Es ist ein düsteres Bild, das der Scientific American vom Baufortschritt des größten Kernfusionsexperiments der Welt zeichnet. Von Kostenexplosionen ist die Rede, immer wieder verschobenen Terminplänen, Ratlosigkeit bei den Verantwortlichen, einer ungewissen Zukunft.

Die Kritik ist berechtigt. Als das Projekt ITER im Jahre am 28. Juni 2005 formal auf den Weg gebracht wurde, ging man von Kosten von 5 Milliarden Euro und einer Bauzeit von etwa 10 Jahren aus. Das erste Plasma sollte 2016 erzeugt werden, den Break-Even-Point der Kernfusionsreaktion (das ist der Punkt an dem die Kernfusionsreaktion mehr Energie freisetzt als zu ihrer Aufrechterhaltung notwendig ist) strebte man für 2018 an. Aus damaliger Sicht ein ehrgeiziges Vorhaben, aus heutiger Sicht erscheint es utopisch. Die Verantwortlichen von damals, so sie noch am Leben sind, müssen sich heute die Frage gefallen lassen, wie man sich derart verkalkulieren konnte. Dass eine vorher in dieser Dimension nie gebaute Forschungsanlage teurer wird als zunächst veranschlagt und ihr Bau länger dauert ist vorhersehbar und im ersten Moment nicht ehrenrührig. Hubble und der LHC haben auch deutlich mehr gekostet, als zunächst veranschlagt. Allerdings nicht so viel mehr und es hat nicht so viel länger gedauert.

Laut Scientific American geht man zurzeit von Kosten in Höhe von 20 Milliarden € aus. Die Inbetriebnahme wird für 2025 erwartet. Das ist satt. Und möglicherweise nur die Spitze des Eisbergs. Dokumente, die Scientific American über eine FOIA-Anfrage erhalten hat, legen nahe, dass innerhalb der ITER-Organisation niemand wirklich eine Vorstellung davon hat wie viel es kosten wird und wie lange es dauert. Dafür ist von nicht näher spezifizierten technischen Problemen die Rede, die weitere Kostensteigerungen und Verzögerungen mit sich bringen. ITER scheint auf dem besten Weg, das teuerste wissenschaftliche Projekt der Geschichte zu werden und gleichzeitig das mit der längsten Bauzeit.

Die Öffentlichkeit, die das alles bezahlt, hat ein Recht darauf zu erfahren, woran es denn liegt. Bereits im Jahr 2012 berichtete Scientific American über Verzögerungen und Kostensteigerungen, die sich aus den technischen Problemen und der barocken (ein schönes Adjektiv an dieser Stelle) Struktur der ITER-Organisation ergeben. Außerdem scheint es, als sei das Projekt von Anfang an gesundgebetet worden. Initiale realistische Kostenschätzungen sollen von 10 Milliarden € ausgegangen sein. 1998 verließen die USA deshalb das Projekt und traten erst 2003 wieder bei, nachdem die Kostenschätzung halbiert wurde. Ich glaube, auch ohne jede Erfahrung im Anlagenbau, bekommt man bauchweh, wenn man so was hört. Es ist kein Wunder, dass unter diesen Bedingungen die Basisplanung nicht sorgfältig genug durchgeführt wurde. In den letzten Jahren gab es Berichte über diverse Probleme beim Bau, so z.B. Baugruppen, die nicht zueinanderpassen, Probleme mit Schweißnähten und Leckagen bei Vakuumtests. Besonders pessimistisch liest sich ein Paper, das in Nature veröffentlicht wurde und potential massive Probleme im grundsätzlichen Design diskutiert.

