Ich habe es gelesen, das rote Buch von Thilo Sarrazin, und die Politiker der Koalition auch. Die verschwindend geringe Erhöhung der Hartz-IV-Sätze soll den Mechanismen entgegen wirken, die Sarrazin beschreibt, wenn er meint, daß Deutschland sich abschafft. Allerdings – bei Sarrazin ist das Geld nicht entscheidend, sondern das, was man den betroffenen Menschen stattdessen geben kann – Stolz und Motivation zum Beispiel, aber bis dahin sind die lesenden Politiker wohl nicht gekommen.
Es ist offenbar: Sarrazin wirkt – vor allem in der SPD -, und keiner gibt es zu. Das alte Lied der Heuchelei, in das ich hier nicht einstimmen will. Ich möchte aber betonen, daß die Aufregung in den Medien um Sarrazins fehlgedeutete Wissenschaft beim Lesen des Buches nicht nachzuvollziehen ist. Natürlich geht Sarrazin mit Einsichten der Forschung manchmal etwas großzügig um – er versteht zum Beispiel nicht, daß es bei Vererbung zu Neukombinationen kommen kann -, aber es ist offenkundig, daß er seine Quellen immerhin studiert hat. (Dabei kann man auch etwas nicht verstehen, wie es uns allen passiert.) Und natürlich ärgert einen der gebetsmühlenartig vorgebrachte Hinweis, zwischen 50 und 80% von Intelligenz sei erblich, so als ob das irgendwo jemand genazu genau wüsste. Aber Sarrazin stellt gute Fragen. Zum Beispiel die, wer denn in ein paar Jahren noch Wanderes Nachtlied kennt. Die Frage richtet sich nicht an türkische oder andere Migrante. Sie gilt uns, und wir versagen. Sarrazin macht es deutlich, und deshalb ist das, was er schreibt, ein rotes Tuch.
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