Dabei gibt es ein Problem: Die Gefährdung durch einen Stoff ist ein statistischer Vorgang, d.h. eine Aussage à la: Der Stoff X ist in einer Konzentration von 0,1 %vol ungefährlich ist strenggenommen gar nicht wahr. Näher an der Wahrheit wäre: Der Stoff X hat in einer Konzentration von bis zu 0,1 %vol bei weniger als 0,13 % der Versuchstiere signifikante Reaktionen hervorgerufen.
Gefährdungen haben etwas mit dem Risiko zu tun, definiert als Produkt aus Schadensausmaß und Schadenseintritts-Wahrscheinlichkeit. Da das Risiko ein Spiel mit Wahrscheinlichkeiten und Abschätzungen ist, enthält es eine Komponente fundamentaler Unsicherheit. Ein Grenzwert ist aber schwarz/weiß – er ist entweder verletzt oder nicht verletzt. Dazwischen gibt es nichts.
Um diesem Umstand Rechnung zu tragen und die fundamentale Unsicherheit statistischer Vorgänge zumindest in eine praktisch handhabbare Form zu bringen, werden die Grenwerte unter Berücksichtigung eines Sicherheitsfaktors, gängiger wese in der Größenordnung von 100, festgelegt. Das bedeutet, dass eine Stoffkonzentration in Höhe des Grenzwertes multipliziert mit 100 gerade so die Schwelle erreicht, bei der sich im Tierversuch die ersten Reaktionen gezeigt haben. Der Grenzwert für den Stoff in unserem Beispiel würde also bei 0,001 %vol festgelegt – 10 ml/m³.
Dieser Wert muss bei Routinekontrollen sicher detektiert werden können und das ist unter Umständen gar nicht so einfach, denn je nach Einsatzgebiet und Anforderung werden besondere Anforderungen an die Messtechnik, vor allem die verwendeten Analysengeräte gestellt. Vereinfacht ausgedrückt gibt es zur Konzentrationsmessung zwei Klassen von Analysengeräten, die man Labor- und Betriebsmessgeräte nennen könnte.
Labormessgeräte sind genauer und haben eine höhere Auflösung, dafür reagieren sie empfindlicher auf die Umgebungsbedingungen (Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Vibration, etc) und die Aufbereitung der Probe. Beispiele dafür sind Gaschromatographen und Massenspektrometer. Im Labor werden für gewöhnlich diskontinuierlich gezogene Proben gemessen. Betriebsmessgeräte sind nicht so genau, aber dafür robuster. Sie sind oft für kontinuierlichen Einsatz vorgesehen, z.B. Gaswarngeräte oder pH-Messungen oder die Luftmessungen in den Innenstädten.
Eskalierendes Grenzwertkonzept
Die Erfahrung lehrt, dass es nicht zweckmäßig ist, für die Konzentration eines potentiell gefährlichen Stoffes nur einen einzelnen Grenzwert festzulegen.
Im einfachsten und am häufigsten zu findenden Fall werden zwei Grenzwerte festgelegt – ein niedriger, bei dem zunächst nur alarmiert wird und ein hoher, bei dem Maßnahmen ergriffen werden. In Rheinland-Pfalz heißt der erste Grenzwert Informationsschwelle, bei deren Überschreiten das Landesamt für Umwelt die Bevölkerung informiert. Wichtig ist, dass zu diesem Zeitpunkt noch keine Gefährdung für Mensch und Umwelt ausgeht! Das Überschreiten der Informationsschwelle bedeutet eine Abweichung von der Norm in einer Größenordnung, die nicht mehr durch zufällige Schwankungen erklärt werden kann, die also eine nachvollziehbare Ursache haben muss. Wenn das passiert, wissen die Verantwortlichen, dass sie die Messwerte und besonders die Tendenz (steigt oder fällt der Messwert mit der Zeit?) besonders gut im Auge behalten müssen. Gleichzeitig können sie schon mögliche Ursachen abklopfen: Gab es einen Störfall in einem Unternehmen oder eine andere Katastrophe, z.B. einen Unfall mit Gefahrstoffen oder einen Großbrand? Ist es ein Terroranschlag? Oder hat es gar eine natürliche Ursache?
Erst wenn ein zweiter Wert, der in Rheinland-Pfalz Alarmschwelle heißt überschritten wurde werden Maßnahmen getroffen. Diese können kurz- oder langfristige Auswirkungen haben: Aus meiner Kindheit sind mir noch deutlich die regelmäßigen Fahrverbote im Hochsommer erinnerlich, wenn über einer heißen Landstraße ein feiner aber deutlich wahrnehmbarer Ozongeruch lag. Heute sind Ozonwarnungen eher selten (nebenbei ein Zeichen dafür, wie viel besser die allgemeine Luftqualität im Vergleich zu vor 25 Jahren ist), dafür rückten Feinstaub und Stickoxide in den Vordergrund. Zum Schutz der Bevölkerung wurden in vielen Städten mittlerweile Umweltzonen eingerichtet, in denen nur noch Autos zugelassen sind, die einen bestimmten Schadstoffausstoß unterschreiten. Ein zeitlich begrenztes Fahrverbot ist eine kurzfristige Maßnahme, eine Erweiterung der Umweltzone eine langfristige. Das Überschreiten der Alarmschwelle bedeutet immer noch nicht, dass jetzt zwingend eine Gefährdung vorliegt! Es bedeutet aber, dass jetzt gehandelt werden muss, damit es gar nicht erst so weit kommt!
Kommentare (18)