Aber das ist noch nicht alles. Die ITER-Organisation als internationales Joint Venture hat inheränterweise gewisse Besonderheiten. Ich habe schon in Joint-Ventures gearbeitet und meiner Erfahrung nach, von einem Engineering- bzw. Engineering-Management-Standpunkt betrachtet, sind sie die Pest. Das Verhältnis der Mannschaften sei noch so kollegial, die Expertise auf allen Seiten noch so hoch, der gemeinsame Wille zum Erfolg noch so groß; in dem Moment, in dem verschiedene Philosophien aufeinander treffen beginnen die Probleme. Um jede Entscheidung wird gestritten, mit harten Bandagen. Techniker auf allen Seiten tun sich schwer, bekannte und bewährte Konzepte auf Wunsch der Partner zu verändern, Geräte einzusetzen, mit denen sie keine Erfahrung haben, Strukturen und Organisationen zu schaffen, die sie nicht kennen. Das ist menschlich und nicht trivial. In einer Organisation, in der verschiedene Länder mit divergierenden Interessen um Einfluss ringen, breiten sich Probleme zusätzlich noch in die politische Dimension aus. Da geht es um die Beschaffung der Baugruppen, die Beauftragung von Firmen, das Hin- und Herschieben von Geldern, die Besetzung von Führungspositionen, die Schaffung von Standards und viele andere Dinge mehr. Die eigentlichen technischen Herausforderungen kommen noch oben drauf.

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Kommentare (41)

  1. #1 Staphylococcus rex
    20. Juni 2023

    Sowohl bei der Kernspaltung als auch bei der Kernfusion gibt es die gesteuerte und die ungesteuerte Kettenreaktion. Bei der Kernspaltung gab es die gesteuerte Kettenreaktion vor der ungesteuerten Kettenreaktion (Atombombe):
    https://de.wikipedia.org/wiki/Chicago_Pile

    Bei der Kernfusion gibt es bisher nur die ungesteuerte Kettenreaktion (Wasserstoffbombe), was auch nicht verwunderlich ist, da diese Reaktion bisher nur in einem extrem heißen Plasma ablaufen kann, welche sämtlichen bekannten Werkstoffe zur Eindämmung überfordert. Eine Eindämmung durch elektromagnetische Felder erfordert die entsprechende Technik und Steuerungselektronik.

    Ich bin kein Physiker, aber die Geschichte liest sich für mich so, als wollte man mit ITER mehrere Entwicklungsstufen überspringen und hat sich dabei mit der Komplexizität des Projekts verhoben.. Wenn diese Annahme stimmt, sollte man den Flaschenhals des Projekts suchen, und das ist aus meiner Sicht die Eindämmung des Plasmas über einen längeren Zeitraum und Schritt für Schritt versuchen die Eindämmungsfelder und deren Steuerung zu vervollkommnen, bevor man den großen Meilenstein eines Versuchsreaktors angeht.

  2. #2 Spritkopf
    20. Juni 2023

    Nach allem, was ich bisher gelesen habe, ergibt sich für mich das Bild einer multinationalen Organisation, bei der jeder nationale Partner eisern darüber wacht, dass sein finanzieller Anteil sich in Firmenaufträgen für sein Land niederschlägt. Nationale Eifersüchteleien statt Ziehen an einem Strang – wie soll das funktionieren?

  3. #3 irgendwer
    20. Juni 2023

    Das Fusion Projekt zeigt Parallelen zum Projekt der Russen 1969 als Erste auf dem Mond zu landen. Der Zeitplan der Russen ging nicht auf, weil ihr Chef-Konstrukteur Sergei Koroljow aus gessundheitlichen Gründen nicht weiter arbeiten konnte. Andere Qellen nannten einen anderen Namen, auf jeden Fall wurde das Mondlandeprogramm der Russen unterbrochen.

    Beim Fusion Projekt der Amerikaner verstarb 2022 der Chef-Konstrukteur Bernard Bigot, was den Weiterbau des Tokakmak infrage stellt.
    Es ist also nicht immer die Technik schuld, wenn sich die Programme verzögern.

  4. #4 Kaktus
    20. Juni 2023

    Wer braucht denn noch ITER oder gar DEMO, wenn uns doch die FDP auf dem Wege der Entbürokratisierung schon 2033 mit kommerziell erzeugtem Strom aus Fusionsreaktoren beglücken wird?

  5. #5 Kaktus
    20. Juni 2023

    Wer braucht denn noch ITER oder gar DEMO, wo uns doch die FDP auf dem Wege der Entbürokratisierung schon 2033 mit kommerziell erzeugtem Strom aus Fusionsreaktoren beglücken wird?

