Als mutmaßlich normal denkenden Mensch stellt man sich die Welt gern als von so richtigen Erwachsenen regiert vor. Reife, gestandene Frauen, Männer und andere Farben auf dem bunten Regenbogen, die qua Ausbildung und Erfahrung wohlerwogene Entscheidungen fällen, immer rechtzeitig ihre Steuererklärung machen, die nie vergessen, morgens was fürs Abendessen aus der TK zu holen, deren Wäscheabwurf nicht überquillt und die ihr Leben einfach im Griff haben. So eine richtige Verschwörungsmythenwelt, die tatsächlich von irgendwem beherrscht wird, der weiss, was er tut und in der nicht unglaublich viel schief geht.

Denn das tut es. Und weil dem so ist, sollte man als mutmaßlich normal denkender Mensch auch die Erfahrung gemacht haben, dass Menschen oft komisch sind, dass sie ihre Spleens und Quirks haben, dass sie gebauchpinselt werden wollen, dass sie bis zur Selbstverletzung risikobereit sein können und dass sie dann auch manchmal Entscheidungen treffen, die ihnen auf lange Sicht schaden. Dieses Bild des Erwachsenen, der die Welt beherrscht beruhigt, weil es Verlässlichkeit vermittelt, aber ich glaube, wenn man zu sehr daran glaubt, macht man sich nur was vor. Menschen haben tolle Ideen, aber sie scheitern auch oft. Ich bin mir völlig sicher, als Putin noch in seiner KGB-Butze in Dresden war, hat er auch öfter mal den Küchenschrank aufgemacht und sich gedacht: “Stimmt, ich wollt ja noch einkaufen gehen.”

Erstaunlich viele gut ausgebildete, erfahrene Menschen an wichtigen Positionen unserer Gesellschaft reagieren auf anscheinend irrationales Verhalten bei den (anderen) Mächtigen im Wesentlichen mit “DOES NOT COMPUTE! DOES NOT COMPUTE!” Das konnte man in 2021 beobachten, als Russland politisch am Gashahn gedreht hatte (ein Fakt, der irgendwie völlig aus dem Kollektiven Gedächtnis verschwunden zu sein scheint), dann 2022 im Zuge von Russlands Angriff auf die Ukraine und erstaunlich viele gut ausgebildete, erfahrene Menschen, reagieren dieser Tage auf den Zollstreit mit der USA in nämlicher Weise.

Ganz vorn dabei unser Bundeskanzler: “»Diese Zölle sind auch nach meiner festen Überzeugung nicht im Interesse der Vereinigten Staaten von Amerika.« Das werde die Zeit zeigen, so Merz.” schreibt der Spiegel.
Das ist doch nett, dass er fest davon überzeugt ist, aber zählt nicht mehr, wovon die USA überzeugt sind? Und damit meine ich beileibe nicht nur Trump.

An anderer Stelle heißt es: “»Mit der Einigung ist es gelungen, einen Handelskonflikt abzuwenden, der die exportorientierte deutsche Wirtschaft hart getroffen hätte. Dies gilt besonders für die Automobilwirtschaft, bei der die gegenwärtigen Zölle von 27,5 Prozent auf 15 Prozent fast halbiert werden. Gerade hier ist die schnelle Zollsenkung von größter Bedeutung.«
Geiles Framing. Diese Zölle hat die USA am 03. April 2025 (auf fertige Fahrzeuge) bzw. 03. Mai 2025 (auf Fahrzeugteile) eingeführt. Unmittelbar vor dem Streit und als Vorbereitung darauf. Aber aus Merz Sicht war es gut die 15 % akzeptieren, um 30 % abzuwenden. Diese Strategie ist vermutlich in etwa so tragfähig, wie “Wehr Dich nicht zu sehr, sonst machst Du ihn nur wütend”.

»Von stabilen und planbaren Handelsbeziehungen mit Marktzugang für beide Seiten profitieren alle – diesseits wie jenseits des Atlantiks, Unternehmen wie Verbraucher.«
Planbarkeit mit einem Enfant terrible, der schon 2016ff gezeigt hatte, was er von einer regelbasierten Welt hält? Dessen Programm MAGA heißt? Ist die Idee unserer Regierung(en) wirklich nur Appeasement an allen Ecken? Wann sind wir so phlegmatisch geworden?

