Vor ein paar Tagen war der 1. Geburtstag von Quo Vadis und wenn ich auch zurzeit nicht viel Zeit zum Schreiben habe, möchte ich dieses Ereignis doch nicht ganz unkommentiert lassen. Im Letzten Jahr habe ich hier rund 30 Beiträge veröffentlicht, die eine oder interessante Diskussion angeregt und bin mit vielen tollen Rückmeldungen belohnt worden. Wir kennen uns ja jetzt schon ein bisschen und deswegen können wir so langsam über ein paar eher nicht so eindeutige Themen diskutieren, die das Gebiet der Technik tangieren.

Wenn ich sage, dass ich der Meinung bin, Technik sei eine Glaubensfrage, dann ist das eine provokante These. Techniker haben es normalerweise nicht so mit dem Glauben – von religiösen Dingen vielleicht abgesehen. Maschinen hält nicht der Glaube am Laufen, sondern die naturwissenschaftlichen Prinzipien, auf deren Grundlage sie entwickelt wurden. Wenn ich also von Technik als einer Glaubensfrage spreche, dann kann ich nicht die Funktion von Maschinen und die ihnen zugrunde liegenden Naturgesetze meinen.

Die Naturwissenschaften beschäftigen sich mit einer Natur, deren Gesetzmäßigkeiten keinen Willensentscheidungen unterliegen, sondern die in erster Näherung einfach so sind, weil sie so sind. Naturgesetze sind nicht abhängig davon, wie viel wir über sie herausfinden. Die Frage, Warum die Natur so ist, wie sie ist, lässt sich letzten Endes nicht sinnvoll beantworten.

Alle Dinge, die wir bauen wollen, um uns das Leben einfacher zu machen sind praktische Anwendungen gewisser theoretischer Vorstellungen, die man von der Natur hat und die sich formal in den Naturgesetzen wiederspiegeln. Das ist gewissermaßen ein Vorteil der Naturwissenschaften – es existiert tatsächlich eine mit absoluter Wahrheit ausgestattete Stelle – eben die Natur selbst – deren “Entscheidungen” nicht davon abhängen, was wir davon halten, die unter gleichen Bedingungen immer gleich sind, und nach denen wir uns immer richten müssen.

Naturgesetze sagen uns etwas über bestimmte Effekte, die unter bestimmten Bedingungen auftreten – die praktische Anwendung dieser Effekte, das ist Technik. Die Naturgesetze stecken einen Rahmen des absolut Möglichen ab, in dessen Grenzen wir uns bewegen müssen, innerhalb desselben wir aber völlige Handlungsfreiheit genießen. Niemand sagt uns, wie genau wir Dinge tun sollen, so lange wir dabei keine Naturgesetze verletzen. Beim Weg vom Naturgesetz zur technischen Anwendung spielen aber noch andere Schritte eine Rolle. Damit nähern wir uns dem Gegenstand meiner oben gemachten These, Technik sei eine Glaubensfrage.

Der Umgang mit der Technik, die Art, wie wir Dinge tun, hängt nicht so sehr von der grundsätzlichen Machbarkeit eines technischen Systems ab – die ist Grundvoraussetzung, dass wir als Gesellschaft oder jeder von uns als Privatperson uns überhaupt Gedanken über ein Für und Wider ihres Einsatzes machen können. Mindestens genauso wichtig ist eine – wieder private oder gesellschaftliche – Übereinkunft darüber, ob das technische System als sinnvoll oder nicht sinnvoll bewertet wird; oder wenn man manichäische Weltbilder bevorzugt, als gut oder böse.

Und an diesem Punkt tun sich Abgründe auf.

In der Geschichte der Menschheit gibt es einige Erfindungen und Entdeckungen, die in meinen Augen so überragend positive Auswirkungen für das Leben der Menschen hatten, dass man ihrem Einsatz nach reiflicher Abwägung der Vor- und Nachteile nicht mehr sinnvoll widersprechen kann. Aber natürlich kann – und in einer demokratischen Gesellschaft muss – sowohl über das Ob als auch dessen konkrete Ausgestaltung diskutiert werden. Die konkrete Entscheidung für einen Weg führt dann, ganz wertneutral gesprochen, zu Konsequenzen. Ein Beispiel dafür ist der gesellschaftliche Umgang mit selbstfahrenden Autos.

Es gibt überschaubar viele Pilotprojekte und die Aufmerksamkeit von Gegnern und Befürwortern ist erfahrungsgemäß nicht gleichmäßig über alle Vor- und Nachteile bzw. guten und schlechten Erfahrungen verteilt. Selbstfahrende Autos sind ein gutes Beispiel dafür, wie schwierig die Bewertung eines technischen Systems ist und von welchen persönlichen Abwägungen sie abhängt. Befürworter neigen dazu, nur die Chancen und Möglichkeiten zu sehen bzw. das global niedrigere Unfallrisiko, während Gegner vor allem die einzelnen Unfälle im Fokus haben.

