Update 26.03.2020: Der Gedankengang weiter unten ist, da mittlerweile gute europäische Daten vorliegen, die die chinesischen Bestätigen im Wesentlichen leider hinfällig. Trotz dessen bleibt der Artikel so stehen, da er meine Gedanken zum damaligen Zeitpunkt wiederspiegelt.
In den letzten Jahren habe ich an dieser Stelle Beiträge zur Abschätzung des Risikos durch Fipronil in Hühnereiern und Acrylamid in Pommes frites geschrieben und da wir gerade im Jahreshoch der aktuellen Grippezeit liegen und die ganze Welt über das Coronavirus spricht, möchte auch ich meine Sicht der Dinge zur Diskussion stellen.
Abzuschätzen wie gefährlich ein Krankheitserreger ist fällt mir im Vergleich zu einer Chemikalie schwerer. Chemikalien können weder mutieren noch sich selbst vermehren. Ein Mal aufgenommen wird ihre Wirkung im Wesentlichen durch den Aufnahmeweg, die Dosis und ggf. Einflüsse anderer Chemikalien, die die Wirkung verstärken oder abschwächen bestimmt. Erreger können sich innerhalb und außerhalb lebender Organismen vermehren und im Laufe der Zeit durch Mutation verändern, beispielweise Resistenzen gegen Medikamente wie Impfstoffe bilden. Für Chemikalien gibt es groß angelegte Testreihen, bei denen im Tier- und evtl. Menschenversuch Wirkungen ermittelt und die Gefährlichkeit anhand bewährter Methoden eingeschätzt werden. Für Krankheitserreger ist das bedeutend schwieriger, da sich auch eine geplante, unter Laborbedingungen an einwilligungsfähigen und bereiten Menschen durchgeführte Infektion möglicherweise nicht auf das Labor beschränken lässt, sondern auf vielerlei Wegen – durch Abfälle, die Mitarbeiter, über Luft und Wasser, etc. – nach außen dringt. Es ist deshalb schwer, für einen Erregertyp verlässliche Daten zur Einfachheit der Infektion, Häufigkeit und Schwere der Erkrankung, sowie Todesfällen zu erheben. Üblicherweise passiert das erst nach größeren Ausbrüchen und mit Verzögerung. Das Robert-Koch-Institut gibt beispielsweise jedes Jahr erst nach der letzten Grippewelle einen ausführlichen Bericht ab. Wenn dann darin steht, dass alleine in Deutschland wegen einer besonders schwere Grippewelle, 5.000 Menschen mehr and Influenza und ihren Folgeerkrankungen gestorben sind als im langjährigen Durchschnitt, kommt diese Information zu spät, um akute Sorge bei den Menschen und Politikern auszulösen. So geschehen um Jahr 2017/2018, als die schwerste Grippewelle der letzten 30 Jahre rund 25.000 Menschenleben in Deutschland gefordert hat.
Als Elektroingenieur bin ich kein Fachmann für Infektionskrankheiten. Ich bin allerdings Fachmann für Risikomanagement und Sicherheitsmaßnahmen. Mit dem Auswerten von Zahlen und ihrer Interpretation kenne ich mich aus. Und mit dieser Brille vor der Nase will ich meine Sicht der Dinge darlegen und zur Diskussion stellen.
Was ist das Coronavirus
Coronavirus ist nicht der Eigenname des Erregers, sondern der Familie zu der er gehört. Coronaviren nennt man so, weil sie von einer Hülle umgeben sind, die sie wie eine Corona umschließt. Eigentlich heißt er Severe Acute Respiratory Syndron Corona Virus 2 oder kurz SARS CoV-2, aber diese etwas sperrige Bezeichnung hat sich in den Medien nicht durchgesetzt und dann macht es auch wenig Sinn, sie hier zu verwenden. Coronaviren kommen bei verschiedenen Säugetieren vor und überspringen auch die Artenbarriere. Sie waren die Erreger der SARS- bzw. MERS-Pandemien von 2002/2003 bzw. 2012. SARS-CoV-2 ist ein bis Ende 2019 unbekanntes Virus, das zunächst in der chinesischen Stadt Wuhan entdeckt worden war und zum Ausbruch der im März 2020 gegenwärtigen Coronavirus-Epidemie geführt hat.
