Es wird niemanden verwundern, dass man auf diese Weise irgendwann auf eine imposante Anzahl unterschiedlichster Essutensilien kommt. Mit Messer, Gabel, Suppenlöffel und Teelöffel wäre so manch viktorianischer Gentleman in feiner Gesellschaft dem Hungertod kaum entronnen. Die Kataloge der Besteckhersteller enthielten am Anfang des 20. Jahrhunderts teilweise über 130 verschiedene Teile für jedes eigene Design!
Die Notwendigkeit für die Formen kann durchaus bezweifelt werden. Nicht nur deshalb, weil fast alle davon verschwunden sind – sondern auch, weil es selbst Experten oft unmöglich ist die subtil unterschiedlichen Gabelformen dem angeblichen Zweck zuzuordnen.
Diese Geschichten sind aber nicht einfach nur Unterhaltsam, sie zeigen auch, wie die Dinge in unserem Alltag enstehen. Sie entstehen nicht unbedingt aus einer absoluten Notwendigkeit heraus. Es ist vielmehr der Wunsch etwas ganz bestimmtes mit einem ganz bestimmten Werkzeug tun zu können. Die Ergebnisse reichen dabei von Bahnbrechend bis lächerlich. Vor allem wenn es dabei tatsächlich um ein Werkzeug geht, ist das Ergebnis oft durchaus nützlich. Wer jeden Tag damit beschäftigt ist, Bleche auszubeulen, der tut gut daran, einen Hammer zu benutzen, der genau dafür gemacht ist. Wer ein einziges Mal ein Blech ausbeulen muss, käme wohl billiger davon, wenn er gleich ein neues Blech kauft.
Die Nützlichkeit kommt daher, dass sich das Werkzeug tatsächlich an seinem Zweck orientiert. Aber Essbesteck ist kein Werkzeug. Es geht nicht wirklich um die Fähigkeit eine Olive, ein Tomatenstück oder eine Auster möglichst fehlerlos oder schnell zu essen. Dieser Grad der Spezialisierung ist überhaupt nicht notwendig, denn kaum jemand wird sich von so vielen Austern ernähren, dass sich ein eigenes Werkzeug dafür lohnt. Freilich war das in der Geschichte dennoch der Fall. Als wenige Menschen auf große Austernbänke trafen. Aber hier geht es um eine reine Mode. Es geht nicht um das perfekte Werkzeug zu haben um eine Auster zu essen. Es geht darum zu zeigen, dass man das perfekte Werkzeug hat um eine Auster zu essen. Die tatsächliche Nützlichkeit dieses Werkzeugs ist dabei egal. Das oberste Anliegen ist es, dabei gesehen zu werden das gesellschaftlich “richtige” zu tun.
Natürlich kann auch eine solche Entwicklung zu nützlichen Werkzeugen führen, aber in erster Linie wird es zu einer langen Reihe unnützer Entwicklungen führen. Man braucht sich auch nur diverse Auswüchse der Unterhaltungselektronik in den 90er Jahren anzuschauen, um aktuelle Beispiele zu finden.
Wer nach Entwicklungen sucht, die sich demnächst wegen ihrer Funktion auf breiter Basis durchsetzen, der sollte eher anderswo suchen. Wenn der Zweck nur noch darin besteht, der Gesellschaft zu demonstrieren, dass man etwas tut, dann kann man davon keine nützlichen Entwicklungen erwarten. Genauso wenig, wie man von einem Lottoschein einen Gewinn erwarten kann. Das heißt nicht, dass es völlig ausgeschlossen wäre.
Aber wenn eine Aluminiumhütte nach Wegen sucht, den Stromverbrauch zu reduzieren, dann kann man davon ausgehen, dass die Maßnahmen funktionieren werden. Man kann auch davon ausgehen, dass jede Maßnahme ernsthaft geprüft wird, wenn in einem Betrieb der Strom mehr als die Hälfte der Kosten ausmacht und jedes Prozent der Profitrate auf die Sprünge hilft. Wenn das gleiche ein Umweltschutzverband tut, dann kann man in aller Regel (nicht immer!) davon ausgehen, dass irgendwo ein unerwähntes Problem steckt, dass die “Lösung” zu einem absurden Theater verkommen lässt.
Der Unterschied liegt in der Motivation. Die Motivation des Industriellen ist die Einsparung von Strom, weil sie zu höheren Profiten führt. Wenn es nicht funktioniert, trägt er auf lange Sicht die Konsequenzen. Die Motivation des Verbandes ist dagegen das öffentliche Schauspiel, weil es zu Spendengeldern oder Wählerstimmen führt, wie der Fall auch sein mag. Wenn es nicht funktioniert sind negative Konsequenzen praktisch ausgeschlossen, denn man hat das gesellschaftlich vorgefertigte Muster befolgt, das “richtige” getan und somit keinerlei Kritik zu befürchten.
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