Das Coronavirus hat die Welt spürbar verändert. Regierungen praktisch aller Länder haben auf die Gefahr reagiert und wenn ich persönlich bei mancher Maßnahme und mancher Zahl auf der sie beruht Bauchschmerzen habe, bleibt die Beobachtung dass überall reagiert wird. Und, dass für der Spielraum fürs Reagieren denkbar knapp ist.

Die Welt ist auf Kante genäht. Das hat die Pandemie mehr als alles andere gezeigt. Sowohl private Unternehmen oder öffentliche Einrichtungen sind schon unter Normalbedingungen so verschlankt, dass eine Störung des Regelbetriebs nicht einfach aufgefangen werden kann. Wir haben keine Reserven mehr. Nirgendwo. Das zeigt sich in der Krise besonders. Wir begegnen dem Coronavirus nicht durch Aktivierung schlummernder Reserven, die wir für den Notfall vorhalten, sondern durch Überreizung des vorhandenen Materials und Überbelastung der Menschen. Leute, die bei einem Achtstundentag sowieso schon neun arbeiten, müssen jetzt zehn Stunden ran, um die Krise zu meistern. Machen wir uns nichts vor: Da werden Leute verbrannt. Burnout ist in unserer Gesellschaft sowieso ein immer größeres Problem und eine Krisensituation wird das nicht besser machen.

Nirgendwo zeigt sich das so deutlich wie im Gesundheitssystem, aber auch die Industrie kann ein Lied davon singen. Unsere Produktionswege sind so schlank, dass eine Störung in einem Glied der Produktionskette oder im internationalen Handel gravierende Ausmaße annehmen kann. Wie schon mehrmals erwähnt haben sich gerade um Wuhan viele Pharma- und Chemiefirmen angesiedelt, deren Produktionsausfall die Welt zu spüren beginnt. Ich merke das zurzeit am eigenen Leib, denn mein Schilddrüsenmedikament ist nicht lieferbar. Die weltweite Arzneimittelproduktion ist so konsolidiert, dass eine Handvoll Hersteller die Vorprodukte vieler Medikamente für die ganze Welt herstellen. Fällt einer davon aus, kann kein anderer ihn schnell ersetzen. Genau das ist Anfang 2020 in China passiert. Andere Industrien laufen in dieselbe Richtung: Viele Autobauer auf der Welt haben ihre Produktion nicht nur wegen des Coronavirus gedrosselt oder ausgesetzt, sondern weil ihnen Bauteile fehlen. Die kommen auch fast nur noch aus riesen Anlagen. Fällt eine davon aus, sind die Auswirkungen direkt global. In der chemischen Industrie bauen wir auch immer mehr Worldscale-Anlagen, die die ganze Welt versorgen können, wenn sie laufen. Die Situation, dass durch deren Leistungsfähigkeit kleinere Hersteller aus dem Markt gedrängt wurden und es dann schlagartig zu einem Versorgungsengpass kam, wenn die große Anlage ausfällt, gab es zwar meines Wissens so bei uns noch nicht, aber wenn die Entwicklungs weiter geht wie bisher, wird es früher oder später so weit kommen. An der Chemieindustrie hängt unmittelbar auch die Pharamabranche, sowie die meisten Medizinprodukthersteller, die auf Vorprodukte für Desinfektionsmittel und maßgeschneiderte Kunststoffe für FFPx-Masken, Endotrachealtuben, Venenverweilkanülen, etc. angewiesen sind.

Die Chemieindustrie hängt selbst direkt von der Automobilindustrie ab. In jedem Auto sind jede Menge Funktionsmaterialien verbaut – Kunststoffe, Fasern, Lacke – und wenn PSA ankündigt, 14 Opel-Werke zu schließen und auch VW die Produktion herunterfährt, dann wird uns das ganz sicher auch treffen.

Viele kleinere Unternehmen werden von den Großen so gedrückt, dass sie praktisch nur mit vollen Auftragsbüchern überleben können und oft selbst dann nur mehr schlecht als recht. Wenn einem kleinen Ingenieurbüro für irgendeine Spezialanwendung oder einem Handwerksbetrieb mit fünf Mitarbeitern die Aufträge wegbrechen, dann wird das ganz schnell Existenzberdrohend. Die haben in der Regel keine großen Rücklagen von denen sie zehren können. Ich sitze in der Hinsicht warm und trocken, ich arbeite bei einem Konzern. Wir sind groß, wir können die Krise in gewisser Weise abwettern. Diese Fähigkeit fehlt kleineren Betrieben. Der Großteil der Wirtschaft ist mittlerweile so stark auf den reibungslosen Regelbetrieb, der nur kleine Abweichungen duldet, ausgerichtet, dass die Schäden, die durch Krisen angerichtet werden größer sind als sie sein müssten, hätte man in guten Zeiten nicht alles getan, sich noch weiter zu verschlanken.

