Würde in Deutschland jedes Jahr nur 1 % der Todesfälle durch die Jahresgrippe gemeldet werden, wären das während der rund ein halbes Jahr dauernden Grippesaison von November bis Mai im Schnitt mehr als einer pro Tag. Würden unsere Europäischen Nachbarn ähnlich verfahren, sähe das im nu so aus als wüte eine gefährliche Epidemie in ganz Europa.
Und das ist bei Lichte besehen auch der Fall, obwohl wir als Gesellschaft es gar nicht so wahrnehmen. Eine richtige Grippe ist eine lebensbedrohliche Krankheit, warum sehen wir also nicht jedes Jahr solche Szenen wie dieser Tage in Supermärkten, Flughäfen, etc?
Ich glaube, dass es etwas mit Risikowahrnehmung zu tun hat und der Tatsache, dass Risiken eben schwierig einzuschätzen sind: Wir als Gesellschaft haben uns an das Risiko durch die Jahresgrippe gut gewöhnt. Wir wissen, dass sie kommt. Wir wissen, dass sie wieder geht. Und, Hand aufs Herz, wir nehmen die Zahlen aus dem Bericht des RKI mit gelassener Miene hin, sofern wir sie überhaupt je lesen oder hören. Obwohl jeder selbst etwas tun könnte, sich nämlich einfach jedes Jahr gegen Grippe impfen lassen und sich öfter mal die Hände zu waschen, tun wir als Gesellschaft sehr wenig, um das Risiko zu minimieren.
Beim Coronavirus ist das aktuell anders: Den Maßnahmen der Politik im Großen fügen die Menschen ihre eigenen Maßnahmen im Kleinen hinzu, im oft genug blinden und schlecht beratenen Wunsch, etwas zu tun. Sie waschen sich öfter die Hände und nutzen auch mal die Desi-Spender, die in öffentlichen Gebäuden schon seit Jahren stehen, aber sie räumen auch die Läden leer, hamstern und gehen mit Maske auf die Straße.
Die Zahlen weisen zurzeit auf ein sehr gefährliches Virus hin, aber das tun sie bei solchen Ausbrüchen zunächst oft und es dauert Monate, bis die Experten die tatsächliche Gefährlichkeit richtig abschätzen können. Deswegen bin ich, was den Sinn der extremen weltweiten Maßnahmen angeht, skeptisch.
Meine persönliche Einschätzung
Die chinesischen Behörden haben von einem sehr frühen Zeitpunkt an die Maßnahmen völlig eskaliert und damit eine Lawine losgetreten. Allein die Vorstellung, man könne ein so riesiges Gebiet mit so vielen Menschen, die leben, essen und wirtschaften, für die der Alltag irgendwie weitergehen muss, unter eine richtige Quarantäne zu stellen erscheint mir völlig utopisch. Unspezifisch der Bevölkerung zu raten mit Maske und Handschuhen vor die Tür zu gehen, öffentliche Veranstaltungen generell zu meiden und ähnliches schürt nur Ängste und trübt den Blick auf das wirklich Notwendige. Dazu kommt, dass viele Maßnahmen, wie die Messung der Körpertemperatur, gar nicht aussagekräftig sind. Sie erzeugen viele falsch-positive Kranke, denn bisschen Fieber hat man öfter mal. Infizierte in der Inkubationszeit erkennt man damit gar nicht, denn die sind ja noch symptomfrei. Solche radikalen und teilweise gänzlich sinnlosen Maßnahmen haben der tatsächlichen Gefahr durch das Virus noch die sehr reale Verunsicherung der Bevölkerung hinzugefügt und damit Gerüchten, Mutmaßungen und unüberlegten Handlungen allerorten Tür und Tor geöffnet. Die kürzlich verfügte Einschränkung der Versammlungsfreiheit durch die Schweizer Regierung ist in meinen Augen ein Beispiel für völlig überzogenen Aktionismus, der vielleicht Handlungsfähigkeit demonstrieren soll, für mich aber nur Hilflosigkeit bekundet und bestenfalls nicht allzu viel schadet, realistischerweise aber auch nicht allzu viel helfen wird. Die Entscheidung der Chinesen so früh in solcher Weise zu reagieren hat eine weltweite Ereigniskette angestoßen die, wie ich befürchte, Augenmaß und Vernunft mit sich reißt.
Sinnvolle Maßnahmen im Kleinen, wie die Quarantäne kleinerer Gebiete und die Isolation von Verdachtsfällen lassen sich nicht auf ganze Länder übertragen. Damit eine Quarantäne funktioniert muss der Durchgang von Menschen und Sachen über die Quarantänegrenze reguliert werden. Der Aufwand dafür steigt mit der Größe des Quarantänegebiets deutlich nichtlinear an, denn je mehr Menschen drin sind, desto mehr müssen auch mit dem nötigsten versorgt werden. Außerdem sind alle Regionen, die zurzeit unter Quarantäne stehen Wirtschaftsräume deren Einwohner ja nicht aus Spaß an der Freude arbeiten, sondern weil sie ihre Existenz sichern müssen. Dazu müssen sie Waren und Dienstleistungen mit ihrer Umgebung austauschen können. Ist dieser Fluss gestört ist die Existenzgrundlage der Region beeinträchtigt und möglicherweise gefährdet. Außerdem hat jede Grenze grüne Grenzübergänge – je länger sie ist, desto mehr davon. Eine richtige Quarantäne-Grenze aufzubauen, an der alle durchgeschleusten Menschen und Sachen kontrolliert werden für die riesigen Regionen in China aufzubauen halte ich für utopisch und den Versuch der Behörden, die Krankheit mit derartigenMaßnahmen einzudämmen für gefährlich.
Kommentare (60)