz ehrlich: detaillierter könnte ich diese Phase auch nicht erklären. Ich bin Mess- und Regler mit einem gewissen Einblick in die Tätigkeiten der anderen Gewerke, aber eben kein Experte für Verfahrenstechnik. Fachleute hätten zur Verfahrenstechnischen Basisplanung sicher noch eine Menge mehr zu sagen.

 

Die EMSR-Basisplanung

Mit dieser Phase kenne ich mich besser aus. Und deswegen werden wir darüber auch ein bisschen ausführlicher Reden. Aber damit starten wir dann nächstes Mal.

Kommentare (3)

  1. #1 anderer Michael
    4. Mai 2017

    Das habe ich nicht verstanden. Bei der Saturnrakete saß keiner der Beteiligten bei wichtigen Entdcheidungen mit am Tisch und deswegen war die Bauzeit kürzer. Bedeutet es nun, heutzutage wird alles zerredet und verdebattiert bzw viele Köche verderben den Brei?

  2. #2 Oliver Gabath
    4. Mai 2017

    Keiner der hypothetischen heutigen Beteiligten wäre damals mit am Tisch gesessen und hätte den Projektfortschritt miterlebt. So war das “damals” zu verstehen. Wer nur anhand von Plänen die genaue Funktion von etwas so kompliziertem, wie einer Rakete oder einer Chemieanlage nachvollziehen muss, wird zwangsläufig immer wieder auf Dinge stoßen, die zunächst unverständlich sind und erst nach langem Überlegen und evtl. vielen Versuchen Sinn machen. Einfach etwas nachbauen, ohne zu verstehen, warum man dieses oder jenes macht – das ist funktioniert vielleicht gut, wenn man nur einfache Technik kopieren will oder damit leben kann, dass der Nachbau nie die Leistungsfähigkeit des Originals erreich wird. Das gilt eigentlich für alle Dinge.

  3. #3 anderer Michael
    4. Mai 2017

    Oliver
    Danke , verstanden, wenn auch beim zweiten Lesen. Bin eben etwas älter und komplizierter, da geht es nun mal langsamer. Freue mich auf die nächste Folge zum Thema.