Gleiches gilt für die Gesundheitsämter, die Polizei, die Ordnungsämter, an denen die undankbare Aufgabe hängen bleibt, Kontrollen von Menschen und Ermittlung von Infektionsketten durchzuführen. Da wurde in den letzten Jahren auch kein Mensch zu viel neu eingestellt.
Was ist mit der Blutversorgung? Ich versuche grade fieberhaft die nächste, für Ende März geplante Blutspende bei uns zu organisieren. Ich habe die Kreisverwaltung und die Gemeinde angeschrieben, weil wir eine Sondergenehmigung zur Nutzung der Örtlichkeit brauchen. Wird haben unsere rechtzeitig bekommen, aber erst auf Nachfrage. Wie sieht das bei anderen aus? Jeden Tag werden allein in Rheinland-Pfalz rund 900 Einheiten Vollblut gebraucht. Die Krankenhäuser brauchen sie zur Versorgung von Unfallopfern, für Operationen und zur Medikation von Menschen mit Blutkrankheiten. Deren Probleme verschwinden leider nicht. Deswegen finden die Blutspendetermine auch nach wie vor statt, sofern es einen Ort dafür gibt. Gerade in dieser Krise sind die besonders wichtig. Sind den Verantwortlichen diese und Hundert andere kleine Verwerfungen mit am Ende riesigen Auswirkungen wirklich bewusst, die ihre Entscheidungen verursachen? Bin ich eine Ausnahme, weil ich Stadt und Kreis hinterherrennen muss oder läuft das andernorts genauso unkoordiniert?
Diese Spannung im täglichen Leben pflanzt sich auch in unsere Wortwahl fort. Viele Geschäfte, die jetzt geschlossen oder eingeschränkt sind, schreiben nicht “aufgrund der COVID-19-Pandemie” oder “Wegen der Gefahr durch das SARS-CoV2”, sondern nutzen viel harmloser klingende Floskeln wie “aus aktuellem Anlass” oder “aufgrund der aktuellen Situation”. Auch im täglichen Sprachgebrauch finde ich die Formulierung von der aktuellen Situation immer häufiger und seit ich mir dessen bewusst bin, fällt mir auf wie oft ich sie selber benutze. Vielleicht will ich tatsächlich damit meine geistige Gesundheit bewahren und mich selbst schützen, indem ich das Wort Krise nicht allzu oft in den Mund nehme. Ich klammere mich an jedes Stück Normalität in einer Welt, die unter immer größer werdendem Druck steht.
Um ganz ehrlich zu sein erzeugt die Dynamik der Entscheidungen ein mulmiges Gefühl in mir. Es sind weniger die Ereignisse an sich, sondern mit welchen Maßnahmen Politiker und Menschen darauf reagieren. Ich befürchte, dass die Corona-Krise eine Eigendynamik entwickelt, in der allein der Verweis auf die Krise zur Rechtfertigung aller Arten von Maßnahmen dient, allein weil sie geignet sein könnten, egal welche Nebenwirkungen sie mit sich bringen. Nach der kürzlich verkündeten Schließung vieler Lokale, Läden und Vereine und der teils gravierenden Einschränkungen der Versammlungsfreiheit in anderen Europäischen Ländern rückt auch eine generelle Ausgangssperre in den Bereich des Möglichen. Zurzeit ist das nicht im Gespräch, aber was wird nächste Woche sein? Und wie dann weiter verfahren würde weiss niemand. Ich halte es für durchaus möglich, dass der Landrat den Katastrophenfall ausruft, meine Dienstverpflichtung beginnt und wir zusammen mit den anderen Hilfsorganisatoren, den Feuerwehren und dem THW die Versorgung der Menschen sicherstellen müssen. Ich mache mir dabei weniger Sorgen um eine coup d’état zur Ausschaltung der Bürgerrechte als um einen immer weiter ausufernden Aktionismus der im Sinne des alten Witzes vom Sparen jeden Pfennigs, koste es was es wolle, mehr schadet als nutzt. Wir sind dabei unsere Gesellschaft de facto stillzulegen und ein Ende ist nicht absehbar. Wenn wir immer schärfere und immer radikalere Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus umsetzen laufen wir Gefahr, irgendwann die Grundlagen unseres Lebens anzugreifen. Augenblicklich sind vor allem Industriebetriebe von Schließungen und Kurzarbeit betroffen und man kann darüber streiten, ob z.B. die Automobilindustrie wirklich lebensnotwendig ist, aber früher oder später wird die konkrete Umsetzung der Vorgaben der Politik auch dazu führen, dass die Lebensmittel prduzierende und verarbeitende Industrie, die Pharma- und Chemieindustrie (mein Arbeitgeber hat schon Maßnahmen, immer noch von recht milder Art, umgesetzt, die unsere Handlungsfähigkeit stark einschränken) und viele andere, auf die wir als Gesellschaft nicht wegen der Arbeitsplätze, sondern in der Tat wegen der Produkte nicht verzichten können, ohne dass das, so unmenschlich das klingen mag, Menschenleben kostet, die Entwicklung spüren. Noch gibt es von der Politik die klare Anweisung, Lebensmittel- und andere Läden offen zu halten. Auch auf der Erzeugerseite sieht alles gut aus: Es werden genügend Lebensmittel und Bedarfsgüter produziert und weder Groß- noch Einzelhandel klagt über Versorgungsengpässe. Es wird einfach nur sehr viel mehr gekauft als sonst. Dass das so bleibt wäre wünschenswert und um einen Mangel an Lebensmitteln an sich mache ich mir auch keine Sorgen, aber ob der kaum fassbaren Dynamik der Krise keimt in mir die Sorge, dass wir früher oder später durch unsere eigenen Abwehrmaßnahmen Verteilungsprobleme bekommen könnten.
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