Der Satellit war abgeschrieben. Der Wert war versichert und die Versicherungszahlung der Versicherung war beim Rückversicherer rückversichert. Das brachte eine gewisse Freiheit mit sich. (Er wurde auch umbenannt. Aber ich bin hier überall beim ursprünglichen Namen AsiaSat-3 geblieben.)

Wenn die Raumfahrtindustrie eines ist, dann konservativ. Alles muss möglichst schnell, einfach, zuverlässig und risikoarm sein. Das hat zur Folge, dass sich bestimmte Prozeduren und Technologie so sehr verfestigt haben, dass Alternativen nicht nur misstrauisch beäugt werden, sondern kaum mit zwei spitzen Fingern angefasst werden.

Was nicht kostet, ist ein Risiko wert

Ganz anders sieht es mit einem abgeschriebenen Satelliten aus. Den Ingenieuren am Boden kam eine Idee. Wer genau wann welche Idee aus welchen Gründen hatte ist umstritten, aber immerhin das Ergebnis ist klar. (Es gibt eine unschöne Schlammschlacht der Beteiligten darum, die darin ausartete, dass “SpaceReview” drei unterschiedliche Darstellung veröffentlichte, von denen die dritte auch noch kommentiert wurde.)

Man kam auf die Idee, dass man den Satellit mit ein paar Manövern bis zum Mond fliegen lassen kann und dann die Bahnneigung durch die Gravitation des Mondes ausgleichen lässt. Dazu musste man schrittweise vorgehen. Die schwachen Triebwerke des Satelliten sind nicht für den schnellen Einschuss in solche Umlaufbahnen gebaut. Man setzte sie immer wieder am tiefsten Punkt der Bahn ein, um die Ellipse noch etwas länger zu strecken, bis sie schließlich zum Mond reichte.

Das ging nicht in einem Schritt, da man sonst nicht den “Oberth-Effect” ausnutzen kann. (Es gibt, der allgemeinen Förderung öffentlicher Verwirrung wegen, im deutschen auch noch den “Oberth-Effekt” – mit k –  der etwas völlig anderes ist.) Triebwerke sollten möglichst weit unten im Gravitationsfeld benutzt werden, wo der Treibstoff weniger potentielle Energie hat – die weiter oben verloren gehen würde. Die volle Erklärung würde hier zu weit führen.

Zweimal zum Mond und zurück

Jedenfalls wurde AsiaSat-3 der erste kommerzielle Satellit, der jemals den Mond erreicht und umrundet hat. Nicht nur einmal, sondern zweimal. Dazu flog man auf den Mond zu, aber nicht auf der Äquatorebene des Mondes, sonders so, dass die (für die Erde) “zu hohe” Seite der geneigten Umlaufbahn unterhalb der Mondmitte lag und umgekehrt. Die Gravitation bringt den Satelliten, bei passender Geschwindigkeit, dann nicht nur wieder auf eine Bahn zur Erde zurück, sondern auch in einer weniger geneigten Bahn.

Das musste zwei mal getan werden, bevor der Satellit wieder in passender Höhe auf die geostationäre Umlaufbahn eingebremst wurde. Das ganze Manöver nahm drei Monate in Anspruch, es wurde patentiert und das Patent im Jahr 2000 genehmigt.

Flieg nicht zu weit!

Nun dürfte es weniger das Patent sein, weswegen dieses Manöver nicht wiederholt wurde. Es dürfte vielmehr die Zeit sein, die es in Anspruch nimmt, der große Abstand zur Erde und Funkunterbrechung hinter dem Mond. Der Satellit war in 400.000km Entfernung immerhin über zehnmal so weit wie üblich von der Erde entfernt unterwegs. Die Radiosignale haben dort nur noch ein hundertstel der üblichen Stärke.

Ursprünglich hatte man sogar vor, mit einem Swing-by Manöver am Mond bis auf eine Entfernung von 1,5mio km zu fliegen, wo sich die Gravitation von Sonne und Erde fast aufheben und kleinste Änderungen der Geschwindigkeit große Änderungen der Flugbahn relativ zur Erde bewirken können. Aber dann stellte man fest, dass der Satellit damit außer Reichweite gewesen wäre.

Auch wenn sich insgesamt Treibstoff sparen lässt, ist das ganze ist nicht ganz so risikoarm, wie es sich die Industrie wünscht. Vorerst sind jedenfalls keine weiteren Ausflüge mit Satelliten zum Mond geplant. Vielleicht ändert sich das mit dem neuen, weit nördlich gelegenen, russischen Startplatz Wostotschny – wo die Einsparungen einen größeren Effekt haben würden.

