Wenn man auf den Prozeß der Wiedervereinigung in Wissenschaft und Forschung zurückblickt, dann läuft man allzu leicht Gefahr, lediglich die institutionelle Dimension zu beleuchten und die vielen, vielen Einzelschicksale zu vergessen.

Prof. Dr. Manfred Bierwisch stellt uns heute exemplarisch die wechselvolle Karriere des Philosophen Peter Ruben vor.

Die Brüche und Ungleichheiten, die mit dem Einigungsprozess für die einzelnen Wissenschaftler verbunden waren, sind nicht generalisierbar. Sie können aber am Einzelfall auf irritierende Weise sichtbar werden.

Peter Ruben gehört zu den markanten Figuren in der Philosophie der DDR. Dennoch – oder gerade deswegen? – hatte er mit vielen Widrigkeiten zu kämpfen.

Peter Ruben gehört zu den markanten Figuren in der Philosophie der DDR. Mit seinen profunden, unorthodoxen Arbeiten zum Verhältnis von Philosophie und Naturwissenschaft hat er im In- und Ausland Interesse und Anerkennung bei seinen Fachkollegen gefunden als ein Denker, der marxistische Positionen für Philosophen und Wissenschaftstheoretiker verschiedener Positionen diskutierbar und interessant gemacht hat.

Seine eigenständige Haltung, die bereits 1958 mit Parteiausschluss und Exmatrikulation geahndet worden war, führte Ende der siebziger Jahre zu einem schweren Konflikt mit der SED, in die er nach einer „Bewährung in der Produktion” wieder aufgenommen worden war. Im Verlauf einer inquisitorischen Kampagne im Institut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften, in dem Ruben inzwischen als Abteilungsleiter tätig war, wurde er 1981 erneut aus der Partei ausgeschlossen, aller Positionen entkleidet und de facto mit Publikationsverbot belegt.

Diese Maßregelung löste beträchtliche Reaktionen aus, mindestens zehn prominente Kollegen aus der Bundesrepublik und dem Ausland wandten sich an die Verantwortlichen der DDR und erhoben Einspruch gegen die Reglementierung. Der Erfolg dieser Einsprüche führte immerhin dazu dass Peter Ruben zwar zum Schweigen gebracht wurde, aber am Institut für Philosophie der Akademie der DDR verbleiben konnte, um keinen Anlass für weiteren Eklat zu geben. Seine philosophischen Positionen hat er, allen Pressionen zum Trotz, nicht preisgegeben. Am Ende der DDR wurde er der erste von den Mitarbeitern frei gewählte Direktor des Instituts, nachdem der Skandal von 1981 aufgearbeitet worden war.

Der Einigungsprozesses hatte zur Folge, dass Peter Ruben zugleich auch der letzte Direktor des Instituts war, der – wie viele andere gerade eben von den Mitarbeitern gewählte Institutsleiter – nur noch die Aufgabe hatte, das Institut abzuwickeln. Er hat die Tatsachen akzeptiert, obwohl er die Auflösung des Instituts so wenig für richtig gehalten hat wie zuvor das Revisionismusverdikt gegen seine Theorie über Arbeit und Erkenntnis. Jedenfalls verlor er, wie viele andere auch, mit dem Ende des Instituts seine Stelle. Aufgrund seiner Reputation wurde er in das „Wissenschaftler-Integrations-Programm” aufgenommen, was ihm von 1994 bis 96 eine Mitarbeiterstelle für Politikwissenschaft an der Universität Frankfurt/Oder eintrug.

Was nutzt Publikationsfreiheit, wenn man dafür keine (universitäre) Stelle mehr hat?

Nach dem Auslaufen dieses Programms wurde er – anders als in der DDR – schlicht arbeitslos. Er hatte nun zwar uneingeschränkte Publikationsfreiheit, aber keine Arbeitsstelle. Empörte Briefe wegen dieses Skandals hat es nicht gegeben – an wen auch? Es ging ja nicht um eine gezielte Maßnahme mit individueller Verantwortung. Seit 1989 ist Peter Ruben Rentner, aber nicht untätig.

Das Beispiel ist exemplarisch, wenn auch mitnichten verallgemeinerbar. Andere Geschichten gehen anders, meist weniger paradox, oft, aber nicht immer, so, dass man zufrieden sein kann. Jedenfalls ist das, was in den 20 Jahren gesamtdeutscher Entwicklung geschehen ist, durchwachsen.

Der Linguist Prof. Dr. Manfred Bierwisch war von 1957 bis 1991 Mitarbeiter der Akademie der Wissenschaften der DDR, von 1992 bis 1998 war er Leiter der Max-Planck-Arbeitsgruppe ‘Strukturelle Grammatik’ und Professor für Linguistik an der HU Berlin. In früheren Beiträgen hat er bereits allgemein den Vereinigungsprozeß in den Wissenschaften und dann die besondere Situtation in den Sprachwissenschaften in den Blick genommen.

Kommentare (3)

  1. #1 Jörg Friedrich
    November 20, 2009

    Publikationsfreiheit sollte einem Philosophen wohl allemal wichtiger sein als eine universitäre Stelle.

  2. #2 Bierwisch
    November 23, 2009

    Ich erinnere mich gut an die (durchaus berechtigten) Proteste gegen das Berufsverbot in der Bundesrepublik, das nichts anderes war als die Verweigerung einer (auch universitären) Stelle – bei durchaus gesicherter Publikationsfreiheit.

  3. #3 Jörg Friedrich
    November 23, 2009

    Ruben hatte jedoch kein Berufsverbot. Ihm wurde eine Stelle auch nicht “verweigert”. Ich vermute, er hatte wie viele Philosophen auch in der “alten Bundesrepublik” das Problem, dass Philosophenstellen knapp sind. Er wurde Rentner, wie Sie schreiben. Ich finde, diese Situation ist weder mit einem Berufsverbot noch mit den Maßregelungen in der DDR im geringsten vergleichbar.