Die EU-Kommission, die diesen transatlantischen Knicks in erster Linie zur verantworten hat, findet’s im Grunde gut: EU- Kommission-Präsidentin Ursula von der Leyen sprach dennoch von einem “guten Geschäft”. Der ausgehandelte Zollsatz bringe “Stabilität” und “Vorhersehbarkeit” in den transatlantischen Handel zurück. Von der Leyen gab allerdings auch zu, dass “15 Prozent nicht zu unterschätzen sind, aber es ist das Beste, was wir erreichen konnten”.
Das ist doch schön. Stabilität und Vorhersehbarkeit, wer will die nicht. Es ist ja auch das Beste, was wir erreichen konnten. Klingt nur ein bisschen wie Trump selbst. Vielleicht gehörte das ja auch zum Deal? Wer weiss. Wir lassen uns also vorerst nur einen kleinen Ring durch die Nase stechen und wenn wir so lieb bleiben, dürfen wir uns in der Zukunft vielleicht selbst daran herumführen. Ein unschönes Beispiel für den Sieg der Enthemmten, aber immerhin interessant zu sehen, wie wichtig uns Europäern Konsistenz bei der Wahrung unserer sogenannten Werte in der Praxis ist. Wenn wir sie schon seit Jahrzehnten nicht gegenüber China und religiösen Diktaturen im mittleren Osten verteidigen, wär’s schon irgendwie heuchlerisch, mit den USA anzufangen. Europäische Arbeitnehmer, die um des lieben Friedens Willen wieder ein Stück Lebensstandard werden abgeben müssen, werden’s Ihr danken.

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Kommentare (14)

  1. #1 hto
    wo Bewusstseinsbetäubung ...
    30. Juli 2025

    @Gabath: “Als mutmaßlich normal denkenden Mensch …”

    Ja, normal …, also schon am Anfang steckt der Web-Fehler, dieser schräg- und konfusgenähten Welt- und “Werteordnung” auf Schuld- und Sündenbocksuche im Tanz um den heißen Brei!?

  2. #2 hto
    wo der Wohlstands-/Gewohnheitsmensch ...
    30. Juli 2025

    Wichtig:

    … Welt- und “Werteordnung” im stets gleichbleibenden Verhältnis 1:5 (Wohlstand : Tittytainment) der Weltbevölkerung, was mit der Globalisierung der “Dienstleistungsgesellschaft” …!?

  3. #3 hto
    30. Juli 2025

    Entschuldigung, ich gebe hier mal eine Antwort die Kuhn in seinem Revier wie gewohnt höchstwahrscheinlich nicht freigibt.

    @Gabath: “Heißt im Klartext: Staatlicher Wohnungsbau.”

    Ja klar, da kommen dann die staatlichen Kollektive, anstatt der Privatwirtschaft, da werden dann Wohnungen gebaut die auch in der Vermietung Schulden bedeuten, damit der Mietwahn mal einen anderen Wachstumswahn zu spüren bekommt und Vernunft endlich zweifelsfrei-eindeutig wird!? 😉

  4. #4 hto
    30. Juli 2025

    Gabath: “War unter dem Stichwort Sozialer Wohnungsbau bis Ende der 1980er ganz normale staatliche Poltiik im Rahmen der Daseinsvorsorge.”

    Das war zu der Zeit, als die “Wohlstands-/Gewohnheitsmenschen” noch unkritisch an “Wirtschaftswunder” glaubten, als die “sozialen Errungenschaften” noch nicht als Geschenke auf Zeit zum blauen Wunder wurden – Nicht mittel- oder langfristig, sondern kurzfristig müssen wir über einem “Klimawandel” hin zu einem globalen Gemeinschaftseigentum OHNE wettbewerbsbedingte Symptomatik sprechen, was als “Sozialismus” das einzig sinnvolle Mittel ist und logisch noch sehr beschränkt erprobt wurde, im Rahmen des nun “freiheitlichen” Wettbewerbs um die Deutungshoheit!?

    “Daseinsvorsorge” – Dieses Wort gefällt mir absolut nicht, weil Menschenwürde und Menschenrecht ebenso …!?

  5. #5 Joseph Kuhn
    Nebenan
    30. Juli 2025

    @ Oliver Gabath:

    “Die Welt ist immer noch auf Kante genäht und ich bin skeptisch, dass sich daran mittelfristig etwas ändert.”

