Ich bin im Begriff, mich unbeliebt zu machen: Ich halte nicht viel von Nikola Tesla.
Kunstpause.
Und jetzt erzähl ich Euch, warum.
Peter Hook – Entzauberung einer Basslegende
Ich spiele Bass. Nicht gerade wie Victor Wooten, aber immerhin. Ich liebe basslastige Musik. Ich mag das Wummern der Tieftöner und ich finde, dass die Rhythm-Section für den Groove einer Band, besonders einer Rockband, wichtiger ist, als die Leadgitarre (und viel, viel, vieeeeeel wichtiger als der Sänger). Klar ist das super, wenn der Gitarrist auf seinem Instrument rumspielt, aber den Takt in den man sich wiegt und den man unwillkürlich mitmacht, geben Bass und Schlagzeug vor.
Der ganz wesentliche Grund, selbst den Bass in die Hand zu nehmen war Peter Hook , der mit seinen einfachen, aber kraftvollen Basslinien die Musik von Joy Division geprägt hat. In den 80er Jahren gefiel er mir als Bassist von New Order sogar noch besser und war dann später mit seinem Projekt Freebass der für mich eindrucksvollste (ich sage bewusst nicht “der Beste”) Bassist. Insbesondere bei Freebass hat er gezeigt, was er alles kann und für meine Ohren steht sein Spiel, auch wenn er eher Techniker als Improvsator ist, dem von beispielsweise John Entwistle in nichts nach. Was er konnte, wollte ich auch können (und bin noch weit davon entfernt). Dann sah ich ihn live und dachte nur: Wow – what happened?
Peter Hook sah völlig fertig aus. Er wirkte wie ein Greis, obwohl er grade mal um die 50 war. Sein Gesang war schon kraftlos, aber noch schlimmer war: Seinen Bass hatte er nur zur Zierde umgeängt. Er klimperte darauf herum, aber die Musik kam von woanders. Wirklich – er machte sich gar nicht die Mühe, das zu verbergen. Natürlich spielte er auch ein bisschen mit, aber der eigentliche Rhythmus wurde von einem zweiten Bassisten gespielt, der vielleicht irgendwo im Hintergrund der Bühne stand. Von meinem Platz aus war er nicht zu sehen. Weil ich das können will, was Peter Hook konnte, spiele ich Bass. Die Wirklichkeit zu sehen, hat mich schon ein Stück weit enttäuscht.
Nun habe ich Enttäuschungen dieser Art schon mehrmals erlebt und sie hauen mich heute nicht mehr um. Aber im gleichen Moment, in dem sich Peter Hook vor mir entzaubert hat, musste ich an einen anderen Popstar denken, mit dem es mir schon einige Jahre zuvor in nämlicher Weise ergangen war. Mit eben jenem titelgebenden und am 07. Januar 1943 bzw. gestern vor 75 Jahren verstorbenen Nikola Tesla, der in Zeiten des Internet zu einer Pop-Ikone geworden ist, war es ganz ähnlich gewesen.
Wie ich die Teslaphilie in den Welten, in denen ich mich bewege wahrnehme
Ich bin ein Nerd. Glaube ich. Ich bin seit 20 Jahren Rollenspieler, ich mag Pickdumps, Memes, ich spiele WoW, Minecraft und seit einiger Zeit exzessiv auch Factorio, ich mag Verschwörungstheorien (gerade weil ich an keine glaube), ich bemale kleine Plastikfigürchen und ich hab schon mehr als eine funktionierende Blide gebaut. Ich gehöre zu der gloreichen Generation, die die Zeit vor und den Aufstieg des Internet mit all seinen Facetten erlebt hat. Wenn man sich im Internet des Jahres 2018 bewegt, dann wird man zu bestimmten Gelegenheiten unweigerlich über den Namen Nikola Tesla stolpern. In der Regel wird man eine ausgeprägte Teslaphilie wahrnehmen, die sich in staunender Ergebenheit ergeht. Egal ob ein Good-Guy-Greg-Meme mit Teslas berühmter Profilaufnahme, ein Blogbeitrag wie z.B. bei Oatmeal – Tesla, der Name steht für alles: Für geniale Ideen, für die Erfindung des Elektromotors, des Wechselstroms, für geheimnisumwitterte Experimente, für unterdrückte Forschung und böse Machenschaften.
