Denn nach dem Stand von Ausbildung, Fachwissen und Erfahrung sind Rettungsassistenten in der Lage in bestimmten Situationen selbst mit derselben Kompetenz die ein Arzt hat zu entscheiden, was richtig ist. Wie zum Beispiel, unter Beachtung der allgemeinen Umstände, die Gabe von Adrenalin bei einer Reanimation. Oder von Midazolam zur Durchbrechung eines Ganzkörper-Krampfanfalls. Das Problem dabei ist nur: Weil per Gesetz ärztliche Maßnahmen von Ärzten ausgeführt werden sollen, haben Rettungsassistenten de jure keine Berechtigung und müssen auf den Notarzt warten. Das hieße im Ernstfall den Patienten z.B. zehn Minuten lang krampfen zu lassen, bis der Notarzt eintrifft und die Gabe von Midazolam anordnet. Man hatte also richtigerweise einen hochqualifizierten Beruf geschaffen und den Frauen und Männern die ihn ausüben gleich die Erlaubnis verweigert, im Notfall wirklich helfen zu können.

Die Bundesärztekammer gestand daraufhin in 1992 den Rettungsassistenten die sogenannte Notkompetenz zu. In einfachen Worten ist damit gemeint, dass in kritischen Situationen, wenn nicht mit dem rechtzeitigen Eintreffen des Notarztes gerechnet werden kann, die Rettungsassistenten selbstständig ärztliche Maßnahmen durchführen dürfen. Das Riesenproblem dabei: Die Rettungsassistenten standen bei Berufung auf die Notkompetenz mit einem Bein im Knast und mit dem anderen auf der Straße. Denn das Gesetz kennt keine Notkompetenz. Und bei Streitigkeiten liegt die Beweislast bei den Rettungsassistenten. Aber damit nicht genug: Es gab Fälle in Deutschland, in denen Rettungsassistenten mit Bezug auf ihre Notkompetenz ärztliche Maßnahmen ergriffen hatten um einem Patienten zu helfen und dann im Nachhinein vom Notarzt – nicht etwa vom Patienten! – bei ihrem Arbeitgeber angezeigt und daraufhin gekündigt wurden. Eine kurze Internetrecherche mit den Schlüsselwörtern “Rettungsassistent” und “gekündigt” liefert dafür eine ganze Reihe von Fällen. Und um dem ganzen die Krone aufzusetzen: Wäre in diesen Momenten zufällig ein Heilpraktiker ohne jede notfallmedizinische Ausbildung vor Ort gewesen und hätte den Patienten in seine Ordonation genommen, dann hätte er dieselben Maßnahmen durchführen dürfen, ohne rechtliche Schritte befürchten zu müssen.

Diese Situation bestand im deutschen Rettungswesen für über 20 Jahre. Immer wieder wurden gut ausgebildete, erfahrene Leute von ihren Arbeitgebern entlassen, weil sie dieselbe Maßnahme, die ein Notarzt durchgeführt hätte, ein paar Minuten vor dessen Eintreffen ergriffen hatten. Dieser fundamentale Konstruktionsfehler im Rettungsassistenten führte zu großer Verunsicherung und Zögerlichkeit, denn auch wenn die Leute vor Ort das Richtige taten, stand immer die Gefahr im Raum, dafür im Nachhinein zur Rechenschaft gezogen zu werden. Manch gute Tat wurde auf diese Art mit Kündigung belohnt.

Es dauerte bis in die 2010er Jahre bis der Gesetzgeber endlich tätig wurde. In 2013 wurde das Rettungsassistentengesetz durch das Notfallsanitätergesetz und der Beruf des Rettungsassistenten durch den des Notfallsanitäters ersetzt und das Berufsbild damit modernisiert: Die Ausbildungsdauer wurde auf drei Jahre verlängert und die Fachkenntnisse vertieft, die mit Abstand wichtigste Neuerung war aber die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für die Anwendung invasiver Maßnahmen durch den Notfallsanitäter vor Eintreffen des Notarztes. Dadurch sollte die rechtliche Grauzone der Notkompetenz erhellt und den Notfallsanitätern mehr Sicherheit bei der Entscheidung für oder gegen eine Maßnahme gegeben werden. Allerdings mit einer Einschränkung: Laut Gesetz müssen nämlich diese Maßnahmen durch den Ärztlichen Leiter des Rettungsdienstes freigegeben sein. In der Praxis sieht das so aus, dass es im jeweiligen Rettungsdienstbereich eine Liste mit sogenannten Standard Operating Procedres, zu deutsch Standardhandlungsanweisungen gibt, in denen die Kompetenzen der Notfallsanitäter festgelegt sind. Und das ist der Haken an det Janze. Denn damit entsteht die Situation, dass es Rettungsdienstbereiche gibt, in denen die Not-Sans übertrieben gesagt alles dürfen und solche, in denen sie gar nix dürfen. Heilpraktiker ohne jede notfallmedizinische Zusatzqualifikation hätten die rechtliche Absicherung, eigenverantwortlich zu handeln, Notfallsanitätern bleibt sie verwehrt. Die müssen sich auf rechtfertigenden Notstand nach § 34 StGB berufen. Und, so mein Verdacht, genau daher, Peter, rührt Dein Problem.