Die durch das Virus ausgelöste Krankheit heißt Corona Virus Desease 2019 oder kurz COVID-19. Krankheitsverlauf und Symptome unterscheiden sich leicht von denen einer Grippe, z.B. treten eher selten hohes Fieber und Gliederschmerzen, dafür viel häufiger schwere Infektionen der unteren Atemwege mit ihren Folgekrankheiten wie Lungenentzündung auf. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es keine Impfung, eine Behandlung ist nur symptomatisch, z.B. durch Fiebersenker und entzündungshemmende Medikamente möglich. Der Krankheitsverlauf ist stark vom Alter abhängig, ab ca. 50 Jahren steigen Dauer und Schwere stark an.
Wie gefährlich ist das Coronavirus
COVID-19 ist keine Grippe, trotz dessen lohnt der Vergleich mit der hierzulande saisonal auftretenden Influenza, denn einerseits sind diese Krankheit und das von ihr ausgehende Risiko gut bekannt, andererseits lassen sich Zahlen und Herangehensweisen mit der Coronavirus-Epidemie vergleichen und daraus Abschätzungen für dieses Risiko treffen.
In Deutschland gibt es jedes Jahr ca. 4 Millionen Arztbesuche aufgrund Grippesymptomatik und 200.000 laborbestätigte Fälle von Influenza. Zwischen Ende der 1990er und ca. 2008 stieg die Abschätzung der Grippetoten in Deutschland auf ca. 20.000/a an und ist auf diesem Niveau recht stabil. Ausreißer wie 2017/2018 kommen hin und wieder vor. Die 5.000 zusätzlichen Toten in dieser Saison haben keine landes- und schon gar keine weltweite Panik ausgelöst.
Warum ist das beim Corona-Virus anders?
Die chinesischen Behörden haben sehr schnell sehr drastische Maßnahmen ergriffen und ein Gebiet mit 50 Millionen Einwohner unter Quarantäne gestellt (oder das zumindest behauptet), massive und kleinteilige Kontrollen, wie Temperaturmessungen von Besuchern öffentlicher Gebäude, eingeführt und die Freizügigkeit der Bürger entscheidend beschnitten. Italienische Behörden haben nach Auftreten der ersten Fälle das Nämliche im Norden des Landes getan und eine (weitaus kleinere) Region unter Quarantäne gestellt. In manchen Ländern müssen Einreisende aus China sich in Quarantäne begeben (Deutschland gehört auch dazu), in der Schweiz wurden Veranstaltungen ab 1.000 Besuchern (Beim nächsten Dorffest in meinem Heimatort sind mehr Leute auf der Straße) gleich ganz verboten und überall wurden jede Menge Feste und Zusammenkünfte abgesagt. In den Supermärkten sind die Regale mit Konserven, Mehl und für mich unbegreiflicherweise Toilettenpapier leergeräumt. Vergleiche mit der Spanischen Grippe drängen sich auf, an der in 1918/1919 weltweit zwischen 25 und 50 Millionen Menschen starben oder der Asiatischen Grippe mit weltweit bis zu 2 Millionen Opfern.
Die Gefahr weltweiter Pandemien mit vielen Toten ist sehr real und hat sich in der Vergangenheit immer wieder realisiert, trotz dessen habe ich meine Probleme damit, wie die Weltöffentlichkeit und Weltpolitik mit der Coronavirus-Epidemie umgeht. Die Frage, die ich mir stelle und mit deren Beantwortung ich mir unheimlich schwer tue ist, ob die gegenwärtige Coronavirus-Epidemie sich prinzipiell, also was Fallzahlen, Ansteckungen, Todesfälle, etc. betrifft, von der altbekannten Grippewelle zum Jahreswechsel unterscheidet. Und zwar aufgrund folgender Gedanken:
Die rund 80.000 gemeldeten Fälle in China kommen aus einem Gebiet, dass größer ist und mit 50 Millionen mehr Einwohner hat als die meisten Staaten. 55.000 davon sind laborbestätigte Fälle, die Dunkelziffer ist unbekannt und mag hoch oder niedrig sein – eingedenk der Erfahrungen hierzulande denke ich, es ist nicht unplausibel anzunehmen, dass es sehr viel mehr Infizierte als bestätigte Fälle gibt. Der Verlauf der Fallmeldungen folgt nach gegenwärtigem Stand einer S-Kurve, d.h. er beginnt mit einem schnellen Anstieg, der dann immer flacher wird und irgendwann gegen eine Sättigungsgrenze läuft. Meines Wissen nach ist das bei der Grippewelle in Deutschland ähnlich, wobei wir gerade jetzt, Ende Februar/Anfang März, das Maximum der Neuansteckungsrate durchleben. Weltweit steigen die Fallzahlen noch exponentiell an und liegen am 05.03.2020 bei ca. 15.000. In den nächsten Wochen sollten sie abflachen – warten wir’s ab.
