Um die sechs Reaktoren zu kühlen braucht man als absolutes Minimum einen Durchfluss von etwa 60 m³/h. Das ist nicht viel, wenn man es aus dem nahen See entnehmen kann. Auch die zehnfache Menge ist für eine Industrieanlage dieser Grö0e locker machbar. 60 m³/h sind aber schon ordentlich, wenn sie über Rohrleitungen heranführen muss. Umso mehr als diese Rohrleitung im Gefechtsfeld liegt. Die IAEA geht in einem gestern veröffentlichten Statement davon aus, dass aus dem Kachowka-Staudamm kein Wasser mehr entnommen werden kann, wenn der Pegel unter 12,7 m fällt. Das Szenario, dass die Reaktoren kurzfristig trockenfallen ist real und realistisch. Sie werden aller Wahrscheinlichkeit nach nicht katastrophal versagen, aber wahrscheinlich technisch und wirtschaftlich zerstört werden.
Viel problematischer sind aber die Abklingbecken, denn im Gegensatz zu dem bestrahlten Kernbrennstoff im Reaktordruckbehälter oder dem Trockenlager werden die Brennstäbe, die dort gelagert werden, nicht durch viele Zentimeter Stahl von der Außenwelt abgeschirmt. Die Gebäude, die sie umgeben, sind keine Containments. Sie sind nicht dafür ausgelegt, Radioaktivität, die aus den Becken großflächig austritt, zurückzuhalten. Wenn die Abklingbecken trockenfallen, kann es zur Zerstörung der Brennelemente und Freisetzung großer Mengen Radioaktivität in die Atmosphäre kommen. Mit möglicherweise katastrophalen Folgen. Die IAEA übertreibt nicht, wenn sie den Ernst der Lage beschwört. Die Lage ist ernst.
Allerdings wäre es falsch, von einer Katastrophe Tschernobyl’schen Ausmaßes zu sprechen. So schlimm würde es selbst im schlimmsten Fall nicht kommen. Das radioaktive Inventar ist viel kleiner, die spezifische Aktivität niedriger, in Tschernobyl wurden durch das Feuer im Reaktorkern Spaltprodukte hoch in die Atmosphäre getragen und weit verteilt. Die Gefahr, die von Saporischschja ausgeht, ist lokal begrenzt, wobei lokal einige zehn Kilometer heißen kann. Panik in Mitteleuropa ist nicht angebracht. Es sind die Menschen vor Ort, die vor einer existenzbedrohenden Situation stehen.
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