Im Vertrauen auf das eigene kritische Denken macht man dieselben Fehler, die man der ignoranten Welt so gern vorwirft. Die gleichen Fehler, die man bei den Anhängern der anderen Seite sofort bemerkt. Bei mir war das nicht anders. Bei mir IST das nicht anders. Ich war ein mal der Meinung, Tesla könne man gar nicht hoch genug auf den Sockel stellen und bin heute davon überzeugt, dass er ziemlich überschätzt wird. In Der Tat bin ich sogar der Meinung, dass die Verehrung seiner Person, auf die sich alles konzentriert, den Blick auf die anderen – um nicht gar zu sagen, die wahren – Großen seiner Zeit versperrt. Oder wer kennt ohne Wiki, ohne Google wirklich Namen, wie Dolivo-Dobrowolski, Blathy, Déri, Zipernowsky, Kennelly, Hjorth oder Brown, um nur ein paar wenige zu nennen? Tesla war sicher ein guter Ingenieur und es ist durchaus nicht so, dass die Elekrotechnik ihm gar nichts zu verdanken hätte. Aber unterm Strich sind seine Beiträge überschaubar.
Er hat es nicht gesehen
Zur gleichen Zeit, als Tesla seine Forschungen zum Zweiphasen-Wechselstrom begann, arbeiteten in den USA noch eine Reihe anderer Erfinder an derselben Sache. Und nicht nur in den USA, sondern überall auf der Welt. Tesla hat den Wechselstrom nicht erfunden – das ist einer der vielen, allzugerne kolportierten Irrtümer. Man darf ihn durchaus zu der erlesenen Gruppe von Erfindern zählen, die an dieser Sache forschten, aber er war weder der Erste, noch der Erfolgreichste. Dazu muss man wissen, dass die Kinderstube der elektrischen Energietechnik eigenständige Unternehmungen von Größe und Struktur dessen sind, was wir heute Stadtwerke nennen würden: Firmen, die ein elektrisches Versorgungsnetz aufbauen, warten, Energie lokal bereitstellen, transportieren und vermarkten. Allein in New York gab es um 1890 ein halbes Duzend solcher Unternehmungen, von denen heute allerdings nur zwei einigermaßen bekannt sind: Die Firmen von George Westinghouse und Thomas Edison.
Westinghouse setzte, wie praktisch alle anderen, auf Wechselstrom, während Edison bei der Gleichstromtechnik bleiben wollte. Dafür wird er heute massiv kritisiert, aber aus seiner Warte ist die Entscheidung durchaus verständlich: Die Wechselstromtechnik war noch sehr neu und die Effekte unerforscht, Gleichstrom war einfach zu beschreiben, gut erforscht, es gab ausreichend weit entwickelte Motoren und eine vorhandene Infrastruktur für Produktion und Einsatz. Die vorhandenen Generatoren hatten im besten Fall Leistungen von einigen MW und es war nicht abzusehen, dass irgendwann 1.000-MW-Kraftwerke in großer Zahl würden produziert werden können. Außerdem hielten seine Unternehmen viele Patente und noch viel mehr Knoff-Hoff. Es ist verständlich, dass Edision, der ja nicht von Null startete, ungern alles über den Haufen werfen und sein Geld auf ein ganz anderes Pferd als bisher setzen wollte.
In Europa arbeiteten Erfinder ebenfalls an zweiphasigen Systemen, aber nach Entwicklung des Dreiphasen-Wechselstroms durch eine Gruppe um Michael Doliwo-Dobrowolski bei der AEG, wandten sich praktisch alle (und wirklich alle, die später erfolgreich werden sollten) diesem System zu.
Zweiphasiger Wechselstrom hat für den Betrieb von Maschinen gegenüber dem symmetrischen dreiphasigen System einige markante Nachteile, die ohne einen Einstieg in die Grundlagen der E-Technik nicht einfach zu erklären sind. Teslas Ansatz war von Anfang an ein unsymmetrisches – damit die Drehrichtung eindeutig wird – 2-Phasen-System mit relativ hohen Frequenzen, die die Unsymmetrien teilweise kompensieren sollten. Ein echtes Drehfeld, wie Dolivo-Dobrowolski es zur Grundlage seiner Erfindungen machte, zog Tesla nie auch nur in Betracht. Aus seinem Patent für den zweiphasigen Electric Motor geht das klar hervor. Vielleicht hat Tesla den Aufwand gescheut, mit den damals verhandenen mathematischen Methoden zu überprüfen, ob sein Zweiphasiges System dem dreiphasigen ebenbürtig war.
Aus der Symmetrie des 3-Phasen-Netzes folgt zwanglos, dass bei konstanter Drehzahl Leistung und Drehmoment an der Welle eines geeigneten Wechselstrommotors konstant sind und die Drehrichtung eindeutig ist. Etwas, was mit zwei Phasen nicht gleichzeitig möglich ist. Man kann sich das vielleicht vorstellen, wie ein kleines Karussell, das entweder von zwei Leuten, die um weniger als 180° versetzt stehen zyklisch angeworfen wird und auf dessen Welle dann immer unsymmetrische Kräfte wirken oder eines, das von drei um jeweils 120° versetzt Stehenden angeworfen wird, was dazu führt, dass die Kräfte auf die Welle nicht nur symmetrisch, sondern auch noch gleichmäßig wirken.
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