Das Drama, dass sich in Norwegen abgespielt hat, ist sicher an kaum jemandem hier vorbeigegangen. Die Sache ist in höchstem Maße tragisch und ich möchte mir nicht einmal vorstellen, was im Kopf eines Menschen vorgeht, dass er so eine Tat durchführen kann; dementsprechend möchte ich das hier auch gar nicht diskutieren. Ein damit verbundenes Thema aber, dass mit dem Anschlag in Norwegen scheinbar wieder hochkocht, möchte ich dann doch erwähnen. Gemeint ist die öffentlich geführte Debatte um Computerspiele.
Unabhängig von der Diskussion darüber, ob Computerspiele, im speziellen die oft genannten Ego-Shooter (ich wehre mich gegen den Kampfbegriff “Killerspiele”), nun schädlich sind oder nicht (siehe dazu unten) – was manche Medien für einen Unsinn schreiben, ist einfach unglaublich. Den Vogel schießt in der Debatte für mich der folgende Text ab, der scheinbar auf ntv.de erschien (ich kann die Herkunft nicht bestätigen):
Unabhängig vom Tippfehler im Namen des Spiels: wer World of Warcraft (WoW) als Ego-Shooter bezeichnet, hat schlicht keine Ahnung von der Thematik. WoW lässt sich selbst bei der krudesten zugrunde gelegten Definition nicht als Ego-Shooter klassifizieren, denn es ist ziemlich eindeutig ein Online-Rollenspiel (um genau zu sein ein MMORPG). Jetzt kann man von Journalisten natürlich nicht erwarten, dass sie sich mit allem auskennen; aber wenn mir zu einem Thema Informationen fehlen, dann erkundige ich mich entweder oder schreibe nicht darüber! Warum fällt es Journalisten so schwer, diese aus dem gesunden Menschenverstand erwachsene Regel zu befolgen?
Und es ist ja nicht nur so, dass es lediglich einzelne Journalisten wären; der Unsinn über die Computerspiele wird immer schön breitgetreten. Auch im Berliner Kurier, der zwar die Sache mit dem Ego-Shooter erkannt und korrigiert hat, aber dennoch keinen besseren Artikel abliefert. Auch hier ist zu lesen:
Das sieht ganz so aus, als hätte jemand den Text mit dem Ego-Shooter genommen und die Ego-Shooter-Sache herausgelöscht (vielleicht war es ja sogar die gleiche Quelle; der Artikelaufbau suggeriert das zumindest). Leider hat es das ganze nicht besser, sondern eher noch schlimmer gemacht. Zum einen erklärt der Autor des Machwerks nicht, was an WoW denn nun bitte “umstritten” sein soll (abgesehen von der Suchtgefahr, aber die ist keineswegs umstritten, sondern belegt und dennoch weitaus weniger gefährlich als etwa Nikotin- und Alkoholsucht – gegen die, soweit ich das in den Zeitungen lese, recht selten gewettert wird), zum anderen fehlt nun jeglicher Zusammenhang zwischen dem Spiel und dem Attentat – das ist damit vergleichbar, wenn der Kurier herausgefunden hätte, dass der Attentäter in seiner Freizeit Tetris spielt, Brot isst, ab und zu atmet und vielleicht sogar die Toilette benutzt. Derartige Berichterstattungen sind einfach nur unsinnig und kontraproduktiv, insbesondere, da dem Durchschnittsleser oft genug selbst die Erfahrung mit derartigen Spielen fehlt und er auf die (falsche) Berichterstattung der Medien vertrauen muss!
Und was nun das Thema “Killerspiele” angeht – bis heute gibt es weder Belege dafür, dass gewalthaltige Computerspiele schädlich sind, noch, dass sie es nicht sind. Für praktisch jede Studie mit einem bestimmten Ergebnis erscheint eine, die genau das Gegenteil belegt. Wer das selber überprüfen möchte, schaue bitte hier. Die meisten Studien lassen sich übrigens (neben dem Fakt, dass sie oft an relativ kleinen Testgruppen durchgeführt werden und damit ohnehin zumindest skeptisch betrachtet werden müssen) auf einen Hauptnenner bringen: aggressive Personen spielen eher gewalthaltige Computerspiele als nicht aggressive Personen. Einen Nachweis über die Richtung dieser Beziehung (ist man aggressiv wegen der Spiele oder spielt man auf Grund der Aggressivität) können die Studien in der Regel nicht liefern (was die Autoren oft genug nicht davon abhält, wilde Spekulationen anzustellen). In einigen Studien wird dies erkannt und auch explizit so erwähnt (hier ein gutes Beispiel); schade, dass das bei den Journalisten noch nicht angekommen ist.
Aber jeder braucht ja bekanntlich seinen Sündenbock. Und da sich Computerspiele dazu viel besser eignen als Nikotin, Alkohol, Geldgier, Religion, Eitelkeit und politischer Starrsinn (die Aufzählung steht nicht in Zusammenhang mit dem Attentat!), zieht man eben als erstes über sie her. Die paar Spieler wehren sich wenigstens nicht und und bringen auch wenig Geld ein.
[NACHTRAG]
Da es einige der Leser scheinbar nicht ganz verstanden haben, hier noch einmal eine Klarstellung:
1. Was in Norwegen passiert ist, finde ich absolut tragisch und eine Verhöhnung der Opfer ist das letzte, was ich möchte.
2. Ich spiele weder World of Warcraft noch irgendwelche Ego-Shooter noch habe ich sie jemals gespielt. Derartige Unterstellungen sind unangebracht.
3. In dem Beitrag geht es nicht um das Attentat in Norwegen! Der Anlass für diesen Artikel hätte jeder beliebige sein können, wobei es leider in der Regel meist Attentate sind, welche diese Diskussion in den Fokus der Allgemeinheit bringen. Was also soll man tun? Nie darüber reden, weil es ja “blanker Hohn” ist? Dürfen sämtliche Medien jetzt nur noch über das Attentat berichten? Was ist, wenn zur gleichen Zeit in Oslo z.B. eine wissenschaftliche Versammlung stattfand und darüber dann in einer Fachzeitschrift berichtet wird? Ist das nicht mehr gestattet? Gibt es jetzt kein anderes Thema mehr als das Attentat? Ich finde diese Eingrenzung der Thematik höchst problematisch und das Schwingen der Moralkeule rechtfertigt das auch in keinster Weise.
Fakt ist, dass dass die Ereignisse in Norwegen tragisch sind. Fakt ist, dass einige (deutsche) Medien das zum Anlass nehmen, wild zu spekulieren und die üblichen Verdächtigen aus dem Keller zu zerren. Fakt ist, dass es in diesem Beitrag hier nicht um das Attentat in Norwegen geht. Wer lieber darüber lesen möchte, schaut dazu bitte in den gängigen Medien. Dies hier ist ein Wissenschaftsblog zum Thema Informatik, keine Nachrichtenseite.
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