  6. #6 irgendwer
    20. Juni 2023

    Christian Lindner ist Mathematikpolitiker und kein Stromerzeuger.

  7. #7 schlappohr
    20. Juni 2023

    Da machen es die Chinesen besser. Da wird ganz oben beschlossen, das Ding wird gebaut und dann wird das Ding gebaut, und es kostet halt so viel wie es kostet. Magnetschwebebahn, Radioteleskop der Arrecibo-Klasse, Fusionsreaktor, Dreischluchtenstaudamm, Mondrakete sind Beispiele. Ob das ganze Zeug dann wirklich funktioniert oder die Ergebnisse vornehmlich Staatspropaganda sind, ist dann nochmal ein ganz anderes Kapitel.

    In Europa gibt es erst jahrzehntelanges Hickhack, schöngesoffene Kostenabschätzungen und dann eine Verzögerung und Kostenüberschreitung nach der anderen. Beispiele: Concorde, Eurofighter (ein organisatorisches Desaster), BER, Elphi, Stuttgarter Bahnhof, LHC. Dafür funktioniert es dann auch (meistens) irgendwann und erfüllt seinen Zweck, wenn niemand mehr damit rechnet.

  8. #8 Staphylococcus rex
    20. Juni 2023

    Gestern abend lief auf ZDF Info eine Reportage über Elon Musk. Dessen Großprojekte SpaceX und Tesla hatten kritische Phasen, wo das Überleben der Firma auf der Kippe stand. Elon Musk hat durch persönlichen Einsatz, Glück und ein hohes finanzielles Wagnis diese kritischen Phasen überwunden.

    Ich bin kein Fan von Elon Musk, aber gerade derartige Großprojekte benötigen kompetente Führungspersönlichkeiten, um die zentrifugalen Kräfte in kritischen Phasen zu bändigen und die vorhandenen Ressourcen auf die Schwerpunkte zu fokussieren.

    Bezogen auf ITER bedeutet dies, wenn die Führungsriege nicht in der Lage ist, die aktuelle Krise zu meistern, wäre es klüger, das Gesamtprojekt in relativ autonome Teilprojekte aufzusplitten, auch wenn dies länger dauert.

  9. #9 echt?
    20. Juni 2023

    Wie bei der Atomkraft fehlt es an einer ehrlichen Erfassung der Kosten.

  10. #10 hto
    Holographische Konfusion
    20. Juni 2023

    O.G.: “Das Verhältnis der Mannschaften sei noch so kollegial, die Expertise auf allen Seiten noch so hoch, der gemeinsame Wille zum Erfolg noch so groß; in dem Moment, in dem verschiedene Philosophien aufeinander treffen beginnen die Probleme.”

    Die URSACHE aller Probleme ist der nun “freiheitliche” WETTBEWERB um die Deutungshoheit der imperialistisch-faschistischen Willens- und Bewusstseinsschwäche – Wäre Mensch ein ganzheitliches Wesen OHNE wettbewerbsbedingte Symptomatik “Wer soll das bezahlen?”, usw., in einem globalen Gemeinschaftseigentum, wo Leistung ganz anders / wirklich-wahrhaftig organisiert wird, dann würde auch solch ein Projekt GARNICHTS KOSTEN, ausser die Anstrengungen, einer so FUSIONIERTEN Vernunft und ein entsprechendes Verantwortungsbewusstsein, wie es derzeit durch den NOCH “kleinen” WKIII ziemlich offensichtlich erforderlich ist, wenn wir nicht an unserer systemrationalen Blödheit im atomaren Schwachsinn ver…/verdingsbumsen wollen!?

  11. #11 hto
    Holographische Konfusion
    20. Juni 2023

    @schlappohr

    Ja, die Chinesen machen es uns vor, auch wenn es immernoch im Rahmen des Wettbewerbs ein sehr begrenzter/beschränkter ist – Hier und mit dem “Rest der Welt” müsste die vor allem notwendige Fusion einer neuen/menschenwürdigen Kommunikation ansetzen.

