Im Süden Sachsen-Anhalts liegt gleich neben der Stadt Zeitz, auf der anderen Seite der weißen Elster, ein Dorf. Das Dorf heißt Grana und es verbraucht in jedem Jahr so viel Weizen wie ganz Norwegen. Das liegt an der Bioethanolanlage die dort gebaut wurde. Bei ihrer Fertigstellung 2005 war sie die größte Bioethanolanlage Europas. Heute verbraucht sie bis zu 700.000 Tonnen Weizen pro Jahr, oder knapp 2000 Tonnen pro Tag. Das sind Mengen, die dort täglich Güterzugweise angeliefert werden.

Man sollte sich dabei vor Augen halten, das auf der ganzen Welt nur etwa 1000 mal so viel Weizen produziert wird, wie in dieser Anlage jedes Jahr verbraucht wird. Sie ist auch bei weitem nicht die einzige Bioethanolanlage. Mit 360.000 Kubikmeter Ethanol pro Jahr produziert sie gerade einmal 0,5% der weltweiten Bioethanolmenge. Das liest sich dann in der Werbung des Betreibers ungefähr so.

Natürlich wird Bioethanol nicht nur aus Weizen hergestellt. In den USA dient dazu hauptsächlich Mais als Rohstoff und in Brasilien ist es Zuckerrohr. Aber es ist keine Frage, dass die Mengen gigantisch sind. Die Zahlen für die USA in den Jahren 1980 und 2014 sehen so aus (Quelle):

U.S. domestic corn use
Commodity Unit Year Other food, seed, and industrial uses Alcohol for fuel use Feed and residual use
Corn billion bushels 1980 0,624 0,035 4232
Corn billion bushels 2014 1347 5175 5250

Umgerechnet sind das 131mio Tonnen Mais, die im Jahr 2014 für die Produktion von Bioethanol in den USA verwendet wurden. Allein zwischen 2005 und 2009 wuchs der Verbrauch von 38mio Tonnen pro Jahr auf 114mio Tonnen. Was genau in die Zeit der Welt-“Nahrungspreiskrise” von 2007 und 2008 fällt.

Der Maisverbrauch im Jahr 2014 entsprach allein 14% der weltweiten Maisproduktion. Natürlich behaupten die Lobbyisten steif und fest, dass die Produktion von Bioethanol keinerlei Einfluss auf die weltweite Nahrungsversorgung hat. Das kann nicht sein. Es handelt sich um nichts geringeres als das bisher bei weitem größte Verbrechen gegen die Menschheit in der Welt des 21. Jahrhunderts, gerechtfertigt wird es mit dem Kampf gegen den Klimawandel.

Kommentare (15)

  1. #1 Lercherl
    13. Juli 2015

    Die Tabelle ist ziemlich unklar, auch im Original (abgesehen von den seltsamen Einheiten). In dem Ausschnitt im Blogartikel fehlen offensichtlich ein paar Kommata, sollte wohl 4,232 usw. heißen. Aber was genau bedeutet “feed and residual use” bzw. “Other food, seed, and industrial uses”?

  2. #2 Tim
    13. Juli 2015

    Interessante Zahlen, aber der letzte Satz ist ja wohl Quatsch. Sind wir hier bei der “Bild”?

    • #3 wasgeht
      13. Juli 2015

      Der letzte Satz drückt das offensichtliche aus. Als 2010 in der Dürre im Gebiet von der Ukraine und Russland etwa 13mio Tonnen Weizen weniger geerntet wurden und gleichzeitig in Australien weitere 5 Millionen Tonnen ausfielen, nannte man das eine weltweite Katastrophe und machte es für den weltweiten Anstieg der Lebensmittelpreise verantwortlich.

      Was wird dann wohl die Wirkung von weit über 100mio Tonnen fehlendem Getreide sein?

  3. #4 Tim
    13. Juli 2015

    @ wasgeht

    Offensichtlich sind zunächst zwei Dinge: 1) Immer mehr Menschen müssen immer besser ernährt werden. 2) Biomasse (vernünftig strukturiert) wird mangels Alternativen eine zunehmend wichtige Rolle bei der Energieversorgung der Zukunft spielen.

    Damit ist ebenso offensichtlich, daß wir die weltweiten Landwirtschaftserträge drastisch steigern müssen.

    Wenn man schon unbedingt ein Verbrechen herbeiargumentieren möchte, dann eher dieses: Ein Verbrechen wäre es, die nötigen Forschungsanstrengungen zur Steigerung der landwirtschaftlichen Erträge zu behindern.

    • #5 wasgeht
      13. Juli 2015

      Es gibt genug andere Wege Energie zu erzeugen, als Biomasse. Mit 0,15-0,2W pro Quadratmeter braucht Biomasse allein schon 20 mal so viel Fläche wie die einfachsten Photovolatikanlagen.

      Man braucht keine Biomasse, das ist reine Propaganda.

      (Wo sie als echter Abfall ohne weitere Nutzmöglichkeit oder Alternativen in der Produktion anfällt, ist es ein anderes Thema. Aber hier geht es nicht im Ansatz darum.)

