So, jetzt, da ich mir das von der Seele geschrieben habe, mal ein bisschen Einordnung. Die Einigung mit Trump ist de jure kein Handelsabkommen, sondern erst mal nur eine Art Memorandum of Understanding. Bis zu einem tatsächlichen Abkommen läuft also noch viel Wasser den Rhein runter und währenddessen kann viel passieren. Auch Trumps Ankündigung, die EU habe sich verpflichtet, US-Energie und Waffen im Gesamtwert von über 1 Billion (kein Übersetzungsfehler) US-$ zu kaufen stimmt so nicht. Das Ganze ist de jure eine unverbindliche Erklärung, mehr nicht. Und trotz dessen haben die letzten Tage viel angerichtet.

Die EU kann eine Sache extrem gut: schwierigen Verhandlungspartnern Seil reichen, um sich damit aufzuhängen. Aber das funktioniert nur in einer regelbasierten Welt, in der sich alle an Abmachungen halten. Trump und Gleichgesinnte glauben nicht an diese regelbasierte Welt. Sie wollen sich abschaffen. Dass es dann allen schlechter geht zählt nicht, solange am Ende die anderen schlechterer dran sind. Wer die Welt als Nullsummenspiel begreift, dem liegt Konkurrenz näher als Kooperation. Und wer in Regeln Hindernisse sieht, der hält sich auch nicht daran, wenn er nicht muss.

Keine Organisation, keine Partei, kein Funktionär und auch nicht die Regierung haben Trump in irgendeiner Weise Paroli gegeben. Man hat ihn zaghaft kritisiert, ein paar Dinge richtig gestellt, das war’s. Damit gewinnt man keinen Blumentopf.

2020 habe ich meinen dritten Beitrag zum Corona-Virus geschrieben: Nachrichten aus einer auf Kante genähten Welt. Ich schrieb:

Die Welt ist auf Kante genäht. Das hat die Pandemie mehr als alles andere gezeigt. Sowohl private Unternehmen oder öffentliche Einrichtungen sind schon unter Normalbedingungen so verschlankt, dass eine Störung des Regelbetriebs nicht einfach aufgefangen werden kann. Wir haben keine Reserven mehr. Nirgendwo.

Fünf Jahre später gilt das immer noch.

Unsere Produktionswege sind so schlank, dass eine Störung in einem Glied der Produktionskette oder im internationalen Handel gravierende Ausmaße annehmen kann.

Wir haben nichts gelernt.

Der Großteil der Wirtschaft ist mittlerweile so stark auf den reibungslosen Regelbetrieb, der nur kleine Abweichungen duldet, ausgerichtet, dass die Schäden, die durch Krisen angerichtet werden größer sind als sie sein müssten, hätte man in guten Zeiten nicht alles getan, sich noch weiter zu verschlanken.

Nichts.

Ich beendete den Artikel auf einer hohen Note:

Allerdings sind nicht alle Nachrichten schlecht, denn was uns die Corona-Krise auch lehrt ist, dass die Welt zwar auf Kante genäht sein mag, aber der Stoff aus dem sie besteht wesentlich elastischer als in früheren Zeiten ist. Trotz der großen Einschränkungen, trotz der im vereinigten Deutschland nie da gewesenen Versammlungsverbote, der Hamsterkäufe, der häuslichen Quarantänen geht das Leben irgendwie weiter. Die Leute machen sich mal mehr mal weniger Sorgen, aber bleiben im Grunde ruhig. Für mein Gefühl ist trotz der größeren räumlichen Distanz der soziale Zusammenhalt enger geworden. Vielleicht ist es das, was man damit meint, wenn man sagt, dass Krise auch Chance heißt?

Gilt das heute auch? Ich will daran glauben, aber ich kann mir nicht mehr vorstellen wie. Wie viele Weckrufe wurden allein in den letzten fünf Jahren verschlafen? Was ist seit 2020/21 wirklich passiert?

