Der letzte Faktor den er an seinen Ideen kritisiert, ist die Rolle der Institutionen. Er sieht die ökonomische Entwicklung als Grundlage für die Entwicklung einer liberalen Demokratie an. Oder wie ich es sagen würde: Freiheit fängt im Bauch an, nicht im Kopf. Nämlich mit etwas zu Essen, das wann immer nötig seinen Weg in den Bauch findet. Wenn das nicht gegeben ist, dann ist jede theoretisch vorhandene demokratische Beteiligung an der Regierung das Papier nicht wert, auf der sie beschrieben wurde.

Für die Sicherstellung der ökonomischen Entwicklung braucht es starke staatliche Institutionen. Ökonomische Entwicklung in marktwirtschaftlich orientierten Staaten hing im 20. Jahrhundert vor allem mit der Existenz einer Tradition starker staatlicher Institutionen zusammen. Japan, Korea, Taiwan und China hatten alle eine historische staatliche, bürokratische Ordnung die in ihren wesentlichen Funktionen mit denen in europäischen Staaten vergleichbar war. Es fehlen noch die anderen beiden Asiatischen Tiger: Hongkong war eine britische Kolonie hatte daher ihre staatlichen Institutionen und die Regierung in Singapur führte nach der Unabhängigkeit (und einer 2-jährigen, katastrophalen, Wiedervereinigung mit Malaysia) die institutionelle Ordnung der britischen Kolonialzeit im wesentlichen weiter.

Im Gegensatz dazu stellt Fukuyama die afrikanischen Kolonien, wo die Europäer vorhandene Institutionen und Machtstrukturen vorzugsweise zerstört oder für ihre Zwecke ausgenutzt haben. Er kritisiert auch westlichen Art der Unterstützung dieser Staaten, die schwache Staaten nicht stärken, sondern infantilisieren und eigenständiger Entwicklungsmöglichkeiten berauben. Wenn Entwicklungshilfe an die Einführung bestimmter politischer Maßnahmen gebunden ist, dann ist das eine unmittelbare Schwächung der Stellung des Staates. Die Bevölkerung wird diese Maßnahmen nicht als eigenständige Handlung der Regierung wahrnehmen, sondern als von außen der Regierung aufgezwungen. Selbst im allerbesten Fall, wenn die Maßnahme Erfolg hat, ist sie bestensfalls Symbol der Schwäche der Regierung und der Nutzlosigkeit eine Regiernug zu wählen, wo doch die gewählte Regierung nicht allein in der Lage war, die Maßnahme durchzusetzen.

Ein großes Problem sind auch die viel zu hohen Erwartungen an diese Länder. Immerhin dauerte die Entwicklung zu den relativ liberalen Demokratien in Europa wenigstens 500 Jahre, mit all den politischen Krisen, Kriegen und generelle unschönen gesellschaftlichen Entwicklungen und Katastrophen, die im Geschichtsunterricht an uns vorbeigerauscht sind. Die Existenz solche furchtbaren Probleme ist leider zu erwarten. Aber man sollte Staaten nicht deshalb als hoffnungslose Fälle, weil sie die europäische Entwicklung der letzten 500 Jahre nicht innerhalb der letzten 50 Jahre seit ihrer völlig unvorbereiteten und übereilten Unabhängigkeit reibungslos durchgezogen haben.

Wie auch immer man zu diesen Ideen stehen mag, eines steht fest: Der Mann hat nachgedacht und ist darauf gekommen, dass die Geschichte doch nicht so einfach und geradlinig verläuft wie er einst dachte. Selbstverständlich heißt das nicht, dass er nun, im zweiten Anlauf, die endgültige Weisheit gefunden hätte – aber von solchen Behauptungen hält er sich (inzwischen) auch fern.

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Kommentare (4)

  1. #1 BreitSide
    Beim Deich
    1. Oktober 2015

    Sind die USA immer noch dermaßen dominant? Russland hat viel an Stärke dazugewonnen und Chinas Militärausgaben steigen laufend. Ich kenne den aktuellen Stand nicht.

    Dem Ansehen der liberalen Demokratien haben doch vor allem GWBushs Kriege geschadet, vor allem natürlich im Irak, und eben Guantanamo, was auch Obama nicht zu schließen hingekriegt hat. Welche Kriege hat Obama angefangen?

    Wobei Obama mit seinen ungehemmten Drohnenangriffen auch nicht allzu viel Sympathien gesammelt hat :roll:

    Die Strahlkraft des freiheitlich friedlichen wohlhabenden demokratischen Westens hat vor allem unter GWBush sehr gelitten.

    Was mich aber eher erschreckt, sind die verblendeten Knallis, die aus unserer liberalen westlichen freiheitlichen Demokratie heraus sich in Glaubenskriege zu ziehen berufen fühlen.

    • #2 wasgeht
      1. Oktober 2015

      Es ging um hauptsächlich um die Flotte – und ja, da sind die USA immernoch genauso dominant. Ist auch Teil der Militärstategie. Es geht da um “power projection” also die Möglicheit jederzeit jedem ein paar Bomben ins Haus zu werfen, der keine Atombomben oder ähnliches hat um die USA ernsthaft zu bedrohen.

  2. #3 DH
    1. Oktober 2015

    “Freiht fängt im Bauch an , nicht im Kopf”

    Glaub eher , es ist umgekehrt , Freiheit ist Voraussetzung für materiellen Erfolg , und sei es “nur” das Ausbleiben von Hunger , dabei zählt nicht der absolute , sondern der realtiv höhere Grad an Freiheit.
    Wir denken heute automatisch , daß die “liberale Dermokratie” automatisch Freiheit mit sich brächte , meines Erachtens nach ist das falsch.
    Aktuell können wir bei uns im Westen beobachten , wie die Freiheit für die “unteren Schichten” geschleift wurde und wird , was irgendwann dazu führen kann , daß immer mehr Menschen in einer (Halb-)Diktatur mehr Freiheit für sich selber sehen als in der liberalen Demokratie , und sich das auch nicht nur einbilden.
    Wer die Freiheit unten zerstört , wird erleben , wie die Freiheit von unten her zerstört wird.

  3. #4 Dr. Webbaer
    5. Oktober 2015

    The End of History ähnelt ein wenig von der Idee her dem Ende der Naturwissenschaften, das einstmals vor Erfindung der Relativität und anderer “spukhafter Phänomene” hat Einzug gehalten in die Wissenschaften, in diesem Fall: in die Naturwissenschaften.
    Ungünstig kulminiert dann wohl in der bekannten Deutschen Physik.

    Ansonsten scheint der hier Beschriebene naiv gewesen zu sein oder generell naiv zu sein, Huntington, übrigens ein strenger US-amerikanischer Demokrat oder “Linker” blies ihm dann beizeiten mit der These von dem Clash of the Civilizations entgegen, eine These, die sich heutzutage sozusagen täglich bewahrheitet.

    Bonusfrage hierzu:

    Wie auch immer man zu diesen Ideen stehen mag, eines steht fest: Der Mann hat nachgedacht und ist darauf gekommen, dass die Geschichte doch nicht so einfach und geradlinig verläuft wie er einst dachte.

    Wie genau ist dies belegt, wo findet sich der gemeinte “zweite Anlauf”?

    MFG
    Dr. W (der sich für den Beschriebenen nie sonderlich interessiert hat, vielleicht auch einige Kenntnislücken, auch aktuelle Vorgänge meinend, pflegt, dennoch scheinen Hinweise auf “zweite Anläufe” im WebLog-Artikel irgendwie zu fehlen)