  12. #12 knorke
    21. Juni 2023

    Mich überrascht das alles nicht. Aber es macht mich traurig. Es überrascht mich nicht, weil das Ganze doch sehr an andere internationale Projekte großen Ausmaßes erinnert. Und es sind eben nicht nur technische Philosophien die clasehn. Es sind nationale Interessen und Machtpolitik. Das Land will seinen lokal ansässigen Zulieferer bedacht wissen, der-und-der Experte braucht noch ein Pöstchen, um den-und-den Wissenstransfer wird gerungen. Wir kennen das auch von Pan-Europäischen Rüstungsprojekten, wie aktuell grade das Gen 6 Kampflugzeug, bei dem Deutschland und Frankreich sich mal wieder nicht einigen können und und und.
    Und leider lassen sich solche Kolosse auch nur bedingt Beine machen durch Konkurrenz: Nicht dass ich ernsthaft glaube, eines der ganzen Fusionsstartups wird in 10 Jahren oder 20 wirtschaftliche Energie produzieren können, aber wäre ITER eine rein privatwirtschaftliche Angelegeneheit, würden da entweder ganz schnell große Würfe passieren was Bau und Inbetriebname angeht, oder der Stecker würde gezogen – bei öffentlichen Projekt wird dagegen weitergemacht, die Strukturen sind so behäbig dass sie kaum reformbierbar sind und um die Finanzierung muss man sich meist keine Sorgen machen – die kommt schon.

    Ich bin kein Fusionsexperte, aber ich denke immer noch dass ITER die wirtschaftliche Erzeugbarkeit wird demonstrieren können bevor andere soweit sind. Das Dumme ist nur dass langsam fraglich wird, ob ich noch so alt werde – was eigentlich mein Ziel war.

  13. #13 echt?
    21. Juni 2023

    Wenn die prinzipielle Funktionsfähigkeit einer solchen Anlage Konsens ist, warum baut man sie dann?

  14. #14 Robert
    Nahierdoch
    21. Juni 2023

    @echt?
    Als es Anfang des 19. Jahrhunders Konsens war, dass ein Schwerer-als-Luft Flug möglich sein sollte, hätte man dann ja auch darauf verzichten können, ein solches Fluggerät auch tatsächlich zu bauen. Was wäre daraus schon zu lernen oder weiterzuentwickeln gewesen?

  15. #15 echt?
    21. Juni 2023

    Anwendungserkenntnisse wird man erst mit dem “Demo” gewinnen.

    • #16 Oliver Gabath
      21. Juni 2023

      Jeder Zwischenschritt bringt Erkenntnisse und jeder Zwischenschritt ist notwendig. Wäre schön, wenn’s anders wäre. Dann könnte man eine Menge einfacher machen.

  16. #17 hto
    Holographische Konfusion
    21. Juni 2023

    O.G.: “Wäre schön, wenn’s anders wäre.”

    Ja, es wäre schön wenn alles anders wäre, vor allem OHNE reformistischen Zeitgeist, dann wären Entwicklungen wirklich-wahrhaftig Zwischenschritte zur Erkenntnis von materialistischen Krücken und …!? 😉

  17. #18 echt?
    22. Juni 2023

    Wenn man die Kosten, den Zeithorizont und den Umstand betrachtet, dass man wieder strahlende Abfälle erhält, sollte man das Geld vielleicht besser in andere Projekte stecken und den weiteren technischen Fortschritt abwarten. Ich meine damit nicht den FDP-Fluxgenerator, sondern den allgemeinen technischen fortschritt, der ein solchen Projekt vielleicht in 50 Jahren mit weniger Aufwand ermöglichen würde.
    Für aktuelle Probleme wie dem Klimawandel kommt das Projekt ohnehin zu spät. Bis dahin könnte man auch ml realistische Berechnungen aufstellen, was eine so erzeugte KWh kosten würde.

  18. #19 Dirk Freyling
    Erde
    22. Juni 2023

    Um sich argumentativ dem Thema nähern zu können, sollte man sich mit den Aspekten der Reaktorfusion mittels magnetischen Einschlusses, dem vermeintlichen Urprinzip, „unsere Sonne als Fusions-Vorbild“ und beispielsweise der Technik einer Wasserstoffbombe detailliert beschäftigt haben.