Tesla ist ein Held der Geeks. Ein Underdog, der die Welt beglücken wollte und von bösen Mächten daran gehindert wurde. Das macht ihn beliebt. Und zu einem idealen Projektionssubjekt. Manchmal kommt er mir vor, wie eine Erlöserfigur. Man projiziert Wünsche und Träume in ihn. Und natürlich sind Tesla-Transformatoren einfach cool. Außerdem – da lehne ich mich mal weit aus dem Fenster – kann man sich als Jünger des Erlösers selbst in dessen Glanz sonnen: Seht her, ihr Unwissenden – ich kenne die Wahrheit. Dereinst, wenn sie auch dem Heiden offenbar wird, werde ich sie schon immer gekannt haben. Natürlich ist das überspitzt. Aber für viele Menschen ist es immens wichtig, hinterher schon vorher alles gewusst zu haben. Das gilt besonders für junge Leute, die noch mit einem Bein in der Kindheit, mit dem anderen im Erwachsensein stehen und sich ihren Platz noch erstreiten müssen. Gerade in dieser Phase seines Lebens, in der die Hormone alles über den Haufen werfen und man selbst alles über den Haufen werfen möchte, ist man für jene besondere Art Heldenverehrung besonders empfänglich, die das Bild Teslas bedient.
Im Vertrauen auf das eigene kritische Denken macht man dieselben Fehler, die man der ignoranten Welt so gern vorwirft. Die gleichen Fehler, die man bei den Anhängern der anderen Seite sofort bemerkt. Bei mir war das nicht anders. Bei mir IST das nicht anders. Ich war ein mal der Meinung, Tesla könne man gar nicht hoch genug auf den Sockel stellen und bin heute davon überzeugt, dass er ziemlich überschätzt wird. In Der Tat bin ich sogar der Meinung, dass die Verehrung seiner Person, auf die sich alles konzentriert, den Blick auf die anderen – um nicht gar zu sagen, die wahren – Großen seiner Zeit versperrt. Oder wer kennt ohne Wiki, ohne Google wirklich Namen, wie Dolivo-Dobrowolski, Blathy, Déri, Zipernowsky, Kennelly, Hjorth oder Brown, um nur ein paar wenige zu nennen? Tesla war sicher ein guter Ingenieur und es ist durchaus nicht so, dass die Elekrotechnik ihm gar nichts zu verdanken hätte. Aber unterm Strich sind seine Beiträge überschaubar.
Er hat es nicht gesehen
Zur gleichen Zeit, als Tesla seine Forschungen zum Zweiphasen-Wechselstrom begann, arbeiteten in den USA noch eine Reihe anderer Erfinder an derselben Sache. Und nicht nur in den USA, sondern überall auf der Welt. Tesla hat den Wechselstrom nicht erfunden – das ist einer der vielen, allzugerne kolportierten Irrtümer. Man darf ihn durchaus zu der erlesenen Gruppe von Erfindern zählen, die an dieser Sache forschten, aber er war weder der Erste, noch der Erfolgreichste. Dazu muss man wissen, dass die Kinderstube der elektrischen Energietechnik eigenständige Unternehmungen von Größe und Struktur dessen sind, was wir heute Stadtwerke nennen würden: Firmen, die ein elektrisches Versorgungsnetz aufbauen, warten, Energie lokal bereitstellen, transportieren und vermarkten. Allein in New York gab es um 1890 ein halbes Duzend solcher Unternehmungen, von denen heute allerdings nur zwei einigermaßen bekannt sind: Die Firmen von George Westinghouse und Thomas Edison.
Westinghouse setzte, wie praktisch alle anderen, auf Wechselstrom, während Edison bei der Gleichstromtechnik bleiben wollte. Dafür wird er heute massiv kritisiert, aber aus seiner Warte ist die Entscheidung durchaus verständlich: Die Wechselstromtechnik war noch sehr neu und die Effekte unerforscht, Gleichstrom war einfach zu beschreiben, gut erforscht, es gab ausreichend weit entwickelte Motoren und eine vorhandene Infrastruktur für Produktion und Einsatz. Die vorhandenen Generatoren hatten im besten Fall Leistungen von einigen MW und es war nicht abzusehen, dass irgendwann 1.000-MW-Kraftwerke in großer Zahl würden produziert werden können. Außerdem hielten seine Unternehmen viele Patente und noch viel mehr Knoff-Hoff. Es ist verständlich, dass Edision, der ja nicht von Null startete, ungern alles über den Haufen werfen und sein Geld auf ein ganz anderes Pferd als bisher setzen wollte.