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Kommentare (8)

  1. #1 schlappohr
    16. Dezember 2015

    Und wie geht die Geschichte weiter? Hat der Satellit anschließend seine ursprünglich vorgesehene Aufgabe erfüllt? Konnte er, nachdem er eine Menge Treibstoff für dieses irrwitzige Manöver verbraucht hat, seine Position im geostationären Orbit für längere Zeit stabil halten? Will sagen, hat sich die ganze Sache gelohnt? Immerhin können sich die Patentträger jetzt zurück lehnen und genüsslich auf den nächsten versemmelten Satellitenstart warten und dann entweder Lizenzgebühren kassieren oder den Betreiber verklagen. Klingt doch nach einem modernen Geschäftsmodell.

  2. #2 gunterkrause
    16. Dezember 2015

    @schlappohr: Hier die ganze, kurzgefasste Geschichte, ja, auch mit einem kürzeren Happy End ;-):

    https://de.wikipedia.org/wiki/AsiaSat_3

  3. #3 INCO
    16. Dezember 2015

    “So sieht das hundertfach durchgeführte Standardmanöver aus. Der Satellit kommt in die Parkbahn, von dort in eine lange Ellipse, dann wird deren Bahnneigung korrigiert und zuletzt sorgt der Satellit aus eigener Kraft dafür, dass er in eine Kreisbahn kommt.”

    Dieses genaue Prozedere ist eine Besonderheit der Proton (auch wenn es teilweise andere Träger gibt bei denen man so verfahren ist oder immer noch verfährt) und auch der hohen geographischen Breite des Startplatzes geschuldet. Sehr schön illustriert ist das ganze im “Proton Mission Planer’s Guide”, dem Handbuch für Kunden und solche die es werden wollen:
    https://www.ilslaunch.com/sites/default/files/pdf/Proton%20Mission%20Planner's%20Guide%20Revision%207%20%28LKEB-9812-1990%29.pdf#58

    Die meisten Oberstufen liefern ihre Fracht jedoch direkt in den GTO ab, von wo dann der Satellit (bei chemischem Antrieb) Inklination und Bahngeschwindigkeit in einem kombinierten Manöver anpasst.

    Hat die Rakete für die Nutzlast genügend Leistung, kann auch ein direkter Einschuss in den GSO erfolgen.
    (Für die Proton sinkt die Nutzlast dann aber auch prompt auf die Hälfte ab)

  4. #4 INCO
    16. Dezember 2015

    “Dann werden die Triebwerke so ausgerichtet, dass der Satellit in Flugrichtung abgebremst wird und gleichzeitig in Richtung der neuen Bahnebene beschleunigt.”

    Der Hintergrund dieses Satzes erschließt sich mir nicht.
    Warum sollte man Bahngeschwindigkeit abbauen, nur um die Inklination zu ändern?
    Wenn das alleinige Ziel die Inklinationsänderung wäre, so würde man das minimale dV benötigen, wenn man einfach senkrecht zur Flugrichtung feuert.
    Und bei einem typischen Apogäums-Manöver möchte man sogar Bahngeschwindigkeit hinzugewinnen, um das Perigäum anzuheben. In diesem Fall beschleunigt man folglich sogar in Flugrichtung.

  5. #5 Alderamin
    16. Dezember 2015

    @Frank

    Triebwerke sollten möglichst weit unten im Gravitationsfeld benutzt werden, wo der Treibstoff weniger potentielle Energie hat – die weiter oben verloren gehen würde.

    Klingt erst mal logisch, aber es ist doch auch so, dass ein Schubstoß im Apogäum nur das Perigäum anheben kann, einer im Perigäum nur das Apogäum, weil die resultierende Bahn immer wieder durch den Punkt der ursprünglichen Beschleunigung hindurch führen muss (was anderes bei elektrischen Antrieben im Dauerbetrieb). Dann blieb am Ende gar keine andere Möglichkeit, als im perigäum die Ellipse Richtung Mond zu erweitern.

    Deswegen muss umgekehrt auch die geostationäre Umlaufbahn am oberen Ende der Ellipse zirkularisiert werden. (Ich hab’ gelesen, dass Du das nicht ausführen wolltest).

    Interessante Story, war mir nicht bekannt.

  6. #6 BreitSide
    Beim Deich
    17. Dezember 2015

    Solche Dimensionen kann ich mir hinreichend schlecht vorstellen. Umso faszinierender!

  7. #7 Florian
    18. Dezember 2015

    @INCO #4

    Man bremst den Satelit natürlich nicht wirklich runter und beschleunigt dann wieder in die richtige Richtung.
    Es geht darum die Richtung zu bestimmen in die beschleunigt werden muss, dazu legt man die beiden Vektoren aneinander und der Resultierende ist der den man dann wirklich ausführt.

    “Dann werden die Triebwerke so ausgerichtet, dass der Satellit in Flugrichtung abgebremst wird und GLEICHZEITIG in Richtung der neuen Bahnebene beschleunigt.”

  8. #8 Karl Mistelberger
    19. Dezember 2015

    Auch zwei Galileo Satelliten sind abgeschrieben. Diese werden nun dazu benutzt, die Allgemeine Relativitätstheorie mit stark verbesserter Genauigkeit zu testen: https://www.google.de/search?q=relativitätstheorie+galileo+satelliten