In dem Beitrag wird unumwunden anerkannt, dass “Russland seine Lieferungen zurückhält”, und zwar nicht nur mit dem Ziel, die eigenen Kassen und die des Staates aufzufüllen. “Das zweite und nicht minder wichtige Ziel besteht darin, unsere westlichen Partner an den offensichtlichen Gedanken zu gewöhnen: die Gewährleistung ihrer eigenen Versorgungssicherheit ist nur in enger Partnerschaft mit Russland möglich”.

Diese “Gewöhnung westlicher Partner” soll, wie es scheint, so gewährleistet werden: Europa bekommt über die Ukraine nur so viel Gas, wie der Ende 2019 abgeschlossenen russisch-ukrainische fünfjährige Transitvertrag vorsieht. Für Gazprom macht es keinen Sinn, weniger zu pumpen, denn der gebuchte Umfang muss so oder so komplett bezahlt werden, der Konzern will aber auch keine weiteren Kapazitäten zu einem viel teureren Tarif dazubuchen.

Der letzte Punkt klingt danach, als seien ungenügende Bestellungen mindestens ein Mitauslöser, allerdings trat diese Situation so in praktisch jedem der insgesamt 48 Jahre Gastransit auf und die Erhöhung von Liefermengen war nie ein Problem. Russland hat 2021 Gas als politisches Druckmittel genutzt.

Und es wird auch eine Gegenstimme zitiert:
Heiko Lohmann, der sich selbst einen Verfechter von Nord Stream 2 nennt (“Es wäre für Europa deutlich komfortabler, diese Pipeline zu haben”), will an die Möglichkeit eines so offensichtlichen Erpressungsversuchs vorerst nicht glauben: “Bisher hat Gazprom auf seine westeuropäischen Abnehmerländer eigentlich nie politischen Druck ausgeübt, zumindest ist es nie bekannt geworden. Wenn jetzt erstmals ein Präzedenzfall auftreten sollte, wäre das in der politischen Diskussion für Gazprom verheerend.”
Da haben wir sie wieder. Diese Vorstellung, dass nur weil eine Option beiden schadet, nicht doch eine Seite bereit ist, sie zu ziehen. Dass Menschen rationale Gründe brauchen um zu handeln. Dass die Welt von Erwachsenen beherrscht wird.

Herrn Lohmanns Einschätzung ist gealtert wie Milch. War das kein Weckruf gewesen, wenn schon Corona keiner war? Die Spannungen vom Spätjahr 2021 und Frühjahr 2022 vor dem Angriff, die diplomatischen Missionen, die ständigen Telefonate mit Putin, die Delegationen, die sich in Moskau die sprichwörtliche Klinke in die Hand gegeben hatten und die im Nachhinein in geradezu grotesker Weise die Spannungen in dem (grandiosen!) Film Das Geheimnis der Stählernen Stadt nachspielten, ohne, dass es was geändert hätte? Das hätte ein Weckruf sein müssen, aber was haben wir wirklich getan, um unsere Abhängigkeiten zu reduzieren? Als Trump schließlich wiedergewählt wurde, was war der Plan B, wenn (nicht falls) das Transatlantische Bündnis keine feste Brücke mehr sein würde, wie er es oft genug angekündigt hatte? Seine Wahl war auch ein Weckruf oder hätte zumindest einer sein sollen. Seine Zölle kamen nicht aus dem Nichts. Amerika zuerst und MAGA sind seit 10 Jahren seine Maximen. Alles was zurzeit passiert war völlig vorhersehbar. Die Welt ist immer noch auf Kante genäht und ich bin skeptisch, dass sich daran mittelfristig etwas ändert.

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Kommentare (14)

  1. #1 hto
    wo Bewusstseinsbetäubung ...
    30. Juli 2025

    @Gabath: “Als mutmaßlich normal denkenden Mensch …”

    Ja, normal …, also schon am Anfang steckt der Web-Fehler, dieser schräg- und konfusgenähten Welt- und “Werteordnung” auf Schuld- und Sündenbocksuche im Tanz um den heißen Brei!?

  2. #2 hto
    wo der Wohlstands-/Gewohnheitsmensch ...
    30. Juli 2025

    Wichtig:

    … Welt- und “Werteordnung” im stets gleichbleibenden Verhältnis 1:5 (Wohlstand : Tittytainment) der Weltbevölkerung, was mit der Globalisierung der “Dienstleistungsgesellschaft” …!?

  3. #3 hto
    30. Juli 2025

    Entschuldigung, ich gebe hier mal eine Antwort die Kuhn in seinem Revier wie gewohnt höchstwahrscheinlich nicht freigibt.

    @Gabath: “Heißt im Klartext: Staatlicher Wohnungsbau.”

    Ja klar, da kommen dann die staatlichen Kollektive, anstatt der Privatwirtschaft, da werden dann Wohnungen gebaut die auch in der Vermietung Schulden bedeuten, damit der Mietwahn mal einen anderen Wachstumswahn zu spüren bekommt und Vernunft endlich zweifelsfrei-eindeutig wird!? 😉

  4. #4 hto
    30. Juli 2025

    Gabath: “War unter dem Stichwort Sozialer Wohnungsbau bis Ende der 1980er ganz normale staatliche Poltiik im Rahmen der Daseinsvorsorge.”