Dass die IT-Infrastruktur deutscher Großunternehmen, vorsichtig ausgedrückt, nicht so leistungsfähig ist wie eigentlich notwendig, ist ein offenes Geheimnis. In dieser Krise zeigt sich das überdeutlich. Ich bin z.B. seit gestern im angeordneten Homeoffice, kann online allerdings nur eingeschränkt auf die Firmenserver zugreifen, weil die nötige Bandbreite fehlt. Es macht eben doch einen Unterschied, ob 500 oder 10.000 Menschen von außerhalb auf das Intranet zugreifen wollen. Und wir sind nur ein Beispiel – frage ich unsere Kunden, Lieferanten und Geschäftspartner, höre ich unisono dieselbe Botschaft in beinah denselben Worten. Wir Sachbearbeiter jammern und klagen zwar überall schon seit Jahren über die langsamen Netze und schlechten Verbindungen, aber mit verweis auf die schwierige wirtschaftliche Lage und die hohen Kosten lehnen die Unternehmen durch die Bank den Ausbau der internen IT-Infrastruktur ab. Die Auswirkungen spüren wir jetzt, in der Krise. Unsere IT hat nichts auf den Rippen und unter der Belastung der Krise bricht sie zusammen. Aber das ist jammern auf höchstem Niveau gegenüber den Berufen die ihre Arbeitsstätte nicht so problemlos ändern können. Handwerker, Kleingewerbetreibende, der Rettungsdienst, Pflegedienste, die Post, Betreiber von Lebensmittelläden und viele andere können nicht einfach so den Laden dicht machen und sich zu Hause an den Schreibtisch setzen. Für das gros der Messebauer und Veranstaltungsbetriebe bedeutet die Krise vermutlich das Aus.

Im Gesundheitssystem sieht es im Moment ganz besonders mau aus. Dass es einen Pflegenotstand und massiven Personalmangel gibt, pfeifen seit vielen Jahren die Spatzen von den Dächern. Dass die Krankenhäuser gewaltige Probleme mit Krankenhauskeimen haben weiss man auch nicht erst seit gestern. Dass zwischen beidem ein gewisser Zusammenhang besteht dürfte jedem, der die Arbeitswirklichkeit der Pflegenden kennt, auch nicht ganz unbekannt sein. In vielen Häusern ist die Personaldecke so dünn, dass die Pflegenden nur dann alle Patienten ihrer Station versorgen können, wenn sie Abstriche bei der Versorgung des individuellen Patienten machen. Gut ausgebildete Fachleute für Pflege müssen von den Leitlinien ihrer Ausbildung, der guten Berufspraxis abweichen, weil sie sonst ihr Pensum nicht schaffen. Von der psychischen Belastung, zu wissen, dass man keine Gegenstände, sondern menschliche Wesen pflegt und das nicht optimal tun kann, weil dafür keine Zeit ist, gar nicht zu reden. Schon unter ganz normalen Bedingungen infizieren sich schätzungsweise 500.000 Menschen pro Jahr allein in Deutschland mit einem Krankenhauskeim und etwa 15.000 sterben an den Folgen. Viele dieser Infektionen wären vermeidbar, wenn die Hygieneregeln besser eingehalten würden. Das wiederrum würde aber voraussetzen, dass die Mitarbeiter genügend Zeit dafür haben und daran hapert es oft. In den letzten Jahren gab es insbesondere bei der Bekämpfung von MRSA beachtliche Erfolge, aber die stehen jetzt wieder ein Stück weit zur Disposition: Die vom Gesundheitsministerium erlassenen Vorgaben, wie die Aufhebung der Mindestbesetzung von Stationen und Mehrfachbenutzung bestimmter Einmalartikel wird garantiert nichts tun, um diese Situation zu verbessern und schon jetzt besteht die Gefahr, dass es durch die Krisenmaßnahmen zu einer schwer abschätzbaren Zahl zusätzlicher Infektionen kommen wird, erst recht wenn die Krankenhäuser wirklich in naher Zukunft viele schwer an COVID-19 erkrankte Menschen aufnehmen müssen, deren Immunsystem sowieso nicht mehr viel Abwehrkraft hat.