Bis zum 05.03.2020 sind laut den offiziellen Zahlen weltweit etwa 3.300 Menschen am Coronavirus gestorben. Teilt man die bestätigten Fälle durch die bestätigten Todesfälle ergibt sich eine Mortalitätsrate von ca. 3,3 %. In diesen Zahlen steckt aber die implizite Annahme, dass sowohl Fallzahlen als auch Todesraten repräsentativ für die Gesamtbevölkerung sind. Und das sind sie nicht. Von den 100.000 Fällen sind etwa 60.000 laborbestätigt, der Rest aus anderen Gründen diagnostiziert. Ob wirklich nur 40.000 nicht laborbestätigte Fälle unter den gemeldeten sind oder, ob die Dunkelziffer nicht weitaus höher ist, weiss zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch niemand. Die Art der Datenerhebung und die Definition von bestätigtem Krankheitsfall und Todesursache führen zu einer rechnerisch höheren Lätalität als das wirklich der Fall ist. Viele leichtere Krankheitsverläufe werden in der Fallzahlen-Statistik vermutlich (noch) gar nicht erfasst und zurzeit stehen die potentiell Infizierten unter gewaltigem sozialem Druck, der viele dazu bringen wird, nicht zum Arzt zu gehen, auch wenn sie sich sterbenskrank fühlen und eigentlich behandelt werden müssten (Ich wäre nicht überrascht, wenn es in den nächsten Jahren einen deutlichen Anstieg von Folgekrankheiten wie chronische Bronchitis, Asthma, Lungenentzündung, Herzmuskelentzündung, etc. in den betroffenen Regionen gäbe. Die meisten davon völlig vermeidbar, wenn die Betroffenen schon wegen der Primärerkrankung zum Arzt gegangen wären). Andererseits werden in den Krankenhäusern prinzipbedingt eher die wirklichen schweren Fälle mit tödlichem Ausgang erfasst. Wirklich belastbare Aussagen über die Lätalität lassen sich, wie bei der saisonalen Grippe, erst im Nachhinein machen. Die Berichte der WHO tragen dem Rechnung – vorläufige Abschätzungen gehen von einer Lätalität zwischen 0,3 % und 2,6 % mit dem wahrscheinlichsten Wert bei ca. 1 % aus.
Würde in Deutschland jedes Jahr nur 1 % der Todesfälle durch die Jahresgrippe gemeldet werden, wären das während der rund ein halbes Jahr dauernden Grippesaison von November bis Mai im Schnitt mehr als einer pro Tag. Würden unsere Europäischen Nachbarn ähnlich verfahren, sähe das im nu so aus als wüte eine gefährliche Epidemie in ganz Europa.
Und das ist bei Lichte besehen auch der Fall, obwohl wir als Gesellschaft es gar nicht so wahrnehmen. Eine richtige Grippe ist eine lebensbedrohliche Krankheit, warum sehen wir also nicht jedes Jahr solche Szenen wie dieser Tage in Supermärkten, Flughäfen, etc?
Ich glaube, dass es etwas mit Risikowahrnehmung zu tun hat und der Tatsache, dass Risiken eben schwierig einzuschätzen sind: Wir als Gesellschaft haben uns an das Risiko durch die Jahresgrippe gut gewöhnt. Wir wissen, dass sie kommt. Wir wissen, dass sie wieder geht. Und, Hand aufs Herz, wir nehmen die Zahlen aus dem Bericht des RKI mit gelassener Miene hin, sofern wir sie überhaupt je lesen oder hören. Obwohl jeder selbst etwas tun könnte, sich nämlich einfach jedes Jahr gegen Grippe impfen lassen und sich öfter mal die Hände zu waschen, tun wir als Gesellschaft sehr wenig, um das Risiko zu minimieren.
