Das auf Wikipedia mehr Männer als Frauen unter den Autoren unterwegs sind, haben ja schon viele vermutet und dass eher “männliche” als “weibliche” Themen behandelt werden, auch. Aber wie das in der Wissenschaft glücklicherweise nun einmal ist, kommt man mit Vermutungen und einem “das weiß doch jeder” nicht sonderlich weit; deswegen haben sich einige Forscher der University of Minnesota einmal hingesetzt und wissenschaftlich untersucht, wie denn nun das tatsächliche Verhältnis von Männern und Frauen unter den Autoren ist – mit relativ eindeutigen Ergebnissen.
Das erste, was sie herausgefunden haben, ist wirklich nicht sonderlich überraschend: auf Wikipedia sind deutlich mehr männliche als weibliche Autoren unterwegs; lediglich 16% der 2009 neu angemeldeten angemeldeten Autoren waren Frauen (beziehungsweise gaben sich als solche zu erkennen) und von diesen Autorinnen wurden lediglich 9% der Artikelbearbeitungen im gleichen Jahr durchgeführt. Außerdem scheint es der Fall zu sein, dass Frauen eher ihre Tätigkeit als Autorinnen einstellen, wenn ihre Änderungen an einem Artikel wieder rückgängig gemacht werden (was sich mit der allgemeinen Auffassung deckt, dass Frauen wohl weniger gut mit Kritik umgehen können – auch hierzu gab es mal eine Studie, deren Original ich leider nicht gefunden habe und über deren Wert ich auch nichts aussagen kann).
Außerdem wurde beobachtet, dass die Änderungen von Frauen an Artikeln häufiger von anderen Autoren rückgängig gemacht werden als die Änderungen von Männern. Konträr dazu haben die Wissenschaftler allerdings festgestellt, dass Frauen doppelt so oft wie Männer Artikel bearbeiten, deren Inhalte stark umstritten sind. Daher weißt die Tatsache, dass Bearbeitungen von Frauen öfter rückgängig gemacht werden als die von Männern, mitnichten auf eine eventuell vorhandene Diskriminierung der Frauen hin (die sicher einige argwöhnen, über deren Vorhandensein aber in der Studie schlicht nichts gesagt wird) – durch die Beschäftigung mit strittigen Themen ist die Gefahr einer Zurückweisung einfach erheblich höher als bei eindeutigen Themen.
Interessant ist auch die Erkenntnis, dass typisch “männliche” Artikel im Durchschnitt signifikant länger sind als Artikel zu typisch “weiblichen” Themen. Bei Artikeln über Filme geht das sogar noch weiter: solche über “Frauenfilme” haben oft eine schlechtere Qualität als ihre männlichen Gegenstücke. Über die Gründe hierfür kann man spekulieren (sie wurden in der Studie auch nicht diskutiert). Ob die geringere Beteiligung von Frauen die alleinige Ursache ist, würde ich sogar bezweifeln, da viele auch sehr gute Wikipedia-Artikel von eher wenigen Leuten “beherrscht” werden.
Die Vermutung, dass Frauen einfach weniger Interesse am Internet und den darin verfügbaren Medien haben, trifft übrigens nicht zu: auf Facebook, Twitter, MySpace und ähnlichen Portalen sind mehr Frauen als Männer unterwegs).
Meine Vermutung zur Problematik ist ja die folgende (belegen kann ich sie natürlich nicht – hier wäre eine wissenschaftliche Untersuchung notwendig): die Wikipedia ist eher interessant für die “harten”, also faktenbeladenen Themen (die sich natürlich eher in den naturwissenschaftlichen und technischen Bereichen finden), wohingegen Frauen vermutlich mehr zu den “weicheren”, also sozialen Themen tendieren (diese Studie bestätigt die Präferenz der Interessen). Derartige Themen lassen sich allerdings nur bedingt gut auf Wikipedia beschreiben, da oft genug ein klarer Kern fehlt und sie eher auf Intuitionen und persönlichen Meinungen beruhen; wenn sie auf Wikipedia zu finden sind, dann sind sie auch eher umstritten, was im nächsten Schritt auch zur erhöhten Zurückweisung von Bearbeitungen führt.
Insgesamt finde ich die Studie ziemlich interessant, da sie einen guten Einblick in die unterschiedlichen Verhaltensweisen von Männern und Frauen im Netz in Bezug auf die gemeinsame Verwaltung von Wissen gibt. Ob hier vielleicht ein Zusammenhang mit dem (gefühlten) Umstand besteht, dass mehr Männer als Frauen (populär-)wissenschaftliche Literatur verfassen, ja, dass insgesamt in den naturwissenschaftlichen und technischen – den “harten” – Bereichen der Männeranteil bedeutend höher ist?
Wer jetzt aber übrigens meint, dass er die Ergebnisse der Studie “sowieso schon kannte” und sie daher eigentlich vollkommen unnütz ist, der liegt falsch. Nur, weil “jeder” etwas bestimmtes weiß, heißt das noch lange nicht, dass es korrekt ist. Erst durch eine wissenschaftliche Untersuchung kann eine “Volksvermutung” auch wirklich belegt – oder widerlegt – werden. In dem Sinne spreche ich mich dafür aus, dass noch viel mehr Studien über derart “allgemein bekannte” Thematiken gemacht werden. Allerdings darf auch eine Vertiefung nicht fehlen – der nächste Schritt muss sein, aufbauend auf der Studie der University of Minnesota zu untersuchen, woran genau die festgestellten Unterschiede liegen; solange das nicht geschieht, ist der Nährboden für unhaltbare Vermutungen und Vorurteile – und damit auch neue Missverständnisse und Konflikte – vorhanden. Hätten deutsche Politiker hier etwas zu sagen, würden sie sicherlich auf Grund der Studie die Einführung einer Frauenquote für Wikipedia und die Beschäftigung von Anti-Diskriminierungs-Beauftragten verlangen – ein häufiges Resultat falsch verstandener Studien.
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