Viele Triebwerke können trotzdem zuverlässig sein

Aber es gibt noch einen anderen Ansatz, der von SpaceX wieder eingeführt wurde. Die Falcon 9 benutzt zehn identische Merlin 1D Triebwerke, neun davon in der ersten Stufe und eins in der zweiten. genauso wie die Electron von Rocketlabs. Die Firefly Alpha soll sogar zwölf identische Triebwerke in der ersten Stufe haben. Überschätzen diese Firmen die Zuverlässigkeit ihrer Triebwerke? Nein. Denn sie müssen gar nicht so zuverlässig sein.

Die Reduzierung der Fehlerquellen ist nicht die einzige Möglichkeit, die Zuverlässigkeit zu erhöhen. Die Saturn V hatte zum Beispiel jeweils 5 Triebwerke in der ersten und zweiten Stufe. Aber sie waren in der Lage den Ausfall eines Triebwerks zu verkraften, wenn er nicht zu früh passiert. Das verändert die Lage drastisch. Wenn keins der fünf Triebwerke ausfallen darf, führt ein 99% zuverlässiges Triebwerk zu einer Erfolgsquote von 95,1%. Wenn aber ein Triebwerk ausfallen darf, dann steigt Erfolgsquote sogar, hier wären es 99,9%.

Das ist natürlich nur die Theorie. In der Praxis darf der Ausfall eines Triebwerks nicht zum Ausfall weiterer Triebwerke führen. Sonst funktioniert dieses Rechenbeispiel nicht. Wenn sich eine der leistungsstarken Turbopumpen durch Materialfehler selbst zerlegt, können auch angrenzende Triebwerke beschädigt werden. Deshalb müssen stabile Trennwände aus Kevlar und anderen Materialien eingebaut werden, um mögliche Trümmerstücke aufzuhalten. Genau das ist beim vierten Flug der Falcon 9 Rakete passiert. Eines der älteren Merlin 1C Triebwerke versagte, aber die Rakete setzte ihre Mission erfolgreich fort. Wegen der größeren Gravitationsverluste brauchte sie dabei aber ihre Treibstoffreserve auf. Bei den neueren Raketen dient dafür im Notfall der Treibstoff, der eigentlich für die Landung vorgesehen ist.

Zuverlässige Triebwerke reichen nicht

Auch außerhalb der Triebwerke darf es nicht zu Fehlern kommen. Um so mehr Triebwerke in einer Raketenstufe verbaut werden, um so größer wird die Komplexität der Konstruktion. Diese Komplexität und ein schlechtes Beispiel brachte den Konstruktionsansatz für Jahrzehnte in Verruf. Die sowjetische Mondrakete N-1 hatte nicht weniger als 30 Triebwerke in der ersten Stufe. Auch dort konnten einzelne Triebwerksausfälle kompensiert werden. Aber die Zeit reichte im Wettlauf zum Mond nicht für eine sorgfältige Kontrolle der Konstruktion aus, vorallem die Treibstoffleitungen bereiteten Probleme, so dass die Rakete bei jedem der vier Flugversuche versagte.

SpaceX hatte den Mut das Konzept trotzdem umzusetzen. Im Gegenzug musste für die Falcon 9 nur ein Triebwerk entwickelt werden, denn Produktion weitgehend automatisiert werden kann. Zusätzlich wirkt sich jede Verbesserung dieses Triebwerks sofort auf beide Stufen aus, ganz anders als bei der Ariane 5 oder 6. Dort müssen Booster, Haupttriebwerk und Oberstufentriebwerk jeweils getrennt weiterentwickelt werden.

Seit dem ersten Flug der Falcon 9 v1.1 im September 2013 hat SpaceX 150 Merlin 1D Triebwerke verwendet. Dafür mussten jede Woche ein bis zwei neue Triebwerke von der Produktionstraße laufen. Tatsächlich muss die Produktion noch höher gelegen haben, denn ohne den Fehlstart im Juni hätte die Startrate diese Jahr noch deutlich höher gelegen. Mit hunderten produzierten Triebwerken hat SpaceX nicht nur schneller Erfahrung gesammelt, es lohnte sich auch in Automatisierung zu investieren. Beides senkt die Produktionskosten und erhöht die Zuverlässigkeit, zumal es keine zweite Produktionstrecke für ein kleines Triebwerk in der oberen Stufe gibt. Alles in allem wenig überraschend, wie man aus Erfahrung von der Ariane 4 weiß.

Der Absturz der Falcon 9 Rakete im Juni zeigt aber auch, dass eine Rakete nicht nur aus Triebwerken besteht. Es muss die Zuverlässigkeit in wirklich allen Teilen gewährleistet sein und SpaceX muss jetzt unter Beweis stellen, dass sie auch dazu in der Lage sind. Trotzdem wurde auf der Suche nach Zuverlässigkeit in der Raumfahrt ein neuer Lösungsweg gefunden. Es scheint, als könnte er mit niedrigeren Kosten die gleiche Zuverlässigkeit erreichen und genau das macht die Entwicklung der Raumfahrt in diesen Jahren so interessant.

Die erfolgreiche Landung der ersten Stufe wirft langfristig aber eine Frage auf: Wenn Triebwerke wiederverwendet werden, werden auch die Produktionszahlen sinken – wenn es nicht zu einer massiven Steigerung des Bedarfs an Raketenstarts kommt. Das Erfolgskonzept der Falcon 9 könnte sich also selbst im Weg stehen. Allerdings arbeitet SpaceX auch längst an einer neuen Generation von “Raptor” Triebwerken, die wesentlich aufwendiger gestaltet sind als die Merlins der Falcon 9. Sie sollen in Zukunft eine Rakete antreiben, die derzeit nur unter dem Kürzel BFR bekannt ist. Big Fucking Rocket.

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Kommentare (1)

  1. #1 BreitSide
    Beim Deich
    23. Dezember 2015

    Bfr, schöner Name. Wie die “Riesending”-Höhle.