Denn dadurch geht der Blick auf die tatsächliche Gefahr verloren und verlagert sich auf die Wahrnehmung von Maßnahmen, ganz gleich ob sie geeignet sind oder nicht. Die Tat an sich wird zum wesentlichen Inhalt der Tagespolitik und nicht der Sinn dahinter. Die differenzierten und nuancierten Ratschläge der Experten werden zur Begründung für extremes Handeln. Machen scheint die Devise zu sein, ohne darauf zu achten, ob das was man macht auch sinnvoll oder plausibel oder wenigstens nicht schädlich ist. Die ohnehin schwer einschätzbaren Risiken durch das Coronavirus werden dadurch bis zur Unkenntlichkeit verschmiert und die öffentliche Diskussion erschwert. Ich bin sehr gespannt auf die Kommentare zu diesem Beitrag.
Es ist kaum möglich verlässliche Zahlen bestätigter Krankheits- und Todesfälle zu bekommen. Die offiziellen Zahlen der WHO innerhalb Chinas beruhen auf behördlichen Angaben, die mit Vorsicht zu genießen sind, denn es gäbe gute Gründe sowohl fürs Tief- als auch Hochstapeln. Einigermaßen sichere Zahlen wird man vermutlich erst Ende 2020 haben, wenn die Europäischen Institute anhand ihrer eigenen Untersuchungen ihre Abschätzungen veröffentlichen.
Schon jetzt hat die Panik um das Coronavirus, die von Anfang nicht nur die Leute auf der Straße, sondern auch die Verantwortungsträger in Politik und unternehmen ergriffen hat, gewaltige Schäden angerichtet. Die Störung des internationalen Handels und von Produktionsketten, die Schließung von Betrieben im In- und Ausland und der undifferenzierte Abbruch von Geschäftsbeziehungen hat zu wirtschaftlichen Schäden geführt, die sich früher oder später in Form menschlichen Leides realisieren werden. Mittelbar zwar und in ihrer Höhe schwer abschätzbar, aber für die Betroffenen sehr real. Menschen haben ihre Jobs verloren oder werden sie noch verlieren. Unternehmen werden schließen, Anlagen nichts produzieren. Was zunächst klingt wie ein reines Spiel mit Geld hat Auswirkungen auf unseren Lebensstandard und ironischerweise unsere Fähigkeit, mit einer bedrohlichen Pandemie umzugehen. In unseren modernen Zeiten ist die Produktion von Gütern in vielen Sektoren so stromlinienförmig gestaltet, dass der alte Vorteil des freien Marktes, dass beim Ausfall eines Produzenten schnell ein anderer einspringen kann, nicht mehr zutrifft. Besonders die Chemie- und Pharmaproduktion steckt in einer Effizienzfalle: Wir bauen immer mehr Worldscale-Anlagen (groß genug, um die ganze Welt mit Produkt zu versorgen) und drängen mit deren Leistungsfähigkeit alle kleineren Produzenten aus dem Geschäft. Wenn davon eine länger ausfällt kann man nur sagen: Tja. Gerade in der Gegend um Wuhan gibt es diverse Pharmaunternehmen, die die Welt mit wichtigen Vorprodukten für die Arzneimittelproduktion versorgen. Die stehen seit acht Wochen de facto still und die nachfolgenden Produzenten leben von ihrer eigenen Lagerhaltung. Wenn sich daran nicht bald etwas ändert, werden wir in einigen Monaten Engpässe bei wichtigen Medikamenten erleben. Und die Pharmaindustrie ist nur ein Beispiel.
Viele Menschen werden in einem bitteren Fall von Ironie gerade durch unüberlegte Versuche, sich gegen den Erreger zu schützen krank werden. Dauerhaftes Tragen eines nicht dafür vorgesehenen Mundschutzes ist z.B. völlig kontraproduktiv, erst recht wenn er mehrfach benutzt wird. Vor kurzem sah ich ein Lifehack-gif, in dem ein improvisierter Mundschutz aus einem Stück Küchenpapier und Gummibändern hergestellt wird. So was ist gefährlich. Das Papier wird durch die Ausatemluft aufgeweicht und angewärmt, der Zellstoff dient den Erregern als Nahrung – da könnte man sich ebenso gut eine Petrischale vors Gesicht schnallen.
Meine Botschaft ist: Zurzeit sind alle hochkarätigen Gesundheitsinstitute und Forschungseinrichtungen an vorderster Front in den Verlauf der Epidemie involviert und der Verlauf wird genau beobachtet. So manche Maßnahme ist sinnvoll, aber vor Aktionismus sollte man sich hüten. Deshalb: Ruhe bewahren, auf Körperhygiene achten und sich nicht verrückt machen.
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