In Europa arbeiteten Erfinder ebenfalls an zweiphasigen Systemen, aber nach Entwicklung des Dreiphasen-Wechselstroms durch eine Gruppe um Michael Doliwo-Dobrowolski bei der AEG, wandten sich praktisch alle (und wirklich alle, die später erfolgreich werden sollten) diesem System zu.
Zweiphasiger Wechselstrom hat für den Betrieb von Maschinen gegenüber dem symmetrischen dreiphasigen System einige markante Nachteile, die ohne einen Einstieg in die Grundlagen der E-Technik nicht einfach zu erklären sind. Teslas Ansatz war von Anfang an ein unsymmetrisches – damit die Drehrichtung eindeutig wird – 2-Phasen-System mit relativ hohen Frequenzen, die die Unsymmetrien teilweise kompensieren sollten. Ein echtes Drehfeld, wie Dolivo-Dobrowolski es zur Grundlage seiner Erfindungen machte, zog Tesla nie auch nur in Betracht. Aus seinem Patent für den zweiphasigen Electric Motor geht das klar hervor. Vielleicht hat Tesla den Aufwand gescheut, mit den damals verhandenen mathematischen Methoden zu überprüfen, ob sein Zweiphasiges System dem dreiphasigen ebenbürtig war.
Aus der Symmetrie des 3-Phasen-Netzes folgt zwanglos, dass bei konstanter Drehzahl Leistung und Drehmoment an der Welle eines geeigneten Wechselstrommotors konstant sind und die Drehrichtung eindeutig ist. Etwas, was mit zwei Phasen nicht gleichzeitig möglich ist. Man kann sich das vielleicht vorstellen, wie ein kleines Karussell, das entweder von zwei Leuten, die um weniger als 180° versetzt stehen zyklisch angeworfen wird und auf dessen Welle dann immer unsymmetrische Kräfte wirken oder eines, das von drei um jeweils 120° versetzt Stehenden angeworfen wird, was dazu führt, dass die Kräfte auf die Welle nicht nur symmetrisch, sondern auch noch gleichmäßig wirken.
Das ist ein riesiger Vorteil des Drehstrommotors! Die Arbeitsmaschine und das Netz werden in jedem Betriebspunkt nicht nur symmtrisch, sondern auch gleichmäßig belastet. Arbeitsmaschinen im MW-Bereich könnten ohne diese Voraussetzung nie die heutigen Blockgrößen und Betriebszeiten erreichen.
Außerdem folgt aus der Symmetrie zwanglos die Möglichkeit, ohne zusätzlichen Transformator 2 definierte Spannungsebenen zur Verfügung zu haben, nämlich die Spannung zwischen den Außenleitern selbst und die Spannung zwischen einem Außenleiter und dem gemeinsamen Sternpunkt. Außerdem braucht man nur drei Außenleiter für die elektrische Energieübertragung.
All diese Vorteile hat Tesla nicht erkannt, obwohl sie durch Experiment offengelegt werden konnten und nicht nur zu seinen Leb-, sondern sogar zu seinen Wirkzeiten wurden. Er hat nie auch nur Ansätze gezeigt, auf Dreiphasen-Wechselstrom umzusatteln.
Dolivo-Dobrowolskis fast zeitgleich zu Tesla konstruierte Asynchronmaschine mit Käfigläufer ist mehr als hundert Jahre später immer noch der Elektromotor für den industriellen Einsatz schlechthin und seit ihrer Entwicklung nicht mehr grundsätzlich verbessert worden.
Er hätte es sehen müssen
Mit Wechselstrom betriebene Energienetze haben Verluste, die nicht nur durch den ohm’schen Widerstand bestimmt werden, sondern auch durch die frequenzabhängigen Blindwiderstände. Der Blindwiderstand ist ein Phänomen, dass dadurch entsteht, dass beim Wechselstrom elektrische- und magnetische Felder in rascher Folge auf- und abgebaut werden und die dazu notwendige Energie auch durch einen sogenannten Blindstrom bereitgestellt werden muss. Der Gesamtstrom in einem Wechselstromkreis ist die geometrische Summe aus dem Blindstrom und dem Wirkstrom, der die in mechanische Arbeit umsetzbare Energie repräsentiert. Auch Blindströme, obwohl sie nicht in mechanische Arbeit umgesetzt werden können, sind physikalische Ströme und verursachen Wirkverluste, weil sie den Leiter erwärmen. Blindströme sind frequenzabhängig – je höher die Frequenz, desto größer der Widerstand in Leitern, Transformatoren, etc. Im einfachsten Fall steigen deshalb nur die Baugrößen der Betriebsmittel, aber selbst das führt ja schon zu genügend Problemen. Die 50 Hz in Europa oder 60 Hz in Amerika sind ein guter Kompromiss, viel höher sollte man nicht gehen.