Die Bedingungen und Vorgaben ändern sich so rasend schnell, dass gar keine Zeit bleibt, das Für- und Wieder jedes Einzelfalls reiflich abzuwägen. Welche Operationen sind wichtig genug nicht verschoben zu werden, obwohl sie nicht lebenswichtig sind? Ist die geplante Knie-TEP einer 40-jährigen wichtig genug? Sie hat vermutlich noch 20 gute Jahre vor sich, eher mehr. An einem kaputten Knie stirbt sie sicher nicht, aber wenn’s nicht gemacht wird, wird sie irgendwann humpeln oder schlimmeres. Dito jemand mit einer komplizierten Handgelenksfraktur. Oder anstehender Hüft-OP. Oder Hundert anderen akuten, nicht lebensbedrohlichen, Verletzung. Das ist dann nicht mal eine klassisch-utilitaristische Frage von entweder oder, sondern von ob überhaupt, weil vielleicht. Die Politik hat die Vorgabe gemacht, planbare Operationen zu verschieben, aber die konkrete Entscheidung bleibt bei den armen Schweinen an der Front hängen, die schon im Normalfall zu viel um die Ohren haben und zurzeit in Arbeit und Problemen regelrecht ersaufen. Über ehemaligen Kollegen meiner Frau und Bekannte aus der Pflege und dem Rettungsdienst, also quasi durch den Buschfunk erfahre ich, dass in verschiedenen Häusern äußerst unterschiedlich auf die Anweisung reagiert wird: Zwischen alles stoppen und weiter wie bisher ist alles drin. Für viele Menschen wird die Krise damit zum Glücksspiel über Wohl und Weh ihrer Gesundheit, auch wenn sie sich um eine COVID-19-Erkrankung an sich kaum Sorgen machen müssen.

Gleiches gilt für die Gesundheitsämter, die Polizei, die Ordnungsämter, an denen die undankbare Aufgabe hängen bleibt, Kontrollen von Menschen und Ermittlung von Infektionsketten durchzuführen. Da wurde in den letzten Jahren auch kein Mensch zu viel neu eingestellt.

Was ist mit der Blutversorgung? Ich versuche grade fieberhaft die nächste, für Ende März geplante Blutspende bei uns zu organisieren. Ich habe die Kreisverwaltung und die Gemeinde angeschrieben, weil wir eine Sondergenehmigung zur Nutzung der Örtlichkeit brauchen. Wird haben unsere rechtzeitig bekommen, aber erst auf Nachfrage. Wie sieht das bei anderen aus? Jeden Tag werden allein in Rheinland-Pfalz rund 900 Einheiten Vollblut gebraucht. Die Krankenhäuser brauchen sie zur Versorgung von Unfallopfern, für Operationen und zur Medikation von Menschen mit Blutkrankheiten. Deren Probleme verschwinden leider nicht. Deswegen finden die Blutspendetermine auch nach wie vor statt, sofern es einen Ort dafür gibt. Gerade in dieser Krise sind die besonders wichtig. Sind den Verantwortlichen diese und Hundert andere kleine Verwerfungen mit am Ende riesigen Auswirkungen wirklich bewusst, die ihre Entscheidungen verursachen? Bin ich eine Ausnahme, weil ich Stadt und Kreis hinterherrennen muss oder läuft das andernorts genauso unkoordiniert?

Diese Spannung im täglichen Leben pflanzt sich auch in unsere Wortwahl fort. Viele Geschäfte, die jetzt geschlossen oder eingeschränkt sind, schreiben nicht “aufgrund der COVID-19-Pandemie” oder “Wegen der Gefahr durch das SARS-CoV2”, sondern nutzen viel harmloser klingende Floskeln wie “aus aktuellem Anlass” oder “aufgrund der aktuellen Situation”. Auch im täglichen Sprachgebrauch finde ich die Formulierung von der aktuellen Situation immer häufiger und seit ich mir dessen bewusst bin, fällt mir auf wie oft ich sie selber benutze. Vielleicht will ich tatsächlich damit meine geistige Gesundheit bewahren und mich selbst schützen, indem ich das Wort Krise nicht allzu oft in den Mund nehme. Ich klammere mich an jedes Stück Normalität in einer Welt, die unter immer größer werdendem Druck steht.