    Das war zu der Zeit, als die “Wohlstands-/Gewohnheitsmenschen” noch unkritisch an “Wirtschaftswunder” glaubten, als die “sozialen Errungenschaften” noch nicht als Geschenke auf Zeit zum blauen Wunder wurden – Nicht mittel- oder langfristig, sondern kurzfristig müssen wir über einem “Klimawandel” hin zu einem globalen Gemeinschaftseigentum OHNE wettbewerbsbedingte Symptomatik sprechen, was als “Sozialismus” das einzig sinnvolle Mittel ist und logisch noch sehr beschränkt erprobt wurde, im Rahmen des nun “freiheitlichen” Wettbewerbs um die Deutungshoheit!?

    “Daseinsvorsorge” – Dieses Wort gefällt mir absolut nicht, weil Menschenwürde und Menschenrecht ebenso …!?

  5. #5 Joseph Kuhn
    Nebenan
    30. Juli 2025

    @ Oliver Gabath:

    “Die Welt ist immer noch auf Kante genäht und ich bin skeptisch, dass sich daran mittelfristig etwas ändert.”

    Die Skepsis muss man wohl teilen. Und vor allem ist die Welt künftig wieder auf Rüstung genäht. Wir wenden unsere Ressourcen nicht dafür auf, die Welt weniger “auf Kante zu nähen”, wir wenden sie dafür auf, die Welt noch etwas näher an die Kante zu schieben.

  6. #6 hto
    wo der zeitgeistlich-reformistische Kreislauf ...
    30. Juli 2025

    @Kuhn: “Und vor allem ist die Welt künftig wieder auf Rüstung genäht.”

    Das war sie doch schon immer, im Glauben an leichtfertig-faule Kompromissbereitschaft zu materialistische “Absicherung” im Verhältnis 1:5!?

  7. #7 hto
    wo die Überproduktion von ...
    30. Juli 2025

    Was wirklich “SCH – ade” ist:
    Das Internet ist faktisch nur eine Klagemauer zur Verstärkung der Konfusion in materialistischer “Absicherung”, es entsteht wahrhaftig NICHTS NEUES.

  8. #8 naja
    30. Juli 2025

    @ Joseph Kuhn
    Lustig, ich hatte gestern einen Kommentar unter ihrem Beitrag zu Epistemisierung des Politischen verfasst und nicht abgeschickt, in dem ich quasi argumentieren wollte, dass wir uns aufgrund der Wiederaufrüstung und der Trump-Zölle so hohe Mieten eigentlich nicht mehr leisten können.

  9. #9 Robert aus Wien
    Wien
    1. August 2025

    @Joseph Kuhn:
    Si vis pacem para bellum.

  10. #10 Joseph Kuhn
    1. August 2025

    @ Robert aus Wien

    Si vis bellum, para bellum. Si vis pacem, para pacem.

    • #11 Oliver Gabath
      5. August 2025

      Außenpolitisch glaube ich nicht, dass Deutschland oder die EU sich da in den letzten Jahrzehnten viel vorzuwerfen haben (Innenpolitisch ist eine ganz andere Nummer, aber sozialer Sprengstoff zerreißt Menschen figurativ, nicht wortwörtlich), außer, dass der Wandel durch Handel nicht die Partner auf der Weltbühne gewandelt hat, sondern einen selbst.

  11. #12 hto
    1. August 2025

    @naja #8

    🙂 Tja, ich hatte gestern folgendes unter Deinem bei Kuhn gepostet:

    Super links wäre, wenn die im Stile der Fuggerei ein
    Gemeinschaftswohnen mit entsprechendem
    Bewusstsein für wirklich-wahrhaftige Vernunft gestalten würden, wo U.A. das Ziel ist: MIETFFREIES
    (Sozial)Wohnen und eine Leistungsgerechtigkeit von/zu
    Gemeinschaftseigentum OHNE wettbewerbsbedingt-
    konfuse Symptomatik, was so auch garantierbar
    sicheres Eigentum auf Lebenszeit (kein Erbensystem)
    bedeutet.

    Ich vermute, wenn man diesem Syndikat genau auf den
    Zahn fühlt, wird auch nur leichtfertig-faule
    Kompromissbereitschaft ans Licht kommen, anstatt
    kompromisslose Konsequenz zu zweifelsfrei-eindeutig links. 😉

  12. #13 Robert aus Wien
    Wien
    11. August 2025

    @Joseph Kuhn: Es ist leider ein bekanntes Problem, daß Staaten, die mit einem aggressiven anderen Staat konfrontiert sind, der aufrüstet, und auch zeigt, daß er nicht davor zurückschreckt, andere Länder zu überfallen, nur verlieren können, wenn sie nicht ebenfalls aufrüsten.
    In der Spieltheorie nennt man das das Gefangenendilemma, wenn ich richtig informiert bin.

    • #14 Oliver Gabath
      27. Oktober 2025

      Ja, hat was damit zu tun. Das Gefangenendilemma beschreibt letztlich eine Situation, in der Regeln eine Rolle spielen und alle einen Nachteil davon haben, wenn jeder für sich nutzenmaximierend agiert. Klassischerweise wird es mit zwei Teilnehmern formuliert, weil man dann eine schöne 2×2-Matrix mit den möglichen Outcomes aufstellen und die These anschaulich zeigen kann. Man kann es aber auch mit mehr als zwei Teilnehmern formulieren; dann wird es abstrakter und schwieriger darstellbar, aber hat man sich da durchgefuchst, wird das Ergebnis sehr viel klarer.