    Seit den 1960er Jahren gilt »Nutzbare Kernfusion ist immer 30 Jahre entfernt«. Bedeutet, die theoretische Modellphysik liefert(e) keine nennenswerten Impulse für praktische Anwendungen. Und mit jeder vermeintlichen technischen Weiterentwicklung wurden neue technische Probleme ans Tageslicht befördert.

    Exemplarisch Daniel Jasbby ein Physiker, der 25 Jahre lang an Kernfusionsexperimenten im Princeton Plasma Physics Lab in New Jersey gearbeitet hat und in den Bereichen Plasmaphysik und Neutronenproduktion im Zusammenhang mit der Forschung und Entwicklung im Bereich der Fusionsenergie arbeitete, erörtert die wesentlichen Probleme exemplarisch in den folgend aufgeführten Artikeln, die zur Orientierung auch weitere lesenswerte Quellen beinhalten.
    ITER is a showcase … for the drawbacks of fusion energy [2018]

    Weitere Ausführungen dazu sprengen den Rahmen eines Kommentarfeldes bei Weitem.

    Am Rande bemerkt
    Plakativ formuliert: Wie zu vielen fundamentalen Fragen, ob Theoretische oder Experimental-Physik, melden sich die professionellen erfahrenen Kritiker erst “richtig” zu Wort, wenn ihre wissenschaftliche Karriere nicht mehr gefährdet ist.

    Selbst wenn es zu einer Reaktorfusion kommt, bestehen zwei wesentliche Probleme. Erstens, das Aufrechterhalten eines geregelten, steuerbaren Prozesses und zweitens, die Abfuhr der Energie ohne den Erhalt des Magnetfeldes (lokal) zu (zer)stören… Ich beziehe mich bei meiner Aussage nicht auf die (Zer-)Störung des Magnetfeldes durch hochenergetische Ladungsträger. Das Problem ist „sekundär“. Die Apparatur setzt eine kontinuierliche, homogene Magnetfeldanordnung voraus. Sobald die hochenergetischen Neutronen Energie abgeben, wird die technische »Basis der Energieaufnahme«, die stark gekühlt wird, nun stark lokal (“materialwnah”) erhitzt. Bereits kleinste (thermische) Störungen führen zur Anisotropie des Magnetfeldes. Die früher oder später auftretenden Materialschäden sind immens. Die „Magnetfeldspulen“ beispielsweise werden in einem zeitlich sehr langen Prozess hergestellt und sind äußerst teuer. Diese werden, schlicht formuliert, lokal zu unbrauchbaren Metallklumpen verschmolzen, dann bricht das Magnetfeld komplett ein… das “Fusions-Energiewerk” ist anders als beabsichtigt lokal vollbracht…

    Zum (Miß-)Verständnis des Wirkungsgrades siehe die Ausführungen von
    Sabine Hossenfelder (Theoretische Physikerin)… Sie äußerte sich im Oktober 2021 u.a. folgendermaßen…
    „Der Betrieb von Fusionsreaktoren erfordert eine Menge Energie, und der größte Teil dieser Energie geht nicht in das Plasma. Wenn man das Plasma mit einem Magnetfeld in einem Vakuum einschließt, muss man riesige Magnete betreiben, sie kühlen und die Energie aufrechterhalten. Und einen Laser zu pumpen ist auch nicht gerade energieeffizient. Diese Energien tauchen niemals in dem normalerweise angegebenen Energiegewinn auf.