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Kommentare (25)

  1. #1 Dr. Webbaer
    6. Dezember 2017

    Ein angenehm zu lesender Text, weiterhin viel Erfolg, Herr Gabath!
    Und natürlich Glückwunsch zum Einjährigen.
    Zwei ganz kleine Anmerkungen :
    Der sogenannte Atomausstieg der BRD müsste falsch gewesen sein, auch in Anbetracht des auch von Menschen verursachten Klimawandels, und war womöglich tagespolitischen Moden geschuldet, womöglich auch dem opportunistischen Denken – und Polemik ist oft auch gut, weil hilfreich, denn die Zuspitzung ist dies oft, auch politisch.
    Dies hängt damit zusammen, dass alles Wissen Träger benötigt, die oft Personen sind, es liegt technisch zwischen Wissen und Träger eine n:m-Beziehung vor, was es oft attraktiv erscheinen lässt auch die Träger, falls möglich, ein wenig persönlich anzufragen und zu hinterfragen.
    MFG
    Dr. Webbaer (der jetzt allerdings auch nicht so-o in Streitkunst macht, gerne auch Datenlagen sprechen lässt)

  2. #2 Volker Birk
    https://blog.fdik.org
    6. Dezember 2017

    Welchen Vorteil haben Elektroautos gegenüber einem gut ausgebauten Netz von öffentlichen Verkehrsmitteln? Soweit ich sehen kann: keine. Sie stellen vielmehr die Fortführung der Resourcenverschwendung dar, wie wir sie im Ölzeitalter erleben.

    Es gibt keinen Sinn, eine Tonne Plastik und Stahl durch die Gegend zu schieben, um eine einzelne Person zu transportieren. Auch Eletromotoren in PKW werden nichts daran ändern, dass das Konzept PKW ein Irrweg ist.

  3. #3 Dr. Webbaer
    6. Dezember 2017

    Herr Birk, der öffentliche Nahverkehr oder privatwirtschaftliches Substitut deckt halt nicht alle individuellen Anforderungslagen, Zeit und Ort meinend, bei der individuellen Beförderung ab.
    Insofern muss es Autos oder ähnliches motorisiertes Gerät geben, in einer freien Gesellschaft, anderswo natürlich nicht.
    Zudem sind die Energie-Ressourcen weit verfügbar, sie müssen nur entwickelt und genutzt werden.
    Das Energiesparen an sich stellt keinen Wert da, sofern nicht ökologistisch gedacht wird, durchaus den Ökologismus meinend negativ konnotiert diese Anmerkung.

    Herr Gabath war doch so freundlich einerseits die Risiken und Vorteile selbstfahrender Autos ein wenig zu behandeln und andererseits, neben den hier zwingend gesellschaftlich zu bearbeitenden sittlichen Fragen, den Diskurs selbst als Wert herauszustellen.

    Das ‘Konzept PKW’ scheint zuvörderst für Sie ein Problem und ablehnenswert zu sein, für andere nicht notwendigerweise.
    Insofern muss geredet werden.

    MFG
    Dr. Webbaer

  4. #4 Dr. Webbaer
    6. Dezember 2017

    Bonuskommentar hierzu :

    Ist es ethisch vertretbar, den Tod eines unschuldigen Menschen zu verursachen, wenn ich dafür zwei unschuldige Menschen rette?

    Sie stellen dankenswerterweise gleich die zentrale sittliche Frage, Herr Gabath, die nicht einfach zu beantworten ist.
    Sicherlich könnten selbstfahrende Autos die Verkehrsrisiken verkleinern, aber was wäre, wenn das “Gerät” (um nichts anderes handelt es sich) entscheidet?
    Weil das Gerät nicht strafrechtlich belangt werden kann, blieben die Hersteller im rechtlichen Fokus, aber auch die sind moralisch schwer angreifbar; Dr. Webbaer geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass “Selbstfahrende Autos” einer gesetzlichen, einer staatlichen Kontrolle bedürfen, der Staat muss sozusagen in der Software sitzen, anders geht es nicht.

    Wie derartige sittliche Probleme gar nicht bearbeitet werden können, stellt, leider, der Schreiber dieser Zeilen ist selbst strenger Liberaler, der Alt-Liberale Gerhard Baum hier bereit :

    -> https://www.abendblatt.de/kultur-live/tv-und-medien/article208440559/Ex-Minister-Baum-kritisiert-ARD-Film-Terror-Ihr-Urteil.html (‘Die Würde des Menschen darf nicht qualitativ oder quantitativ bewertet werden. Ein todgeweihtes Leben ist genauso viel wert wie ein Leben mit Zukunft, fünf Leben sind genauso wertvoll wie 50 oder 5.000. Das ist unsere Verfassung, so, wie sie von Anfang an interpretiert worden ist.’)