  4. #6 Tim
    13. Juli 2015

    @ wasgeht

    Sag mal, geht’s nicht etwas kleiner? Groß von Propaganda reden … Und dann für Photovoltaik einen Leistungswert angeben, bevor wir überhaupt hinreichende Energiespeicher haben, d.h. bevor wir überhaupt wissen, wie effizient die gesicherte Photovoltaik-Leistung überhaupt sein wird. Das ist doch unredlich.

    • #7 wasgeht
      13. Juli 2015

      Davon habe ich schon geschrieben. Und ja, Energiespeicher sind nicht immer sehr effizient, aber es geht auch nicht 95% der Energie verloren.

      Mit anderen Worten: Nein es geht nicht kleiner, denn das wäre dann in der Tat unredlich.

  5. #8 Turi
    13. Juli 2015

    Ich dir hier absolut zu. Dieser Wahnsinn der Bioethanolherstellung ist kaum zu fassen.
    Ich glaube das hier einfach vergessen wurde das es auf der Welt mehr als ein Problem gibt, welche simultan und nicht nacheinander gelöst werden müssen. Klimawandel bedroht, neben vielen anderen Dingen, unseren Nahrungskreislauf. Aber die Lösung kann nicht sein, im vorauseilendem Gehorsam das Essen zu vernichten.

  6. #9 matthias
    13. Juli 2015

    Das Problem ist aber nun wirklich ein bisschen komplexer als der letzte Satz suggeriert:

    Auf der einen Seite steigen die Preise für Getreide, wenn wir Getreide zu Bioethanol verarbeiten. Auf der anderen Seite leiden gerade die Bauern in den ärmsten Ländern massiv unter den Dumpingpreisen, zu denen die Industrienationen Getreide produzieren können. Und dann gibt es das Problem, dass die Viehzucht ebenso Getreide verbraucht (und natürlich weniger Nährwert in Form von Fleisch wieder zurückliefert).

    Schließlich stellt sich auch die Frage, warum überhaupt noch Menschen hungern: Weil nicht genug Nahrung für alle Menschen produziert wird? Weil sie sich bei höheren Weltmarkt-Preisen nicht genug Nahrung leisten können? Weil in ihrer Gegend die Ernte schlecht ausfiel? Weil es nicht genug internationale Hilfe gibt? Weil die Hilfe nicht überall ankommt (wegen allgemeinen Logistikproblemen? weil irgendwelche lokalen Gruppen sie blockieren um daraus Gewinn zu schlagen?)

    • #10 wasgeht
      13. Juli 2015

      Ich kann mich erinnern, dass ich ungefähr zu der Zeit einmal einen Kommentar zu einem Artikel im Economist geschrieben habe, der in etwa das gleiche sagte, was du am Anfang schreibst.

      Aber der Punkt ist: Zu niedrige Preise sind ein Problem. Plötzlich steigende Preise, die sich in 2-3 Jahren verdoppeln und verdreifachen sind eine Katastrophe.

      Und genau deswegen ist es in dem Fall eben doch so einfach, wie es der Satz sagt.

  7. […] Kommentar zu meinem letzten Beitrag zum Thema Bioethanol sagte […]

  8. #12 ulfi
    15. Juli 2015

    @Tim
    Wenn wir von einem Leistungsunterschied Faktor 20(mindestens) reden, dann macht das Fehlen eines guten Energiespeichers nichts mehr. Denn es gibt mehr als genug schlechte. Solange wir am Ende mehr als 5% Effixienz haben ist das immer noch besser als Bioethanol.

    Nimm doch einfach nur Elektrolyse. Hat einen Wirkungsgrad von 70% und liefert uns Wasserstoff. Wasserstoff laesst sich nicht wirklich gut speichern, bzw nur recht frickelig, also wandelt man es mit dem Sabatier-Prozess in Methan um. Wuerde mich wundern, wenn das ineffizienter als Biogas waere.

  9. #13 Duncan
    27. Juli 2015

    Bitte auch bedenken, dass wir die Biomasse für die Ethanolgewinnung in riesigen Monokulturen erzeugen. Diese sind absolutes Gift für unsere heimische Artenvielfalt, an Pflanzen und Tieren. Die älteren werden sich erinnern, dass man bei längeren Autofahrten öfter mal die Scheiben von Insekten usw. reinigen musste, dass man das heute nicht mehr muss, liegt nicht an einer besseren Schweibenwischertechnologie! Tiere die früher in großer Anzahl hier lebten stehen heute auf der Roten Liste wegen Lebensraumvernichtung. Wer hier sieht täglich Rebhühner? Sperlinge? Lerchen? Wachteln? Hase, Fasan?

    • #14 wasgeht
      27. Juli 2015

      Ja, das sind die ökologischen Auswirkungen des Flächenverbrauchs.

      Die Insektenfrage liegt in der Tat nicht an Fortschritten in der Scheibenwischertechnologie, sondern an Fortschritten in der Aerodynamik. Wenn die Luft leichter um ein Auto herumgeführt werden kann, dann gilt das auch für die Insekten die in der Luft herum schwirren.

  10. #15 BreitSide
    27. Juli 2015

    Danke, dass Du dieses ungeheure Thema zur Sprache bringst.

    Es ist wirklich unglaublich, was die Gier mit Menschen anrichtet.

    BTW, Elektro-Autos sind ideale Speicher für regenerative Energie, sobald einigermaßen smarte Grids und Zähler in die Breite kämen.