Um ganz ehrlich zu sein erzeugt die Dynamik der Entscheidungen ein mulmiges Gefühl in mir. Es sind weniger die Ereignisse an sich, sondern mit welchen Maßnahmen Politiker und Menschen darauf reagieren. Ich befürchte, dass die Corona-Krise eine Eigendynamik entwickelt, in der allein der Verweis auf die Krise zur Rechtfertigung aller Arten von Maßnahmen dient, allein weil sie geignet sein könnten, egal welche Nebenwirkungen sie mit sich bringen. Nach der kürzlich verkündeten Schließung vieler Lokale, Läden und Vereine und der teils gravierenden Einschränkungen der Versammlungsfreiheit in anderen Europäischen Ländern rückt auch eine generelle Ausgangssperre in den Bereich des Möglichen. Zurzeit ist das nicht im Gespräch, aber was wird nächste Woche sein? Und wie dann weiter verfahren würde weiss niemand. Ich halte es für durchaus möglich, dass der Landrat den Katastrophenfall ausruft, meine Dienstverpflichtung beginnt und wir zusammen mit den anderen Hilfsorganisatoren, den Feuerwehren und dem THW die Versorgung der Menschen sicherstellen müssen. Ich mache mir dabei weniger Sorgen um eine coup d’état zur Ausschaltung der Bürgerrechte als um einen immer weiter ausufernden Aktionismus der im Sinne des alten Witzes vom Sparen jeden Pfennigs, koste es was es wolle, mehr schadet als nutzt. Wir sind dabei unsere Gesellschaft de facto stillzulegen und ein Ende ist nicht absehbar. Wenn wir immer schärfere und immer radikalere Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus umsetzen laufen wir Gefahr, irgendwann die Grundlagen unseres Lebens anzugreifen. Augenblicklich sind vor allem Industriebetriebe von Schließungen und Kurzarbeit betroffen und man kann darüber streiten, ob z.B. die Automobilindustrie wirklich lebensnotwendig ist, aber früher oder später wird die konkrete Umsetzung der Vorgaben der Politik auch dazu führen, dass die Lebensmittel prduzierende und verarbeitende Industrie, die Pharma- und Chemieindustrie (mein Arbeitgeber hat schon Maßnahmen, immer noch von recht milder Art, umgesetzt, die unsere Handlungsfähigkeit stark einschränken) und viele andere, auf die wir als Gesellschaft nicht wegen der Arbeitsplätze, sondern in der Tat wegen der Produkte nicht verzichten können, ohne dass das, so unmenschlich das klingen mag, Menschenleben kostet, die Entwicklung spüren. Noch gibt es von der Politik die klare Anweisung, Lebensmittel- und andere Läden offen zu halten. Auch auf der Erzeugerseite sieht alles gut aus: Es werden genügend Lebensmittel und Bedarfsgüter produziert und weder Groß- noch Einzelhandel klagt über Versorgungsengpässe. Es wird einfach nur sehr viel mehr gekauft als sonst. Dass das so bleibt wäre wünschenswert und um einen Mangel an Lebensmitteln an sich mache ich mir auch keine Sorgen, aber ob der kaum fassbaren Dynamik der Krise keimt in mir die Sorge, dass wir früher oder später durch unsere eigenen Abwehrmaßnahmen Verteilungsprobleme bekommen könnten.

De facto wird unsere Gesellschaft zurzeit vom Utilitarismus bestimmt. Wir stehen vor der Wahl, gar nichts zu tun oder zu handeln. In beiden Fällen sterben Menschen. Wir als Gesellschaft haben uns dafür entschieden, lieber zu handeln als das Virus sich ausbreiten zu lassen. Das ist sicher auch vernünftig. Wirft zwar die Frage auf, warum wir nicht bei anderen ähnlich gravierenden Problemen so entschlossen sind, aber immerhin. Ich habe damit auch kein grundsätzliches Problem – das Risiko falsch zu handeln dem Risiko durch Unterlassen Schaden anzurichten vorzuziehen entspricht auch meinem Denken. Ich denke aber auch, dass alles Handeln Abwägungssache sein sollte und ich mache mir Sorgen, dass die Reaktion auf die Pandemie eine Eigendynamik entwickelt, die die Tat an sich und nicht mehr die Tat unter Abwägung der Vor- und Nachteile in den Mittelpunkt stellt. Unsere Reaktion auf die Krise wird ebenfalls Menschenleben kosten und Schaden anrichten. Ich bin zurzeit nicht überzeugt davon, dass dieser Punkt ausreichend gewürdigt wird.