  5. #5 Dr. Webbaer
    6. Dezember 2017

    *
    Gerhart Baum

  6. #6 Karl Mistelberger
    6. Dezember 2017

    Ein Ingenieur der Elektrotechnik, der sich mit Höchstspannungsnetzen beschäftigt hat mir den Paradigmenwechsel auf seinem Gebiet erläutert. Vor Jahrzehnten ging es darum, die Stromversorgung bei minimalen Kosten und minimalen Risiken zu sichern.

    Heute ist Geld da und das muss verbraten werden. Das ist eigentlich unsinnig und hat ihn lange geärgert. Mittlerweile freut er sich aber darüber, denn profitiert davon. Technik ist also gewiss keine Glaubensfrage sondern eine Geldfrage.

  7. #7 Joseph Kuhn
    7. Dezember 2017

    “Technik” ist ein Handlungszusammenhang, d.h. man tut etwas, was man auch lassen oder anders hätte tun können. Das bringt unvermeidlich normative Aspekte und damit auch “Glaubensfragen” und nicht zuletzt Interessen ins Spiel.

    Von Anfang an war dabei die Frage nach der Selbstbegrenzung technischen Tuns eine der Kernfragen – auch das ist eine Glaubens- und Interessensfrage. Hans Sachsse, einer der “Pioniere” der Technikphilosophie, plädierte z.B. für eine “naturangepasste Technik” und die “Synthese von Kulturfortschritt und Natureinfügung” (Schachsse 1988, im Sammelband “Technikbewertung” von Bungard/Lenk). Eine auch heute noch diskussionswürdige Position, nicht nur mit Blick z.B. auf den Glyphosatstreit, sondern z.B. auch mit Blick auf pflegeersetzende versus pflegeunterstützende Technik u.v.m.

  8. #8 Dr. Webbaer
    7. Dezember 2017

    Genau, die Technik ist die Fähigkeit, die Technologie die Fähigkeitslehre, beide sind gesellschaftlich zu begleiten.
    Es muss hier tatsächlich irgendwann geglaubt werden, wenn Position bezogen werden soll.
    Bei diesem Satz des dankenswerterweise bereit gestellten sehr angenehmen, hübschen Textes musste Dr. W ein wenig schmunzeln :

    Die Naturwissenschaften beschäftigen sich mit einer Natur, deren Gesetzmäßigkeiten keinen Willensentscheidungen unterliegen, sondern die in erster Näherung einfach so sind, weil sie so sind. Naturgesetze sind nicht abhängig davon, wie viel wir über sie herausfinden. Die Frage, Warum die Natur so ist, wie sie ist, lässt sich letzten Endes nicht sinnvoll beantworten.

    Die Metaphysik legt aus Sicht des Schreibers dieser Zeilen die Rekursion nahe, dass die Welt so ist, weil sie so ist.
    So wird der letzte Erkenntnisvorbehalt adressiert, das erkennende Subjekt ist ja Weilteilnehmer und nicht Weltbetreiber.
    Und sogenannte Naturgesetze sind gesetzt, sind physikalische Theorien empirisch sozusagen besonders bestätigt, wie bspw. die Gravitationstheorie, werden diese Theorien “auch schon mal” Naturgesetze genannt.

  9. #9 tomtoo
    7. Dezember 2017

    @WB
    Ich gebe dir Recht. Wenn auch andersrum. Wir sind alle Kinder unserer Zeit. In 150 Jahren wird man sich evtl. Fragen, was am Autofahren so cool war. Sowas wie Kopfrechnen , mit großen Zahlen. Gabs mal , nettes Hobby.

    • #10 Oliver Gabath
      7. Dezember 2017

      Durchaus möglich. Vielleicht werde ich in vielen Jahren ja gar kein eigenes Auto mehr haben, sondern bei einer Art Verkehrsverbund Mitglied sein und mir für die jeweils passende Gelegenheit ein selbstfahrendes Auto bestellen. Meine Enkel sind dann vielleicht in der Situtation, die Du beschreibst und wundern sich, dass der Führerschein überhaupt mal so eine große Sache war. Vielleicht kommt auch eine revolutionäre Neuerung alles, was wir heute für die Zukunft im Blick haben ist Makulatur – wer weiss?

