Die Geschichte der Massenproduktion ist eng mit der industriellen Revolution verbunden, aber es ist nicht das gleiche. Nun gibt es schon bei der industriellen Revolution eine Reihe Missverständnisse, über die ich auch schonmal geschrieben habe. Man reduziert sie gerne auf mechanische Webstühle, die Dampfmaschine und die Eisenbahn. Aber die wichtigsten Entwicklungen dahinter sind viel unspektakulärer. Es waren Unterschiede im Denken und der Organisation. Die zogen dann Entwicklungen in der Technik nach sich.
Ein wichtiger Schritt zur Massenproduktion war die Einführung austauschbarer Teile. Die Idee, das man einfach ein kaputtes Teil von einem Ding nimmt und gegen ein funktionierendes Teil austauscht, ist viel neuer als man glauben sollte. Im großen Stil hat man das zuerst im Militär umgesetzt. Wenn an einem Gewehr etwas kaputt geht, möchte man nicht das ganze Gewehr wegwerfen. Man möchte es auch nicht zu einem Waffenschmied bringen, der das Teil dann repariert und neu anpasst. Man will das kaputte Teil wegwerfen und noch im Feld das neue Teil einbauen.
Austauschbare Teile brauchen aber eine völlig andere Qualität der Präzision. Damit ein Teil austauschbar ist, muss es nicht in erster Linie zu den anderen Teilen eines ganz bestimmten Gewehrs passen. Das wäre nur die Präzision im handwerklichen Sinn. Man schleift Teile aufeinander ein oder feilt so lange abwechselnd an beiden Teilen herum, bis beide lückenlos zueinander passen. Wenn man das tut, passen zwei Teile zwar sehr gut zueinander, aber nicht zu einem dritten oder vierten Teil.
Damit Teile austauschbar werden, müssen sie nicht zu einem konkreten Teil passen, sondern zu einem rein theoretischen Teil das nirgends existiert. Der alte Idealist Plato hätte die Idee sofort verstanden. Der Übergang vom rein handwerklichen Anspruch, dass die Teile zueinander passen, zu dem Anspruch, dass die Teile einer Vorgabe entsprechen müssen, führt zu einer anderen Herangehensweise. Man hat Schablonen und Messgeräte eingeführt, die einen unabhängigen Standard darstellten.
Wenn die Teile den Schablonen entsprechen, aber trotzdem nicht zusammen passen, dann sind die Schablonen falsch, die Messgeräte ungenau, die Werkzeuge sind unzuverlässig oder es wird falsch damit gearbeitet. Dort muss man ansetzen um das Problem zu lösen. Das ist Massenproduktion. Im Handwerk würde man stattdessen so lange nacharbeiten, bis die Teile zusammen passen und hier liegt das Problem. Man verbraucht mit jedem Stück Zeit und das auf eine Weise die man nur schwer vorhersehen und trainieren kann. Das war schon in den ersten Jahren der Vereinigten Staaten ein Problem, denn Fachkräfte waren schon historisch bedingt selten.
So aber war man gezwungen möglichst einfache Arbeitsschritte einzuführen, um Arbeitskräfte schnell anlernen zu können. Es bedeutet aber auch, dass man nun jeden Schritt individuell angeschaut und optimiert hat. Es ist dann eine andere Frage, worauf man die einzelnen Arbeitsschritte optimiert. Wenn man sie auf möglichst niedrige Kosten und möglichst geringen Arbeitsaufwand optimiert, wird man keine sehr große Präzision erreichen. Die Kritik daran geht leicht von der Hand. Aber sie übersieht regelmäßig die Tatsache, dass die ach-so-miese Qualität der Massenproduktion immernoch besser ist, als ein nicht vorhandenes Produkt. Denn das war der historisch immer wieder anzutreffende Zustand. Entweder es gab teure Handwerksstücke oder gar nichts, nicht einmal etwas, über das sich Hipster hätten lustig machen können.