Beim Coronavirus ist das aktuell anders: Den Maßnahmen der Politik im Großen fügen die Menschen ihre eigenen Maßnahmen im Kleinen hinzu, im oft genug blinden und schlecht beratenen Wunsch, etwas zu tun. Sie waschen sich öfter die Hände und nutzen auch mal die Desi-Spender, die in öffentlichen Gebäuden schon seit Jahren stehen, aber sie räumen auch die Läden leer, hamstern und gehen mit Maske auf die Straße.
Die Zahlen weisen zurzeit auf ein sehr gefährliches Virus hin, aber das tun sie bei solchen Ausbrüchen zunächst oft und es dauert Monate, bis die Experten die tatsächliche Gefährlichkeit richtig abschätzen können. Deswegen bin ich, was den Sinn der extremen weltweiten Maßnahmen angeht, skeptisch.
Meine persönliche Einschätzung
Die chinesischen Behörden haben von einem sehr frühen Zeitpunkt an die Maßnahmen völlig eskaliert und damit eine Lawine losgetreten. Allein die Vorstellung, man könne ein so riesiges Gebiet mit so vielen Menschen, die leben, essen und wirtschaften, für die der Alltag irgendwie weitergehen muss, unter eine richtige Quarantäne zu stellen erscheint mir völlig utopisch. Unspezifisch der Bevölkerung zu raten mit Maske und Handschuhen vor die Tür zu gehen, öffentliche Veranstaltungen generell zu meiden und ähnliches schürt nur Ängste und trübt den Blick auf das wirklich Notwendige. Dazu kommt, dass viele Maßnahmen, wie die Messung der Körpertemperatur, gar nicht aussagekräftig sind. Sie erzeugen viele falsch-positive Kranke, denn bisschen Fieber hat man öfter mal. Infizierte in der Inkubationszeit erkennt man damit gar nicht, denn die sind ja noch symptomfrei. Solche radikalen und teilweise gänzlich sinnlosen Maßnahmen haben der tatsächlichen Gefahr durch das Virus noch die sehr reale Verunsicherung der Bevölkerung hinzugefügt und damit Gerüchten, Mutmaßungen und unüberlegten Handlungen allerorten Tür und Tor geöffnet. Die kürzlich verfügte Einschränkung der Versammlungsfreiheit durch die Schweizer Regierung ist in meinen Augen ein Beispiel für völlig überzogenen Aktionismus, der vielleicht Handlungsfähigkeit demonstrieren soll, für mich aber nur Hilflosigkeit bekundet und bestenfalls nicht allzu viel schadet, realistischerweise aber auch nicht allzu viel helfen wird. Die Entscheidung der Chinesen so früh in solcher Weise zu reagieren hat eine weltweite Ereigniskette angestoßen die, wie ich befürchte, Augenmaß und Vernunft mit sich reißt.
Sinnvolle Maßnahmen im Kleinen, wie die Quarantäne kleinerer Gebiete und die Isolation von Verdachtsfällen lassen sich nicht auf ganze Länder übertragen. Damit eine Quarantäne funktioniert muss der Durchgang von Menschen und Sachen über die Quarantänegrenze reguliert werden. Der Aufwand dafür steigt mit der Größe des Quarantänegebiets deutlich nichtlinear an, denn je mehr Menschen drin sind, desto mehr müssen auch mit dem nötigsten versorgt werden. Außerdem sind alle Regionen, die zurzeit unter Quarantäne stehen Wirtschaftsräume deren Einwohner ja nicht aus Spaß an der Freude arbeiten, sondern weil sie ihre Existenz sichern müssen. Dazu müssen sie Waren und Dienstleistungen mit ihrer Umgebung austauschen können. Ist dieser Fluss gestört ist die Existenzgrundlage der Region beeinträchtigt und möglicherweise gefährdet. Außerdem hat jede Grenze grüne Grenzübergänge – je länger sie ist, desto mehr davon. Eine richtige Quarantäne-Grenze aufzubauen, an der alle durchgeschleusten Menschen und Sachen kontrolliert werden für die riesigen Regionen in China aufzubauen halte ich für utopisch und den Versuch der Behörden, die Krankheit mit derartigenMaßnahmen einzudämmen für gefährlich.