Am 16. Juli 2021, 7 Monate vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine, schreibt die Chemietechnik: Leere Erdgasspeicher – dreht Russland politisch am Gashahn?
Die Erdgasspeicher in Deutschland sind weitgehend leer und trotz hoher Preise erhöht Russland seine Liefermengen nicht. Ob Gazprom seine Lieferungen aus politischem Kalkül verknappt, analysiert ein aktueller Bericht der Deutschen Welle.

Und im verlinkten Bericht steht dazu
Eine solche Interpretation kann man mühelos in den offiziellen russischen Medien finden. Die staatliche Presseagentur Nowosti hat für die Strategie und Taktik des staatlichen russischen Gaskonzerns folgende Erklärung: “Bei der Einschätzung jeglicher Handlungen der Firma auf dem europäischen Markt sollte man ständig die entscheidende Tatsache im Kopf behalten: Gazprom muss den Bau der Pipeline Nord Stream 2 zu Ende bringen.”

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Kommentare (14)

  1. #1 hto
    wo Bewusstseinsbetäubung ...
    30. Juli 2025

    @Gabath: “Als mutmaßlich normal denkenden Mensch …”

    Ja, normal …, also schon am Anfang steckt der Web-Fehler, dieser schräg- und konfusgenähten Welt- und “Werteordnung” auf Schuld- und Sündenbocksuche im Tanz um den heißen Brei!?

  2. #2 hto
    wo der Wohlstands-/Gewohnheitsmensch ...
    30. Juli 2025

    Wichtig:

    … Welt- und “Werteordnung” im stets gleichbleibenden Verhältnis 1:5 (Wohlstand : Tittytainment) der Weltbevölkerung, was mit der Globalisierung der “Dienstleistungsgesellschaft” …!?

  3. #3 hto
    30. Juli 2025

    Entschuldigung, ich gebe hier mal eine Antwort die Kuhn in seinem Revier wie gewohnt höchstwahrscheinlich nicht freigibt.

    @Gabath: “Heißt im Klartext: Staatlicher Wohnungsbau.”

    Ja klar, da kommen dann die staatlichen Kollektive, anstatt der Privatwirtschaft, da werden dann Wohnungen gebaut die auch in der Vermietung Schulden bedeuten, damit der Mietwahn mal einen anderen Wachstumswahn zu spüren bekommt und Vernunft endlich zweifelsfrei-eindeutig wird!? 😉

  4. #4 hto
    30. Juli 2025

    Gabath: “War unter dem Stichwort Sozialer Wohnungsbau bis Ende der 1980er ganz normale staatliche Poltiik im Rahmen der Daseinsvorsorge.”

    Das war zu der Zeit, als die “Wohlstands-/Gewohnheitsmenschen” noch unkritisch an “Wirtschaftswunder” glaubten, als die “sozialen Errungenschaften” noch nicht als Geschenke auf Zeit zum blauen Wunder wurden – Nicht mittel- oder langfristig, sondern kurzfristig müssen wir über einem “Klimawandel” hin zu einem globalen Gemeinschaftseigentum OHNE wettbewerbsbedingte Symptomatik sprechen, was als “Sozialismus” das einzig sinnvolle Mittel ist und logisch noch sehr beschränkt erprobt wurde, im Rahmen des nun “freiheitlichen” Wettbewerbs um die Deutungshoheit!?

    “Daseinsvorsorge” – Dieses Wort gefällt mir absolut nicht, weil Menschenwürde und Menschenrecht ebenso …!?

  5. #5 Joseph Kuhn
    Nebenan
    30. Juli 2025

    @ Oliver Gabath:

    “Die Welt ist immer noch auf Kante genäht und ich bin skeptisch, dass sich daran mittelfristig etwas ändert.”

    Die Skepsis muss man wohl teilen. Und vor allem ist die Welt künftig wieder auf Rüstung genäht. Wir wenden unsere Ressourcen nicht dafür auf, die Welt weniger “auf Kante zu nähen”, wir wenden sie dafür auf, die Welt noch etwas näher an die Kante zu schieben.