    Die Skepsis muss man wohl teilen. Und vor allem ist die Welt künftig wieder auf Rüstung genäht. Wir wenden unsere Ressourcen nicht dafür auf, die Welt weniger “auf Kante zu nähen”, wir wenden sie dafür auf, die Welt noch etwas näher an die Kante zu schieben.

  6. #6 hto
    wo der zeitgeistlich-reformistische Kreislauf ...
    30. Juli 2025

    @Kuhn: “Und vor allem ist die Welt künftig wieder auf Rüstung genäht.”

    Das war sie doch schon immer, im Glauben an leichtfertig-faule Kompromissbereitschaft zu materialistische “Absicherung” im Verhältnis 1:5!?

  7. #7 hto
    wo die Überproduktion von ...
    30. Juli 2025

    Was wirklich “SCH – ade” ist:
    Das Internet ist faktisch nur eine Klagemauer zur Verstärkung der Konfusion in materialistischer “Absicherung”, es entsteht wahrhaftig NICHTS NEUES.

  8. #8 naja
    30. Juli 2025

    @ Joseph Kuhn
    Lustig, ich hatte gestern einen Kommentar unter ihrem Beitrag zu Epistemisierung des Politischen verfasst und nicht abgeschickt, in dem ich quasi argumentieren wollte, dass wir uns aufgrund der Wiederaufrüstung und der Trump-Zölle so hohe Mieten eigentlich nicht mehr leisten können.

  9. #9 Robert aus Wien
    Wien
    1. August 2025

    @Joseph Kuhn:
    Si vis pacem para bellum.

  10. #10 Joseph Kuhn
    1. August 2025

    @ Robert aus Wien

    Si vis bellum, para bellum. Si vis pacem, para pacem.

    • #11 Oliver Gabath
      5. August 2025

      Außenpolitisch glaube ich nicht, dass Deutschland oder die EU sich da in den letzten Jahrzehnten viel vorzuwerfen haben (Innenpolitisch ist eine ganz andere Nummer, aber sozialer Sprengstoff zerreißt Menschen figurativ, nicht wortwörtlich), außer, dass der Wandel durch Handel nicht die Partner auf der Weltbühne gewandelt hat, sondern einen selbst.

  11. #12 hto
    1. August 2025

    @naja #8

    🙂 Tja, ich hatte gestern folgendes unter Deinem bei Kuhn gepostet:

    Super links wäre, wenn die im Stile der Fuggerei ein
    Gemeinschaftswohnen mit entsprechendem
    Bewusstsein für wirklich-wahrhaftige Vernunft gestalten würden, wo U.A. das Ziel ist: MIETFFREIES
    (Sozial)Wohnen und eine Leistungsgerechtigkeit von/zu
    Gemeinschaftseigentum OHNE wettbewerbsbedingt-
    konfuse Symptomatik, was so auch garantierbar
    sicheres Eigentum auf Lebenszeit (kein Erbensystem)
    bedeutet.

    Ich vermute, wenn man diesem Syndikat genau auf den
    Zahn fühlt, wird auch nur leichtfertig-faule
    Kompromissbereitschaft ans Licht kommen, anstatt
    kompromisslose Konsequenz zu zweifelsfrei-eindeutig links. 😉

  12. #13 Robert aus Wien
    Wien
    11. August 2025

    @Joseph Kuhn: Es ist leider ein bekanntes Problem, daß Staaten, die mit einem aggressiven anderen Staat konfrontiert sind, der aufrüstet, und auch zeigt, daß er nicht davor zurückschreckt, andere Länder zu überfallen, nur verlieren können, wenn sie nicht ebenfalls aufrüsten.
    In der Spieltheorie nennt man das das Gefangenendilemma, wenn ich richtig informiert bin.

    • #14 Oliver Gabath
      27. Oktober 2025

      Ja, hat was damit zu tun. Das Gefangenendilemma beschreibt letztlich eine Situation, in der Regeln eine Rolle spielen und alle einen Nachteil davon haben, wenn jeder für sich nutzenmaximierend agiert. Klassischerweise wird es mit zwei Teilnehmern formuliert, weil man dann eine schöne 2×2-Matrix mit den möglichen Outcomes aufstellen und die These anschaulich zeigen kann. Man kann es aber auch mit mehr als zwei Teilnehmern formulieren; dann wird es abstrakter und schwieriger darstellbar, aber hat man sich da durchgefuchst, wird das Ergebnis sehr viel klarer.