  10. #11 Dr. Webbaer
    7. Dezember 2017

    Immerhin, wer den Gegensatz zu formulieren weiß, hat anzunehmenderweise auch den Satz verstanden.
    Die Freiheit, die persönliche, wird halt von Vielen nicht gerne gesehen.
    Btw, beim Motorradfahren, wo der Kopf sozusagen die Knautschzone ist, trotz Schutzkleidung, fragt sich Opi Webbaer ebenfalls gelegentlich, ob nicht anders unterwegs gewesen sein könnte.
    Auto, Motorrad wie “Wumme” töten aber nicht selbst, hier muss immer auch eine Person am Start sein, Vielen ist bereits diese Selbstbestimmtheit ein Dorn im Auge.

    • #12 Oliver Gabath
      7. Dezember 2017

      Die Freiheit des Eizelnen und die Freiheit der Gesellschaft wird bei uns schon lange von allen mit allen verhandelt und alle Übereinkünfte laufen erfahrungsgemäß nur auf Zeit. Vielleicht kommt dereinst wieder eine Wehrpflicht – ein massiver Eingriff in die Freiheit der anderen – damit die Freiheit der Gesellschaft gewahrt bleibt. Vielleicht kommt irgendwann verpflichtendes Tragen von Rückenprotektoren für Motorradfahrer – ein kleiner Eingriff in die persönliche Freiheit, der Menschenleben rettet. Oder irgendwas ganz anderes. Wer weiss. Konkrete Probleme muss man eben mit konkreten Maßnahmen angehen und nicht mit Allgemeinplätzen.

  11. #13 Ingo
    7. Dezember 2017

    Das selbstfahrende Auto ist glaube ich ein schlechtes Beispiel fuer die eigentliche Diskussion.

    Grund: Autofahren ist nicht nur das einhalten der StVO,- sondern auch Kommunikation.
    Wenn ich eine enge Dorfstrasse entlang fahre bin ich gezwungen zu kommunizieren.
    1) Mit dem Gegenverkehr – beide Autos passen nicht nebeneinander,- man muss sich mit dem Gegenverkehr einigen wer welche Luecke nutzt um aneinander vorbei zu koemmen
    2) Mit den Eltern des Kleinkindes was am Bordstein herumtanzt. Wird es von den Eltern zurueckgehalten wenn ich komme? Muss ich warten bis das Kind in einer sicheren Position ist wo es nicht ploetzlich auf die Strasse springt ?

    und und und.
    Handzeichen / Situationen einschaetzen / Menschliches Verhalten der anderen vorraussagen sind nicht grade Staerken von regelbasierten Automaten. (Auch nicht von KIs, wenn diese schlichtweg ueber zu wenig Schnittstellen mit der Aussenwelt verfuegen)

    Die Diskussion ueber das Weichenstellerproblem ( https://de.wikipedia.org/wiki/Trolley-Problem ) in allen Varianten fuehrt m.E. am eigentlichen Problem der selbstfahrenden Autos vorbei.

    Toedliche Unfaelle an denen irgendwo ein Stueck Technik beteiligt ist gibt es seid der Erfindung der Dampfmaschine immer wieder,- nie wurde aber in der Unfallaufarbeitung ueber das Weichensteller Problem diskutiert, sondern immer ueber die Verbesserung der Sicherheitssysteme. Und das aus guten Grund.

    • #14 Oliver Gabath
      7. Dezember 2017

      Wir sind was das angeht heute schon ziemlich weit. Dieses Problem kennt man nicht erst seit selbstfahrende Autos oder Industrie 4.0 in aller Munde sind. Es ist sogar eines der Grundprobleme der Maschinensicherheit geworden: Die Maschine so zu bauen, dass sie eine Gefahrensituation erkennt und automatisch darauf in einer Weise reagiert, die den Menschen nicht noch weiter gefährdet. Da erwartbar ist, dass Menschen Fehler machen, zieht man ihr Verhalten selbstverständlich mit in den Kalkül.

      Ein Beispiel sind Industrieroboter, die oft Seite an Seite mit Menschen arbeiten. Sie sind meist groß, schwer und mit leistungsstarken Antrieben ausgerüstet. Das Verletzungsrisiko ist groß. Deshalb nehmen sie über Sensoren ihre Umwelt wahr. Ultraschall-Sensoren, Lichtschranken, kapazitive Sensoren für besonderes feine Bewegungen – die modernsten nutzen Bilderkennungsverfahren. Und sie reagieren heute nicht einfach mehr unbedingt, indem sie einfach stoppen oder abschalten – situationsgerechte, sicherheitsgerichtete Steuerung ist viel weiter als das. Hier findet sich dazu eine lesenswerte einführende Publikation der DGUV.