Will man Energie Drahtlos versenden, wie es Tesla zumindest in seinen letzten aktiven Jahren versuchte, muss man sie fokussieren. Antennen müssen dazu einen sehr hohen Antennengewinn haben, der praktisch kaum zu erreichen ist. Damit sind nicht nur die verluste enorm teuer, sie gefährden auch alles im näheren Umkreis von Sender oder Empfänger. Tesla hat auch nicht den prinzipiellen Unterschied von Nahfeld und Fernfeld gesehen, obwohl er zu seiner Zeit schon bekannt und mathematisch zumindest teilweise beschrieben war. Er hat von den Nahfeldeffekten auf Anwendungen geschlossen, für die das Fernfeld eine Rolle spielt. Warum Experimente, die im Kleinen klappten, im Großen gar nicht funktionieren konnten, hätte er sehen müssen.
Einer Anekdote nach habe er Edison vorgeworfen, er sei zu sehr Experimentator und zu wenig Wissenschaftler – dass er mit ein bisschen Rechnen viele Experimente hätte sparen können. Falls das stimmt, ist es umso seltsamer, was Tesla alles nicht gesehen hat, obwohl er es hätte errechnen können. All diese prinzipiellen und nach hundert Jahren immer noch gültigen Vorteile des Dreiphasen-Wechselstroms gehören heute zum Grundwissen, das an Universitäten und Fachhochschulen vermittelt wird.
Nach 1905 hat er sich zumindest kurzzeitig intensiv mit der SRT befasst, allerdings auf eine eher unrühmliche Weise. Seine Kritik an der SRT kommt, wie heute nicht anders, im Wesentlichen ohne Mathematik aus, bemüht dafür aber den sogenannten gesunden Menschenverstand, Alltagserfahrungen und spirituelle Motive. In den letzten jahres seines Lebens scheint er überhaupt zunehmend den Kontakt zur Wirklichkeit verloren haben. Seine Schriften wurden visionär, um nicht zu sagen phantastisch. Auf dem Gebiet der Elektrotechnik gearbeitet hat er, obschon noch längst kein alter Mann, ab etwa 1910 gar nicht mehr.
1917 wurde er von einer Kommission der amerikanischen Marine befragt, wie man getauchte Unterseeboote mit elektronischen Mitteln aufspüren könne. Er war der Meinung, dass dies mit mit einer Technologie, die man heute Radar nennen würde und die er bereitzustellen gedenke, möglich sei und im weiteren Verlauf nicht davon zu überzeugen, dass die Wasseroberfläche für die damals technisch mögliche elektromagnetische Strahlung undurchdringlich ist. Während des kalten Krieges bauten Amerikaner und Sowjets ELF-Sendeanlagen zur Kommunikation mit getauchten U-Booten. Aber heute wie damals wäre die Technik nie dazu geeignet, Objekte zu identifizieren und verfolgen.
Er hat es nicht getan
Tesla hat den Wechselstrom nicht erfunden. Er war auch weder der Erste, noch der Einzige, der damit experimentierte und bei weitem nicht der Erfolgreichste. Oft kolportiert wird die Geschichte, dass ihm Idee für die Drehfeldmaschine 1882 im Rahmen einer Epiphanie während eines Schwächeanfalls im Park zuflog. Er soll dann eine Skizze des bürstenlosen Motors mit dem Stock in den Sand gezeichnet und später des Jahres vor Wissenschaftlern und Technikern ein Demonstrationsmodell vorgeführt haben. Das Modell ist nicht erhalten. Ebenso berichten in zeitgenössischen Dokumenten weder die bei dieser Demonstration als Zeugen geladenen Honoratioren, noch Tesla selbst(!) von diesem Ereignis. Die erste Erwähnung, die sich mit Dokumenten belegen lässt, stammt aus seiner eigenen Autobiographie.