    Das Q-Plasma berücksichtigt auch nicht, dass, wenn man ein Kraftwerk betreiben will, die vom Plasma erzeugte Wärme noch in elektrische Energie umgewandelt werden muss, und das geht nur mit einem begrenzten Wirkungsgrad, optimistischerweise vielleicht fünfzig Prozent. Das hat zur Folge, dass der Q-Gesamtwert viel niedriger ist als der Q-Plasma-Wert…
    Wie kann eine solche Verwechslung überhaupt passieren? Ich meine, das ist keine Raketenwissenschaft. Die Gesamtenergie, die in den Reaktor geht, ist größer als die Energie, die in das Plasma geht. Und doch verstehen Wissenschaftsautoren und Journalisten dies ständig falsch. Sie verwechseln die grundlegendste Tatsache in einer Angelegenheit, die sich auf Dutzende von Milliarden an Forschungsgeldern auswirkt.“… Quelle

    Aktuell: Die (SPIEGEL-)„Presse“ ist wieder einmal „besoffen“ von ihrer Ideologie, statt sich mit den Fakten zu beschäftigen: Der hier verwendete Fusionsreaktor nutzt das Trägheitsprinzip mit Laserstrahlen zur Erreichung des physikalischen Fusionskriteriums von ca. 100 Mio. Grad. Nach eigener Beschreibung wird allerdings immer noch deutlich mehr Energie für das Zünden der Prozesse aufgewandt, als dann theoretisch entnommen werden könnte. Und hier ist noch nicht berücksichtigt, dass diese Anlagen mehrere Jahrzehnte lang enorme Strommengen für die Aufbauten und Testbetriebe verschlangen. Dieser Strom stammte aus fossilen Energieträgern und aus der Kernkraft. Diese Gesamtbilanz ist verheerend. Und: Es hat sich realphysikalisch nichts geändert: Seit den 1960er Jahren gilt nutzbare »Kernfusion ist immer 30 Jahre entfernt«.

  19. #20 irgendwer
    23. Juni 2023

    Wir müssen nicht traurig sein, wenn der Tokakmak nicht fertig wird.
    Es gibt auch noch eine andere technische Lösung, die Stellarator heißt und Vorzüge gegenüber dem Tokakmak hat, das Hochtemperaturplasma kann 30 Minuten aufrecht erhalten werden, gegenüber nur 7 Minuten beim Tokakmak.
    Und…..das ist eine deutsche Entwicklung.

  20. #21 echt?
    25. Juni 2023

    Deutsche, esst deutsche Neutronen!

  21. #22 irgendwer
    25. Juni 2023

    Wenn die Forschungsgelder im Lande bleiben, dann sind sie volkswirtschaftlich gesehen ein Wirtschaftsfaktor.
    Deutschland ist ein rohstoffarmes Land, wir leben von den Erfindungen, den Patenten, dem Ruf, dass deutsche Erzeugnisse gut und fortschrittlich sind und wenn es der PR gelingen sollte, deutsche Neutronen zu vermarkten,( echt, nicht selber essen, vermarkten !)
    dann können wir auch das Desaster mit der Magnetschwebebahn wieder vergessen.

  22. #23 schlappohr
    26. Juni 2023

    @echt

    … sollte man das Geld vielleicht besser in andere Projekte stecken und den weiteren technischen Fortschritt abwarten

    Denk mal kurz darüber nach, was passiert, wenn alle erstmal nur den technischen Fortschritt abwarten. Na, kommst du drauf? Kleiner Hinweis: Wenn jeder Affe darauf wartet, dass ein anderer vom Baum klettert und den Boden erforscht, werden alle Affen für immer auf den Bäumen hocken bleiben.
    Und auf welchen Fortschritt willst du denn hinsichtlich der Kernfusion warten? Dass ein Kückengerätehersteller für die nächste Generation von Thermomixern eine preiswerte Methode erfindet, um Deuterium auf 150Millionen Kelvin aufzuheizen? Kernfusion ist Bleeding-Edge, da muss noch sehr sehr viel Arbeit reingesteckt werden. Um eine Sonne zu bauen, müssen wir runter von den Bäumen. Du hast recht, für den Klimawandel kommt das zu spät, dafür haben wir es uns zu lange mit Uran und Erdöl gemütlich gemacht. Aber wenn wir das überleben, brauchen wir eine langfristige Energiequelle. Und es gibt keine langfristigere Energiequelle als Kernfusion, deswegen ist sie im Universum auch recht weit verbreitet

  23. #24 irgendwer
    26. Juni 2023

    schlappohr
    Grundlagenforschung ist für jeden Industriestaat überlebenswichtig. Beim Umgang mit Neutronen habe ich den Verdacht, dass sich der Pferdefuß erst zeigt, wenn die Anlagen fertig sind.
    Wenn man bedenkt , dass Solarzellen etwa nur 20 % der Einstrahlung nutzen, dann sollte man besser in Solartechnik investieren.