Allerdings sind nicht alle Nachrichten schlecht, denn was uns die Corona-Krise auch lehrt ist, dass die Welt zwar auf Kante genäht sein mag, aber der Stoff aus dem sie besteht wesentlich elastischer als in früheren Zeiten ist. Trotz der großen Einschränkungen, trotz der im vereinigten Deutschland nie da gewesenen Versammlungsverbote, der Hamsterkäufe, der häuslichen Quarantänen geht das Leben irgendwie weiter. Die Leute machen sich mal mehr mal weniger Sorgen, aber bleiben im Grunde ruhig. Für mein Gefühl ist trotz der größeren räumlichen Distanz der soziale Zusammenhalt enger geworden. Vielleicht ist es das, was man damit meint, wenn man sagt, dass Krise auch Chance heißt?

Kommentare (18)

  1. #1 Robsie
    hier
    18. März 2020

    Über die letzte Aussage bin ich mir nicht so sicher. Die EU hat sich als völlig wertlos erwiesen und nationale Regelungen kamen viel zu spät. Was auch kaum erwähnt wird: Jede Maßnahme kann erst in 7-10 Tagen überhaupt anfangen zu greifen. Da würde ich lieber eine Überreaktion riskieren als einen Kollaps.

    • #2 Oliver Gabath
      19. März 2020

      Die EU Behörden tun das, was ihrem Auftrag und ihren Kompetenzen entspricht: Sie beobachten, informieren und beraten. Mehr können sie nicht tun – dafür fehlt ihnen das Mandat, denn Gesundheitsfürsorge ist Sache der Nationalstaaten. Falls Sie gerne sähen, dass die EU mehr Kompetenzen in dieser Richtung bekommt – was ich persönlich für eher sinnvoll halte – dann geht das mit einem Kompetenzverlust der Nationalstaaten einher. Und der muss von allen Mitgliedern mitgetragen werden.

  2. #3 Ludger
    18. März 2020

    Das Problem ist in der Tat, daß jede Maßnahme erst in 1-2 Wochen greift.
    Wer in 10 Tagen Symptome zeigt, hat sich *jetzt heute* bereits infiziert.
    Bei der derzeitigen Verdoppelung alle 2,5 Tage wird sich also die Zahl nochmal ver-16-fachen, bevor wir überhaupt die erste Abflachung der Kurve, bedingt durch die Sperren, sehen werden.
    Auch wenn die Krankenhäuser derzeit mit Überstunden etc. noch klar kommen: bei der noch auf uns zukommenden 16-fachen Fallzahl wird in unseren Krankenhäusern “Land unter” sein…

    Was die IT angeht:
    Ich arbeite beim größten deutschen Software-Konzern mit Sitz in Baden-Württemberg über den gerne gelästert wird.
    Ich muß hier ein echtes Lob an unsere IT loswerden: Bei mir ist jetzt, trotz 15.000 Kollegen allein in der Region im home office, “Business as usual” – alles funktioniert auch von zuhause.
    Cloud wie es sein soll…
    Nur das jetzt auch für’s home-office freigeschaltete Windows update hat mir die Leitung verstopft…

    • #4 Oliver Gabath
      19. März 2020

      So wie alle Maßnahmen auch Schäden erzeugen werden. Die Zusammmenhänge zwischen Armut und Gesundheit, Wirtschaftskrisen und Sterblichkeit oder Geburtenrate, Pflegeschlüssel und Neuinfektionen, Pflegeschlüssel und Mortalität auf Station, den Einfluss von Isoaltion of die Gesundheit, etc. sind bekannt und untersucht. Land unter sind wird jetzt schon.