Neben der anderen Herangehensweise halfen aber auch neue Werkzeuge. Die moderen Dreh-, Fräß- und Schleifmaschinen und auch Maschinen zum Fräsen von Zahnrädern wurden alle am Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelt und dann nur noch schrittweise verbessert. Aber natürlich trugen sie ihren Teil dazu bei, überhaupt eine gewisse Präzision erreichen zu können.
Diese Maschinen sind noch viel wichtiger als die Entwicklung der Dampfmaschine. Denn die Bereitstellung einer Energiequelle nützt nichts, wenn man keine Anwendung für die Energie hat. Wenn jemand einen Motor erfindet, es aber in der ganzen Gesellschaft nichts gibt, das man damit antreiben könnte, dann wird diese Erfindung des Motors wieder verschwinden. Noch wichtiger als die Erfindung des Motors war also die Bereitstellung des Umfeldes, in dem ein Motor eine nützliche Sache wäre.
Das merkt man auch an der schnellen Elektrifizierung der Industrie, sobald man die ersten brauchbaren Elektromotoren und Generatoren entwickelt hatte. Anstatt über mechanische Antriebe die Bewegungsenergie von einem Mühlrad oder einer zentralen Dampfmaschine an alle Werkzeuge zu übertragen, brauchte man nur noch Drähte und Elektromotoren die in den einzelnen Maschinen eingebaut sind. Man war damit viel flexibler, die Energieübertragung war viel zuverlässiger und auch ungefährlicher. Die frei drehenden Riemen und Ketten in alten Fabriken waren fehleranfällig, verlustbehaftet und für alle Anwesenden gefährlich. Es traf eine Erfindung auf ein Umfeld, in dem sie gebraucht wurde.
Wer mehr zu dem Thema lesen möchte, dem Empfehle ich diesen Aufsatz von Bo Carlson. Der macht auch deutlich, dass diese Prozesse nicht abgeschlossen sind. Es gibt neue Prozesse wie die Robotik und die Automatisierung, die sehr viel komplexere Arbeitsgänge möglich machen. Sie erhöhen die Präzision und Geschwindigkeit, sie verringern auch die Kosten. Aber im Grunde stellen sie in vielen Fällen nur die Fortsetzung der Ansätze mit neuen Methoden dar.
Interessant werden sie aber durch neue Ansätze. Denn nicht alles wird in Massenhaften Stückzahlen gebraucht. Man wird mir verzeihen, das mir da zuerst Raketen und Raketentriebwerke in den Kopf kommen. Tatsächlich setzen alle neuen Firmen wie Firefly und Rocketlabs auf Triebwerke, die durch additive Materialverarbeitung entstehen. Anstatt aus einem Block Metall in vielen Schritten ein Teil heraus zu schneiden, wie ein Bildhauer eine Statue aus einem Stein heraus klopft, baut man Teile aus kleinen Partikeln auf, die dann ein Werkstück als ganzes ausmachen – was man heute als “3D Druck” bezeichnet. (Einen echten 3D-Drucker, der zuverlässig die Oberfläche eines beliebigen dreidimensionalen Gegenstandes bedrucken kann, gibt es dagegen immernoch nicht.)
Für die Massenproduktion taugen solche Verfahren nicht. Die additiven Verfahren sind immernoch zu langsam um konkurrenzfähig zu sein. Aber wenn es um die Herstellung einzelner sehr komplexer Teile geht, ist das Verfahren den klassischen “subtraktiven Verfahren” überlegen. Bei den Subtraktiven Verfahren verlangen komplexe Formen auch komplexe Folgen von Verarbeitungsschritten. Der Aufwand steigt mit der Komplexität. Bei den additiven Verfahren ist der Aufwand dagegen weitgehend unabhängig von der Komplexität der Form und viel mehr abhängig vom verarbeiteten Volumen.
Für die Zukunft lässt sich da noch nicht viel sagen, das nicht offensichtlich wäre. Das was man heute tut, wird man auch in Zukunft machen – also Prototypen und individuelle Einzelanfertigungen bei denen es auf den Preis nicht zu sehr ankommt. Für alles weitere müssen die Verfahren noch verbessert werden und das wird auch geschehen. Man weiß nur noch nicht in welche Richtung und in welchem Umfang genau und so bleibt die Sache spannend.
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