Seinen Elektromotor meldete er zum Patent an, kurz bevor Galileo Ferraris einen sehr ähnlichen Motor in einer Fachzeitschrift beschrieben hatte. Interessantes Detail: Ferraris baute ein funktionierendes Demonstrationsmodell schon 1885 und verbesserte Versionen in den Jahren danach. Sie haben die Jahrzehnte überdauert und können im Ferrarismuseum in Livorno Ferraris, nahe seiner Wirkungsstätte Turin, betrachtet werden. Drei Jahre vor Tesla konnte er eine umlaufende elektrische Maschine für zweiphasigen Wechselstrom vorstellen – von primitiver Art, aber immerhin.
Es ist durchaus plausibel, dass beide Erfinder fast zeitgleich und unabhängig voneinander sehr ähnliche Ideen hatten, das kam in dieser Zeit auf diesem Gebiet einige Male vor. Aber Tesla konnte erst um 1888, als nicht nur Ferraris, sondern sogar Dolivo-Dobrowolskis weit überlegener Motor schon lief, einen Prototypen seines Motors vorführen.
George Westinghouse versprach sich zunächst sehr viel von Tesla, kaufte die Patentechte an seinem Motor, stellte ihn 1889 für ein hohes Jahresgehalt als Berater ein und hoffte wohl, durch ihn einen Vorsprung im harten Wettbewerb zu gewinnen. Der vielbeschworene Stromkrieg (vor allem einen Phänomen an der Ostküste der USA) wirkt zwar aus heutiger Sicht alles entscheidend, war damals aber nur eine besonders intensive Phase in einem lange dauernden Kampf. Tesla schaffte es innerhalb eines Jahres nicht, ein marktfähiges Produkt für Westinghouses Firma zu entwickeln. Westinghouse trennte sich schon 1889 wieder von ihm. Die Firma stieg erst 1892 voll in das Geschäft mit Elektromotoren ein, aber die waren Konstruktionen anderer Erfinder. In diesem Zusammenhang gibt es die berühmte Anekdote 1 $ für jede Pferdestärke. Sie besagt, dass Westinghouse Tesla Tantiemen in Höhe von 1 $ für jede Pferdestärke aller Motoren bezahlen wollte, die nach seinen Patenten gebaut wurden. Manchmal ist auch von anderen Summen die Rede. Ähnlich wie die meisten Anekdoten dieser Art sind die frühesten Quellen Teslas erste Biographie aus dem Jahre 1944 und seine eigene Autobiographie.
Tesla hatte einen gewissen Anteil am Stromkrieg: Weil er von Edison zu Westinghouse gewechselt war, spielte er eine Rolle bei den gerichtlichen Auseinandersetzungen der beiden Erfinder. Tesla machte Vorführungen über die Wirkungen hochfrquenten Wechselstroms, über die auch Zeitungen berichteten und im Gegensatz zu Harold Brown hat er dabei keine Tiere getötet. Was genau bei Teslas Vorführungen ablief, lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren. Aus hundert Jahren Elektrotechnik weiss man aber heute sehr gut, welche Wirkungen elektrische Ströme fast beliebiger Form, Frequenz, und Stärke haben, was damit geht und was eben nicht geht. Es mag an dieser Stelle etwas billig zu sein, einfach zu behaupten, dass die spektakulären Berichte vor allem dem allzumenschlichen Hang zur Übertreibungung, der Unkenntnis des Publikums, des guten Verständnisses Teslas für Hochfrequenztechnik, seiner exaltierten Persönlichkeit und geschickter Inszenierung geschuldet sind. Aber, ja, zumindest für mich sieht es genau danach aus.
Auch nachdem Blathi, Derí und Zipernowsky ihren Transformator und dessen vollständige theoretische Beschreibung vorstellen konnten, erkannte er dessen Überlegenheit nicht. Dolivo-Dobrowolski nutzte ihn als Grundlage seines Drehstromtransformators. Während bei der AEG die grundlegenden Betriebsmittel der modernen Energieversorgung entwickelt wurden, beschäftigte sich Tesla mit Hochfrequenztechnik. Das bedeutet nicht, dass das ein Fehler oder unnütz gewesen wäre! Es bedeutet aber, dass er an der Entwicklung der elektrischen Energietechnik ab 1890 praktisch keinen Anteil mehr hatte. Es waren nicht Teslas Maschinen, mit denen das berühmte Wasserkraftwerk an den Niagara-Fällen ausgerüstet wurde. Benjamin Lamme entwickelte Maschinen, die deutlich stärker von den Arbeiten Europäischer Kollegen beeinflusst waren. Es war nicht Tesla, der die erste Fernübertragung elektrischer Energie mit Wechselstrom möglich machte.