Denn dadurch geht der Blick auf die tatsächliche Gefahr verloren und verlagert sich auf die Wahrnehmung von Maßnahmen, ganz gleich ob sie geeignet sind oder nicht. Die Tat an sich wird zum wesentlichen Inhalt der Tagespolitik und nicht der Sinn dahinter. Die differenzierten und nuancierten Ratschläge der Experten werden zur Begründung für extremes Handeln. Machen scheint die Devise zu sein, ohne darauf zu achten, ob das was man macht auch sinnvoll oder plausibel oder wenigstens nicht schädlich ist. Die ohnehin schwer einschätzbaren Risiken durch das Coronavirus werden dadurch bis zur Unkenntlichkeit verschmiert und die öffentliche Diskussion erschwert. Ich bin sehr gespannt auf die Kommentare zu diesem Beitrag.
Es ist kaum möglich verlässliche Zahlen bestätigter Krankheits- und Todesfälle zu bekommen. Die offiziellen Zahlen der WHO innerhalb Chinas beruhen auf behördlichen Angaben, die mit Vorsicht zu genießen sind, denn es gäbe gute Gründe sowohl fürs Tief- als auch Hochstapeln. Einigermaßen sichere Zahlen wird man vermutlich erst Ende 2020 haben, wenn die Europäischen Institute anhand ihrer eigenen Untersuchungen ihre Abschätzungen veröffentlichen.
Schon jetzt hat die Panik um das Coronavirus, die von Anfang nicht nur die Leute auf der Straße, sondern auch die Verantwortungsträger in Politik und unternehmen ergriffen hat, gewaltige Schäden angerichtet. Die Störung des internationalen Handels und von Produktionsketten, die Schließung von Betrieben im In- und Ausland und der undifferenzierte Abbruch von Geschäftsbeziehungen hat zu wirtschaftlichen Schäden geführt, die sich früher oder später in Form menschlichen Leides realisieren werden. Mittelbar zwar und in ihrer Höhe schwer abschätzbar, aber für die Betroffenen sehr real. Menschen haben ihre Jobs verloren oder werden sie noch verlieren. Unternehmen werden schließen, Anlagen nichts produzieren. Was zunächst klingt wie ein reines Spiel mit Geld hat Auswirkungen auf unseren Lebensstandard und ironischerweise unsere Fähigkeit, mit einer bedrohlichen Pandemie umzugehen. In unseren modernen Zeiten ist die Produktion von Gütern in vielen Sektoren so stromlinienförmig gestaltet, dass der alte Vorteil des freien Marktes, dass beim Ausfall eines Produzenten schnell ein anderer einspringen kann, nicht mehr zutrifft. Besonders die Chemie- und Pharmaproduktion steckt in einer Effizienzfalle: Wir bauen immer mehr Worldscale-Anlagen (groß genug, um die ganze Welt mit Produkt zu versorgen) und drängen mit deren Leistungsfähigkeit alle kleineren Produzenten aus dem Geschäft. Wenn davon eine länger ausfällt kann man nur sagen: Tja. Gerade in der Gegend um Wuhan gibt es diverse Pharmaunternehmen, die die Welt mit wichtigen Vorprodukten für die Arzneimittelproduktion versorgen. Die stehen seit acht Wochen de facto still und die nachfolgenden Produzenten leben von ihrer eigenen Lagerhaltung. Wenn sich daran nicht bald etwas ändert, werden wir in einigen Monaten Engpässe bei wichtigen Medikamenten erleben. Und die Pharmaindustrie ist nur ein Beispiel.
Viele Menschen werden in einem bitteren Fall von Ironie gerade durch unüberlegte Versuche, sich gegen den Erreger zu schützen krank werden. Dauerhaftes Tragen eines nicht dafür vorgesehenen Mundschutzes ist z.B. völlig kontraproduktiv, erst recht wenn er mehrfach benutzt wird. Vor kurzem sah ich ein Lifehack-gif, in dem ein improvisierter Mundschutz aus einem Stück Küchenpapier und Gummibändern hergestellt wird. So was ist gefährlich. Das Papier wird durch die Ausatemluft aufgeweicht und angewärmt, der Zellstoff dient den Erregern als Nahrung – da könnte man sich ebenso gut eine Petrischale vors Gesicht schnallen.
Meine Botschaft ist: Zurzeit sind alle hochkarätigen Gesundheitsinstitute und Forschungseinrichtungen an vorderster Front in den Verlauf der Epidemie involviert und der Verlauf wird genau beobachtet. So manche Maßnahme ist sinnvoll, aber vor Aktionismus sollte man sich hüten. Deshalb: Ruhe bewahren, auf Körperhygiene achten und sich nicht verrückt machen.
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