  24. #25 schlappohr
    26. Juni 2023

    An Solartechnik sollten wir _auch_ forschen, das wird kurzfristig eine unserer primären Energiequellen sein. Und wir _müssen_ es in Europa tun, alles andere wäre unermesslich dumm, auch wenn es anderswo billiger gemacht wird.
    Trotzdem muss die Forschung an der Fusion weitergehen, und zwar mit deutlich mehr Drive als bisher.

  25. #26 irgendwer
    26. Juni 2023

    Richtig, das Stichwort heißt Kernfusion.
    Und dabei hat sich die Wissenschaft auf die Fusion von Deuterium zu Helium festgelegt.
    Warum?
    Es sind noch andere Kombinationen denkbar. Die sicherste wäre das Silicium-Silicium-Brennen, weil das selbständig zu einem Ende kommt. Eine Silicium Fusion kann nur begrenzt außer Kontrolle geraten. Mit dem Fusionsprodukt Nickel bzw. Eisen ist keine weitere Fusion mehr möglich.
    Und…..die radioaktiven Endprodukte sind keine Gase .
    also, die Beherrschung des Hochtemperaturplasmas ist die Grundlage. Der Stellarator ist die bessere Lösung.

  26. #27 schlappohr
    26. Juni 2023

    Siliziumfusion benötigt noch viel höheren Druck und Temperatur als die Wasserstofffusion, und die Erzeugung der notwendigen Temperatur für letzteres ist schon eine Herausforderung.
    Das Endprodukt der H-Fusion ist Helium, das ist nicht radioaktiv. Das Einzige, was bei einem Fusionrekator naoch länger strahlt, sind die Innenwände der Reaktorkammer, und das auch nur für überschaubare Zeit.

  27. #28 irgendwer
    26. Juni 2023

    an die Neutronenstrahlung hast du auch gedacht. ?
    Richtig ist , dass man bei Silizium eine noch höherere Temperatur benötigt. Mit der Weiterentwicklung der Lasertechnologie ist das das kleinere Problem.

    Die Kernfusion ist eine verlangsamte Wasserstoffbombenexplosion. Darin steckt das Risiko.

  28. #29 echt?
    27. Juni 2023

    “Denk mal kurz darüber nach, was passiert, wenn alle erstmal nur den technischen Fortschritt abwarten.”

    Es geht darum, in welche Richtung wir investieren. Die Geldmenge für Forschung ist leider endlich.

  29. #30 schlappohr
    27. Juni 2023

    @Irgendwer

    Bei Deuterium beträgt die Temperatur, ab die Fusion stabil läuft, ca. 10**6 K, bei Silizium sind es glaube ich >3*10**9K, also Faktor 3000 heißer. Und Neutronen werden bei der Si-Fusion auch freigesetzt. Wo ist das Problem mit den Neutronen? Man kann sie mit Wasser soweit moderieren, bis sie keinen Schaden mehr anrichten, das macht man in jedem Kernreaktor (wenn auch aus einem anderen Grund). Ich glaube, angesichts unseres derzeitigen Kenntnisstandes sollte wir erst mal mit der viel einfacheren Deuteriumfusion beginnen.

    @echt
    Ja, das ist richtig, aber bei der Kernfusion wird sich nicht viel tun, wenn wir nicht aktiv daran arbeiten, dafür ist diese Technologie zu abgefahren. Es gibt keine weiteren Anwendungen für die Kernfusion außer Energieerzeugung (und Bomben natürlich, aber davon wollen wir uns sicher nicht abhängig machen). Im Gegensatz dazu wird es z.B. bei Solarzellen immer einen Fortschritt geben, weil die ganze Welt an Halbleitern forscht, die werden überall gebraucht. Wir können das Thema Fusion jetzt nicht ein paar Jahre liegen lassen und dann mal schauen, was sich in der Zwischenzeit getan hat. Es wird sich nämlich nichts tun. Oder es wird sich in den falschen Ländern tun, von deren Knowhow wir dann – wieder einmal – abhängig sind.