Sein nächster Gönner war J.P. Morgan, in dessen Dienste er sich begab, um Geld für seine Hochfrquenzforschung zu erhalten. Dieses Feld beackerte er intensiv und es erwies sich als äußerst fruchtbar. Es brachte ihm Patente auf wichtige Komponenten der späteren Funktechnik ein. Allerdings blieben seine eigenen Bemühungen, eine Funkanlage zu bauen vergebens. Ebenso seine Forschungen zu dem, was später die Röntgen- und Radartechnologie werden sollten. Man könnte sagen, seine Arbeit war fruchtbar aber brotlos. In gewisser Weise ging es ihm wie einem Gärtner, der die ersten zarten Triebe dereinst mächtiger Bäume zog, mit deren Früchten er aber nichts anzufangen wusste. Sein Verdienst ist es, viele Bausteine bereitgestellt zu haben – sie zu einem funktionierenden Stück Technik hat er sich Jahre lang redlich bemüht. Morgan sah dem nicht ewig zu und trennte sich schließlich von ihm. Legenden über noch unveröffentliche Schriften und Erfindungen Teslas, ganz weit hinten in J.P. Morgans Privattressor drängen sich förmlich auf.
Ein nicht totzukriegendes Gerücht besagt, dass in 1944 der amerikanische oberste Gerichtshof festgestellt hätte, dass Tesla und nicht Marconi der Ruhm zustünde, die erste Funkübertragung über den Atlantik durchgeführt zu haben. In der Tat hat Marconi auf eine Reihe von Patenten Teslas zurückgegriffen, aber letzten Endes war die Funkanlage seine eigene Konstruktion und ihre Betriebsparameter seine eigene Entwicklung. Wie Tesla nicht aus dem Nichts kam, sondern auf Arbeiten anderer aufbaute, kam auch Marconi nicht aus dem Nichts. Genau das stellt auch jenes Urteil so fest, aber das nur nebenbei.
Teslas größte Eigenleistung dürfte die Erfindung des Resonanztransformators sein, der heute eine sehr limitierte Anwendung beim drahtlosen Laden von Kleingeräten hat, vielleicht für die Elektromobilität wichtig wird und in Form von Show-Geräten äußerst cool aussieht.
Um Missverständnisse zu vermeiden: Es geht mir nicht darum, dass andere etwas vor Tesla gebaut oder herausgefunden haben. Es ist nicht wichtig, wer zu erst kommt, sondern wer die beste Lösung entwickelt. Daran scheitert das Bild von Tesla als Überfigur der elektrischen Energietechnik. Er hat zwar viele Patente auf Kraft- und Arbeitsmaschinen erhalten, aber ein Gutteil davon ist von der technischen Entwicklung in wenigen Jahren überholt worden (sein Elektromotor, die Funktechnik, etc.), ein anderer Teil bringt spezielle Vorteile, aber grundsätzliche Nachteile (die Tesla-Turbine), wieder ein anderer funktioniert schlicht nicht (Drahtlose Energieübertragung in seinem Sinne, sein Solar-Kondensator).
Ich wiederhole mich: Tesla war sicher ein guter Ingenieur, aber er war nicht das Genie, zu dem er viel zu oft gemacht wird.
Ein Denkmal vom Sockel zu stoßen ist ein innerlicher Prozess
Helden zu entzaubern tut weh. Es ist nicht nur der Verlust einer richtungsweisenden Bezugsperson, auch die schlichte Tatsache, sich bei etwas wichtigem geirrt zu haben.
Darüber gibt’s nichts zu lachen. Man mag sich sagen “Ist doch nicht schlimm” und sich dessen stets versichern, aber am Ende wundert man sich vielleicht selbst, wie sehr es schmerzt. Das eigene Leben kann doch nicht falsch gelaufen sein. Der eigene Glaube (um dieses nicht ganz richtige Wort zu verwenden) war doch sicher nicht vergebens. Und dann sind da ja die Menschen um einen herum. Werden sie meinen Abfall vom Glauben tolerieren? Oder werden sie mich, im andern Fall, auslachen, weil ich so lange einem Irrtum anhängig war?