  3. #6 Calabi-Yau
    18. März 2020

    Ich machen mir große Sorgen, ob die Bekämpfung des Virus nicht mehr Schäden verursacht, als das Virus anrichten könnte. Immerhin fahren wir die Wirtschaft weitgehend herunter, wobei die Folgen, etwa auf das Bankensystem, noch gar nicht absehbar sind. Dafür gibt es kein historisches Vorbild.
    Noch etwas: Es müsste entschieden mehr getestet werden. Ich habe gerade Husten, Halsschmerzen und leicht erhöhtes Fieber, war aber nicht in einem Risikogebiet und hatte auch keinen Kontakt mit einer infizierten Person. Jedenfalls soweit ich weiß. Bestensfalls ist es eine Erkältung, schlimmstenfalls… Aber ich erhalte keine Gewissheit, denn ich werde nicht getestet. Theoretisch wäre denkbar, dass ich Corona habe und nach dem Abklingen der Symptome andere anstecke, schließlich muss ich ja zur Arbeit und zum Einkaufen. Da wird am falschen Ende gespart. Kein Wunder, wenn sich das Virus exponentiell verbreitet.

  4. #7 Michael33
    18. März 2020

    Nur weil das Virus von Tieren auf Menschen überspringen kann ist damit nicht bewiesen das dieser Virus ein natürlichen Ursprung hat oder dort bei den Tieren entstanden ist. Entstehung und Übertragung sind 2 verschiedene Dinge und sollte man nicht verwechseln. Es gibt keinen Beweis das dieser Virus schon immer so in der Form in der Natur vorhanden war. Der Corona Virus ist verwandt mit dem Sars Virus das 2002 auch in Südchina ausgebrochen ist ,in dem 32 KM von Wuhan entfernten Biolabor wurde am Sarserreger geforscht. Kann die chinesische Regierung uns garantieren das ihre Labore 100 Prozent sicher sind ? Kann sie nicht siehe hier:

    https://www.the-scientist.com/news-analysis/sars-escaped-beijing-lab-twice-50137

    https://www.nature.com/news/inside-the-chinese-lab-poised-to-study-world-s-most-dangerous-pathogens-1.21487?utm_medium=affiliate&utm_source=commission_junction&utm_campaign=3_nsn6445_deeplink_PID2190813&utm_content=deeplink

    https://scilogs.spektrum.de/fischblog/coronavirus-labor/

    Zum einen ist das schon mal passiert, und zwar 2004 in Peking. Damals haben sich zwei Personen unabhängig voneinander in einem Labor mit dem SARS-Coronavirus infiziert und die Krankheit nach draußen getragen. Darauf basierte auch eine Warnung in einem Artikel von 2017, dass die größere Bedeutung von Hierarchie in China solche Labors möglicherweise besonders unsicher mache.[2]

    Zum anderen ist es absolut möglich, einen Erreger im Labor gefährlicher zu machen. Das wird auch überall auf der Welt schon getan. Man bezeichnet diese Versuche als Gain-of-Function-Experimente, und untersucht damit zum Beispiel, was eine saisonale Grippe von der Vogelgrippe H5N1 unterscheidet, die mehr als die Hälfte aller Infizierten tötet, aber wenig ansteckend ist.

    Viren ansteckender machen

    Gain-of-Function-Experimente an potenziellen Pandemieviren sind sehr kontrovers. Nachdem 2011 zwei Arbeitsgruppen das H5N1-Virus gezielt viel ansteckender für Säugetiere gemacht hatten, wurde die Forschung dort ein paar Jahre lang gestoppt. Seit 2017 ist das Verbot mit einigen Einschränkungen aufgehoben.

    Eine Verbreitung durch ein Unfall ist also nicht auszuschliessen siehe hier:

    https://www.nature.com/articles/nm.3985?utm_medium=affiliate&utm_source=commission_junction&utm_campaign=3_nsn6445_deeplink_PID2190813&utm_content=deeplink

    „Using the SARS-CoV reverse genetics system2, we generated and characterized a chimeric virus expressing the spike of bat coronavirus SHC014 in a mouse-adapted SARS-CoV backbone. The results indicate that group 2b viruses encoding the SHC014 spike in a wild-type backbone can efficiently use multiple orthologs of the SARS receptor human angiotensin converting enzyme II (ACE2), replicate efficiently in primary human airway cells and achieve in vitro titers equivalent to epidemic strains of SARS-CoV. Additionally, in vivo experiments demonstrate replication of the chimeric virus in mouse lung with notable pathogenesis. Evaluation of available SARS-based immune-therapeutic and prophylactic modalities revealed poor efficacy; both monoclonal antibody and vaccine approaches failed to neutralize and protect from infection with CoVs using the novel spike protein. On the basis of these findings, we synthetically re-derived an infectious full-length SHC014 recombinant virus and demonstrate robust viral replication both in vitro and in vivo.“

