In Deutschland gibt es jedes Jahr ca. 4 Millionen Arztbesuche aufgrund Grippesymptomatik und 200.000 laborbestätigte Fälle von Influenza. Zwischen Ende der 1990er und ca. 2008 stieg die Abschätzung der Grippetoten in Deutschland auf ca. 20.000/a an und ist auf diesem Niveau recht stabil. Ausreißer wie 2017/2018 kommen hin und wieder vor. Die 5.000 zusätzlichen Toten in dieser Saison haben keine landes- und schon gar keine weltweite Panik ausgelöst.
Warum ist das beim Corona-Virus anders?
Die chinesischen Behörden haben sehr schnell sehr drastische Maßnahmen ergriffen und ein Gebiet mit 50 Millionen Einwohner unter Quarantäne gestellt (oder das zumindest behauptet), massive und kleinteilige Kontrollen, wie Temperaturmessungen von Besuchern öffentlicher Gebäude, eingeführt und die Freizügigkeit der Bürger entscheidend beschnitten. Italienische Behörden haben nach Auftreten der ersten Fälle das Nämliche im Norden des Landes getan und eine (weitaus kleinere) Region unter Quarantäne gestellt. In manchen Ländern müssen Einreisende aus China sich in Quarantäne begeben (Deutschland gehört auch dazu), in der Schweiz wurden Veranstaltungen ab 1.000 Besuchern (Beim nächsten Dorffest in meinem Heimatort sind mehr Leute auf der Straße) gleich ganz verboten und überall wurden jede Menge Feste und Zusammenkünfte abgesagt. In den Supermärkten sind die Regale mit Konserven, Mehl und für mich unbegreiflicherweise Toilettenpapier leergeräumt. Vergleiche mit der Spanischen Grippe drängen sich auf, an der in 1918/1919 weltweit zwischen 25 und 50 Millionen Menschen starben oder der Asiatischen Grippe mit weltweit bis zu 2 Millionen Opfern.
Die Gefahr weltweiter Pandemien mit vielen Toten ist sehr real und hat sich in der Vergangenheit immer wieder realisiert, trotz dessen habe ich meine Probleme damit, wie die Weltöffentlichkeit und Weltpolitik mit der Coronavirus-Epidemie umgeht. Die Frage, die ich mir stelle und mit deren Beantwortung ich mir unheimlich schwer tue ist, ob die gegenwärtige Coronavirus-Epidemie sich prinzipiell, also was Fallzahlen, Ansteckungen, Todesfälle, etc. betrifft, von der altbekannten Grippewelle zum Jahreswechsel unterscheidet. Und zwar aufgrund folgender Gedanken:
Die rund 80.000 gemeldeten Fälle in China kommen aus einem Gebiet, dass größer ist und mit 50 Millionen mehr Einwohner hat als die meisten Staaten. 55.000 davon sind laborbestätigte Fälle, die Dunkelziffer ist unbekannt und mag hoch oder niedrig sein – eingedenk der Erfahrungen hierzulande denke ich, es ist nicht unplausibel anzunehmen, dass es sehr viel mehr Infizierte als bestätigte Fälle gibt. Der Verlauf der Fallmeldungen folgt nach gegenwärtigem Stand einer S-Kurve, d.h. er beginnt mit einem schnellen Anstieg, der dann immer flacher wird und irgendwann gegen eine Sättigungsgrenze läuft. Meines Wissen nach ist das bei der Grippewelle in Deutschland ähnlich, wobei wir gerade jetzt, Ende Februar/Anfang März, das Maximum der Neuansteckungsrate durchleben. Weltweit steigen die Fallzahlen noch exponentiell an und liegen am 05.03.2020 bei ca. 15.000. In den nächsten Wochen sollten sie abflachen – warten wir’s ab.
Bis zum 05.03.2020 sind laut den offiziellen Zahlen weltweit etwa 3.300 Menschen am Coronavirus gestorben. Teilt man die bestätigten Fälle durch die bestätigten Todesfälle ergibt sich eine Mortalitätsrate von ca. 3,3 %. In diesen Zahlen steckt aber die implizite Annahme, dass sowohl Fallzahlen als auch Todesraten repräsentativ für die Gesamtbevölkerung sind. Und das sind sie nicht. Von den 100.000 Fällen sind etwa 60.000 laborbestätigt, der Rest aus anderen Gründen diagnostiziert. Ob wirklich nur 40.000 nicht laborbestätigte Fälle unter den gemeldeten sind oder, ob die Dunkelziffer nicht weitaus höher ist, weiss zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch niemand. Die Art der Datenerhebung und die Definition von bestätigtem Krankheitsfall und Todesursache führen zu einer rechnerisch höheren Lätalität als das wirklich der Fall ist. Viele leichtere Krankheitsverläufe werden in der Fallzahlen-Statistik vermutlich (noch) gar nicht erfasst und zurzeit stehen die potentiell Infizierten unter gewaltigem sozialem Druck, der viele dazu bringen wird, nicht zum Arzt zu gehen, auch wenn sie sich sterbenskrank fühlen und eigentlich behandelt werden müssten (Ich wäre nicht überrascht, wenn es in den nächsten Jahren einen deutlichen Anstieg von Folgekrankheiten wie chronische Bronchitis, Asthma, Lungenentzündung, Herzmuskelentzündung, etc. in den betroffenen Regionen gäbe. Die meisten davon völlig vermeidbar, wenn die Betroffenen schon wegen der Primärerkrankung zum Arzt gegangen wären). Andererseits werden in den Krankenhäusern prinzipbedingt eher die wirklichen schweren Fälle mit tödlichem Ausgang erfasst. Wirklich belastbare Aussagen über die Lätalität lassen sich, wie bei der saisonalen Grippe, erst im Nachhinein machen. Die Berichte der WHO tragen dem Rechnung – vorläufige Abschätzungen gehen von einer Lätalität zwischen 0,3 % und 2,6 % mit dem wahrscheinlichsten Wert bei ca. 1 % aus.
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