      Wir Menschen nutzen zur Erkennung von Gefahrensituationen im Alltag meist ganz einfache Heuristiken und Kommunikation bedeutet dann oft, aus ganz wenigen Signalen auf die Situation schließen und eine Entscheidung treffen. Die meisten Autofahrer werden schon vorsichtig sein, wenn sie durch ein Wohngebiet mit unübersichtlichen Straßen fahren. Aber Menschen sind auch mal abgelenkt, stehen unter Stress, sind unvernünftig, wütend, müde, nur für eine Sekunde abgelenkt oder missverstehen sich einfach.

      Ich gehe deswegen sogar einen Schritt weiter: Weil die Maschine nicht ermüdet und keinen Bewusstseinsstrom kennt, ist sie immer aufmerksam und kann gerade solche Situationen besser beherrschen. Mit geeigneten Sensoren kann man der Steuerung die Informationen zukommen lassen, die sie braucht und gerade die Standardsituationen – ein Mensch, der Handgriffe neben und zusammen mit dem Roboter ausführt; ein Kind, das plötzlich auf die Straße läuft – lassen sich sehr gut erfassen.

      An dieser Stelle noch mal meine Prämisse: Wenn sich durch selbstfahrende Autos die Zahl der Verkehrstoten und -verletzten im Mittel senken lässt, halte ich das auch dann für einen erstrebenswerten Zustand, wenn es Unfälle geben wird, die ein menschlicher Fahrer mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht verursacht hätte. Denn die wird es geben. keine Frage.

      Genau da sehe ich den Bezug zum Weichenstellerproblem. Wenn durch den Einsatz bestimmter Technik unter sonst gleichen Bedingungen 100 Menschen weniger pro Jahr sterben als ohne und wenn von den verblieben Todesfällen 10 mit hoher Wahrscheinlichkeit gerade durch den Einsatz dieser Technik ums Leben gekommen sind, dann bin ich in einer sehr ähnlichen Situation wie der Weichensteller. Ich bin der Meinung, dass in diesem Fall der Einsatz der Technik gerechtfertigt ist. Aber die Entscheidung treffe nicht ich allein, sondern die Gesellschaft. Und das sind wir alle.

      Vor ein paar Jahren habe ich im Rahmen des Schreibwettbewerbs bei Scienceblogs.de einen Beitrag dazu geschrieben und irgendwann werde ich hier eine ganze Serie zum Thema Risiko schreiben. Dann werde ich diesem Punkt viel Raum widmen.

      Aber davon abgesehen: Was ist in Deinen Augen das eigentliche Problem von selbstfahrenden Autos?

  12. #15 Ingo
    7. Dezember 2017

    @Karl Mistelberger #7

    > Technik ist also gewiss keine Glaubensfrage
    > sondern eine Geldfrage.

    Was ist der Unterschied zwischen Glauben und Geld?

    * Das Wort “Kredit” leitet sich von der lateinischen Vokabel fuer “Glauben” ab. (=>Glaeubiger glauben dass der Kredit zurueckgezaehlt werden kann)
    * Geld hat nur deswegen einen Wert weil wir kollektiv daran glauben.
    * Unser wachst (wortwörtlich) auf Baeumen (EUR-Banknoten werden aus Baumwolle hergestellt.
    * Wenn ich in eine Technik investiere (und Geld gebe), dann glaube ich daran, dass diese Technik einen Nutzen und damit einen Profit erwirtschaften wird.

    > Heute ist Geld da und das muss verbraten werden.

    Wenn ich also “zu viel” investiere, dann nur deswegen weil ich “zu viel” glauben habe.

  13. #16 libertador
    7. Dezember 2017

    “Die Naturwissenschaften beschäftigen sich mit einer Natur, deren Gesetzmäßigkeiten keinen Willensentscheidungen unterliegen, sondern die in erster Näherung einfach so sind, weil sie so sind. Naturgesetze sind nicht abhängig davon, wie viel wir über sie herausfinden. Die Frage, Warum die Natur so ist, wie sie ist, lässt sich letzten Endes nicht sinnvoll beantworten.”

    Interessanter Weise ist es garnicht so eindeutig, dass dieses vermeintliche Wissen nicht vorallem Glauben ist, wenn es um technische Anwendung geht. Während Wissenschaft sich darauf berufen kann, den wissenschaftlichen Prozess der Untersuchung fortzuführen, hat die Technik tatsächliche Ziele im Blick, die realisiert werden sollen.

    Der Rückgriff auf Glauben ist erforderlich im Rahmen des kritischen Rationalismus. Es ist nach Popper immer möglich, das Theorien falsch sind und es gibt keine positive Rechtfertigung für die Annahme einer Theorie. Es lassen sich lediglich Theorien falsifizieren (und auch das ist nicht jeweils nicht entgültig zu rechtfertigen).
    Dann ist der Rückgriff auf eine Theorie, um mit ihr eine technische Anwendung zu realisieren, nicht durch Wissen gerechtfertigt.