    „Although public health measures were able to stop the SARS-CoV outbreak4, recent metagenomics studies have identified sequences of closely related SARS-like viruses circulating in Chinese bat populations that may pose a future threat1,6. However, sequence data alone provides minimal insights to identify and prepare for future prepandemic viruses. Therefore, to examine the emergence potential (that is, the potential to infect humans) of circulating bat CoVs, we built a chimeric virus encoding a novel, zoonotic CoV spike protein—from the RsSHC014-CoV sequence that was isolated from Chinese horseshoe bats1—in the context of the SARS-CoV mouse-adapted backbone.“
    Co-Autor Zhengli-Li Shi: Key Laboratory of Special Pathogens and Biosafety, Wuhan Institute of Virology, Chinese Academy of Sciences, Wuhan, China

    Daraus geht hervor das die Toolbox und der nötige Impact vor deutlich über einem halben Jahrzehnt am entsprechenden Ort entwickelt und erkannt worden sein musste. Und nach einer Nature Publikation hat man das Projekt eher nicht beiseite gelegt.

    Dann gab es die Publikation der TH Neu Delhi die seriöse Forschung publiziert bei bioarxiv, das zurückgezogen wurde, Aufgrund dessen weil es anhand der identifizierten Mutationen im Hinblick öffentlich zugänglicher Sequenzierungen, die für jedermann überprüfbar ist einen synthetischen Ursprung postulierte. Und es ist doch seltsam dass die drei bis zu 10 bp großen Regionen in denen sich Cov2 von seinem Vorgänger aus dem Tierreich unterscheidet, allesamt zufällig kurz vor dem „Sprung“ auf den Menschen mutiert sein sollen.

    • #8 Oliver Gabath
      19. März 2020

      Vorstellen könnte ich mir diesen Weg auch, aber zurzeit fehlen mir plausible Gründe ihn für realistisch zu halten. Es gibt keine seriösen Berichte, nicht mal plausible Gerüchte, z.B. von Chinesischen Ärzten in internationalen Chats verbreitete Informationen, über einen Ausbruch aus einem Labor. Solange sich das nicht ändert erscheint mir, eingedenk meiner eigenen Erfahrungen mit chinesischen Kollegen und von Berichten meiner Kollegen hier, die lange in China waren, der Sprung vom Tier auf den Menschen plausibel.

  5. #9 Karl Mistelberger
    mistelberger.net
    19. März 2020

    > #7 Michael33, 18. März 2020
    Das längliche Elaborat lässt systematisch aus was dagegen spricht:

    In a post published yesterday that I didn’t see when I was writing this, James Lyons-Weiler finally admitted that he was full of crap without actually giving up his conspiracy mongering.

    https://sciencebasedmedicine.org/james-lyons-weiler-coronavirus-conspiracy-vaccine/

    • #10 Oliver Gabath
      19. März 2020

      Wo in Michael33s Links kommt Lyons-Weiler vor?

  6. #11 Echt?
    19. März 2020

    Weithin unbekannt ist, dass der Erreger durch Nacktschnecken übertragen wird. Bei einem missglückten Laborexperiment konnten mehrere Schnecken uneinholbar schnell flüchten.

  7. #13 Karl Mistelberger
    mistelberger.net
    19. März 2020

    > #10 Oliver Gabath, 19. März 2020
    > Wo in Michael33s Links kommt Lyons-Weiler vor?

    Nirgends. Ich habe das auch nicht behauptet.

    Vielmehr geht es mir darum zu betonen, dass man sich einerseits so und anderseits mit etwas mehr Ernsthaftigkeit der Materie nähern kann.

    Falls noch Fragen offen sind, schlage ich wie in vielen Foren seit einiger Zeit üblich, erst einen Update durchzuführen (die “Software” auf den neuesten Stand zu bringen).

  8. #15 Beobachter
    20. März 2020

    Jeder Mensch sollte gleich viel wert sein.

    In “normalen Zeiten”, in “Krisenzeiten”, in “Katastrophen-/Pandemie-Zeiten” ! ?