  6. #6 hto
    wo der zeitgeistlich-reformistische Kreislauf ...
    30. Juli 2025

    @Kuhn: “Und vor allem ist die Welt künftig wieder auf Rüstung genäht.”

    Das war sie doch schon immer, im Glauben an leichtfertig-faule Kompromissbereitschaft zu materialistische “Absicherung” im Verhältnis 1:5!?

  7. #7 hto
    wo die Überproduktion von ...
    30. Juli 2025

    Was wirklich “SCH – ade” ist:
    Das Internet ist faktisch nur eine Klagemauer zur Verstärkung der Konfusion in materialistischer “Absicherung”, es entsteht wahrhaftig NICHTS NEUES.

  8. #8 naja
    30. Juli 2025

    @ Joseph Kuhn
    Lustig, ich hatte gestern einen Kommentar unter ihrem Beitrag zu Epistemisierung des Politischen verfasst und nicht abgeschickt, in dem ich quasi argumentieren wollte, dass wir uns aufgrund der Wiederaufrüstung und der Trump-Zölle so hohe Mieten eigentlich nicht mehr leisten können.

  9. #9 Robert aus Wien
    Wien
    1. August 2025

    @Joseph Kuhn:
    Si vis pacem para bellum.

  10. #10 Joseph Kuhn
    1. August 2025

    @ Robert aus Wien

    Si vis bellum, para bellum. Si vis pacem, para pacem.

    • #11 Oliver Gabath
      5. August 2025

      Außenpolitisch glaube ich nicht, dass Deutschland oder die EU sich da in den letzten Jahrzehnten viel vorzuwerfen haben (Innenpolitisch ist eine ganz andere Nummer, aber sozialer Sprengstoff zerreißt Menschen figurativ, nicht wortwörtlich), außer, dass der Wandel durch Handel nicht die Partner auf der Weltbühne gewandelt hat, sondern einen selbst.

  11. #12 hto
    1. August 2025

    @naja #8

    🙂 Tja, ich hatte gestern folgendes unter Deinem bei Kuhn gepostet:

    Super links wäre, wenn die im Stile der Fuggerei ein
    Gemeinschaftswohnen mit entsprechendem
    Bewusstsein für wirklich-wahrhaftige Vernunft gestalten würden, wo U.A. das Ziel ist: MIETFFREIES
    (Sozial)Wohnen und eine Leistungsgerechtigkeit von/zu
    Gemeinschaftseigentum OHNE wettbewerbsbedingt-
    konfuse Symptomatik, was so auch garantierbar
    sicheres Eigentum auf Lebenszeit (kein Erbensystem)
    bedeutet.

    Ich vermute, wenn man diesem Syndikat genau auf den
    Zahn fühlt, wird auch nur leichtfertig-faule
    Kompromissbereitschaft ans Licht kommen, anstatt
    kompromisslose Konsequenz zu zweifelsfrei-eindeutig links. 😉

  12. #13 Robert aus Wien
    Wien
    11. August 2025

    @Joseph Kuhn: Es ist leider ein bekanntes Problem, daß Staaten, die mit einem aggressiven anderen Staat konfrontiert sind, der aufrüstet, und auch zeigt, daß er nicht davor zurückschreckt, andere Länder zu überfallen, nur verlieren können, wenn sie nicht ebenfalls aufrüsten.
    In der Spieltheorie nennt man das das Gefangenendilemma, wenn ich richtig informiert bin.

    • #14 Oliver Gabath
      27. Oktober 2025

      Ja, hat was damit zu tun. Das Gefangenendilemma beschreibt letztlich eine Situation, in der Regeln eine Rolle spielen und alle einen Nachteil davon haben, wenn jeder für sich nutzenmaximierend agiert. Klassischerweise wird es mit zwei Teilnehmern formuliert, weil man dann eine schöne 2×2-Matrix mit den möglichen Outcomes aufstellen und die These anschaulich zeigen kann. Man kann es aber auch mit mehr als zwei Teilnehmern formulieren; dann wird es abstrakter und schwieriger darstellbar, aber hat man sich da durchgefuchst, wird das Ergebnis sehr viel klarer.