    Entsprechend ist die Anwendung von Technik im Gegensatz zur Wissenschaft bereits epistemisch eine Glaubensfrage und nicht erst bezogen auf ethische Belange. Wenn es in der Technik um Anwendung von Wissen geht, dann muss man sich dabei immer auf unsicheres Wissen beziehen und nach dem kritischen Rationalismus Poppers sogar ohne positive Gründe für die jeweiligen Theorien anführen zu können.
    Es wurden verschiedene Wege vorgeschlagen damit umzugehen. Zum Beispiel Humes Rückgriff auf die Gewohnheit, d. h. die Akzeptanz des Umstandes der Ungerechtfertigkeit und trotzigem, verzweifeltem oder ironischem weitermachen. Ein anderer Vorschlag ist der Bayesianismus, d. h. der Rückgriff auf nicht gerechtfertigte a priori-Wahrscheinlichkeiten und ergebende bedingte Wahrscheinlichkeiten. Dann versucht sich mit selbst ungerechtfertigten Annahmen aus dem Sumpf zu ziehen.

    • #17 Oliver Gabath
      7. Dezember 2017

      Kritischer Rationalismus ist für die Anwendung von Technik nur von nachgelagertem Interesse. Selbst wenn alle Theorien letzten Endes falsch wären, auf denen unsere Technik basiert, sind sie mindestens so gut falsch, dass sie für die Praxis funktionieren. Und darauf kommt es an.

      Wer auf der Suche nach Erkenntnis ist, für den sind philosophie Aspekte wichtig. Wer die Erkentnisse anwenden will muss sich nur darauf verlassen können, dass sie brauchbar sind – wie sie entstanden ist nicht von Belang und allein durch ihre Anwendbarkeit haben sie ihre Verlässlichkeit ausreichend bewiesen.

      Werner von Siemens selbst hat eine Theorie der Gleichstrommaschine aufgestellt, mit der sich alles, was man braucht (auch heute noch) richtig berechnen lässt. Sie ist nur leider falsch. Die Physik der Gleichstrommaschine sieht ein bisschen anders aus, als Siemens sich das vorstellte. Das wissen wir, weil sich die Naturwissenschaft weiterentwickelt hat und natürlich ist dieses Mehr an Wissen wichtig! Für die technische Anwendung war es aber zweitrangig.

  14. #18 Dr. Webbaer
    7. Dezember 2017

    Statt Wissen könnte besser mit der Scientia, der Erkenntnis, hantiert werden.
    Theorien folgen wie die Technik der Erfahrung, dass etwas erkannt worden zu sein scheint.
    Die Naturwissenschaft ist eine Methode, die sogar eines Glaubensentscheids bedarf, den einige, hörhö, nicht mitgehen.
    Immerhin wird von Technik, die nicht greift, und von Theorie, die nicht empirisch adäquat bleibt, idR die Finger gelassen, wobei auch unvollkommene Technik wie auch nicht immer empirisch adäquate Theorie einen Wert behalten kann, korrekt.
    Ein Wunder eigentlich, dass sich erkennende Subjekte in der Welt zurechtfinden.

  15. #19 user unknown
    https://demystifikation.wordpress.com/2017/12/02/kaesegeister/
    7. Dezember 2017

    Ich versuche, mein Blog möglichst frei von Polemik zu halten, weil Polemik nie hilfreich ist.

    Wobei Polemik auch nur eine Technik ist, Sprachtechnik. 🙂

    Ein großer Polemiker, Bazon Brock, geht noch weiter und sagt, die Technik sei die Realisierung der Theologie. Er macht dabei ziemlich weitreichende Aussagen die ich nicht alle nachprüfen kann.
    Tatsache ist, dass man früher Geister, also die Seele Verstorbener gehört hat. Heute legt man eine Zappa-CD auf, und hat das jeden Tag.
    Oder man malte sich aus, wie Gott sagte, “es werde Licht”, und dann tritt auf: Die Kerze, die Öllampe, die Glühlampe. “Alexa! Es werde Licht!” Zugleich arbeitet die Forschung daran, dass wir gar nichts mehr sagen müssen, dass ein Gedanke reicht. Praktischer im Großraumbüro, auch wenn es an Menschen mit Sprachstörungen probiert wird, zuerst aber im Militär, wo man sich erhofft, im Gefecht wichtige Hunderstelsekunden zu sparen, bis der Gedanke den Muskel triggert.