    Dazu:

    https://taz.de/Ethikerin-zu-Medizinversorgung-in-Krisen/!5669071/

    “Ethikerin zu Medizinversorgung in Krisen
    :„Jeder Mensch ist gleich viel wert“ … ”

    Nach welchen Kriterien wird im Notfall von wem und wie entschieden – über Leben, Sterben und Weiterleben ?
    Nützlichkeit, Selektion, Triage …

  9. #16 Beobachter
    21. März 2020

    Sehr lesenswerter Artikel:

    https://www.zeit.de/wirtschaft/2020-03/soziale-ungleichheit-coronavirus-pandemie-versorgung-covid-19

    “Soziale Ungleichheit

    Hierarchie der Not
    Wer unten steht, leidet mehr: Die Corona-Krise verdeutlicht und verschärft die soziale Ungleichheit. Es geht jetzt auch um die gesellschaftlichen Abwehrkräfte.
    … ”

    ” … Der Sozialwissenschaftler Stefan Sell spricht von einer “Hierarchie der Not”. Bei den nicht “Systemrelevanten” sieht diese Hierarchie so aus: Am oberen Ende richten sich die Denkarbeiter im Homeoffice ein und hadern mit der Qualität der Videokonferenzen. Und am unteren Ende wissen viele nicht, wie sie ihre Miete bezahlen sollen.
    … ”

    ” …
    Sozialwissenschaftler Sell macht sich am meisten Sorgen um die Pflege: “Alle reden über die Krankenhäuser, aber wir haben Hunderttausende in den Alten- und Pflegeheimen. Und noch mal mehr Pflegebedürftige werden zu Hause versorgt. Was ist, wenn die Angehörigen und die Pflegedienste nicht mehr kommen können?” Sell warnt: “Das ist eine riesige Krise, die noch niemand richtig auf dem Schirm hat.”
    … “

  10. #17 Beobachter
    23. März 2020

    Wichtiger, aktueller Artikel in der ZEIT (dort am 23.03.20 editiert):

    https://www.zeit.de/2020/13/michael-de-ridder-rettungsmedizin-coronavirus-ausnahmezustand/komplettansicht

    “Rettungsmediziner Michael de Ridder

    “Das Pflegepersonal zuerst”
    Der Berliner Rettungsmediziner Michael de Ridder erklärt, wie Ärzte entscheiden, wenn es am Nötigsten fehlt, wer behandelt wird – und wer im Zweifel sterben muss.
    … ”

    ” …
    De Ridder: Wir haben dreimal so viele Beatmungsplätze wie Italien, nämlich 28.000, die man zur Not auf 34.000 erweitern kann, wenn man beispielsweise Narkosegeräte aus den Operationssälen mitnutzt. Es fehlen aber 4.800 Intensiv-Pflegekräfte – Spezialisten also, die die Maschinen bedienen können. Das ist das eigentliche Nadelöhr.
    … ”

    Eben.
    Es fehlt schon in “normalen Zeiten” an qualifizierten Pflegefachkräften (was schon lange bekannt ist), die “die Maschinen bedienen können” und in Intensivmedizin/-pflege ausgebildet sind.

    Und schon bei der Corona-Testung wird “nach einer Art Triage sortiert, weil die Kapazitäten, solche Tests durchzuführen, begrenzt sind.”

    Uns so wird auch bei einer Impfung vorgegangen werden müssen, wenn es sie denn demnächst oder später oder irgendwann geben sollte …

  11. #18 Beobachter
    24. März 2020

    Spanien:

    https://www.fr.de/panorama/coronavirus-spanische-armee-findet-tote-altenheimen-vernachlaessigung-angeprangert-zr-13597264.html

    ” …
    +++ 24.3.2020, 6.50 Uhr: In Spanien haben zum Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie eingesetzte Soldaten in Altenheimen völlig sich selbst überlassene Bewohner und in manchen Fällen sogar Leichname gefunden. Bei einigen ihrer Besuche hätten sie verstorbene Menschen in ihren Betten entdeckt, berichtete Verteidigungsministerin Margarita Robles. Die spanische Generalstaatsanwaltschaft leitet nach eigenen Angaben eine Untersuchung zu den Zuständen in den Heimen ein.
    … ”

    Man wird derzeit nicht mal das qualifizierte Personal für diese Untersuchung haben –
    und später werden die gefundenen Leichname verbrannt sein und die kranken, unversorgten Alten verstorben sein.
    Und keiner war/ist dran schuld in diesem Ausnahmezustand … !