  30. #31 irgendwer
    27. Juni 2023

    schlappohr,
    bei dir hört es sich an, als ob es die stabile Fusion schon gäbe.
    Wenn man merkt, dass es hakt, dann sollte man auch andere Fusionsarten ausprobieren. Das ist der Sinn meiner Nachricht.

  31. #32 echt
    27. Juni 2023

    “Wir können das Thema Fusion jetzt nicht ein paar Jahre liegen lassen und dann mal schauen, was sich in der Zwischenzeit getan hat. Es wird sich nämlich nichts tun.”

    So unheimlich viel hat sich bisher, trotz des großen Aufwandes, aber auch nicht getan.

  32. #33 schlappohr
    27. Juni 2023

    @irgendwer:
    nun ja, wir wissen, dass es funktioniert. Die zu lösenden Probleme sind technischer Natur. Und ich denke, dass diese für eine Deuteriumfusion am einfachsten zu lösen sind.

    @echt
    Immerhin haben wir auf der Erdoberfläche eine kontrollierte Kernfusion gezündet, auch wenn sie nur für ein paar Sekunden stabil war und mehr Energie verbraucht als sie produziert. Aber das ist ein Anfang. Es hat auch 60 Jahre gedauert von der Entdeckung der Kernspaltung bis zum ersten brauchbaren Reaktor, und die Fusion ist eine ganz andere Hausnummer.

  33. #34 HD
    27. Juni 2023

    @schlappohr: “Es hat auch 60 Jahre gedauert von der Entdeckung der Kernspaltung bis zum ersten brauchbaren Reaktor, und die Fusion ist eine ganz andere Hausnummer.”

    Nein, es waren nur 13 Jahre von der Entdeckung der Kernspaltung (Dez. 1938) bis zum ersten Forschungsreaktor (https://de.wikipedia.org/wiki/Experimental_Breeder_Reactor_I ), der im Dezember 1951 Netto-Energie erzeugte, bzw. 16 Jahre bis zum ersten wirtschaftlich genutzten Kernkraftwerk (https://de.wikipedia.org/wiki/Kernkraftwerk_Obninsk, 1954).

    Aber natürlich ist die Fusion technisch um mehrere Größenordnungen anspruchsvoller als die Kernspaltung, bei der man “nur” das spaltbare U-235 anreichern und die Kettenreaktion unter Kontrolle halten muss.

  34. #35 schlappohr
    29. Juni 2023

    Ja, du hast recht. Ich meinte nicht die Kernspaltung, sondern die Entdeckung der Radioaktivität (die ja letztlich beim Kernzerfall entsteht) durch Curie 1896, bis zum ersten kommerziellen Reaktor 1954.

    Die Kettenreaktion unter Kontrolle zu halten funktioniert ja bis heute auch nicht so 100% zuverlässig. Die Beispiele spare ich mir.

  35. #36 echt?
    30. Juni 2023

    Es könnte ja eine bessere Strategie sein, die Forschungsmittel zunächst als Subventionen für erneuerbare Energien auszugeben. Die Kernfusion läuft ja nicht weg.

  36. #37 irgendwer
    30. Juni 2023

    #36
    Technologien kann man sich patentieren lassen.

  37. #38 echt?
    30. Juni 2023

    Medikamente und vieles andere auch. Das ist ganz normaler Vorgang in der Wirtschaft.

  38. #39 irgendwer
    30. Juni 2023

    Deswegen ist der Wettlauf um die Kernfusion auch wirtschaftlich zu sehen.

  39. #40 echt?
    30. Juni 2023

    Dann werden wir in ca. 30 Jahren ja alle reich!

  40. #41 irgendwer
    30. Juni 2023

    Natürlich, echt, reich an Erfahrung !
    Und dann werden Original-Neutronen aus dem Tokakmak in der Dose verkauft, nur echt mit dem Totenkopf