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Kommentare (7)

  1. #1 Omnivor
    Am 'Nordpol' von NRW
    13. Januar 2020

    Ein Notfallsanitäter müsste doch die Heilpraktikerprüfung schneller ablegen können, als andere auf dem Scheißhaus benötigen.

  2. #2 Joseph Kuhn
    13. Januar 2020

    Schöner informativer Beitrag, danke.

  3. #3 rolak
    14. Januar 2020

    Schöner

    Naja, bis auf diese Selbstzerfleischung “2019 überhaupt nix” ;•)

  4. #4 RPGNo1
    14. Januar 2020

    @Oliver Gabath

    Zunächst einmal: Herzlich willkommen zurück im Blog.

    Und dann: Vielen Dank für den Beitrag. Mir war nicht bewusst, dass Notfallsanitäter teilweise so in der Luft gelassen werden, was ihre Möglichkeiten zu medizinischen Notfalleingriffen angeht.

    Dass Heilpraktiker, die lediglich nachweisen müssen, dass sie keine Gefahr für die menschliche Gesundheit darstellen, besser gestellt sind als ein intensiv ausgebildeter Notfallsanitäter lässt mich hingegen nur fassungslos den Kopf schütteln.

  5. #5 Ferl
    14. Januar 2020

    Entweder ein Trollbeitrag oder jemand wollte mal was noch sagen dürfen. Dafür schaff Dir bitte Dein eigenes Medium, Ferl, auf meinem ist dafür kein Platz (Davon abgesehen war’s in der Sache völliger Quatsch) – Oliver Gabath

  6. #6 Grim
    19. Januar 2020

    Um ehrlich zu sein bin ich mit der aktuellen rechtlichen Situation was Notfallsanitäter auch nicht ganz zufrieden, aber ich finde in diesem Lied wird doch übertrieben. Denn ja nach Par. 4 Abs. 2 Nr. 2c werden nicht überall viele Maßnahmen freigegeben. Hier zum Bsp. ist die aktuelle Situation in Bayern nachzulesen (https://www.aelrd-bayern.de/index.php?option=com_content&view=article&id=268:notsang&catid=80&Itemid=556).
    Aber gleichzeitig wurde mit dem NotSanG auch die Argumentationsgrundlage für ein Handeln nach 34StGB gestärkt. Der Notfallsanitäter hat als Ausbildungsziel das “Durchführen medizinischer Maßnahmen der Erstversorgung bei Patientinnen und Patienten im Notfalleinsatz und dabei Anwenden von in der Ausbildung erlernten und beherrschten, auch invasiven Maßnahmen, um einer Verschlechterung der Situation der Patientinnen und Patienten bis zum Eintreffen der Notärztin oder des Notarztes oder dem Beginn einer weiteren ärztlichen Versorgung vorzubeugen, wenn ein lebensgefährlicher Zustand vorliegt oder wesentliche Folgeschäden zu erwarten sind,”.
    Wer jetzt wie im Lied geschildert neben einem Pat. mit stärksten Schmerzen sitzt und trotzdem, dass er die Maßnahme gelernt hat und sie beherrscht etc. sie nicht anwendet ist imho für mich nahe am Tun durch Unterlassen.

    • #7 Oliver Gabath
      3. Februar 2020

      Handeln nach §34 StGB ist nicht das Problem – strafrechtlich kann sich auch ein Rettungssanitäter oder gar völliger Laie darauf berufen, wenn die Maßnahme angebracht erscheint. Das hindert aber den Arbeitgeber nicht daran, ihn wegen Überschreitung seiner Kompetenzen und Verletzung des Arbeitsvertrags zu kündigen, denn das Arbeitsrecht gehört zum Zivilrecht und da gibt es keinen rechtfertigenden Notstand. So geschehen mit diversen Rettungsassistenten, die sich auf ihre Notkompetenz berufen haben und dieses Damoklesschwert hängt auch über den Notfallsanitätern aus Gründen, die Sie selbst genannt haben. In Bayern steht z.B. Midazolam nicht auf der Liste, folgerichtigerweise also auch nicht Esketamin. Das Mittel der ersten Wahl beim Traupatienten fällt damit flach. Dito bei Kolikschmerzen, da Metamizol auch nicht drauf steht. Also bleiben nur Priritramid, Fentanyl oder gar nix und gleich Opioide rauszuhauen sollte auch nicht die Lösung sein. Was also tun mit den starken Schmerzen, die noch nicht die stärksten sind? Überhaupt ist die Liste, verglichen mit RLP oder Ba-Wü ziemlich dünn – vielleicht ist das ein Grund, warum die ÄLRD in Bayern sich alle darauf einigen konnten.