    Herrn Baum möchte ich mitteilen, dass ich mir vorbehalte, meine Würde selbst zu bewerten, und mir das nicht von ihm verbieten zu lassen. Ich habe das Abendblatt aber nicht gelesen, vielleicht meint er es anders.

    Ich frage mich, ob wir durch KI vielleicht unseren eigenen Untergang besiegeln. Wenn wir wirklich den Punkt der Singularität überschreiten, und eine Technik haben, die nicht nur klüger ist als wir, die auch so schnell Fortschritte macht, dass wir sie nie einholen werden, so dass wir wieder vor einer Art Orakel stehen, welches alles weiß, dessen Antworten wir aber nicht verstehen, verlieren wir dann nicht den Spaß am Leben?
    Nüchtern betrachtet haben wir uns ja für eine Welt voller Ungewissheit evolviert.

    Das Auto, um dazu 2-3 Dinge zu sagen, bietet mehr als einen Transport von A nach B. A) Privatsphäre, man kann einen Dufttannenbaum aufhängen, wenn einem danach ist und den Aufkleber von Hertha draufmachen oder FCK PGD. Die Aufkleber ließen sich derart ersetzen, dass man per Bluetooth vom Handy ein Wallpaper an den Bus übermittelt, der es außen auf einem Bildschirm proportional zum Fahrpreis anzeigt. Für Musik hat man ja Kopfhörer, mit dem Dufttannenbaum ist noch schwierig. Private Kapseln, die sich in einen ÖPNV einklinken können, könnten das Problem lösen.
    B) Am Steuer zu sein, selbst zu bestimmen – ob das viel am Autofahren ausmachte wird man sehen, wenn alle Entscheidungen ein System trifft. Die Flexibilität des Autos wird schwer zu erreichen sein, aber natürlich hat der ÖPNV Vorteile wie Wegfall der Parkplatzsuche, die Vorteile des PKWs aufwiegen können.

  16. #20 Ingo
    7. Dezember 2017

    @Oliver Gabath #14

    > Was ist in Deinen Augen das eigentliche Problem von selbstfahrenden Autos

    Ich meinte meine das durchaus technisch und nicht ethisch.
    Die Kommunikation MaschineMensch ist ein denkbar schwieriges Feld.
    Im Augenblick traue ich einen Maschinen-Auto einfach nocht nicht die Faehigkeit zu mit einen Menschen durch Blickkontakte, Gesten und Lichthupe zu kommunizieren. Auf der Autobahn ist es schon schwierig, aber noch machbar.
    Im Stadtverkehr aber ungleich schwieriger.
    In Wohnstrassen nochmal um einen Exponenten schwieriger.
    In den aktuellen Diskussionen vermisse ich diese Punkte.

    Anstattdessen kommt man immer wieder auf den Weichensteller zurueck,- oft sogar in relativ plumpen konstruierten Beispielen. (z.b. Soll das Auto die Oma oder das Kind umfahren oder gegen die Wand fahren und in insassen toeten)

    Ich sehe in einem selbstfahrenen Auto einfach die notwendigkeit der ethischen Diskussion nicht (jedenfalls nicht mehr als bei jeder Eisenbahn die es seit 150Jahren gibt)
    Ich glabe der Fall ist einfach zu klar, als das es noch Diskusionsbedarf gaebe.
    (Allenfalls eher jura-technische Haftungsfragen als Grenzgebiet zur Ethik)

    • #21 Oliver Gabath
      14. Dezember 2017

      Technisch mache ich mir da nicht allzu viele Sorgen, aber das mag daran liegen, dass ich eben schon von Berufs wegen viel mit Automatisierungssystemen zu tun habe. Heute gibt es schon Roboter, die kontextual erkennen können, was der Mensch neben ihnen gerade macht und wie sie sich verhalten sollen. Da sind z.B. Roboter in der Auto- und Maschinenbauindustrie, automatisierte Transportroboter oder der beinah einfachste Fall des automatisierten Containerlagers. Die Technik schneit aber natürlich nicht vom Himmel, sondern kann nur Ergebnis einer Entwicklung sein – aber das ist, glaube ich, jedem klar, der sich damit beschäftigt. Nur die extrem Naiven erwarten, dass wir morgen alle auf selbstfahrende Autos umsteigen. Die Entwicklung wird nicht stehen bleiben und in einigen Jahren – wer weiss?

