Ich denke, dass in greifbarer Zukunft ein Impfstoff zur Verfügung steht und produziert wird – vielleicht nicht in einem Monat, vielleicht nicht mal in diesem Jahr, aber wahrscheinlich nicht erst in zehn. Dann wird bei der Verteilung ebenfalls triagiert werden müssen. Und das wird dann für die Verantwortlichen besonders hart, denn zu Anfang wird die Zahl zu Impfender maximal sein, während der Impfstoff knapp verfügbar ist. Es gibt dann zur Verteilung mehrere Möglichkeiten und alle sind mehr oder minder ungerecht. Gehen wir vom besten möglichen Impfstoff aus: Geimpfte sind nicht mehr infektiös und vollständig immun. Ich zum Beispiel sollte weit unten auf der Prioritätenliste stehen, denn als Mittdreißiger ohne besondere Vorerkrankungen muss ich mir um eine Erkrankung vergleichsweise wenig Sorgen machen, wenn man mich mit den typischen Patienten im Krankenhaus oder jeder beliebigen Person aus der Generation meiner Eltern vergleicht. Allerdings bin ich als Mitglied der SEG-SAN des Rhein-Pfalz-Kreises zu diesem Zeitpunkt möglicherweise in irgendeiner Form im Einsatz, sei es als Helfer bei einer Fieberambulanz, im Rettungsdienst, oder beim Essen auf Rädern, wo ich mit allerlei Menschen, viele davon aus Risikogruppen zusammentreffe. Also rücke ich vielleicht wieder auf einen höheren Platz und nehme im Zweifel damit jemandem die lebensrettende Impfdosis weg. Im Prinzip ist das beim gesamten medizinischen Personal so und ähnlich sieht es bei anderen wichtigen Berufen aus, z.B. Polizeibeamten, der Feuerwehr, etc. und jedem, der viel mit Risikogruppen oder auch nur prinzipbedingt vielen Menschen zu tun hat (Lehrer zum Beispiel?).
Alter allein ist auch kein ausreichend guter Marker. Man könnte zwar alle Menschen nach Altersklassen einteilen und mit den Ältesten Anfangen, aber dann ergäbe sich das Problem der Verteilung innerhalb der höchstens Altersklassen. Für die Klasse der 0 bis 50-Jährigen besteht, falls keine Vorerkrankungen vorliegen, ein sehr viel geringeres Risiko als für alle Älteren, also stehen wir die zunächst ganz sicher zurück. In unseren modernen Zeiten gibt es aber auch nennenswert viele 100-Jährige und leben viele Menschen bis weit über 90, allerdings gesundheitlich immer in einem labilen Gleichgewicht, das sich, ein Mal gestört, erstaunlich schnell bis zum Tod verschlechtern kann. Zwischen 60 und 80 haben heute viele Menschen noch sehr viel Lebensqualität. Mit jedem Jahr, das Menschen älter werden steigt aber nicht nur ihr Risiko, an COVID-19 zu sterben, sondern auch durch alle anderen Ursachen. Ginge man rein nach Alter, müsste man die Ältesten bevorzugen, aber von diesen werden viele aus anderen Gründen kurz nach der Impfung sterben – wäre es also gerecht, sie zu bevorzugen, wenn dadurch nennenswert vielen 60-Jährigen die Chance auf 20 gute Jahre genommen wird? Auf der anderen Seite sind es auch Menschen und sie haben es verdient, weiterzuleben. Und da wir nicht wissen, wie lange der einzelne lebt, gebietet uns nicht die Menschlichkeit, ihr oder sein Leben so lange zu erhalten, wie es lebenswert ist? Wäre es gerecht, die ganz alten zurückzustellen? Ich will gar nicht behaupten, dass ich auf diese Frage eine Antwort hätte. Menschenleben wiegt man nicht leichtfertig gegeneinander gab. Aber möglicherweise werden wir als Gesellschaft mit dieser Situation irgendwie umgehen müssen.
Die Politik trägt diesem Problem zurzeit Rechnung, indem die STIKO durch die Bundesregierung beauftragt wurde, ein “risikoorientiertes Priorisierungskonzept” zu entwickeln. Das ist mit Sicherheit ein guter Weg vorwärts – wird aber wahrscheinlich auch dazu führen, dass die Priorisierung des Individuums anhand eines mehr oder minder komplexen Reglements ermittelt werden wird. Ich vermute, dass im ersten Wurf eine Art Entscheidungsbaum generiert werden wird, zu dem aber sicherlich zahlreiche Ausnahmen und Sonderfälle kommen. Alle Probleme wird das sicher nicht lösen, aber wenn durch ein etwas komplexeres Verfahren mehr Menschenleben gerettet werden können als durch ein einfaches, und gerade im Hinblick auf die ethischen Herausforderungen, dann klingt das für mich zunächst mal wie eine sinnvolle Sache.
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