Soziale Apkzeptanz ist für uns immens wichtig. Niemand steht gern als Dummkopf oder Naivling da. Auch darüber mag man den Kopf schütteln. Aber damit täuscht man sich nur selbst. Da weiss ich, was ich sage…
In vielen Situationen denken wir immer noch in den Dimensionen einer überschaubaren Gruppe von Individuen, mit denen wir unmittelbar in Beziehung stehen. Früher war diese Gruppe für uns lebenswichtig und so entstand ein psychologischer Prozess, der den Gruppenzusammenhalt fördert, indem Dissonanz mit der Gruppenmeinung sanktioniert und Konsonanz belohnt wird. In einfachen Worten: Ich glaube, was meine Gruppe glaubt und wenn mein Glaube erschüttert wird, dann werde ich zunächst eher versuchen, die Erschütterung zu rationalisieren, also irgendwie zu erklären, bevor ich den Gedanken zulasse, dass ich mich geirrt haben könnte. Besonders schwer ändern wir unsere Meinung, wenn wir viel Zeit in einer anderen Gruppe mit gegenteiliger Auffassung verbringen. Mit dieser anderen Gruppe liegen wir vermutlich sowieso oft im Clinch. Falls wir uns irrten, müssten wir auch noch Spott und Hohn fürchten. Dass das nicht nur dummes Zeug ist, lässt bei Sekten beobachten: Nach einer nicht eingetretenen Prophezeiung reagieren die Mitglieder in der Regel nicht mit Aufgabe des Glaubens, sondern mit verstärkter Glaubensaktivität (dazu gibt es ein lesenswertes Buch: When Prophecy Fails).
Das alles hat mit mir und Tesla zu tun. Bis vor einigen Jahren war ich auch sehr teslaphil. Ich habe die Geschichte vom Underdog nicht hinterfragt. Vielleicht könnte man sagen, ich stand auf der Spitze von Mount Stupid. Aber je mehr ich selbst über Elektrotechnik und ihre Entwicklung wusste, je mehr ich selbst überprüfen konnte – theoretisch und praktisch – desto mehr Lücken taten sich in meinem Bild von Tesla auf, desto mehr andere Namen tauchten auf, desto weniger passte Tesla ins Bild. Desto mehr musste ich es korrigieren.
Die wichtigste Frage war eigentlich “Ist das plaubsibel?”. Die ganzen Anekdoten – sind die plausibel, passiert so was jemandem? Ist es plausibel, dass gute Geschäftsleute wie Morgan, Edison und Westinghouse einen so fähigen Mann betrügen bzw. sich nach so kurzer Zeit wieder von ihm lösen? Dann irgendwann das Gefühl, dass die vielen Anekdoten, von denen einige er selbst in die Welt gesetzt hat und für die es keine zeitgenössische Bestätigung gibt, im Wesentlichen auf seinen ersten Biographen zurückgehen. Die Art und Weise, wie er selbst über sich schreibt – in seiner Autobiographie betont er, wenn es um Großtaten anderer Erfinder geht immer wieder, dass er die gleiche Idee schon früher hatte. Und schließlich das Wissen um eben diese ganzen anderen Erfinder, um die Protagonisten der Energietechnik dieser Zeit. Das Verständnis für die Überlegenheit ihrer Ideen. Und das Unverständnis darüber, dass ausgerechnet das größte Genie von allen sie übersehen haben und gleichzeitig von allen übersehen worden sein soll. Die Einordnung historischer Großtaten, die völlig ohne Tesla abliefen und zu denen er doch immer wieder in Bezug gesetzt wird…
Von den wirklich seltsamen Ansichten gar nicht zu reden.
Tesla habe ich nicht mit einem Ruck vom Sockel gestoßen. Das Bild ist nach und nach zerfallen. Aus ganz ähnlichen Gründen bin ich im Übrigen auch nicht gläubig. Wenn ich heute über Tesla sage, ich halte ihn für maßlos überschätzt, dann immer im Bewusstsein, mich auch in dieser Hinsicht irren zu können. Aber auch im Bewusstsein, heute deutlich bessere Gründe für diese Einschätzung zu haben, als damals.
Orci ist Elektroingenieur und arbeitet seit einigen Jahren im Chemieanlagenbau, kommt aber ursprünglich aus der Elektrischen Energietechnik.
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