      Anfang der 2000er lobte das amerikanische Verteidigungsministerium im Rahmen der DARPA Grand Challenge einen Wettbewerb für selbstfahrende Autos aus. Beim ersten Mal in 2004 schaffte das erfolgreichste Auto knapp 12km bzw. 5 % der Strecke. Beim zweiten Mal 2005 kamen bereits 5 Autos ins Ziel. Seitdem hat DARPA viele andere Robotic-Wettbewerbe ausgelobt und die Maschinen zeigen erstaunliche Leistungen. Dazu kommt, dass die meisten unklaren Situationen im Straßenverkehr ja durch menschliches Verhalten verursacht werden. Mir passiert es z.B. immer wieder, dass ich an einer Kreuzung mit klarer Vorfahrtsregelung mit dem anderen Fahrer “verhandeln” muss, wer zuerst fährt.

      Ich gebe Dir recht, dass die ethische Frage in der Vergangenheit oft eindeutig beantwortet wurde, aber das stimmt heute nicht mehr unbedingt. Wäre dem so, würden wir ganz anders als das der Fall ist über Grüne Gentechnik, Kernenergie, Energie in einem allgemeineren Sinn und viele andere Felder diskutieren. Früher wurde oft per Ordre de Mufti entschieden, was heute gesellschaftlich diskutiert werden muss. Mit allen Vor- und Nachteilen, die das hat.

  17. #22 Dr. Webbaer
    8. Dezember 2017

    “Selbstfahrende Autos” haben wohl sehr defensiv zu fahren, Blockkontakten, Handzeichen und Gesten eher nicht zu trauen, so wie wohl auch vom Gesetzgeber vorgesehen, und langsam(er) zu fahren; der Schreiber dieser Zeilen ist oft zu schnell gefahren, nicht weil er Raser sein wollte, sondern aus Langeweile und es das Gerät hergab – was natürlich letztlich blödsinnig war, aber auch bärisch oder menschlich.
    Übrigens ist der Schreiber und Fahrer dieser Zeilen im Straßenverkehr häufiger auch mal regelrechten Irren begegnet, die es bei mehr ‘selbstfahrenden Autos’ weniger geben wird.
    Eigentlich ein Wunder, dass nicht viel passiert ist, außer ein paar eher harmlosen Unfällen, bei denen witzigerweise nur der Gurt Schlimmes verhindert hat.
    Grundsätzlich werden ‘selbstfahrende Autos’ hier als Chance gesehen, auch wenn es oft wenig Spaß machen wird in ihnen befördert zu werden und wenn die ethischen Fragen oder Probleme auf der Hand liegen (bleiben).

  18. #23 Dr. Webbaer
    8. Dezember 2017

    Ein großer Polemiker, Bazon Brock, geht noch weiter und sagt, die Technik sei die Realisierung der Theologie.

    In gewisser Hinsicht ein zutreffender Gedanke, wenn die Welt als Motor verstanden wird, im pantheistischen Sinne, auch Einstein war hier anfällig, andere sind es ebenfalls, allerdings muss nicht derart polemisiert werden, ein schlichtes “Technik ist das, was funktioniert (hat)!” ginge auch.

    Die Polemik soll ja auch nicht mit dem dullen persönlichen Angriff verwechselt werden und mit anderen rhetorischen Fallacies.

    Der Schreiber dieser Zeilen ist mehrfach auf die Idee gestoßen, dass Polemik per se schlecht sei, sie kann nur von (noch) nicht großen Polemikern stammen.
    Es gibt ja auch die Debattierkunst, die in Debattierklubs gepflegt wird, die einen hohen Stellenwert genießt, nicht in der BRD allerdings.
    Also in der BRD läuft’s wirklich anders, dort kommt dann oft eine “Claudia Roth” (ein Substitut oder Joker für ähnliches Personal) und erinnert wild und themenfremd bspw. an die NS-Zeit oder an die Wortwahl, weiß bspw. zu ergänzen welcher (zugegebenermaßen) böse Mensch ebenfalls eine vergleichbare Wortwahl genutzt hat und ist oder hat dann sozusagen fertig.

    Hat das Argument gewonnen, lol,
    MFG
    Dr. Webbaer

  19. #24 Dr. Webbaer
    8. Dezember 2017

    PS :
    Übrigens ist das gegenseitige Sich-Unterbrechen und Sich-Anschreien, wie es in bundesdeutschen sogenannten Talk-Shows geübt wird, seit ca. 40 Jahren, Dr. Webbaer war bei den Anfängen dabei, auch um die Jahrtausendwende noch, hat die BRD allerdings vor mehr als zehn Jahren verlassen, das Anti-Bild zu einer vernünftigen Debatte.

  20. #25 dedickeBom
    8. Dezember 2017

    Früher sagte man, der Krieg ist der Vater aller Dinge.
    Heute weiß man, die Ökonomie ist der Vater aller Dinge.
    Automatisierung verfolgt nur einen Zweck, besser und billiger.
    Der Unterbau muss allerdings stimmen. Der Utilitarismus englischer Prägung hat die gesamte Welt ergriffen.